[Heute: Arcana Middle School - Klasse 1D]
Einige Schüler keuchten vor Überraschung auf, andere schrien sogar vor Erstaunen oder gar Angst, eilten zum Fenster um das Spektakel am Horizont besser sehen zu können. Kevin Anderson jedoch drehte lediglich den Kopf und runzelte die Stirn, während er sicher ging, dass seine rot-weiße Cap tief genug im Gesicht hing, um seinen wissenden Blick zu verbergen. Er beobachtete die grelle Sphäre, die mindestens zwanzig Meter hoch war, wahrscheinlich noch größer. Die Lichtkugel lag im Westen und Kevin ahnte, was da geschehen war, widerstand dem Drang, traurig den Kopf zu schütteln. Das Licht verschwand, doch im Gegenzug traf die Druckwelle auf die Fassade des Schulgebäudes. Selbst in dieser Entfernung war die Detonation zu spüren. Einige Fenster gaben dem Druck nach und zerbarsten. Kevin erhob sich und gesellte sich zu seinen Mitschülern. Die Lehrerin forderte die Kinder wieder auf, Platz zu nehmen. Während Schülerinnen wie Tomo sofort Platz nahmen, blieb Kevin stehen, konzentrierte sich auf die richtigen Gefühle... kurz sah er zwei Männer vor seinem geistigen Auge. Der Ältere, ganz in graue Lumpen gekleidet, mit langen, schwarzen Haaren, wie er sich zahlreichen Soldaten in den Weg stellte. Der andere, weitaus jüngere Mann trug eine schwarze Jeans, ein orangefarbenen Hemd mit roten Verzierungen und hatte kurze blonde Haare. Er stand seinem Kameraden - nein, Mentor - lange zur Seite, ehe er sich abwandte. Zu gut konnte sich Kevin an die Worte erinnern, die damals gesprochen worden waren: "Der Fuchs bleibt zurück, damit wir fliehen können", hatte der junge, blonde Mann erklärt. "Gehorchen wir, damit sein Opfer einen Sinn hat. Der Fuchs glaubt an das Leben und ich tue es auch." Er selber hatte den Blonden nur gefragt, warum sich der Fuchs nicht effektiv wehrte, doch der blonde junge Mann hatte nur gelächelt. "Weil er einen Traum hat. Genau wie ich. Wir glauben an den Frieden. Es mag Leute geben, die unseren Traum zerstören wollen. Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen kämpfen wir schon. Aber es ist gewaltloser Widerstand. Ich werde das Andenken des Fuchses in Ehren halten. Und das solltest du auch."
In der Gegenwart blinzelte Kevin die Erinnerungen fort und Tränen liefen seine Wangen hinab. Die Lehrerin fragte noch, ob alles in Ordnung war. Kaum hatte Kevin sich seinen Gefühlen hingegeben fingen auch einige andere Kinder an zu weinen. "Herrscht jetzt Krieg?", fragte der kleine Tim. "Sind wir hier sicher?", wollte die kleine Lizzy wissen. Die Lehrerin leistete gute Arbeit darin, die Kinder zu beruhigen. "I-Ich weiß ja, dass wir hier s-sicher sind", stammelte Kevin und rieb sich die tränenden, bernsteinfarbenen Augen. "A-Aber darf ich kurz nach d-draussen auf den Hof und f-frische Luft schnappen? Und auf Toilette muss ich a-auch." Die Lehrerin nickte und erlaubte es Kevin, während sie Lizzy tröstend in den Arm nahm. Kevin verließ das Klassenzimmer und sobald die Tür hinter ihm zu fiel, war Kevin Anderson fort. Darklighter blieb einen Moment stehen und seufzte. Obwohl er sich immer an die Lehren und Ideale seiner beiden Idole gehalten hatte, immer gewaltlosen Widerstand praktizierte und vom gemeinsamen Frieden predigte, wusste er auch, dass er nun vielleicht handeln musste. Vielleicht aber auch nicht. In jedem Fall war er neugierig und wollte wissen, was genau bei der Militärbasis passiert war. Scheinbar hatte es eine mächtige Explosion gegeben und obwohl es Darklighter traurig stimmte, wollte er auch wissen, was tatsächlich geschehen war. Er verließ das Schulgebäude und auf dem Hof hätte ihn fast ein älteres Mädchen über den Haufen gerannt, welches von einem kleinen Wolf verfolgt wurde. Er hatte sie schon vor Schulbeginn gesehen. Sie und ihre Freunde. Er hatte das andere Mädchen sofort vom vergangenen Abend wieder erkannt. Hatte sie wieder ihrem Zorn nachgegeben? Darklighter konzentrierte sich, schloss die Augen und drehte den Kopf in verschiedene Richtungen. Dann steuerte er einen Stromverteilerkasten am Rande des Schulhofs an, lehnte sich an diesen und dehnte sein Bewusstsein aus, griff mit seinem Verstand ans Energienetz von Varath und darüber hinaus. Ganz plötzlich war Darklighter Teil der Galiläa, der schützenden Kuppel über der Stadt und der näheren Umgebung.
Und weil diese Kuppel auch Überwachungssysteme beinhaltete, konnte er nun sehen, was aus der Militärbasis geworden war. Er sah den riesigen Krater, sah die glühende Erde. Sah auch die Personen, die knapp dem Inferno entgangen waren. Hatten sie etwa die Basis pulverisiert? Doch eine solche Aktion hätte Darklighter eher vom Anführer der Rebellen erwartet. Und dieser war nicht einmal anwesend. Er zoomte heran, sah dann einen jungen Mann im Epizentrum der Detonation. Und das Mädchen in seinen Armen. Hatte sie etwa die Basis mit ihren Kräften zerlegt? Er bezweifelte es. Und da die Gruppe - soweit es der Zoom erlaubte - sehr angeschlagen aussah, vermutete er eher, dass das Militär die Basis selbst gesprengt hatte. Kurz überlegte er, ob er die Umgebung nicht nach Soldaten absuchen sollte, konzentrierte sich dann aber weiterhin auf die Gruppe, als diese mit einem Taxi davon brauste. Darklighter schloss die Kameras kurz, so dass andere für einige Stunden nicht auf das Überwachungssystem der Galiläa zugreifen konnten. Sie würden sich den Krater aus nächster Nähe angucken müssen. So hoffte Darklighter, der Gruppe im Taxi beim Entkommen zu helfen. Doch hoffte er auch, dass die Gruppe auch wirklich nicht für die Zerstörung verantwortlich war. Er würde bei Gelegenheit versuchen, Aufzeichnungen über die genauen Geschehnisse zu bekommen. Wenigstens war der Zoom nicht annähernd gut genug, um Gesichter zu erkennen. Darklighter zoomte heraus und folgte dem Taxi, welches nur noch ein Fleck auf der Straße war. So viele andere hatten den Lichtblitz gesehen, von der Druckwelle ganz zu schweigen. Sicher würde die Polizei nach dem Rechten sehen. Darklighter beschloss, der Gruppe weiterhin zu helfen und gab falschen Alarm in der Zentralbank von Varath, ehe er wieder die Straße vor dem Taxi überwachte. Bei einer Abzweigung drohte das Taxi, bei der falschen - linken - Abzweigung direkt in eine Polizeistreife zu fahren. Darklighter übernahm die Kontrolle über eine Werbetafel, änderte die Werbung in eine Warnung: "Darklighter empfiehlt: Immer auf dem rechten Weg bleiben!" Dann jedoch musste er sein Bewusstsein zurück ziehen.
Erschöpft lehnte er sich an den Stromverteilerkasten. Es war sehr anstrengend, sein Bewusstsein in das Energienetz zu speisen und Änderungen vorzunehmen. Die vergangene Nacht war anstrengend gewesen und er hatte nicht viel Schlaf und damit Zeit zur Erholung gehabt. Umso schlechter ging es ihm nun und Darklighter wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er würde unbedingt mehr über die Vorfälle bei der Militärbasis herausfinden müssen, aber das musste erst einmal warten. Er brauchte nun eine Weile Ruhe. Er konnte nur hoffen, dass die kleine Gruppe im Taxi erfolgreich entkommen würde - und dass sie keine Schuld an der Explosion trugen. Zwar weigerte sich Darklighter, offensiv gegen das Militär vorzugehen, doch ebenso missbilligte er die Rebellen. Hätte er besser tatenlos zuschauen sollen? Neutralität wahren? Was würden seine beiden Mentoren wohl sagen? Doch der Fuchs war seit Jahren tot. Auch seinen Mentor hatte er seit den Ereignissen, die zum Tod des Fuchses geführt hatten, nicht gesehen. Er würde versuchen, auch weiterhin für den Frieden zu kämpfen, auf seine eigene Art und Weise. Nun jedoch taumelte Darklighter müde und blass über den Schulhof und zurück ins Schulgebäude. Als er die Klasse betrat, hatten sich die anderen Mitschüler bereits wieder beruhigt und die Lehrerin fragte ihn, ob es ihm gut ginge. Kevin nickte wie benommen und setzte sich hin, ignorierte dabei das Gefeixe von einigen Mitschülern. Er fühlte sich mies, war sich aber nicht ganz sicher, ob es an seinem Eingreifen lag oder eher an der Tatsache, dass er es ein wenig übertrieben hatte. Zu wenig Ruhe und zu viel Handeln war gefährlich. Trotz allem war er schließlich immer noch ein Kind. Es gefiel ihm nicht, aber er würde sich wohl schonen müssen. Er würde ja sehen, ob die ihm bekannten Mitglieder der Vaishara-Clique in den nächsten Tagen wieder die Schule besuchen würden oder nicht. Ändern würde er nun nichts mehr können. Oder doch? Kevin wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, sich auf den Unterricht zu konzentrieren um den Schultag endlich rum zu kriegen.
[Heute: Militärbasis]
Sharon wurde wach, weil Aiolos' Rute an ihrem Arm kitzelte. Sie blinzelte, doch alles war noch zu verschwommen. Benommen seufzte sie leise und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. "Macht das nie wieder!", hörte sie eine leise, zornige Stimme neben sich und öffnete die Augen und sah Kalina, die auf Marcus' Schoß saß und nun leise schluchzte. "Ich hatte geglaubt, dich nie wieder zu sehen ..." Es herrschte Stille und Sharon grinste, trotz ihrer Benommenheit. "Euch", korrigierte die Fahrerin, "Euch nie wieder zu sehen, richtig?" Sharon wollte vor Erleichterung lachen, doch es kam ihr nur ein Stöhnen über die Lippen. Verschwommene Schemen wichen langsam wieder festen Umrissen, doch ihr Kopf dröhnte noch immer und fiebriger Schweiß stand ihr auf der Stirn. "Wir müssen reden", meinte die Fahrerin nun, "Sobald alle wieder auf den Beinen sind, versteht sich ... ihr werdet sicher einige Fragen haben ..." Marcus sprach mit Kalina, während Sharon die Augen schloss und versuchte, die Schmerzen zu verdrängen. Sie hörte jedoch aufmerksam zu, auch als Marcus von Fragen sprach und Nate erwähnte. Nun riss Sharon die Augen auf, als sie sich an das gleißend helle Ende ihrer Auseinandersetzung erinnerte. Sie sah ihn auf dem Beifahrersitz, bewusstlos und mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt. War er tot? Hatte sie ihn etwa getötet? Wie aus weiter Ferne hörte sie Marcus fragen, warum Travia Nate 16 nannte, hörte ihn nach Tips fragen. Eine lange Pause folgte und Sharon atmete tief durch. Sie war unendlich müde, konnte einfach nicht Kraft und Konzentration finden, selber das Wort zu ergreifen. Marcus bat Travia, etwas von sich zu erzählen, fragte dann wegen den 10 Minuten und kurz darauf, wo Kalina eigentlich wohnte. Mühsam öffnete Sharon nun den Mund, holte Luft. "Issst Nathan innn Ordnunnng", gab sie langsam und undeutlich wie eine Betrunkene von sich und wunderte sich selber, warum sei denn nur so müde war. Sie sah zu Zoe, die jedoch ruhig atmete. Dann sah sie zu Marcus und Kalina. "Wie kommst du denn hier her, Kalina", fragte sie etwas deutlicher, doch mit langen Pausen zwischen den Worten.
Dann ging es ihr endlich gut genug, dass sie wieder fließend sprechen konnte. "Mir geht es so unglaublich dreckig", kommentierte sie ihren Zustand und rieb sich den Kopf. "Was ist denn bloß passiert?" Sie schloss immer wieder lange die Augen, doch es half wenig. "Ist Nate wieder zur Vernunft gekommen?" Sie betrachtete ihn, sah die vielen Brandblasen. "Ich frage mich, ob es einfacher geworden wäre, wenn er nicht durchgedreht wäre. Wie konnte so etwas überhaupt passieren? Gestern Nacht war er so ruhig und vernünftig, als er sich mir in den Weg stellte. Und vorhin hat er mich nicht einmal erkannt... Kann das jedem von uns passieren?" Sie sah die Fahrerin fragend an. Dann sah sie zu Marcus. "Hast du den Helikopter vom Himmel geholt? Es scheint, als würde man uns nicht verfolgen... Aber andererseits dachte Nate gestern Nacht auch, wir seien bei ihm in Sicherheit." Wieder sah sie zu Travia. "Passen Sie bloß auf, wäre echt nicht schön, noch einmal überrascht zu werden. Und ich bin definitiv nicht in der Lage, mich großartig zu wehren..." Zur Bestätigung ihrer Worte rieb sie sich den Kopf, betrachtete Travia einen Moment. "Sie haben es echt drauf. Was sie da mit der Erde gemacht haben... Sie haben uns so ziemlich gerettet." Wieder schwieg sie und dachte an Nate und die glühende Kugel in seinen Händen, dachte an die Ruinen der Militärbasis. Solch enorme Zerstörung hatte er über das Militär gebracht. Kalina hatte auf dem Schulhof gesagt, die Kaserne umfasse etwa 400 Mann. Hatte Nate sie alle getötet? "Also hat Nate die ganze Kaserne pulverisiert? Alle stationierten Soldaten?" Sie sah zu Kalina. "Du hast von einem Unfall vor 5 Jahren im Hauptquartier gesprochen. Ist bekannt, was dort passiert ist?" Dann plötzlich fiel ihr etwas ein: "Kalina, wo ist mein Rucksack? Ich habe da etwas, das ich Nate geben möchte. Er wird sich freuen... Wenn er denn aufwacht." Besorgt sah sie ihn an. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Warum der Name 16? Warum die zehn Minuten? Waren so eine Rage? Sie atmete tief durch, rieb sich die Schläfen. "Alles klar, Marcus, ich hab's kapiert. Von Dummheiten habe ich ersteinmal die Nase voll, das kannst du mir glauben..."