[Aeruin RPG] Hauptthread

[Heute: Auf dem Weg zur Kaserne]

"Ich reisse mich zusammen", flüsterte Sharon und Marcus hielt den Atem an, um nicht zu seufzen oder seine Zweifel und sein Missfallen erneut zu bekunden. Sharon erklärte der Fahrerin, dass die Kaserne ihr Ziel sei und Marcus konnte nur hoffen, dass die junge Frau am Steuer es sich nicht anders überlegte und doch noch das Militär kontaktierte. Marcus fand es jedoch gut, dass auch Sharon die Fahrerin nicht in Gefahr bringen wollte. Tatsächlich lächelte er sogar ein wenig, öffnete die Augen und bemerkte, dass Sharon erst die Fahrerin, dann Zoe und ihn fragend ansah. "Noch können Sie einer Strafe entgehen, Miss", sagte Marcus eindringlich aber freundlich. "Meine impulsive Begleiterin hat Recht. Ich habe zwar keine Ahnung von der Vorgehensweise des Militärs, stelle es mir allerdings schlimm, gnadenlos und brutal vor. Ruinieren Sie nicht leichtfertig Ihr Leben für ein paar Fremde. Sobald wir die Stadt verlassen haben, lassen Sie uns einfach raus. Wir haben schon genug Schaden angerichtet." Diesmal sprach er nicht nur von Sharon, weil das auf sie Herumhacken auch nichts brachte. "Und wahrscheinlich folgt noch einiges an Ärger. Das ist schon schwierig genug. Sie müssen da nicht auch noch rein geraten, Miss." Er lächelte etwas gezwungen, schloss dann wieder die Augen und lehnte den Kopf an die Fensterscheibe, als würde er sich ausruhen müssen. Tatsächlich sammelte er bereits Kraft, war hochkonzentriert. Es war, als müsse er nur noch einen Knopf drücken und die Zeit würde sich seinem Willen beugen.
 
[Heute: Auf dem Weg zur Kaserne]

Die Fahrerin lachte herzhaft bei der Sorge ihrer Fahrgäste. Es war hell und klar. Ihr Blick traf für einen Augenblick den von Zoe und das Mädchen spürte eine unglaubliche Wärme, die man der Frau niemals angesehen hätte. "Es ist sehr lieb von euch, euch um eine Taxifahrerin zu sorgen, aber ich glaube, ich komme schon irgendwie durch. Im Augenblick solltet ihr euch wohl mehr Gedanken um Nate machen. Die westliche Kaserne mag vielleicht nicht so schwer bewacht sein wie das HQ aber es reicht für ein paar Kinder. Habt ihr überhaupt einen Plan, wie ihr problemlos rein- und wieder hinauskommt? Wahrscheinlich nicht ... Ihr solltet das vielleicht ...", begann sie wurde jedoch von rauschendem Funkverkehr unterbrochen."

"Travia, hier spricht John. Ich hätte eine Bitte .. Könntest du eventuell meinen Sohn abholen. Er ... hat mal wieder Ärger gemacht ..."

Die Taxifahrerin verdrehte die Augen und öffnete den Kanal. "Was hat er nun schon wieder angestellt? Nein, lass mich raten: Er hat sich wieder in Angelegenheiten eingemischt, die ihn nichts angehen."

Die Statik in der Verbindung mischte sich mit dem brummenden Lachen eines älteren Mannes. Auf dem Antlitz der Fahrerin erstrahlte ein Lächeln, wenngleich ihr Blick eine Spur von Verärgerung aufwies. "Er hat das Temperament seiner Mutter. Und meinen Dickkopf. Obwohl ich zugeben muss, dass er diesmal zu weit gegangen ist. Nächstes Mal muss ich wohl persönlich vorbeikommen und ihm die Leviten lesen." Das Lächeln auf ihrem Gesicht verblasste. "Du weißt, was passiert, wenn Du nach Ylesia zurückkehrst ... Ich kann leider nicht länger reden, ich habe Fahrgäste. Wo muss ich deinen Sohn abholen." Es herrschte einen Augenblick Stille, ehe die Stimme des Mannes erneut erklang. "Meinen Informationen nach im Westen ... Wo bist du gerade? Hallo? Travia?" Die Fahrerin trat in die Bremse und mit einem Heulen schlitterte der Gleiter noch ein, zwei Meter entlang, ehe sie sich im Stuhl drehte und ihre Fahrgäste mit überraschter Miene anstarrte. "Euer Freund, den ihr besuchen wollt, wie heißt er gleich noch einmal?"


[Heute: Militärbasis, Büro]

"Samuel Lee ist ein Pseudonym. Wir haben einen intensiven Check der Datenbanken durchgeführt und nur spärliche Treffer gehabt. Aber das war zu vermuten, General. Das Emblem auf seiner Brust zeichnet ihn als Mitglied der neunten Division, Aquila, aus. Und über deren Personal haben wir keinerlei Datenbankzugriff", schlussfolgerte ein Wissenschaftler, ehe General Gray ihn entließ. Während er seine Zigarre rauchte, bildete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht. "Mister Lee ... Sie könnten mir noch von großem Nutzen sein ..."

Nathans Atem war schwach aber vorhanden. Wüsste es Toxin nicht besser, würde sie sich einbilden, er läge im Sterben. Da sie aber auch über erweiterte Übungseinheiten verfügte, erkannte sie es als eine Art Trance, in die sich der Junge begab. Nach Angaben des Unteroffiziers war er in der Lage, Laserstrahlen abzufeuern. Warum hatte er seine Kräfte dann nicht benutzt? Warum hatte er sich mit seiner Situation abgefunden? Wusste er, dass dieser Admiral einschreiten würde? Oder führte er etwas anderes im Schilde? Die Lippen des Jungen formten ein Lächeln.

"Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus, so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A.“
 
[Heute: Auf dem Weg zur Kaserne]

Sharon wunderte sich, dass die Fahrerin auflachte und es offenbar ernst meinte. Die Fahrerin strahlte Wärme aus und Sharon bekam wieder ein bohrendes, schlechtes Gewissen, die anderen in diese Sache hinein gezogen zu haben. "Kinder?", wiederholte sie den Begriff, mit dem die Fahrerin sie betitelt hatte. Einen Moment überlegte sie. Die Fahrerin war nicht dumm, hatte bereits angefangen, eins und eins zusammen zu zählen. "Wir können auf uns aufpassen", sagte sie mit bedeutungsvollem Blick, vermied jedoch das H- oder V-Wort. Als die Fahrerin nach einem Plan fragte, überlegte Sharon und dachte an die Beschreibungen von Kalina. Als Sharon jedoch etwas sagen wollte, erklang das Funkgerät des Taxis. "Travia, hier spricht John. Ich hätte eine Bitte .. Könntest du eventuell meinen Sohn abholen. Er ... hat mal wieder Ärger gemacht ..." Sharon sah Travia abwartend an, lauschte dem Gespräch. "...im Westen ... Wo bist du gerade? Hallo? Travia?" Die Fahrerin trat in die Bremse und mit einem Heulen schlitterte der Gleiter noch ein, zwei Meter entlang, ehe sie sich im Stuhl drehte und ihre Fahrgäste mit überraschter Miene anstarrte. "Euer Freund, den ihr besuchen wollt, wie heißt er gleich noch einmal?"

Sharon sah das Funkgerät an, als hätte sich dies gerade in ein riesiges Insekt verwandelt. War das etwa Nate's Vater? Sharon schluckte hart. "Nathan heißt er. Aber... das Militär nannte ihn Samuel Lee. Dieser Mann mit dem Sie sprachen... War vielleicht sein Vater. Kennen Sie seinen Namen?" Sie sah die Fahrerin fragend an, hoffte auf eine Antwort. Würde sie eine bekommen oder nicht? Ungeachtet dessen würde sie danach das Thema wechseln: "Wir haben sehr wohl eine Art Plan", begann sie. "Wir kennen den Grundriss der Kaserne und wissen, dass dort 400 Mann stationiert sind, seit dem Unfall vor fünf Jahren. Der Verhörsaal befindet sich im ersten Untergeschoss im Nordflügel. Auch gibt es ein Tunnelsystem zur möglichen Evakuierung, dessen Ausgang im Wald liegt. Wir infiltrieren die Basis und nutzen den Überraschungsmoment. Wahlweise könnten wir das Fundament über der Kanalisation zum Einsturz bringen doch ich möchte Blutvergießen vermeiden. Zumindest heute." Sie starrte wieder nach vorne, auf die Straße. "Vielleicht holt Nate's Vater ihn bereits für uns da raus... Vielleicht sollten wir abwarten. Aber vielleicht ist es doch nicht so, wie es scheint und er kann sich nur auf uns verlassen..."
 
[Heute: Auf dem Weg zur Kaserne]

"Wir können auf uns aufpassen", sagte Sharon und Marcus, der noch immer die Augen geschlossen hatte, brummte nur kurz als Zustimmung. "Zumindest glauben und hoffen wir das", sagte er leise und bemühte sich dabei gelassen und zuversichtlich zu klingen. Als die Fahrerin angefunkt wurde, wunderte sich Marcus noch. War John der Chef von Travia? Sie sprachen so vertraut miteinander und sie sollte seinen Sohn abholen. Ein Kunde würde wohl kaum direkt über Funk mit einem Fahrer sprechen. Travia trat auf die Bremse und Marcus riss die Augen auf und hielt sich an der Kopfstütze des Fahrersitzes fest. Dann fragte die Fahrerin nach Nate's Namen. Sharon antwortete und sagte noch einen anderen Namen. Und sie gab zu bedenken, dass dieser John möglicherweise Nate's Vater war. "Nathan Reed", fügte Marcus hinzu. "Wobei, wenn das Militär ihn unter einem anderen Namen kennt, könnte man vermuten, dass er vielleicht mehrere falsche Namen hat. Was beachtlich wäre. Weißt du sonst noch irgendwas, Sharon? Irgendwelche Details?" Sharon erklärte zuerst jedoch ihren Plan, die Kaserne über einen Evakuierungstunnel zu betreten und meinte, sie wollte einen Einsturz des Fundaments ablehnen, wollte erstmal weiteres Blutvergießen vermeiden. Marcus sah ihr einen Moment lang in die Augen und sah dann zu Zoe. Bei Sharons Überlegung, ob Nate's Vater ihn vielleicht da raus holte, schwieg er. Dachte an die Worte der Fahrerin: "Er hat das Temperament seiner Mutter. Und meinen Dickkopf. Obwohl ich zugeben muss, dass er diesmal zu weit gegangen ist..." Marcus lehnte sich nach vorne. "Im Westen gibt es nichts außer der Kaserne. Da stellt sich mir doch die Frage, ob besagter John nicht tatsächlich Nate's Dad ist. Und quasi gleich hinterher die Frage, wie sie zu Nate und John stehen, Miss. Oder ist das doch ein Missverständnis? Wir suchen einen jungen Mann, etwa einfünfundsiebzig groß, schwarze Haare, spielt gerne Basketball, ist faul und redet gerne. Kommt Ihnen das bekannt vor, Miss?" Sein Herz begann, wild zu klopfen. Wäre ja ein starkes Stück, hier Nate's Stiefmutter oder so vor sich zu haben. Doch wusste er noch nicht genau, was er mit diesen Informationen anfangen sollte, wenn sie sich als wahr entpuppten. Er sah Travia durch den Rückspiegel forschend an, gab dann Zoe einen kurzen Knuff mit seinem Ellenbogen und sah sie kurz an, ehe er wieder nach vorne zur Fahrerin blickte.
 
[Heute: Militärbasis, Verhörraum]

Der Gefangene schien ihren Fragen ausweichen zu wollen, doch sie hielt an dem gelernten Standardprozedere fest. Toxin hob von dem Metalltisch links neben ihr einen Scharber auf, der in seiner Form an eine einfache Eiskelle erinnerte. Sie ging auf seine Gegenfrage nicht ein und hob das medizinische Werkzeug in die Nähe seines rechten Auges. Sie war überzeugt davon das er auch blind antworten könnte.

Doch dann endete das Verhör abrupt.

General Grey bekam einen Anruf und Sie neue Befehle. Teilnahmslos beobachtete Sie wie der General ein Messer in der Brust des gefangenen jungen Mannes rammte und stand auf Greys Befehl sofort auf. Bevor sie aufbrachen gab er ihr Anweisung und einen gut gemeinten Rat. "Überwache den Transport. Sollte irgendetwas schiefgehen, erstatte Meldung. Und ein gut gemeinter Rat: Halte Dich von Admiral Mayer fern. So du an deinem Leben hängst.“
Toxin tat das was Sie immer tat. „Jawohl Sir,“ sagte sie mit kühler, neutraler Stimme.

Es gab keine Vorkommnisse auf ihrem Weg zum Büro des Admirals.

[Heute: Militärbasis, Büro]

Während der Unterhaltung im Büro des Admirals verhielt sich Toxin wie ein Schatten. Hätte sie nicht ab und zu geatmet hätte man rasch vergessen können, dass sie sich überhaupt im selben Zimmer aufhielt. Doch ihre Augen waren dafür um so aktiver. Obwohl ihr Blick geistesabwesend wirkte prägte sich ihr Verstand alles sehenswerte im Büro ihres Vorgesetzten ein. Ob etwas von Belang dabei war würde sie später aussortieren müssen.

Sie warf nach einer kurzen Weile erneut einen Blick auf den Gefangenen, um über seinen Gesundheitszustand im Bilde zu sein. Er murmelte und etwas in ihrem Hinterkropf begann zu kribbeln. Es war ungewöhnlich, Irgendetwas, vielleicht ihr Instinkt wollte sie vor irgendetwas Anderem warnen. Doch es war ein Ruf aus unendlich weiter ferne. Sie hatte auf einmal das Verlangen sich eine Zigarette anzustecken, wohl wissend das ihr Fluch sie nie die beruhigende Wirkung des Nikotins spüren lassen würde. Egal wie viel Alkohol sie trank oder welche Rauchmittel sie zu sich nahm, alles war wirkungslos. Es hatte für sie einem rein symbolischen wert, auch wenn sie nicht wusste warum.

Sie wusste sie sollte sich möglichst ruhig verhalten, doch dieses Kribbeln störte sie.

„Sir, Soldatin Toxin erbittet die Erlaubnis sich eine Zigarette anstecken zu dürfen.“
 
[Heute: Militärbasis, Büro]

Toxin stand wie benebelt im verwüsteten Büro des Admirals bis Greys Worte sie weckten. Sie seufzte, nahm sich noch die Zeit ihre Zigarette anzuzünden und heftete sich an die Versen des Generals.
 
[Heute: Auf dem Weg zur Kaserne]

Die Fahrerin, ihrem Identity-Chip auf dem Armaturenbrett nach Travia Elbridge, antwortete nicht sondern fuhr weiter. Scheinbar war besagter John wirklich Nathans Vater. Marcus lehnte sich zurück. "Netter Zufall, dass sich Nate's Dad einmischt und obendrein noch unsere Fahrerin eine sehr gute Bekannte des besagten Herren zu sein scheint. Schade, dass Sie nicht frei reden dürfen, Miss. Ich wette, Sie haben reichlich interessante Informationen." Er sah Travia an, indem er ihr Spiegelbild im Rückspiegel fixierte. "Aber Sie machen einen vernünftigen Eindruck. Mühelos hätten Sie das Militär benachrichtigen können oder uns auch jetzt ans Messer liefern können. Auch Nate's Dad gibt uns einen Rat, anstatt uns etwas Böses zu wollen...so scheint es zumindest, bisher." Dann sprach Sharon und meinte, Nate's Dad sei ein Dreckskerl. Marcus schwieg, denn es gab da zu viele Dinge und Fakten, die er einfach nicht wusste. So wenig wusste er über Nathan und Sharon und Zoe. Oder gar über Kalina. "Ja, konzentrieren wir uns einfach nur darauf, Nate zu befreien und lebendig davon zu kommen." Marcus knurrte leise, verschränkte die Arme. So viele unbekannte Faktoren, so viele Risiken. Und wofür? Für Leute, die er kaum kannte, dennoch aber mochte. Gerade als Sharon Travia bat, anzuhalten wurde das Taxi von etwas getroffen. Travia bewies jedoch außerordentliche Fahrkünste, denn sie brachte das Fahrzeug rasch zum Stehen. "Geht es euch allen gut?", fragte die Fahrerin, ehe sie in die Ferne sah. Marcus sah kurz besorgt zu Zoe, ehe Sharons Stimme seine Aufmerksamkeit auf sich zog: "Es scheint, als wäre unser Plan damit für die Katz." Auch Marcus sah nun zum Horizont. Die Fahrerin fuhr wenig begeistert weiter und Marcus schloss die Augen und versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich zu sammeln. "Da wir nun nicht einfach rein und raus können und da sicher einige Soldaten mit entsicherten Gewehren herum laufen, muss ich leider sagen, dass ich mich wohl doch nicht mehr so sehr zurück halten werde." Bei Sharons weiteren Worten schmunzelte er, ließ die Augen aber geschlossen. "Ja, das müssen wir wohl", sagte er seufzend. Kurz grinste er. "Ich hab's nicht so mit Namen ausdenken. Soll ich Schimpfwörter nehmen?" Er bekam keine Antwort, denn sie hatten nun die brennende Kaserne erreicht und Marcus musste schnell fest stellen, dass der Tag tatsächlich noch schlechter werden konnte.

[Heute: Militärbasis]

Eine gewaltige Stichflamme schoss am Taxi vorbei und schmolz das Tor. Dann kam Nathan zum Vorschein, allerdings völlig von Sinnen. Flammen, Wassersicheln und später auch Eisspeere flogen ihnen um die Ohren und Travia gab sich als Vaishara zu erkennen, die offenbar die Erde manipulieren konnte. "Das kann doch nicht wirklich er sein", hörte er Sharon kreischen, während Travia sich abmühte, ihnen allen das Leben zu retten. Sie formte eine Art Kokon und faselte dann etwas von zehn Minuten. "Was ist denn in zehn Minuten?", wollte Marcus wissen, während er noch immer zu Nate sah. Hatte man ihn einer Gehirnwäsche unterzogen? Warum war er nur so aggressiv? Dann tauchte ein Helikopter auf, feuerte auf sie alle. Nate griff jedoch auch den Heli an und Travias Kräfte ließen langsam nach. "Ich weiß nicht, was für Kräfte ihr habt, Kinder, aber vielleicht hättet ihr die Güte, mich zu erleuchten BEVOR wir alle getötet werden!" Sharon versuchte nun, die Anführerrolle zu übernehmen. Als sie sich unkenntlich zu machen versuchte, konzentrierte sich Marcus, riss blitzschnell zwei lange Fetzen seines T-Shirts ab und band sie sich um den Kopf, so dass ein Band knapp über den Augen lag, das andere über Nase und Mund. Sharon verteilte nun Kosenamen und Marcus verdrehte die Augen. "Speedy, hm? Ganz toll, Barbie!" Er schmunzelte, obwohl es eigentlich nichts zu Schmunzeln gab. Galgenhumor half, nicht vor Angst Fehler zu machen. "Ich schau mal, was ich machen kann." Auch er sah zu Zoe und ihrem Wolf. Was das Tier wohl für besondere Kräfte hatte? "Sei vorsichtig, Elmyra." Mit diesen Worten wartete Marcus einfach nur ab, konzentrierte sich. Und als Sharon ein Stück aus Travias Felskokon sprengte, raste Marcus auch schon blitzschnell durch die Öffnung. Er sah noch, wie Sharon einen Eisspeer abwehrte und dann einige Felsbrocken nach vorne schleuderte. Er musste aufpassen, dass Nate die Brocken nicht vielleicht in seine Richtung umlenkte. Auch vor den Angriffen des Helis musste er sich in Acht nehmen. Über das Eis raste er nun auf Nathan zu, hatte dabei zu wenig Bodenkontakt, um ins Rutschen zu kommen. Bei eventuellen Angriffen würde er versuchen, im Zickzack auszuweichen und sollte er zu Nathan durchdringen, würde er es mit einem kräftigen Schlag seitlich gegen seinen Hals versuchen.
 
[Heute: Militärbasis]

Alles ging drunter und drüber. Wasserpeitschen, Eisranken, Helikopterbeschuss und dann redeten die Kinder auch noch wild durcheinander. Travia hatte sichtlich Mühe alle Informationen zu verarbeiten. "Fühlt ihr nicht die Gänsehaut? Das Kribbeln? Eure Sinne sind auf Flucht eingestellt. Besser ihr kümmert euch nachher um das Warum. Der Junge verfügt über die Fähigkeit, auf ihn gerichtete Vektoren aller Form - ob Strahlen, kinetische Impulse oder Elemente - zu krümmen und umzulenken. Eine durch und durch passive Kraft - solange er sie nicht mit seiner anderen kombiniert. Er ist nämlich dazu imstande, seinen Körper mit dem Planeten zu synchronisieren und aus dieser Verbindung Energie abzuzweigen. Es ist nicht viel, aber es reicht für dieses Ausmaß an Zerstörung. Sein Körper hält dieser Belastung zehn Minuten lang aus, ehe er zur Besinnung kommt. Nur wie lange er jetzt schon so durchdreht, weiß ich nicht." Sie beobachtete, wie Sharon sich um einige Eisranken kümmerte und der andere Junge über das Eis auf Nathan zulief. Marcus wich einigen Strahlen des Helikopters aus, während Nathan ungerührt zum Himmel starrte. In dem Moment, da Marcus zum Schlag ansetzte, geschah etwas Merkwürdiges. Seine Faust wurde langsamer und blieb wenige Millimeter vor Nathans Haut stehen, ehe sie sich langsam wieder zurückzog, als würde Nate ein Video zurückspulen. Plötzlich schoss Marcus' Faust nach hinten, schleuderte den Jungen weg als zerrte jemand an seinem Arm. Seine Faust wies leichte blaue Flecken auf, ohne dass je eine Berührung stattgefunden hatte. Das Eis unter ihm brach und wich einer Felssäule, die sich durchgeschoben hatte.

Travia hielt inne und der Felsdom zerfiel. Sie stellte sich breitbeinig hin, streckte ihre Hände auseinander, ehe sie sie wieder aneinander schlug und sie ineinander verschränkte. Mit einem leisen Knurren zog sie ihre Hände Millimeter für Millimeter auseinander. Die Erde grollte und erzitterte, als das Eis zu splittern begann und das darunter befindliche Wasser in einem riesigen Spalt in der Erde verschwand. Die Eisoberfläche brach in sich zusammen und auch Nathan wurde durchgerüttelt. Travia streckte die rechte Hand nach ihm aus und hob sie ein wenig in die Höhe. Sofort wuchsen aus der Erde Wände, die den Jungen einkeilten. Als Travia die Hand zur Faust ballte, schloss sich der irdene Käfig. Doch die Fahrerin begnügte sich nicht damit, sondern hob beide Hände einen weiteren Zentimeter, aufdass ein Dutzend größerer Wälle entstanden und sich vorheriges Prozedere wiederholte. Der Helikopter schien indes auf sie aufmerksam geworden zu sein. Ehe jedoch Gray noch Travia dazu kamen, erschallte ein Kreischen, das an eine Motorsäge erinnerte. Das Erdgefängnis zerbröckelte, während eine seltsame Scheibe um Nathan herumschwebte. "Nicht schlecht. Er hat die Luft im Inneren komprimiert und sich rausgeschleift." Sie grinste schief und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. "Mensch, das ist viel zu viel Aufwand! Und ich darf dich noch nicht einmal töten, 16 ..."

Der Junge hob die Arme in die Höhe und begann, die Luft um ihn herum zu wirbeln und in eine Kugel zu komprimieren. Dabei steigerte er schrittweise Geschwindigkeit und die dabei entstehende Temperatur der Drehungen. Die Kugel zwischen Nathans Händen fing an zu glühen und erinnerte beinahe an Lava oder eine kleine Sonne. Durch die komprimierte Rotation erschuf Nathan Plasma, das immer größer wurde. "Autschzeit ...", murmelte Travia ehrfürchtig, ehe sie sich wieder fasste. "Plasma ist extrem instabil. Er muss die Vektoren genau kontrollieren, um die Form der Kugel aufrechtzuerhalten." Sie packte Sharons Schulter. "Barbie", flüsterte sie ihren Codenamen, "ich möchte, dass du die härteste Druckwelle deines Lebens auf die Kugel abfeuerst. Mit etwas Glück fällt die Kugel in sich zusammen. Speedy, fang!" Sie warf ihm einen Blaster zu. "In der Nähe des Heckrotors besitzt der Helikopter einen empfindlichen Schaltkreis. Die Wahrscheinlichkeit, ihn zu treffen, ist beinahe Null, aber ich dachte, du möchtest vielleicht dein Glück probieren ..." Sie selbst hielt sich damit auf, die Blasterschüsse des Helikopters, die nun ihnen galt, mit hervorspringenden Felssäulen abzuwehren, was ihr bisher auch sehr gut gelang.
 
[Heute: Militärbasis]

"Fühlt ihr nicht die Gänsehaut? Das Kribbeln? Eure Sinne sind auf Flucht eingestellt. Besser ihr kümmert euch nachher um das Warum." Die Worte der Fahrerin ergaben durchaus Sinn. Sie kämpften nun um ihr Überleben und mussten sich konzentrieren. "Der Junge verfügt über die Fähigkeit, auf ihn gerichtete Vektoren aller Form - ob Strahlen, kinetische Impulse oder Elemente - zu krümmen und umzulenken. Eine durch und durch passive Kraft - solange er sie nicht mit seiner anderen kombiniert. Er ist nämlich dazu imstande, seinen Körper mit dem Planeten zu synchronisieren und aus dieser Verbindung Energie abzuzweigen. Es ist nicht viel, aber es reicht für dieses Ausmaß an Zerstörung. Sein Körper hält dieser Belastung zehn Minuten lang aus, ehe er zur Besinnung kommt. Nur wie lange er jetzt schon so durchdreht, weiß ich nicht." Sharon sah nachdenklich zu Nate. Wie unglaublich mächtig er doch war, wenn er beinahe mühelos so eine enorme Zerstörungskraft an den Tag legen konnte und dabei die Naturgesetze selbst brach oder nach seinem Willen zurecht bog. "Unglaublich, solch eine Macht...", wisperte sie und bekam es tatsächlich mit der Angst zu tun. Das da war nicht Nathan. Zumindest nicht für die nächsten zehn Minuten. Doch es hieß, sich seinen gottgleichen Kräften zu stellen ohne ihn zu verletzen. Es galt, einfach nur zu überleben. Sharon sah, wie Marcus' Angriff mühelos abgewehrt wurde und er zurück geschleudert wurde. Das Eis unter ihm brach und wich einer Felssäule und kurz musste Sharon überlegen, was denn nun Nate machte und was aufs Konto der Fahrerin ging. Diese hielt inne und der Felsdom zerfiel. Sie stellte sich breitbeinig hin, streckte ihre Hände auseinander, ehe sie sie wieder aneinander schlug und sie ineinander verschränkte. Mit einem leisen Knurren zog sie ihre Hände Millimeter für Millimeter auseinander. Die Erde grollte und erzitterte, als das Eis zu splittern begann und das darunter befindliche Wasser in einem riesigen Spalt in der Erde verschwand. Die Eisoberfläche brach in sich zusammen und auch Nathan wurde durchgerüttelt.

Die Fahrerin streckte die rechte Hand nach ihm aus und hob sie ein wenig in die Höhe. Sofort wuchsen aus der Erde Wände, die den Jungen einkeilten. Als sie die Hand zur Faust ballte, schloss sich der irdene Käfig. Doch die Fahrerin begnügte sich nicht damit, sondern hob beide Hände einen weiteren Zentimeter, aufdass ein Dutzend größerer Wälle entstanden und sich vorheriges Prozedere wiederholte. Der Helikopter schien indes auf sie aufmerksam geworden zu sein. Ehe jedoch Gray noch Travia dazu kamen, erschallte ein Kreischen, das an eine Motorsäge erinnerte. Das Erdgefängnis zerbröckelte, während eine seltsame Scheibe um Nathan herumschwebte. "Nicht schlecht. Er hat die Luft im Inneren komprimiert und sich rausgeschleift." Sie grinste schief und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. "Mensch, das ist viel zu viel Aufwand! Und ich darf dich noch nicht einmal töten, 16 ..." Sharon war noch immer wie gelähmt vor Entsetzen beim Anblick der Fahrerin, die mit enormen Geschick die Erde beeinflusste und Nathan, der scheinbar alles machen konnte, was er wollte, solange er sich in dieser Raserei befand. Nate hob die Arme in die Höhe und begann, die Luft um ihn herum zu wirbeln und in eine Kugel zu komprimieren. Dabei steigerte er schrittweise Geschwindigkeit und die dabei entstehende Temperatur der Drehungen. Die Kugel zwischen Nathans Händen fing an zu glühen und erinnerte beinahe an Lava oder eine kleine Sonne. Durch die komprimierte Rotation erschuf Nathan Plasma, das immer größer wurde. "Autschzeit ...", murmelte Travia ehrfürchtig, ehe sie sich wieder fasste. "Plasma ist extrem instabil. Er muss die Vektoren genau kontrollieren, um die Form der Kugel aufrechtzuerhalten." Sie packte Sharons Schulter. "Barbie", flüsterte sie ihren Codenamen, "ich möchte, dass du die härteste Druckwelle deines Lebens auf die Kugel abfeuerst. Mit etwas Glück fällt die Kugel in sich zusammen."

Sharon war noch blasser als vorher. Wenn es eine Steigerung zu käsebleich, leichenblass und kalkweiss gab, dann hatte sie diesen Zustand in Zwischenzeit erreicht. Ja, sie hatte Angst. Und sie glaubte einfach nicht, auch nur den Hauch einer Chance gegen Nate zu haben. Tränen quollen ihr aus den Augen. "Ich kann das nicht!", quiekte sie fast. "Ich weiß nicht wie..." Ihr Blick fiel auf die Kugel in Nate's Händen. Wie aus weiter Ferne nahm Sharon wahr, dass Marcus sich um den Helikopter kümmern sollte und die Fahrerin dessen Blasterschüsse abwehrte. Konnte sie Nate die Stirn bieten? Was, wenn sie ihn verletzte oder gar umbrachte? Doch Nate selbst schien kein solches Zögern zu spüren. "Ich kann es schon", sagte Sharon plötzlich. "Aber ich habe Angst davor. Angst, ihn zu töten. Es muss einen anderen Weg geben." Sie sah zu Nate und auf die Plasmakugel. Sie verstand nicht, wie jemand so den Verstand verlieren konnte. Oder konnte sie das auch? Sie musste daran denken, wie sie ihren Vater mit einem Klavier zerquetscht hatte. Damals war sie neun Jahre alt gewesen, hatte das Klavier nicht einmal berührt. Mit vierzehn Jahren hatte sie Kathys Mörder, Leutnant Miller ebenso mühelos bezwungen. Nur zu gut konnte sie sich an das blutverklebte Gesicht des Hexenjägers erinnern. Und auch am vergangenen Abend war sie nicht auf Berührung ihrer Ziele angewiesen gewesen. Ganz plötzlich hatte sie ihre Ziele gespürt, ohne sie zuvor berührt zu haben. Sie innerte sich noch gut, wie sie einem Soldaten die Hand auf den Bauch gelegt hatte, ihn eigentlich nur weg stoßen wollte und ihm stattdessen den Bauch gesprengt hatte. Sie erinnerte sich an das Dröhen im Schädel und an das Gefühl, beinahe jede Selbstkontrolle zu verlieren. Sie dachte daran, wie sie sämtliche Knochen von Major Gardner gespürt hatte und seinen Brustkorb wie eine Getränkedose zerdrückt hatte. Im Kampf gegen Nate hatte sie Laserstrahlen gekrümmt und reflektiert, einen Fahnenmast wie einen Besenstiel geschwungen und gar Feuer bewegt und ihrem Willen unterworfen und einen Truppentransporter wie ein Spielzeug durch die Luft geschleudert. Damals war sie so unendlich wütend gewesen. Würde sie ihre Angst nun ähnlich benutzen können?

"Es klappte immer besser, wenn ich wütend war", sagte Sharon zur Fahrerin und sah kurz auf ihre Hände. "Ich habe nie wirklich bewusst trainiert. Alles was ich je... schaffte war entweder aus Wut, Instinkt oder Zufall. Aber ich versuche es..." Langsam entfernte sie sich von der Fahrerin und Marcus und schritt auf Nathan zu. "Doch wenn ich an den Typ im weißen Mantel denke und nun solch eine Zerstörung direkt vor mir sehe, mit eigenen Augen... Da muss ich doch arg befürchten, dass unser kleiner Berserker da vorne in einer ganz anderen Liga spielt als ich..." Trotzdem ging sie langsam weiter auf Nate zu, konzentrierte sich. Doch sie wusste nicht so recht, ob sie ihren Hass schüren sollte, ihre Angst oder eher ihren Mut. Vielleicht war allein Konzentration der Schlüssel? So unendlich einfach war es vergangene Nacht gewesen. Warum nicht auch jetzt? Sharon näherte sich Nate weiter, den rechten Arm immer noch vorm Gesicht und den linken nach vorne gestreckt. Als einige Blastersalven des Helikopters auf sie zu schossen, streckte sie die linke Handfläche aus und versuchte, einen der Strahlen zu reflektieren. Doch der Strahl schoss knapp an ihrer Handfläche vorbei und Sharon spürte Hitze an ihrem rechten Ohr, als der Strahl um Haaresbreite an ihrem Kopf vorbei schoss und den Boden traf. Kein guter Start, dachte sich Sharon, bemerkte jedoch, wie ihr Herz nun wild schlug. Als ein weiterer Strahl auf sie zu kam, bremste der Laserstrahl direkt vor ihrer Handfläche und wurde zu einer glühenden Kugel. Nun musste sie jedoch ihre andere Hand auch nach vorne strecken und dabei ihr Gesicht preisgeben, denn ihr Haar schützte sie aufgrund des Helikopters längst nicht mehr. Auch mit der anderen Hand bremste sie einen Laserstrahl und wob zwischen ihren Händen nun eine Kugel, in der sie gefangene Laserstrahlen zusammendrückte. Mit gespreizten Fingern drückte sie zwischen den Händen erst eine Kugel zusammen, ehe sie die Hände auseinander riss. Einen Sekundenbruchteil wirbelte ein kleiner Tornado zwischen ihren Händen, von einer Handfläche zur Anderen, erleuchtet von den heißen Laserstrahlen im Inneren. Dann entfesselte sie alles was sie hatte in Richtung Nate.

Es half, sich auf den Kuss der vergangenen Nacht zu konzentrieren. Sie konnte Nathan beinahe spüren, ohne ihn überhaupt sehen zu müssen. Dies half ihr, mit aller Kraft alles was sie hatte in seine Richtung zu schicken. Lag es daran, dass sie ihn 'spüren' konnte oder eher an der unheimlichen Kraft, der er sich momentan in seiner blinden Wut bediente? Sharon vermochte es nicht zu sagen. Auch hatte sie keine wirkliche Ahnung, ob nun Angst oder Konzentration es waren, die es ihr ermöglichten, die Lasersalven zu bremsen. Doch am Schwierigsten war es gewesen, eine Druckwelle zu erschaffen. Unter normalen Umständen hätte sie ihr Ziel einfach mit ihren Gedanken gepackt und nach hinten geschleudert. Erst hatte sie überlegt, ob sie einfach versuchen sollte, die Luft zu bewegen, entschied sich jedoch dagegen. Ein seichtes Lüftchen alleine würde Nate wohl nicht stoppen. Also hatte sie die Lasersalven aus der Luft gefischt und versucht, Hitze gezielt von der kalten Luft zu trennen. Als sie ihre Schöpfung auf Nate los ließ leuchtete der Wirbel, ehe er sich in Nate's Richtung bog und zerriss und dabei aus Sharons Handflächen leuchtende Wirbel auf ihn zu schossen und sich auf halbem Wege zu einem großen Mahlstrom vereinten. Hierbei waren es die plötzliche Ausdehnung und Geschwindigkeit und auch die gespeicherte Hitze der Laserstrahlen - und natürlich auch Sharons instinktives Handeln - die einen goldenen, leuchtenden Wirbel erschufen und auf Nate zu rasen ließen. Das Zerreissen des Wirbels in ihren Händen kam einem Peitschenknall gleich, das Tosen das vereinten Mahlstroms einem Brüllen, der selbst den Lärm des Helikopters übertönte. Sharon kniff die Augen zusammen, da ihr der Wind schmerzhaft ihre langen Haare in die Augen peitschten. Ihr Kopf pochte und sie spürte etwas nasses, warmes auf der Oberlippe. Blutete ihre Nase schon wieder? Oder weinte sie noch immer? Das Entfesseln ihrer Kraft kam einem lauten Schrei gleich, der sie kraftlos zurück ließ. Sie sackte mit den Knien auf den Boden und umklammerte mit einer Hand ihr Kleid und drückte es nach unten auf den Boden, ehe sie mühsam blinzelte und versuchte, die Kraft zu finden, wieder aufzustehen. Und sie versuchte, mit verschwommenen Augen zu sehen, ob sie Nate aufgehalten hatte. Sie betete, dass sie es geschafft hatte ohne ihn zu verletzen oder gar zu töten. Und im Falle eines Scheiterns hoffte sie, dass irgendetwas oder irgendjemand sie retten würde.
 
[Heute: Militärbasis]

In dem Moment, da Marcus zum Schlag ansetzte, geschah etwas Merkwürdiges. Er rammte seine Faust nach vorne, spürte jedoch einen Widerstand, als wäre die Luft zwischen ihm und Nate eine zähe Masse geworden. Seine Faust wurde langsamer und kurz war Marcus irritiert, denn er musste sich fragen, ob er noch die Kontrolle über sich und über die Zeit um sich herum hatte. Wenige Millimeter vor Nathans Hals kam seine Faust zum Stillstand, ehe sie nach hinten gedrückt wurde. Marcus sah irritiert aus und spürte einen Druck auf seinem Arm. Dann schoss seine Faust nach hinten, seine angespannten Muskeln wurden regelrecht malträtiert und Marcus schrie vor Schmerz und Überraschung, als er von Nathan weg geschleudert wurde. Er konzentrierte sich jedoch, rollte sich ab und als das Eis unter ihm brach rollte er sich sofort weiter und die Felssäule erhob sich zwischen ihm und Nate. Marcus erhob sich und kehrte zu Travia, Zoe und Sharon zurück. Travia hatte in der Zwischenzeit das Eis splittern und das Wasser in der Erde verschwinden lassen. Mit der Erde selbst wollte sie Nate gefangen setzen, doch dieser formte die Luft zu einer Art Säge und schleifte sich frei. "Tja, ich hab leider keinen Erfolg gehabt", gab Marcus missmutig von sich und betrachtete die blauen Flecken auf seinem Arm. Es fühlte sich wie ein recht starker Muskelkater an. "Ich kann froh sein, dass es mich nicht schlimmer erwischt hat." Was Marcus jedoch zu der Frage brachte, warum es ihn nicht schlimmer erwischt hatte. War Nate lediglich zu langsam gewesen, um einen effektiven Gegenangriff zu machen? Immerhin war Marcus schnell wie ein Gedanke gewesen. Oder hatte er eher instinktiv geblockt? Oder war es vielleicht garnicht Nate gewesen, sondern jemand anderes? Immerhin war Nate doch abgelenkt gewesen und hatte gen Himmel gestarrt. Kurz sah sich Marcus um, ob er noch weitere Personen sah. Dann fiel sein Blick auf Sharon und mit Mühe hielt er sich davon ab, die Augen misstrauisch zusammen zu kneifen. Hatte sie vielleicht? Doch das konnte er sich nicht vorstellen. Allerdings lag es durchaus in ihren Möglichkeiten.

Nate formte eine leuchtende Kugel zwischen seinen Händen und Travia befahl Sharon, eine Druckwelle auf ihn zu schleudern, um die Kugel zu neutralisieren. Ihm warf sie einen Blaster zu. Marcus konzentrierte sich, fing den Blaster und ließ ihn mit der Eleganz eines Revolverhelden um den Zeigefinger kreisen, während er Travias Erklärung lauschte. "In der Nähe des Heckrotors besitzt der Helikopter einen empfindlichen Schaltkreis. Die Wahrscheinlichkeit, ihn zu treffen, ist beinahe Null, aber ich dachte, du möchtest vielleicht dein Glück probieren." Travia selbst begann, die Lasersalven des Helikopters abzuwehren. Marcus konzentrierte sich und richtete seelenruhig den Blaster auf den Helikopter, umfasste diesen mit beiden Händen. Er verlangsamte die Zeit um sich herum und visierte den Helikopter an. Seine Hände zitterten kein bisschen, als er einen ersten Schuss abgab und sich an diesem orientierte und dabei versuchte, die Bewegungen des Helikopters auszugleichen. Kurz überlegte er, einen Schuss auf das Cockpit zu wagen, entschied sich jedoch dagegen: Er wollte das Töten vermeiden und außerdem könnte ein führerloser Helikopter auf sie stürzen. Mit einem beschädigten Schaltkreis würden sich der Helikopter hoffentlich lediglich zurück ziehen. Doch Marcus visierte die Lasergeschütze des Helikopters an und wagte einen Schuss auf jedes Geschütz, ehe er sich wieder ganz auf den Heckrotor konzentrierte und diesen mit Blasterfeuer benetzte. Immer wieder krümmte sich sein Zeigefinger, immer wieder korrigierte er die Ausrichtung seines Blasters um wenige Millimeter. Er hatte die nötige Zeit um zu zielen und er nahm sie sich. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass Sharon sich Nate entgegen stellte und etwas in ihren Händen leuchtete. Nun begann er, hin- und wieder zwischen dem Helikopter und Sharon hin- und her zu blicken, um sie im Falle eines Fallen retten zu können, falls ihr Vorhaben misslang. Er könnte schnell genug bei ihr sein, hoffte aber, dass es nicht nötig sein würde. Immer wieder schoss er auf den Helikopter, atmete ruhig und bei jedem Abdrücken aus.
 
[Heute: Arcana Middle School - Klasse 1D]

Einige Schüler keuchten vor Überraschung auf, andere schrien sogar vor Erstaunen oder gar Angst, eilten zum Fenster um das Spektakel am Horizont besser sehen zu können. Kevin Anderson jedoch drehte lediglich den Kopf und runzelte die Stirn, während er sicher ging, dass seine rot-weiße Cap tief genug im Gesicht hing, um seinen wissenden Blick zu verbergen. Er beobachtete die grelle Sphäre, die mindestens zwanzig Meter hoch war, wahrscheinlich noch größer. Die Lichtkugel lag im Westen und Kevin ahnte, was da geschehen war, widerstand dem Drang, traurig den Kopf zu schütteln. Das Licht verschwand, doch im Gegenzug traf die Druckwelle auf die Fassade des Schulgebäudes. Selbst in dieser Entfernung war die Detonation zu spüren. Einige Fenster gaben dem Druck nach und zerbarsten. Kevin erhob sich und gesellte sich zu seinen Mitschülern. Die Lehrerin forderte die Kinder wieder auf, Platz zu nehmen. Während Schülerinnen wie Tomo sofort Platz nahmen, blieb Kevin stehen, konzentrierte sich auf die richtigen Gefühle... kurz sah er zwei Männer vor seinem geistigen Auge. Der Ältere, ganz in graue Lumpen gekleidet, mit langen, schwarzen Haaren, wie er sich zahlreichen Soldaten in den Weg stellte. Der andere, weitaus jüngere Mann trug eine schwarze Jeans, ein orangefarbenen Hemd mit roten Verzierungen und hatte kurze blonde Haare. Er stand seinem Kameraden - nein, Mentor - lange zur Seite, ehe er sich abwandte. Zu gut konnte sich Kevin an die Worte erinnern, die damals gesprochen worden waren: "Der Fuchs bleibt zurück, damit wir fliehen können", hatte der junge, blonde Mann erklärt. "Gehorchen wir, damit sein Opfer einen Sinn hat. Der Fuchs glaubt an das Leben und ich tue es auch." Er selber hatte den Blonden nur gefragt, warum sich der Fuchs nicht effektiv wehrte, doch der blonde junge Mann hatte nur gelächelt. "Weil er einen Traum hat. Genau wie ich. Wir glauben an den Frieden. Es mag Leute geben, die unseren Traum zerstören wollen. Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen kämpfen wir schon. Aber es ist gewaltloser Widerstand. Ich werde das Andenken des Fuchses in Ehren halten. Und das solltest du auch."

In der Gegenwart blinzelte Kevin die Erinnerungen fort und Tränen liefen seine Wangen hinab. Die Lehrerin fragte noch, ob alles in Ordnung war. Kaum hatte Kevin sich seinen Gefühlen hingegeben fingen auch einige andere Kinder an zu weinen. "Herrscht jetzt Krieg?", fragte der kleine Tim. "Sind wir hier sicher?", wollte die kleine Lizzy wissen. Die Lehrerin leistete gute Arbeit darin, die Kinder zu beruhigen. "I-Ich weiß ja, dass wir hier s-sicher sind", stammelte Kevin und rieb sich die tränenden, bernsteinfarbenen Augen. "A-Aber darf ich kurz nach d-draussen auf den Hof und f-frische Luft schnappen? Und auf Toilette muss ich a-auch." Die Lehrerin nickte und erlaubte es Kevin, während sie Lizzy tröstend in den Arm nahm. Kevin verließ das Klassenzimmer und sobald die Tür hinter ihm zu fiel, war Kevin Anderson fort. Darklighter blieb einen Moment stehen und seufzte. Obwohl er sich immer an die Lehren und Ideale seiner beiden Idole gehalten hatte, immer gewaltlosen Widerstand praktizierte und vom gemeinsamen Frieden predigte, wusste er auch, dass er nun vielleicht handeln musste. Vielleicht aber auch nicht. In jedem Fall war er neugierig und wollte wissen, was genau bei der Militärbasis passiert war. Scheinbar hatte es eine mächtige Explosion gegeben und obwohl es Darklighter traurig stimmte, wollte er auch wissen, was tatsächlich geschehen war. Er verließ das Schulgebäude und auf dem Hof hätte ihn fast ein älteres Mädchen über den Haufen gerannt, welches von einem kleinen Wolf verfolgt wurde. Er hatte sie schon vor Schulbeginn gesehen. Sie und ihre Freunde. Er hatte das andere Mädchen sofort vom vergangenen Abend wieder erkannt. Hatte sie wieder ihrem Zorn nachgegeben? Darklighter konzentrierte sich, schloss die Augen und drehte den Kopf in verschiedene Richtungen. Dann steuerte er einen Stromverteilerkasten am Rande des Schulhofs an, lehnte sich an diesen und dehnte sein Bewusstsein aus, griff mit seinem Verstand ans Energienetz von Varath und darüber hinaus. Ganz plötzlich war Darklighter Teil der Galiläa, der schützenden Kuppel über der Stadt und der näheren Umgebung.

Und weil diese Kuppel auch Überwachungssysteme beinhaltete, konnte er nun sehen, was aus der Militärbasis geworden war. Er sah den riesigen Krater, sah die glühende Erde. Sah auch die Personen, die knapp dem Inferno entgangen waren. Hatten sie etwa die Basis pulverisiert? Doch eine solche Aktion hätte Darklighter eher vom Anführer der Rebellen erwartet. Und dieser war nicht einmal anwesend. Er zoomte heran, sah dann einen jungen Mann im Epizentrum der Detonation. Und das Mädchen in seinen Armen. Hatte sie etwa die Basis mit ihren Kräften zerlegt? Er bezweifelte es. Und da die Gruppe - soweit es der Zoom erlaubte - sehr angeschlagen aussah, vermutete er eher, dass das Militär die Basis selbst gesprengt hatte. Kurz überlegte er, ob er die Umgebung nicht nach Soldaten absuchen sollte, konzentrierte sich dann aber weiterhin auf die Gruppe, als diese mit einem Taxi davon brauste. Darklighter schloss die Kameras kurz, so dass andere für einige Stunden nicht auf das Überwachungssystem der Galiläa zugreifen konnten. Sie würden sich den Krater aus nächster Nähe angucken müssen. So hoffte Darklighter, der Gruppe im Taxi beim Entkommen zu helfen. Doch hoffte er auch, dass die Gruppe auch wirklich nicht für die Zerstörung verantwortlich war. Er würde bei Gelegenheit versuchen, Aufzeichnungen über die genauen Geschehnisse zu bekommen. Wenigstens war der Zoom nicht annähernd gut genug, um Gesichter zu erkennen. Darklighter zoomte heraus und folgte dem Taxi, welches nur noch ein Fleck auf der Straße war. So viele andere hatten den Lichtblitz gesehen, von der Druckwelle ganz zu schweigen. Sicher würde die Polizei nach dem Rechten sehen. Darklighter beschloss, der Gruppe weiterhin zu helfen und gab falschen Alarm in der Zentralbank von Varath, ehe er wieder die Straße vor dem Taxi überwachte. Bei einer Abzweigung drohte das Taxi, bei der falschen - linken - Abzweigung direkt in eine Polizeistreife zu fahren. Darklighter übernahm die Kontrolle über eine Werbetafel, änderte die Werbung in eine Warnung: "Darklighter empfiehlt: Immer auf dem rechten Weg bleiben!" Dann jedoch musste er sein Bewusstsein zurück ziehen.

Erschöpft lehnte er sich an den Stromverteilerkasten. Es war sehr anstrengend, sein Bewusstsein in das Energienetz zu speisen und Änderungen vorzunehmen. Die vergangene Nacht war anstrengend gewesen und er hatte nicht viel Schlaf und damit Zeit zur Erholung gehabt. Umso schlechter ging es ihm nun und Darklighter wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er würde unbedingt mehr über die Vorfälle bei der Militärbasis herausfinden müssen, aber das musste erst einmal warten. Er brauchte nun eine Weile Ruhe. Er konnte nur hoffen, dass die kleine Gruppe im Taxi erfolgreich entkommen würde - und dass sie keine Schuld an der Explosion trugen. Zwar weigerte sich Darklighter, offensiv gegen das Militär vorzugehen, doch ebenso missbilligte er die Rebellen. Hätte er besser tatenlos zuschauen sollen? Neutralität wahren? Was würden seine beiden Mentoren wohl sagen? Doch der Fuchs war seit Jahren tot. Auch seinen Mentor hatte er seit den Ereignissen, die zum Tod des Fuchses geführt hatten, nicht gesehen. Er würde versuchen, auch weiterhin für den Frieden zu kämpfen, auf seine eigene Art und Weise. Nun jedoch taumelte Darklighter müde und blass über den Schulhof und zurück ins Schulgebäude. Als er die Klasse betrat, hatten sich die anderen Mitschüler bereits wieder beruhigt und die Lehrerin fragte ihn, ob es ihm gut ginge. Kevin nickte wie benommen und setzte sich hin, ignorierte dabei das Gefeixe von einigen Mitschülern. Er fühlte sich mies, war sich aber nicht ganz sicher, ob es an seinem Eingreifen lag oder eher an der Tatsache, dass er es ein wenig übertrieben hatte. Zu wenig Ruhe und zu viel Handeln war gefährlich. Trotz allem war er schließlich immer noch ein Kind. Es gefiel ihm nicht, aber er würde sich wohl schonen müssen. Er würde ja sehen, ob die ihm bekannten Mitglieder der Vaishara-Clique in den nächsten Tagen wieder die Schule besuchen würden oder nicht. Ändern würde er nun nichts mehr können. Oder doch? Kevin wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, sich auf den Unterricht zu konzentrieren um den Schultag endlich rum zu kriegen.

[Heute: Militärbasis]

Sharon wurde wach, weil Aiolos' Rute an ihrem Arm kitzelte. Sie blinzelte, doch alles war noch zu verschwommen. Benommen seufzte sie leise und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. "Macht das nie wieder!", hörte sie eine leise, zornige Stimme neben sich und öffnete die Augen und sah Kalina, die auf Marcus' Schoß saß und nun leise schluchzte. "Ich hatte geglaubt, dich nie wieder zu sehen ..." Es herrschte Stille und Sharon grinste, trotz ihrer Benommenheit. "Euch", korrigierte die Fahrerin, "Euch nie wieder zu sehen, richtig?" Sharon wollte vor Erleichterung lachen, doch es kam ihr nur ein Stöhnen über die Lippen. Verschwommene Schemen wichen langsam wieder festen Umrissen, doch ihr Kopf dröhnte noch immer und fiebriger Schweiß stand ihr auf der Stirn. "Wir müssen reden", meinte die Fahrerin nun, "Sobald alle wieder auf den Beinen sind, versteht sich ... ihr werdet sicher einige Fragen haben ..." Marcus sprach mit Kalina, während Sharon die Augen schloss und versuchte, die Schmerzen zu verdrängen. Sie hörte jedoch aufmerksam zu, auch als Marcus von Fragen sprach und Nate erwähnte. Nun riss Sharon die Augen auf, als sie sich an das gleißend helle Ende ihrer Auseinandersetzung erinnerte. Sie sah ihn auf dem Beifahrersitz, bewusstlos und mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt. War er tot? Hatte sie ihn etwa getötet? Wie aus weiter Ferne hörte sie Marcus fragen, warum Travia Nate 16 nannte, hörte ihn nach Tips fragen. Eine lange Pause folgte und Sharon atmete tief durch. Sie war unendlich müde, konnte einfach nicht Kraft und Konzentration finden, selber das Wort zu ergreifen. Marcus bat Travia, etwas von sich zu erzählen, fragte dann wegen den 10 Minuten und kurz darauf, wo Kalina eigentlich wohnte. Mühsam öffnete Sharon nun den Mund, holte Luft. "Issst Nathan innn Ordnunnng", gab sie langsam und undeutlich wie eine Betrunkene von sich und wunderte sich selber, warum sei denn nur so müde war. Sie sah zu Zoe, die jedoch ruhig atmete. Dann sah sie zu Marcus und Kalina. "Wie kommst du denn hier her, Kalina", fragte sie etwas deutlicher, doch mit langen Pausen zwischen den Worten.

Dann ging es ihr endlich gut genug, dass sie wieder fließend sprechen konnte. "Mir geht es so unglaublich dreckig", kommentierte sie ihren Zustand und rieb sich den Kopf. "Was ist denn bloß passiert?" Sie schloss immer wieder lange die Augen, doch es half wenig. "Ist Nate wieder zur Vernunft gekommen?" Sie betrachtete ihn, sah die vielen Brandblasen. "Ich frage mich, ob es einfacher geworden wäre, wenn er nicht durchgedreht wäre. Wie konnte so etwas überhaupt passieren? Gestern Nacht war er so ruhig und vernünftig, als er sich mir in den Weg stellte. Und vorhin hat er mich nicht einmal erkannt... Kann das jedem von uns passieren?" Sie sah die Fahrerin fragend an. Dann sah sie zu Marcus. "Hast du den Helikopter vom Himmel geholt? Es scheint, als würde man uns nicht verfolgen... Aber andererseits dachte Nate gestern Nacht auch, wir seien bei ihm in Sicherheit." Wieder sah sie zu Travia. "Passen Sie bloß auf, wäre echt nicht schön, noch einmal überrascht zu werden. Und ich bin definitiv nicht in der Lage, mich großartig zu wehren..." Zur Bestätigung ihrer Worte rieb sie sich den Kopf, betrachtete Travia einen Moment. "Sie haben es echt drauf. Was sie da mit der Erde gemacht haben... Sie haben uns so ziemlich gerettet." Wieder schwieg sie und dachte an Nate und die glühende Kugel in seinen Händen, dachte an die Ruinen der Militärbasis. Solch enorme Zerstörung hatte er über das Militär gebracht. Kalina hatte auf dem Schulhof gesagt, die Kaserne umfasse etwa 400 Mann. Hatte Nate sie alle getötet? "Also hat Nate die ganze Kaserne pulverisiert? Alle stationierten Soldaten?" Sie sah zu Kalina. "Du hast von einem Unfall vor 5 Jahren im Hauptquartier gesprochen. Ist bekannt, was dort passiert ist?" Dann plötzlich fiel ihr etwas ein: "Kalina, wo ist mein Rucksack? Ich habe da etwas, das ich Nate geben möchte. Er wird sich freuen... Wenn er denn aufwacht." Besorgt sah sie ihn an. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Warum der Name 16? Warum die zehn Minuten? Waren so eine Rage? Sie atmete tief durch, rieb sich die Schläfen. "Alles klar, Marcus, ich hab's kapiert. Von Dummheiten habe ich ersteinmal die Nase voll, das kannst du mir glauben..."
 
[Heute: Helikopter]

Die Rotorblätter des Helikopters kreisten über ihr, als sie nach draußen blickte.

Die Zerstörung war beachtlich. Wo keine Rauchschwaden aufstiegen, die zu einem ermahnenden Finger verschmolzen zum Himmel deuteten, konnte Toxin die Schäden ausmachen. Aber so lautete doch das Sprichwort: "Den Berg von Weitem betrachten", und mit dem Zielfernrohr eines A50-Kaliber Scharfschütztengewehres, das ummantelte Explosivgeschosse geladen hatte, konnte man auch von Weitem betrachten und ein großes Loch hinterlassen. Der Rauch war dicht und die Sicht schlecht, aber es war immer noch leichter etwas zu erkennen, als Munition für eine altertümliche Projektilwaffe aus dem antiquitiertem Arsenal des Militärs zu beschaffen. Sie hatte noch nie Verwendung, weder den Sinn in der Einstellung auf Betäuben bei den modernen Energiewaffen gesehen. Sie war wie dieses alte Gewehr, sie hatte nur eine Funktion, eine Einstellung und auf knapp zweieinhalb Kilometern würde sie das jeden Vaishara deutlich machen. Und nicht Töten, bedeutete nie, nicht Verstümmeln.
Der vergrößerte Anblick der Ruinen brachte die ersten Todeszahlen zum Vorschein. Verbrannte, verkrümmte, rabenschwarze Leichen zu Asche verheizt. Doch es regte sich keine Trauer, kein Mitgefühl in ihrem Verstand. Das Einzige woran sie dachte war es, wie sich diese Kompensation auf die Verfolgung der Kinder auswirken würde. Sie hielt kurz inne. Korrektur, Monster.

"Sir, werden wir die Verfolgung aufnehmen?", fragte Sie Gray.
 
[Heute: Arcana Middle School - Klasse 1D]

Tomo sah Kevin einen Augenblick lang nach, als er das Zimmer verließ, dann wieder zu jener Stelle am Horizont, an der man das gleißende Licht sehen konnte. Die Kinder waren immer noch in heller Aufregung über die jüngsten Geschehnisse und die Lehrerin hatte sichtliche Mühe, sie alle zu beruhigen. Mit einem leisen Seufzen erhob sich Tomo und packte ihre Schulsachen ein. Niemand schenkte ihr Beachtung, doch das störte sie nicht im Geringsten. Mit der Schultasche in in der Hand verließ sie das Schulgebäude und traf Kevin am Fuße der Treppe. Schweiß bedeckte seine Stirn und Erschöpfung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ihre Augen begegneten sich für kurze Zeit, dann wanderten Tomos grüne Augen zum Verteilerkasten in der Nähe, ehe sie wieder den Jungen fixierten. Im dunklen Grün fand sich kein Anzeichen eines Ahnungsschimmers, kein Wissen, nicht einmal Erkennen. Es war als versuchte man auf den Grund des Ozeans zu blicken. Tomo ging die Treppe herunter und beachtete ihn keines Blickes, sah direkt an ihm vorbei immer geradeaus. Neben ihm angekommen, blieb sie kurz stehen. "Du solltest wieder in die Klasse zurück ...", murmelte sie leise ehe sie weiterging. Nach einer Abzweigung in hundert Meter Entfernung war sie nicht mehr in Sicht.


[Heute: Auf dem Weg zu Kalina, Kalinas Wohnung]

Während Travia durch die Straßen Varaths düste, änderte sich eine der Werbetafeln und offenbarte eine recht interessante Nachricht: "Darklighter empfiehlt: Immer auf dem rechten Weg bleiben!" Sie zog an der Handbremse und drehte am Lenkrad, bis der Wagen quer über die Straße schlidderte. Ein anderes Auto war im Weg und drohte mit dem Taxi zusammenzustoßen, doch die Fahrerin aktivierte im richtigen Augenblick die rechten Bodenrepulsoren und brachte das Taxi dazu, eine Schraube über dem Dach des anderen Wagens zu vollführen. Dank des eingebauten Trägheitskompensators flogen die Insassen nicht durch die Gegend sondern merkten lediglich an der sich drehenden Außenwelt von den waghalsigen Manövern ihrer Fahrerin. Diese war auch schon weitergefahren und folgte Kalinas Wegbeschreibung.

"Miss Driver, haben Sie Lust, uns etwas über sich zu erzählen?" Marcus' Gedanken rasten und er fühlte sich wie ein völliger Trottel. "Warum die zehn Minuten, als Nate so am Wüten war?" Sein Blick streifte kurz Kalina und er wurde wieder rot. "Ehm...Kali, wenn wir dir zuhause zu stressig werden, können wir auch anschließend oder statt dessen bei mir unterkommen. Wo wohnst du eigentlich?" Kalina erwiderte seinen Blick und lächelte schwach. "Ich wohne in der Nähe der Schule, genauer gesagt fünf Blocks im Westen. Es ist ein geräumiges Apartment, das genug Platz für uns haben sollte. Ah, wir sind schon da!" Da war in diesem Fall ein mehrstöckiges Wohnhaus, das weder zu teuer noch heruntergekommen wirkte. Travia parkte das Taxi an einer schattigen Ecke im Hinterhof, ehe sie alle ausstiegen. Kalina half Sharon beim Aufstehen und Marcus nahm Nathan Huckepack. Dabei fiel ihm auf, dass Nathan weder der sonst übliche Verbrennungsgestank anhaftete noch ernsthafte Wunden aufwies. Dabei sah der Junge vor fünf Minuten noch so aus, als hätte man ihm die Haut vom Fleisch gebrannt. Auch Sharon schien nach genauerer Betrachtung ziemlich gut auszusehen. Vom blauen Auge bis hin zu den Prellungen war auf den ersten Blick nichts zu sehen. Anscheinend schien sie davon aber noch nichts bemerkt zu haben, immerhin hatte sie keinen Spiegel zur Hand. Doch was dies alles sollte, blieb ihm schleierhaft. Nachdem alle ausgestiegen waren, sah sich Travia um, ehe sie beide Hände auf den Boden legte und sie auseinanderzog. Der Grund unter dem Fahrzeug senkte sich daraufhin und verschluckte es schließlich, bevor sich das Loch wieder schloss. Travia klopfte sich etwas Staub von den Händen und nickte zufrieden, dann betraten sie auch schon das Gebäude. Nathan zu tragen, entpuppte sich dabei als Kinderspiel, da der Junge ziemlich leicht zu sein schien. Trotzdem fühlten sich Marcus' Arme taub an, er hatte kaum Gefühl in ihnen. Kalina ließ von Sharon ab und gab ihr ihren Rucksack zurück, ehe sie aus ihrer Schultasche einen Schlüssel fischte und die Türe, die von einem einfach verzierten Namensschild geziert wurde, aufsperrte.

Die Gruppe betrat den aufgeräumten Flur, einen Raum mit für heutige Verhältnisse selten gewordenen Boden und Möbeln aus Holz. Kalina zog ihren einen Schuh aus, stellte diesen in den offenen Schuhschrank zu ihrer rechten und legte ihre Tasche ab, ehe sie die anderen ins Wohnzimmer geleitete. Dieses war riesig, 16 Meter lang und mit viel Fensterflächen, sodass das Licht hereinschien. Das Mobiliar wirkte ein wenig ungenutzt und erinnerte Sharon an Nathans Wohnung, doch hier war zumindest alles Nötige vorhanden. Ein gigantischer Flachbildfernseher, eine große Stereoanlage und eine Ansammlung von Instrumenten in einer Ecke. Marcus legte Nathan auf ein Sofa und musterte ihn genauer. Bildete er es sich ein oder wirkte seine Haut ein wenig blasser als in der Kaserne? Kalina verschwand hinter einer Tür und kam mit einem großen Erste-Hilfe-Koffer zurück. Sie betrachtete Marcus' Arm, doch sie hob nur fragend ihre Augenbrauen. Die blauen Flecken schienen verschwunden zu sein. Sie ging zu Sharon und sah sich diese an, fand aber, dass ihr nichts fehlte und gab ihr stattdessen einen Handspiegel. Erst Travia schien das eine oder andere Pflaster zu brauchen. Sie zog die Jacke und das Shirt aus ohne einen Gedanken an die anderen zu verschwenden. Als der üppige Busen mitsamt dem samtschwarzem BH quasi hervorhüpfte, warf sich Kalina geradezu auf Marcus, die Arme ausgestreckt, um ihm die Sicht zu verdecken, während Sharon so nebenbei ihre Hand ausstreckte und dasselbe tat. Travia blinzelte ungläubig und lachte dann amüsiert. "Schon gut, schon gut ... ich bin schon fertig!", erwiderte sie und zog sich wieder an. Die beiden Mädchen seufzten leise und ließen ihre Arme sinken.

"Tipps um stärker zu werden? Das ist einfach und doch das schwierigste überhaupt ... Ihr müsst wissen, dass unsere Fähigkeiten Materialisierungen unseres Charakters und unserer innigsten Wünsche sind. Jemand, der aggressiv ist, wird auch offensive Fähigkeiten an den Tag legen. Jemand, der sich nach anderen ausstreckt, aber gleichzeitig Angst davor hat berührt und dadurch verletzt zu werden, wird sich wohl auf Telekinese spezialisieren. Jemand, der bereut zu langsam gewesen zu sein, wird schneller werden. Im Falle dieses Jungens ist es wohl der immanente Wunsch, nichts an sich heranzulassen ..."

Travia wurde wieder ernst, während Kalina in die Küche verschwand und mit Getränken und Snacks zurückkam. "Wenn ihr wollt, kann ich auch was zu Essen machen ...", bot sie lächeldn an. "16 ist die Kennungsnummer des Jungen", murmelte Travia und schloss die Augen, während sie sich am Kopf kratzte. "Ich darf nicht zu viel über ihn verraten, aber das Militär hat ihm damals ein Notfallsystem eingepflanzt. Es ist simpel: Sollte ihm etwas zustoßen soll er seine Direktiven befolgen. 1. Kein Vaishara darf überleben. 2. Das eigene Überleben sichern. Was auch immer ihn dazu veranlasst haben muss, hat zu dem geführt, dessen ihr heute Zeugen wurdet. Leider hält sein Körper die Belastung auf Dauer nicht aus, daher hat er nur zehn Minuten Zeit, in der er so mächtig sein kann. Längerer Gebrauch würde seinen Körper zerstören. Von den Knochen bis hin zu den Zellen. Irreversibler Schaden. Was ihr gesehen habt, war das Zerstörungspotential eines einzigen ehemaligen Hexenjägers. Der Junge, den ihr kennengelernt habt, benutzt nicht einmal die Hälfte seiner Kraft, um niemanden zu gefährden. Wenn ihr mich fragt vergeudetes Potential ... Und was mich betrifft ... Ich bin Travia Elbridge, Major der sechsten Division, AQUILA. Wir sind zuständig für Aufklärung, Quarantäne, Infiltration, Lokalisierung und Attentate. Oder zumindest waren wir das einmal, ehe man uns dazu verdammt hat, die Grenze zu überwachen. Aber wir wickeln noch immer verdeckte Ermittlungen durch. Und dieser Junge war einmal Teil dieses Vereins ... zusammen mit anderen." Sie bestellte bei Kalina einen Kaffee und betrachtete die schwarze Brühe nachdenklich. "Wie er wohl reagieren wird? Die meisten Soldaten sind wahrscheinlich von ihm getötet worden. Er hat euch angegriffen und beinahe getötet. Auch wenn er nicht Herr seines Körpers war, so erinnert er sich an alles. Wahrscheinlich wird er wieder davonlaufen ...", murmelte sie abwesend.


[Heute: Helikopter, Ruinen der Militärbasis]

"Sir, werden wir die Verfolgung aufnehmen?", fragte Toxin und Lucien Gray schürzte die Lippen. Es war eine 50:50 Situation. Sie konnten alles gewinnen und alles verlieren. Ersteres war wahrscheinlicher, doch wollte er darauf wetten? Ehe er jedoch zu einer Antwort ansetzen konnte, tauchte eine weitere Gestalt aus dem Nebel auf, ein Junge mit grauem Haar, so weit es ihn nicht täuschte. Jener Junge erwiderte den Blick trotz der Distanz und schien etwas zu murmeln. "Soldat, einen Schuss auf diese Person abfeuern." Toxin erwiderte seinen Befehl mit dem Knall aus ihrem Gewehr. Die Kugel traf den Jungen in der Brust, zerfetzte seinen Torso und verteilte sein Blut auf dem Asphalt, auf den die Leiche zu liegen kam. Zwei Sekunden später schwebte der Körper jedoch in der Luft und setzte sich wieder zusammen. Es wirkte, als hätte jemand ein Video zurückgespult. Der Junge murmelte wieder etwas. Der General seufzte. "Warum können die nicht einfach tot liegenbleiben?", murmelte er und landete mit dem Heli in der Nähe. Als das Brüllen der Rotoren erstarb, setzten die beiden Soldaten Fuß und näherten sich dem Jungen. "Lucien Gray, General der fünften Division. Wie kann ich dir helfen, Kleiner?"
 
[Heute: Helikopter, Ruinen der Militärbasis]

Als Gray den Feuerbefehl erteilt hatte atmete Toxin langsam aus und stützte den langen Lauf des Gewehres mit ihrer Linken ab, die auf dem gleichseitigen Oberschenkel ruhte. Das Fadenkreuz in der Mitte des Zielfernrohrs kam auf der schmalen Brust eines Jungen zum Stehen, der nicht einmal 16 Jahre alt sein konnte. Graues Haar, müder Blick und keine Zukunft schrie das Mündungsfeuer. Als man den Schuss hören konnte, zeriss es den Kleinen dort wo er stand in seine Einzelteile. Wie schon zuvor, beim Anblick des verwüsteten Stützpunktes, regte sich nichts in ihr. Doch dann, wie durch ein Wunder wurde er wieder lebendig. Mehr noch, blieb keine Spur, kein Kratzer zurück, als er sich vor ihrer Zielerfassung zusammensetzte. Es juckte in ihrem Finger, den Abzug noch einmal durchzudrücken, aber ihr Befehl lautete: "Gib einen Schuss ab", und sie würde sich dran halten.

Der Helikopter landete in der Nähe des Jungen und Gray und Sie stiegen aus. Es beschlich sie das Gefühl, schon einmal in einer sehr ähnlichen Situation gewesen zu sein und ihr wankelmütiges Gedächnis rief die Begegnung mit Lakar ab. Sie würde Gray Rückendeckung geben und sich aus der Sache heraushalten, bis er etwas anderes befahl.

"Lucien Gray, General der fünften Division. Wie kann ich dir helfen, Kleiner?", fragte der General den sonderbaren Jungen, während sich Toxin einige Schritt entfernt auf einem Schuthaufen, daran machte ihr Gewehr in Schuss zu halten. Bei einer so alten Waffe war der Verschleiß nur durch regelmäßige Pflege aufzuhalten und sie war sich sehr sicher, das sie es im Moment nicht gebrauchen musste.
 
[Heute: Arcana Middle School - Klasse 1D]

"Du solltest wieder in die Klasse zurück", hatte Tomo leise geflüstert, als sie an ihm vorbei ging. "Du auch", hatte Darklighter freundlich und ruhig erwidert, obwohl sein Kopf dröhnte und ihm die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben stand. Tomo hatte nicht geantwortet und war nach einer Abzweigung in hundert Metern außer Sichtweite. Kaum saß Kevin wieder in der Klasse, musste er immer wieder daran denken, wie Tomos Augen zum Verteilerkasten gewandert waren. Dieser war von den Fenstern des Klassenzimmers aus nicht sichtbar. Sie hatte ihn definitiv nicht bei seiner Arbeit gesehen, oder? Das ließ eigentlich nur einen anderen Schluss zu, doch Kevin musste bei dem Gedanken ungläubig mit dem Kopf schütteln. Es konnte doch in der Schule nicht vor Vaishara wimmeln. Das war lächerlich. Doch andererseits hatte sich Tomo zuerst so gehorsam an ihren Tisch gesetzt und nun war sie fort. Ein Teil von ihm wäre ihr so gern gefolgt, doch andererseits ging es ihm ziemlich dreckig und war seine Devise nicht die Neutralität? Klar, soeben hatte er eingegriffen, aber das war eine Ausnahme, oder? Und der Wunsch nach Frieden bedeutete ja nicht gleich, sich aus allem anderen rauszuhalten. Kevin grübelte und sah nachdenklich nach draussen. Er brauchte Ruhe, das wusste er. Aber er musste auch an die Lehren seiner beiden Mentoren denken. Sie hätten alles für Andere geopfert. Der Fuchs gab sogar sein Leben. Doch Tomo kannte er nicht einmal. Er würde sich nicht einmal verteidigen, sollte sie direkt in Ärger hinein laufen. Vielleicht ging sie einfach nur nach hause, so wie er es nun auch gerne tun würde. Oder sollte er versuchen, ihr zu folgen? Danach konnte er ja immer noch nach hause. Dumme kindlich Neugier, schalt er sich. Am Liebsten würde ich sechs Jahre vorspuhlen und die Sache wäre ausgestanden. "Frau Lehrerin", begann er. "Mir geht es leider nicht besser. Ich würde gerne nach hause gehen, ich kann mich kaum noch konzentrieren."

[Heute: Auf dem Weg zu Kalina, Kalinas Wohnung]

Sharon kreischte, fasste sich aber schnell wieder, als Travia die Handbremse zog und das Lenkrad drehte. Das Taxi wirbelte herum, doch die Trägheitsdämpfer leisteten ganze Arbeit. Was nicht bedeutete, dass es Sharon gefiel, die Landschaft verschwommen vorbei rotieren zu sehen. Kurz darauf hatten sie auch schon ihr Ziel erreicht. Sharon betrachtete das mehrstöckige Wohnhaus und stieg dann aus, lächelte Kalina dankbar an, als diese ihr beim Aussteigen half. Sharon selbst schulterte gemeinsam mit Travia Zoe. Noch immer ging es ihr selbst nicht besonders gut. Dann fiel ihr Blick auf Nate, dessen Wunden unglaublich schnell verheilt waren. Wie war das möglich? Er war nicht einmal bei Bewusstsein. Sie sah ihn skeptisch an, als Marcus ihn Huckepack nahm. Wie viele Kräfte hatte dieser Junge denn noch? Als Travia Zoe kurz los ließ um ihr Taxi zu verstecken, staunte Sharon. Da war keine Spur von Rissen auf dem Boden. Alles war perfekt wieder verschlossen. Als Kalina ihr ihren Rucksack zurück gab, strahlte Sharon sie an. "Vielen Dank, dass du ihn aufbewahrt hast, Kalina." Sharon sah sich interessiert in Kalinas Wohnung um. Besonders die Instrumente betrachtete sie näher und ein wenig wurde sie neidisch bei der Größe der Wohnung. Als Kalina mit einem Erste-Hilfe-Koffer zu Nate ging und ihnen allen auffiel, dass seine Wunden fort waren, da ergriff Sharon das Wort. "Hat er sich selber geheilt, obwohl er ohnmächtig ist? Oder ist er vielleicht wach und tut nur so?" Sie strecke eine Hand nach ihm aus, hielt jedoch inne aus Angst, im nächsten Moment durch das Fenster zu fliegen. Man wusste ja nie, ob Nate wirklich wieder bei Sinnen sein würde. Als Kalina ihr einen Handspiegel gab, sog Sharon vor Erstaunen die Luft ein. "Wie ist denn das passiert? Ich habe mich ganz sicher nicht selber geheilt..." Als Travia Jacke und Shirt auszog warf sich Kalina nahezu auf Marcus, um ihm die Sicht zu nehmen und auch Sharon streckte eine Hand aus, trat dabei ein wenig ins Blickfeld und musste ob der Situation grinsen, besonders weil Kalina Marcus auch einfach die Augen hätte zuhalten können. Der Anblick der beiden ließ eine Art Last von ihren Schultern sinken. Zum ersten Mal seit einigen Stunden ging es ihr wieder gut, abgesehen von den Kopfschmerzen und der Müdigkeit. "Gott sei Dank", antwortete Sharon als Travia fertig war.

"Fehlte uns noch, das Speedy Nasenbluten bekommt und alles einsaut..." Sie kicherte, zwinkerte Marcus an, um ihm zu zeigen, dass es bloß Spaß war. Doch bei der Vorstellung konnte sie sich nicht halten, musste regelrecht loslachen und hielt sich dann die Hand vor den Mund, beugte sich leicht nach vorne. Noch einmal wollte sie aufhören, doch ihr Lachanfall wurde noch heftiger, bis sie vor Lachen regelrecht zitterte und bebte. Als sie sich aufrichtete, liefen ihr Tränen über das Gesicht. Sie wischte sie weg, schluckte und sah einen Moment lang ernst in Marcus' Gesicht, ehe sie sich wieder leicht nach vorne beugte, los lachte und sich wieder den Mund zu hielt. Sie schüttelte sich in einem Anfall nur mühsam beherrschten Gelächters, bis ihr die Bauchmuskeln weh taten. Schließlich ebbte es ab. Sharon richtete sich auf und war ganz außer Atem. Doch es hatte unendlich gut getan. Die Erleichterung überstandener Gefahr. Ein reflexartiges, urzeitliches Alles-klar-Signal. Sie schnappte nach Luft, wischte sich noch einmal die Lachtränen weg, während ihr Gesicht langsam wieder eine normale Farbe bekam. Sie hörte Travia aufmerksam zu, presste jedoch die Lippen zusammen, als die Fahrerin fast schon Psychoanalyse spielte, passenderweise das Igel-Dilemma erwähnte im Bezug auf Sharon und ihren Kräften. Was Nate betraf, so konnte sie gut verstehen, warum er so eine Kraft ausgewählt hat. Und was war Marcus' Geschichte? "Und was ist mit Ihnen? Wie kontrolliert man die Elemente? Oder wie Darklighter den Strom? Das Kann doch unmöglich immer etwas mit unserem Charakter zu tun haben, oder? Oder sind Sie besonders bodenständig? Und Darklighter... mag es spannend?" Sie konnte ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. Ja, Charaktere waren unterschiedlich. So viele Kräfte gab es, doch verstand sie noch immer nicht, was genau es damit auf sich hatte. Kalina verschwand in der Küche und kam mit Getränken und Snacks zurück. Sharon lächelte sie dankbar an, aß auch eine Kleinigkeit und leerte recht schnell eine ganze Flasche Mineralwasser. Doch ihre Stirn glühte noch immer.

"16 ist die Kennungsnummer des Jungen", murmelte Travia, "Ich darf nicht zu viel über ihn verraten, aber das Militär hat ihm damals ein Notfallsystem eingepflanzt. Es ist simpel: Sollte ihm etwas zustoßen soll er seine Direktiven befolgen. 1. Kein Vaishara darf überleben. 2. Das eigene Überleben sichern. Was auch immer ihn dazu veranlasst haben muss, hat zu dem geführt, dessen ihr heute Zeugen wurdet..." Travia sprach von den zehn Minuten und von irreversiblem Schaden an seinem Körper. Dann stellte sie sich anständig vor und plötzlich fiel ein Rang und der Name der sechsten Division. Sharon sprang von der Couch auf, als hätte sie sich gepiekst. "M-Major?", stammelte Sharon und instinktiv sah sie sich nach potentiellen Fluchtwegen oder Waffen um. "Aber waren haben Sie mich dann letzte Nacht zum Militärgelände gefahren? Waren haben Sie mich nicht einfach ausgeliefert? Und warum halfen Sie uns heute, anstatt uns einzubuchten? Sie wussten ja nicht sofort, dass es um Nathan geht... Ich dachte immer, das Militär jagt uns ohne zu fragen und schießt vorher noch, sofern es möglich ist. Und wenn Sie ein Major sind... Hexen beim Militär? So hochrangig? Das verstehe ich einfach nicht...Ihr jagt uns gnadenlos... Menschen und Vaishara sind Feinde!" Ohne es wirklich zu wollen oder zu bemerkten, hatte Sharon eine Hand gehoben und auf Travia gerichtet. Dann jedoch fielen ihr Darklighters Worte wieder ein: "Löse dich von deinem Hass, bevor er dich zerstört." Und seine Antwort auf ihre Frage, warum er sich einfach gefangen nehmen ließ ohne sich zu wehren: "Weil ich an etwas glaube. Und weil ich dafür sterben würde." Sofort senkte sie die Hand und schüttelte mit dem Kopf. "Ich verstehe es nicht, Travia. Tut mir leid. Können Sie es mir vielleicht erklären, warum sie mir keine Lasersalve in den Kopf gejagt haben, gestern Abend? Ich merke ja, dass sie ein netter Mensch sind... Aber vom Militär kenne ich eben nur das Gegenteil. Schüsse, Brutalität, Hass..." Travia jedoch konzentrierte sich vorerst auf Nate. Ja, er hatte wohl die Kaserne im Alleingang geschleift und alle Soldaten nieder gemacht. Und scheinbar würde er sich erinnern... "Er soll es ja nicht wagen, abzuhauen", sagte Sharon nur und ging zur Couch, auf der Nate lag. So, als würde sie nun aufpassen, dass er ja nicht aufsprang und fliehen würde.
 
[Heute: Auf dem Weg zu Kalina, Kalinas Wohnung]

Kalina erwiderte Marcus' Blick und lächelte schwach. "Ich wohne in der Nähe der Schule, genauer gesagt fünf Blocks im Westen. Es ist ein geräumiges Apartment, das genug Platz für uns haben sollte. Ah, wir sind schon da!" Marcus betrachtete neugierig das mehrstöckiges Wohnhaus, das weder zu teuer noch heruntergekommen wirkte. Vom Sehen kannte er es sogar, immerhin lief er hin- und wieder ein paar Runden durch die Stadt, um fit zu bleiben - oder seine besonderen Kräfte auszutesten. Travia parkte das Taxi im Hinterhof und Marcus verkniff sich einen bedauernden Gesichtsausdruck, als Kalina von seinem Schoß rutschte. Wenigstens hatte er keine sichtbare Beule in der Hose. Mühsam hatte er sich mit Basketballtaktiken abgelenkt. Er nahm Nathan Huckepack und bemerkte, dass seine Verletzungen unglaublich schnell verheilt waren. War das normal? Er beschloss, Travia danach zu fragen, sobald sie in der Sicherheit der Wohnung waren. Marcus sah mit erhobenen Augenbrauen zu, wie Travia ihr Taxi versteckte. Beim Betreten des Gebäudes fiel ihm auf, dass Sharon ebenfalls nicht mehr so lädiert aussah wie auf dem Schulhof. Nate war nicht besonders schwer, doch Marcus hatte dennoch leichte Probleme, ihn zu halten, weil seine Arme sich taub anfühlten. Sicher die Nachwirkungen von Nate's Abwehrmaßnahme. In Kalinas Wohnung legte Marcus Nathan auf ein Sofa und sah ihn sich genauer an. Er schien blasser als vorher. Kalina holte einen Erste-Hilfe-Koffer und betrachtete Marcus' Arm. Nun bemerkte er, dass seine blauen Flecken weg waren. Kurz waren sie alle verwirrt. Sharon mutmaßte bei Nate, er sei vielleicht bei Bewusstsein und habe sich selbst geheilt, fragte jedoch gleichzeitig, wie sie selber denn wieder unversehrt sein konnte, immerhin habe sie sich nicht selber geheilt. Marcus stellte sich die selbe Frage.

"Ich vermute, es liegt in unserem Blut", sagte er ruhig. "Abgesehen von unseren besonderen Kräften haben wir vielleicht sogar einen anderen Metabolismus, so dass wir Verletzungen besser regenerieren. Das haben vielleicht alle Hexen gemeinsam. Also ich beklage mich nicht. Aber ausprobieren, wie weit diese Regenerationsfähigkeit geht mag ich auch nicht." Travia hatte jedoch einiges abbekommen. Sie zog Jacke und Shirt aus, ohne sich groß zu genieren und plötzlich warf sich Kalina regelrecht auf ihn, die Arme ausgestreckt um ihm die Sicht zu verdecken. Auch Sharon streckte eine Hand aus. Marcus schloss die Augen. "Ich spanne nicht, ich spanne nicht", sagte er wiederholt und musste lachen. "Nathan gilt hier doch als Perversling, schon vergessen? Ich bin ein wohlerzogener, anständiger Bursche..." Er grinste und öffnete die Augen, als Travia fertig war. "Fehlte uns noch, das Speedy Nasenbluten bekommt und alles einsaut..." Sharon kicherte, zwinkerte und Marcus brummte, jedoch nicht ohne selber zu grinsen. Dann allerdings bekam Sharon einen Lachanfall, schüttete sich regelrecht aus vor Lachen. Da half es wenig, dass sie sich ihren Mund zu hielt. Marcus sah sie nur verständnislos an und sein Gesichtsausdruck schien Sharon nur noch mehr zum Lachen anzuregen. "Du bist eine blöde Ziege, Barbie", sagte er kopfschüttelnd, lächelte aber immer noch. Sie waren dem ganz großen Ärger und dem Tod scheinbar knapp entgangen. Es hätte auch schlimmer ausgehen können. Trotzdem hatte Marcus nicht vergessen, dass Sharons Dummheiten sie erst in diese Lage gebracht hatten. Es hätte auch anders ausgehen können. Marcus wollte etwas in eben dieser Richtung sagen, doch Travia ergriff das Wort. "Jemand, der bereut zu langsam gewesen zu sein, wird schneller werden..." Ihre Worte ließen Marcus nachdenken.

Konzentriert nahm er sich alle Zeit dazu, während Travia wie in Zeitlupe weiter sprach. Er hatte seine Kräfte erst vor Kurzem entdeckt. Vielleicht gab es einen guten Grund, warum sie sich auf diese Weise manifestierten. Kurz dachte er an seinen Vater, atmete tief durch und ließ die Zeit wieder normal verlaufen, während Travia von Nate's Kennungsnummer sprach und über seine Kräfte. Und über ihren eigentlichen Beruf. Sharon sprang von der Couch auf und Marcus spannte sich sofort an, bereit, einzugreifen. Sharon war scheinbar verwirrt und panisch. Auch Marcus war überrascht, jedoch war ihm eines sofort klar: "Sie hätte uns jederzeit verraten oder uns selbst überlassen können." Er trat zwischen Sharon und Travia. "Nicht alle Menschen hassen Vaishara und beim Militär gibt es sicher Ausnahmen. Scher nicht alle unter einen Kam, Sharon. Lass sie doch erst einmal ausreden..." Sharon schien sich etwas zu beruhigen und Marcus trat beiseite. Travia betrachtete Nathan. Was hatten sie wohl mit ihm gemacht, dass er so in Rage geriet und die ganze Basis eingeebnet hatte? Und mit welcher Mühelosigkeit er all die Soldaten getötet hat und ihre Angriff abgewehrt hatte... dann diese spektakläre, leuchtende Kugel... "Wie er wohl reagieren wird? Die meisten Soldaten sind wahrscheinlich von ihm getötet worden. Er hat euch angegriffen und beinahe getötet. Auch wenn er nicht Herr seines Körpers war, so erinnert er sich an alles. Wahrscheinlich wird er wieder davonlaufen ...", murmelte Travia. Sharon ergriff sofort das Wort: "Er soll es ja nicht wagen, abzuhauen". Sie baute sich nahe Nate's Couch auf und Marcus sah seinen Kumpel forschend an. "Schneller als ich ist er nicht, zumindest nicht im Normalzustand. Aber wenn er fort will, müssten wir das respektieren. Ich hoffe aber, dass es nicht so kommt und wir uns aussprechen können." Marcus setzte sich, aß ein Sandwich und kraulte Aiolos, sah dann Kalina lächelnd an. "Du hast es sehr schön hier und du bist eine gute Gastgeberin. M-Magst du..." Irgendwann mal mit zu mir kommen? Mit mir ausgehen? Mit mir gehen? Marcus schluckte, wurde rot. "Magst du den Multivitaminsaft von Mayers genau so gerne wie ich?"

[Heute: Helikopter, Ruinen der Militärbasis]

Er hatte den Helikopter erst bemerkt, als es schon fast zu spät war. Auf diese Distanz half ihm eine Identifikation wenig. Es lag wohl an der Entfernung des Helikopters, am Rauschen des Winds und dem leisen Surren des Antriebs seines Aircycles. Er hörte den Knall des Gewehrs, griff mit seinen Gedanken hinaus und sprang zurück. Die Kugel traf den Boden vor seinen Füßen und kleine Kiesel prasselten gegen seinen schwarzen Motorradanzug. Die Personen an Bord jedoch würden etwas anderes sehen. In diesem Fall war es einfach, da ihnen der Erfolg sicher schien und er ihnen nicht wirklich mit seiner Illusion schadete. Er hatte das Bild von sich selber erschaffen, von der Kugel zerfetzt. Nun jedoch setzte er dieses Trugbild wieder zusammen, so dass es schien, als hätte er sich wieder zusammen gesetzt. Es folgte kein weiterer Schuss, der Helikopter landete in der Nähe. Zwei Soldaten stiegen aus, näherten sich. Ein Mann und eine junge Frau. "Lucien Gray", stellte sich der Mann vor", General der fünften Division. Wie kann ich dir helfen, Kleiner?"
Nun, weitere Aggressionen waren zwar nicht ganz auszuschließen, doch immerhin wollten sie zuhören. Der junge Mann vor den beiden Soldaten verschwand einfach, löste sich in Luft auf und gleichzeitig tauchte der Echte nur wenige Meter seitlich des Generals auf. "Freut mich sehr, Sir." Er salutierte, wie es sich gehörte und blieb in Hab-Acht-Stellung stehen. "D-4, S-7, Hawksworth," wiederholte er Division, Sicherheitsstufe und Name. "Doktor Caine schickt mich. Auf seine Anordnung hin hier in Ylesia. Eigentlich hätte ich schon vor einer Woche hier sein sollen, aber ein Zwischenfall in Aril hielt mich ein wenig auf. Sie haben sicher von diesem jungen Mann gehört, der meinte, Soldaten die Haut abziehen zu müssen. Ich habe ihn gefunden. Nun sitzt er hinter Gittern, rund um die Uhr am Schreien. Er glaubt, er hätte selber keine Haut mehr. Ironisch."

Hawksworth gönnte sich ein Kichern, sein Gesicht noch immer Freundlichkeit pur. Er schob sich mit Zeige- und Mittelfinger seine schwarze Sonnebrille höher auf den Nasenrücken, ehe er wieder völlig ruhig und diszipliniert da stand. "Der Doktor gab mir Instruktionen, mich in der Militärbasis im westlichen Wald zu melden und mich in Ihre Dienste zu stellen, Sir." Sein Blick wanderte noch einmal über die Ruinen. "Trotz dem tragischen Mangel an einer Basis bleibt der Befehl der selbe. Ich stehe Ihnen zu Diensten. Da ich vermute, das es hierfür einen Schuldigen gibt, würde ich gerne helfen, besagte Person oder Personen in Gewahrsam zu nehmen oder auszuschalten. Gleichzeitig kann ich auch meine übliche Vorgehensweise fortsetzen. Tarnidentität, Infiltration, Zugriff." Er schwieg einen Moment. "Doktor Caine lässt Sie freundlich grüßen, Sir. Das wäre eigentlich alles, von meiner Seite." Immer noch stand er absolut still. Hinter seiner Sonnenbrille wanderten seine Augen kurz zu der Frau mit dem Gewehr. Er war gespannt, was der General sagen würde. Feuerkraft hatte er ja scheinbar. Aber in und um Varath gab es nun einen ziemlichen Mangel an Soldaten. Hawksworth hatte von Rebellen gehört, die daraus sicher einen Vorteil ziehen würden. Das würde er nicht zulassen. Ob nun mit der Zustimmung des Generals oder ohne. Aufstände waren dazu da, nieder gerunden zu werden. Geschwüre waren da, um heraus geschnitten zu werden. Er gönnte es sich, seine Mundwinkel ein wenig zu heben, während er den Kopf leicht senkte. Weinrote Augen sahen den General abwartend über den Rand der Sonnenbrille hinweg an.
 
[Heute: Ruinen der Militärbasis]

Sie hörte das Gespräch des Fremden und Gray über das Einrasten des Repetierladers hinweg, während sich Hawksworth dem Protokoll entsprechend vorstellte. Mit einem sauberen und präzise gefallteten Tuch aus ihrer linken Brusttasche wischte sie über den schweren Achtkantlauf und blickte sich um. Es machte den Anschein, das kein Gebäude nach dem Angriff noch sein Haupt über den Meeresspiegel reckte und wenn, dann als Trümmerberg. Der Rauch der von diesen Gipfeln aufstieg und über ihnen das Weiss der Wolken verderbte, wirkte wie ein Denkzettel, eine Notiz. Toxin entzündette eine Zigarette und pustete den Qualm aus ihren Nasenlöchern wie eine Dampflok die das Wort stillstand nicht kannte. Für die Ruhe nur eine Illusion war, die den Sinnen Aussenstehender vorbehalten war.

Es waren keine Ketten mehr die meine Zehnspitzen berührten, sondern die Wurzeln, knorriger alter Bäume. Der Gestank von Erbrochenem und Blut, wurde von einer Brise kalter Herbstluft davongeweht. So auch die Angst vor dem Tod. Denn als ich durch die Wälder meiner alten Heimat lief, wusste ich das meine Freunde in der alten Hütte bereits auf mich warten würden.

Toxin ludt das Gewehr am Repetierhebel durch und schultete es. Sie atmete ein, atmete grauen Dunst wieder aus und zertrat den Glimmstengel unter ihrem Stiefel. Ausdruckslos kam ihr ein leiser Satz in den Sinn, der auf ungewohnte Art an ihren Verstand vorbei schlüpfte und seinen Weg über ihre Lippen fand. "Die Hütte ist abgebrannt," sagte sie mit Blick auf die Ruinen. Dann stand sie bereit für den Einsatz.
 
[Heute: Kalinas Wohnung]

Travia hatte Sharons Reaktion bereits erwartet, daher blieb sie auch ruhig als diese beinahe in Panik ausbrach. Auch nachdem sie eine Hand nach Travia ausgestreckt hielt, verzog die Fahrerin keine Miene. Es wäre ihr Pech, sollte sie etwas Törrichtes unternehmen. Doch ehe die ganze Sache eskalieren konnte, griff Marcus ein und stellte sich zwischen die Frauen. Travia lächelte schwach, doch es erreichte ihre Augen nicht. "Du kennst nur die eine Seite der Medaille, Kind. Das Militär war nicht immer so rassistisch. Wir waren nicht immer Mörder. Wir waren Hüter, Bewahrer des Friedens und der Ordnung. Als wir noch unabhängig von der Regierung agieren konnten. Doch seitdem wir in drei Regimenter geteilt wurden, hat sich vieles verändert. Das Militär, das ihr heute kennt, sind lediglich drei Divisionen im Auftrag der Vereinten Regierungen Elinors. Wir sind das zweite Regiment, dessen Aufgabe es ist, die Ordnung zwischen Menschen und Hexen aufrecht zu erhalten. Das dritte Regiment arbeitet für ein dubioses Unternehmen namens Kerberos, das zwielichtige Verbindungen zu führen scheint. Und das andere Regiment untersteht der Heiligen Kirche selbst. Es wäre Selbstmord sich mit diesen Divisionen anzulegen. Ich selbst wäre bei diesem Versuch beinahe gestorben. Ich verdanke es dem Vater dieses Jungen, dass ich noch immer unter den Lebenden weile. Ich verstehe durchaus, dass ihr gerade durch Serpentis gelernt habt, das Militär zu fürchten, wisset aber, dass nicht jeder deren Ansichten teilt." Sie blickte aus dem Fenster und betrachtete eine Gruppe Kinder auf dem Weg nach Hause. "Vor allem John nicht. Er mag kein Vaishara sein, aber er versucht zu verstehen. Mitunter ein Grund warum man ihn und die sechste Division ins Exil verbannt hat."

Auf Sharons Aussage bezüglich der Bodenständigkeit musste sie hingegen lachen. "Es ist schwer, die Materie zu verstehen. Es gibt nur eine Handvoll Leute, die die Fähigkeiten von Hexen verstehen ohne selbst welche zu sein. Einer hat mir einmal gesagt, dass unsere Erlebnisse nicht nur unseren Charakter sondern auch unsere Kräfte beeinflussen. Ein friedfertiger Charakter wird niemals eine offensive Kraft erhalten, ein aggressiver keine Defensivkräfte. Dieser Mann meinte einmal, unsere Kräfte seien ein Spiegel zu unserem wahren Ich. Viel zu oft kennen wir uns nämlich selbst nicht. Außerdem gilt es zu beachten, dass Kräfte sehr unterschiedlich sein können, auch wenn sie sich optisch ähneln. Seht euch Speedy an. Auf den ersten Blick scheint er einfach nur schnell zu sein. Was aber, wenn seine Kraft darauf beruht, die Zeit um sich herum oder in sich selbst zu verändern? Das Ergebnis wäre dasselbe, aber es ist dennoch grundverschieden. Auch der Beweggrund wäre ein anderer. Vielleicht der Wunsch, ein Ereignis würde niemals enden oder aber die verzweifelte Bitte, etwas möge nie geschehen. Wer weiß?"

Sie setzte sich wieder und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Was uns Elementare angeht, so ticken wir ein bisschen anders. Nur in den seltensten Fällen gibt es Hexen, die ein Element von kleinauf beherrschen können. Eigentlich ist ein jeder von uns von Geburt an mit einem Element verbunden. Es spiegelt sich in unserem Grundcharakter wider: Ruhig wie die Erde selbst, impulsiv wie ein Vulkanausbruch, stürmisch wie ein Orkan, tief wie der Ozean, flink und geladen wie ein Elektron ... alle hundert Jahre soll es sogar Vaishara geben, die die Elementarteilchen selbst kontrollieren sollen. Ihr müsst euch das einmal vorstellen! Die Schöpfung selbst beinflussen zu können ... Naja, zurück zum Thema. Jeder von uns wird mit einer Affinität zu mindestens einem Element geboren. Wenn man seine Kräfte weit genug entwickelt, fördert man irgendwann auch die Elementarherrschaft ans Tageslicht. Wie lange das dauert hängt vom Individuum ab. In meinem Fall waren es 34 Jahre."

Als Sharon und Marcus auf mögliche Regenerationsfähigkeiten anspielten, setzte sich Kalina mit einem Tablett voller Getränke auf ein Sitzkissen. Sie betrachtete die beiden abwechselnd, dann schüttelte sie den Kopf. "Wenn das wahr wäre, warum hat Sharon sich dann nicht über Nacht bei Nathan geheilt? Ihre Wunden waren ja schon etwas älter ..." Travia grinste sie an und wuschelte Kalina durchs Haar, was dieser gar nicht einmal so unangenehm zu sein schien. "Exakt. Die Ursache für eure schnelle Genesung ist euer Freund hier. Auch wenn er nicht mehr herumtobt, so ist er doch von derart viel Energie erfüllt, dass sie in Strömen aus ihm herausfließt. Diese Energie hat seinen Metabolismus zu einer Schockregeneration angetrieben. Und auch ihr wurdet durch simplen Körperkontakt in einen unsichtbaren Heiltank geworfen. Wenn ihr lange genug mit starken Leuten trainiert, solltet ihr bald in der Lage sein, eure Kräfte gezielter zu nutzen, so auch diese Heilung. Immerhin besitzt ihr alle ein unheimliches Potential, wie ich anmerken darf ..." Sie schwieg an dieser Stelle und ließ ihre Worte bedeutungsschwanger im Raum stehen. Nach einer Weile fragte sie Kalina nach einem Plätzchen zum Schlafen und wurde in eine Art Gästezimmer geführt, welches Travia auch sofort in Beschlag nahm. Kalina räumte indes den Medizinkoffer weg und betrachtete Nathan ein wenig, als Marcus sie ansprach. "Du hast es sehr schön hier und du bist eine gute Gastgeberin. M-Magst du..." Stille. Kalina neigte den Kopf fragend zur Seite. Marcus schluckte, wurde rot. "Magst du den Multivitaminsaft von Mayers genau so gerne wie ich?" Sie blinzelte kurz, denn mit dieser Frage hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie begann zu leise zu lachen, der glockenhelle Klang ihrer Stimme schlug sanfte Wellen. "Ja, ich mag Mayers auch", erwiderte sie mit einem Engelslächeln und erhob sich, das Tablett umschlungen und Marcus einen seltsamen Blick zuwerfend, "Vielleicht ladest du mich ja einmal auf ein Glas ein ..." Gesagt, machte sich Kalina auf den Weg in die Küche. Danach bereitete sie ein weiteres Zimmer vor, das einmal ihr Kinderzimmer gewesen sein sollte. Die Wände waren himmelblau gestrichen und an manchen Stellen blieben die Wände weiß und imitierten Wolken. Das Zimmer war recht klein, aber das Bett reichte aus, um Marcus für die Nacht unterzukriegen. Travia meinte, dass sie mindestens eine Nacht lang untertauchen mussten, um zu sehen, ob die Sicherheitskameras des Militärs irgendetwas erkennen konnten. Kalinas Schlafzimmer musste für sie und Zoe herhalten. Eigentlich wollte sie Sharon den Platz überlassen und ein wenig nach Nathan sehen, doch Sharon meinte, sie hätte bereits genug Unannehmlichkeiten bereitet. Es sei das Mindeste, die Nacht über für diesen Jungen zu sorgen. Kalina sagte daraufhin nichts mehr und ließ die beiden sein.

Es war mitten in der Nacht, gegen zwei Uhr morgens, als ein Schatten Sharon aus dem Schlaf riss. Die Balkontüre war offen und Nathan lag nicht mehr auf der Couch. Stattdessen befand er sich draußen auf dem Balkon und saß am Geländer. Angst herunterzufallen schien er nicht zu haben. Angesichts seiner Machtdemonstration wäre ein Fall aus dieser Höhe wahrscheinlich auch gar nicht nennenswert. Der Körper des Jungen war wieder in seinem ursprünglichen Zustand, blass und von Narben übersäht. Doch das Bernstein seiner Augen schien in dieser Nacht einem tiefdunklem Rotton gewichen zu sein, so dunkel, dass man es für Schwarz hätte halten können. Nathan blickte auf zum simulierten Sternenzelt und verströmte eine Aura der Nostalgie. Es vergingen einige Minuten, in denen die beiden so verharrten und sich anschwiegen. Sharon, die Nathan betrachtete und der Junge, der seinen Blick stets in die Ferne gerichtet hielt. Nathans dunkle Augen wanderten schlussendlich zu Sharon und musterten sie eingehend.

"Das Kleid steht dir ..."


[Heute: Ruinen der Militärbasis]

Lucien Gray lauschte den Worten des Jungen und bleckte bei der Erwähnung eines gewissen Doktor Caine die Zähne. "Ich erkenne den Akzent. Tarisia, nicht wahr? Es ist schon einige Zeit her, seit ich das letzte Mal dort Fuß gefasst habe. Wie stehen die Dinge dort? Immer noch Hexen-freie Zone?" Die Blicke des Generals schienen ihn gar nicht wahrzunehmen, als würden sie durch ihn hindurchsehen. Nach einer Weile grinste er und klopfte dem Jungen auf die Schulter. "Du kommst wie gerufen, Soldat! Infiltration ist genau das, was ich im Augenblick brauche! Du und Toxin werdet ab morgen die Schulbank drücken!" Sein Grinsen war mechanisch und kalt, das Grau seiner Augen ungerührt und in der Ferne liegend. "Ein paar werden dein Gesicht bereits kennen, Toxin, doch genau das kann uns nützlich werden. Denn die Kinder werden einander warnen wollen, und damit ihre Tarnung auffliegen lassen! Aber ... vielleicht solltet ihr euch ein bisschen besser kennenlernen und unter Umständen kann Agent Hawksworth der Dame ein bisschen Leben einhauchen. Zu gerne würde ich euch dabei Gesellschaft leisten, doch ich fürchte, ich muss meinen Vorgesetzten erklären, dass die Restaurierung der Fassade nicht länger benötigt wird ..."
 
[Heute: Arcana Middle School - Klasse 1D / Nachhauseweg]

Die Lehrerin hatte noch versucht, die Schüler ausreichend zu beruhigen. Doch eine Lautsprecherdurchsage aus dem Sekretariat hatte den Schultag dann offiziell vorzeitig beendet. Zu panisch waren besonders die jüngeren Schüler geworden. Und einige Fenster waren durch die geheimnisvolle Druckwelle zu Bruch gegangen. Kevin Anderson hatte erfolgreich seine Erleichterung verborgen, hatte seine Sachen gepackt und die Schule verlassen. Und obwohl es ihm nicht besonders gut ging und er sich nach seinem Bett sehnte beschloss er, nach Tomo zu suchen. Es war für ihn einfach verdächtig, wie sie sich zuerst brav an ihren Tisch setzte und dann doch noch den Unterricht verlassen hatte. Darklighter folgte der Straße, die Tomo entlang gegangen war und bog an der selben Abzweigung ab wie sie. Das Mädchen hatte einige Minuten Vorsprung und vielleicht würde er sie nicht mehr einholen oder gar wieder finden. In dem Fall würde er dann nach hause gehen. Darklighter beeilte sich, verfluchte jedoch gleichzeitig seine Neugier. Selbst wenn sich Tomo in Schwierigkeiten brachte, was würde er schon tun können? Er glaubte an gewaltfreien Widerstand. Die Zeiten, in denen er gekämpft hatte waren seit Jahren vorbei. Damals war er gerade erst acht Jahre alt gewesen. Zu gut konnte er sich noch an die Einzelheiten erinnern und eben deshalb hatte er nicht vor, jemals wieder Gewalt auszuüben. Aufmerksam sah er sich nach Tomo um und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

[Heute: Kalinas Wohnung]

"Schneller als ich ist er nicht, zumindest nicht im Normalzustand", meinte Marcus, "Aber wenn er fort will, müssten wir das respektieren. Ich hoffe aber, dass es nicht so kommt und wir uns aussprechen können." Sharon sah kurz Marcus an und dann wieder Nathan. Würde er vielleicht einfach gehen? Was, wenn es so kommen würde? Ja, sie würden seine Entscheidung respektieren müssen. Aber das machte die Vorstellung nicht gerade besser. Sie hatte letzte Nacht so viele Dummheiten gemacht, hatte aber inzwischen kapiert, dass Nate schlichtweg vergeben war. Es war in Ordnung. Es gab genug andere nette Männer und Frauen. Dieses Freundschafts-Ding jedoch war neu. Und es fühlte sich gut an, nicht alleine zu sein und sich auf jemanden verlassen zu können. Marcus' unbeholfener Flirtversuch mit Kalina riss sie aus ihren Gedanken und sie hätte sich fast die Hand an die Stirn geschlagen. Sie war vielleicht selbst nicht die Geschickteste, aber so etwas... Sharon schmunzelte, schüttelte den Kopf und lauschte dann der Erklärung von Travia. Das Militär war also eines Tages anders gewesen? Sie merkte sich gut, was Travia ihr über die Divisionen sagte und hob erstaunt eine Augenbraue, als Travia schilderte, dass Nate's Vater ihr das Leben gerettet hatte. "Vor allem John nicht. Er mag kein Vaishara sein, aber er versucht zu verstehen. Mitunter ein Grund warum man ihn und die sechste Division ins Exil verbannt hat." Besonders dieser Satz ließ Sharon grübeln. Nate würde die Dinge wohl anders sehen. Oder hatte er vielleicht gelogen, was die Schilderungen seiner Kindheit betraf? So oder so konnte sie nicht wissen, was es wirklich mit Nathans Vater auf sich hatte. Sie nickte daher bloß und gab ein leises "Tut mir leid, ich hätte nicht vorschnell urteilen sollen" in Travias Richtung.

Auf Sharons Aussage bezüglich der Bodenständigkeit musste Travia hingegen lachen. "Es ist schwer, die Materie zu verstehen. Es gibt nur eine Handvoll Leute, die die Fähigkeiten von Hexen verstehen ohne selbst welche zu sein. Einer hat mir einmal gesagt, dass unsere Erlebnisse nicht nur unseren Charakter sondern auch unsere Kräfte beeinflussen. Ein friedfertiger Charakter wird niemals eine offensive Kraft erhalten, ein aggressiver keine Defensivkräfte. Dieser Mann meinte einmal, unsere Kräfte seien ein Spiegel zu unserem wahren Ich. Viel zu oft kennen wir uns nämlich selbst nicht. Außerdem gilt es zu beachten, dass Kräfte sehr unterschiedlich sein können, auch wenn sie sich optisch ähneln. Seht euch Speedy an. Auf den ersten Blick scheint er einfach nur schnell zu sein. Was aber, wenn seine Kraft darauf beruht, die Zeit um sich herum oder in sich selbst zu verändern? Das Ergebnis wäre dasselbe, aber es ist dennoch grundverschieden. Auch der Beweggrund wäre ein anderer. Vielleicht der Wunsch, ein Ereignis würde niemals enden oder aber die verzweifelte Bitte, etwas möge nie geschehen. Wer weiß?" Sharon seufzte bei diesen Worten. Aber der Gedanke, dass es irgendwo normale Menschen gab, die so viel über Vaishara wussten, ohne selber welche zu sein faszinierte sie. Kurz dachte sie über ihre Kräfte nach und fragte sich, wo sie da hinein passte. Ja, sie konnte schreckliche Dinge anstellen. War sie derart aggressiv? Wenn die Kräfte der Spiegel des wahren Ichs waren, dann musste ihr wares Ich doch ein ziemliches Monster sein. Kurz dachte sie an all die toten Soldaten in der vergangenen Nacht und schauderte.

Sharon hörte zu, wie Travia über Elementare sprach und war von der Legende fasziniert, dass es sogar gottgleiche Vaishara gab. Sie dachte über Affinitäten nach und über Elementarherrschaft. 34 Jahre hatte Travia also gebraucht? Sharon runzelte die Stirn. Sie hatte nicht die blassteste Ahnung, warum sie Dinge bewegen konnte. Natürlich könnte man da auch positive Eigenschaften hinein interpretieren. Sie kannte ihre Grenzen nicht, wusste auch nicht, warum sie immer Nasenbluten bekam, wenn sie wütend wurde. Sie hatte keine Ahnung, in welchem Ausmaß sie ihre Kräfte einsetzen konnte. In einem Moment brauchte sie die Berührung, um etwas bewegen zu können - im Anderen konnte sie gar Laserstrahlen biegen und beeinflussen. Wer konnte schon sagen, zu was sie bei noch mehr Übung und noch mehr Erfahrung fähig sein würde? Das Thema Regeneration wurde schließlich von Kalina geklärt: "Wenn das wahr wäre, warum hat Sharon sich dann nicht über Nacht bei Nathan geheilt? Ihre Wunden waren ja schon etwas älter ..." Travia grinste sie an und wuschelte Kalina durchs Haar, was dieser gar nicht einmal so unangenehm zu sein schien. "Exakt. Die Ursache für eure schnelle Genesung ist euer Freund hier. Auch wenn er nicht mehr herumtobt, so ist er doch von derart viel Energie erfüllt, dass sie in Strömen aus ihm herausfließt. Diese Energie hat seinen Metabolismus zu einer Schockregeneration angetrieben. Und auch ihr wurdet durch simplen Körperkontakt in einen unsichtbaren Heiltank geworfen. Wenn ihr lange genug mit starken Leuten trainiert, solltet ihr bald in der Lage sein, eure Kräfte gezielter zu nutzen, so auch diese Heilung. Immerhin besitzt ihr alle ein unheimliches Potential, wie ich anmerken darf."

Travia schwieg und Sharon grübelte nach. Ja, sie würde in der Tat trainieren. Vielleicht würde sie keine Soldaten mehr jagen, aber es würde sich auszahlen, da war sie sich sicher. Travia wurde von Kalina in ein Gästezimmer geführt. Marcus wurde in ein anderes Zimmer gebracht. Travia meinte, dass sie alle noch mindestens über Nacht untertauchen mussten. Zoe würde bei Kalina schlafen. Es schien, als wollte Kalina auf Nate aufpassen. Doch Sharon bestand darauf, auf ihn aufzupassen. "Es ist meine Schuld, dass es überhaupt so weit kam. Meine Dummheit - und solch eine Kettenreaktion." Sie lächelte Kalina warmherzig an, doch die Traurigkeit wich nicht aus Sharons Augen. Es war zwar noch hell draussen, doch sie alle waren ziemlich müde. Sharon hatte nicht einmal bemerkt, dass sie am Einschlafen war. Die Müdigkeit hatte sie so schnell und unvorbereitet überwältigt. Mitten in der Nacht wurde sie wach. Die Balkontüre war offen und Nathan lag nicht mehr auf der Couch. Sofort sprang Sharon vom Sessel auf. War Nate abgehauen? Doch sie bemerkte, dass die Balkontür offen war. Sharon nahm ihren Rucksack und trat nach draussen, wo Nate am Geländer saß. Der Körper des Jungen war wieder in seinem ursprünglichen Zustand, blass und von Narben übersäht. Doch das Bernstein seiner Augen schien in dieser Nacht einem tiefdunklem Rotton gewichen zu sein, so dunkel, dass man es für Schwarz hätte halten können. Es vergingen einige Minuten, in denen die beiden so verharrten und sich anschwiegen. Sharon, die Nathan betrachtete und der Junge, der seinen Blick stets in die Ferne gerichtet hielt. Nathans dunkle Augen wanderten schlussendlich zu Sharon und musterten sie eingehend.
"Das Kleid steht dir ..."

Sharon lächelte und zuckte mit den Schultern, betrachtete nur kurz das kobaltblaue Kleid. "Danke", sagte sie leise und trat näher, legte die Hände auf das Geländer und schaute in die Nacht hinaus. Nate war also nicht abgehauen. Doch vielleicht hatte er es immer noch vor. Ganz sicher dachte er an seine Taten am vergangenen Tag. Sharon schwieg einen langen Moment und öffnete dann ihren Rucksack und reichte Nate zwei Fotos. "Gerne hätte ich mehr gerettet, aber ich hatte keine Zeit zum Suchen. Ohne Lia wäre ich ohnehin nicht da raus gekommen. Und kaum war ich raus, flog deine Wohnung auch schon in die Luft." Sie sah auf das Foto mit den zwei Kindern auf dem Apfelbaum, dann auf das andere Bild mit dem Mädchen mit der Gitarre. "Du hast mir gestern Nacht gesagt, du hättest nichts zum Aufhängen oder Hinstellen. Ein bisschen hast du schon." Sie lächelte aufmunternd. "Besser ein bisschen als garnichts." Doch schnell schwand ihr Lächeln. "Das ist alles meine Schuld. Es tut mir sehr, sehr leid. Wenn ich nicht gewesen wäre, dann hättest du noch deine Wohnung und all die Dinge in den letzten Stunden wären nicht passiert..." Sie schwieg, wollte nicht von der zerstörten Kaserne und den toten Soldaten reden. Lange schwieg sie, sah dabei traurig in die Nacht hinaus. "Wenigstens bist du in Sicherheit. Marcus war sehr sauer, als ich ihm sagte, was gestern vorgefallen war. Aber er kam mit mir, um dich zu retten. Und interessanterweise auch Zoe. Und auch Kalina kam später hinzu." Sie schaute nach unten auf die Straße, suchte dann den Himmel ab. "Aber ich schätze, wir sind noch nicht ganz in Sicherheit. Ich hoffe, das Militär platzt hier nicht gleich herein." Aber andererseits: Ohne Kaserne hatten die hoffentlich erst einmal nicht die Mittel, um sie zu verfolgen. Sharon seufzte und sah Nate an. "Was hast du jetzt vor? Bleibst du? Oder gehst du?"
 
[Mitten in der Nacht: Kalinas Wohnung]

Mit den Armen hinterm Kopf verschränkt lag Marcus auf dem Bett und betrachtete die Wände, die himmelblau gestrichen waren und an manchen Stellen weiße Stellen in Form von Wolken hatten. Der Anblick war beruhigend, doch Marcus konnte nicht mehr einschlafen. Anders als Travia, Sharon oder Nate hatte er sich kaum verausgabt. Zwar hatte er sich auch hingelegt, als alle anderen sich ausruhten, doch war er nun wieder relativ munter. So leicht würde er nicht mehr einschlafen, zumal ihn nun einige Gedanken wach hielten. Am meisten verfluchte er seine dämliche Frage an Kalina. Es war aber auch schwierig, in Anwesenheit von anderen so ein Gespräch zu starten. Aber um ihr in die Küche zu folgen war er auch zu feige gewesen. Sie hatte gelacht, doch Marcus hatte es nicht als böswilliges Lachen aufgenommen. Doch sie hatte ihn dann so seltsam angesehen. Gerne hätte er da ihre Gedanken gelesen. Was hielt sie wohl von ihm? Er musste an ihre Worte im Taxi denken. Andererseits sah sie ziemlich oft Nathan an. Marcus schnaubte und schüttelte den Kopf. Superkräfte haben, aber keine Ahnung von Frauen. Großartig. Generell war es merkwürdig, plötzlich so etwas wie Freunde zu haben und sich ernsthaft um deren Wohlergehen zu sorgen. Sechs Jahre hatte er keine Freunde gehabt, hatte niemanden an sich heran gelassen. Nach dem Tod seines Vaters war seine Mutter mit ihm nach Varath gezogen. Er hatte alle Kontakte mit seinen alten Freunden verloren und seine Mutter hatte ihm nahe gelegt, immer wachsam zu sein. Obwohl weder sie noch er selbst damals um seine besonderen Kräfte wussten, hatte Cyan den Verdacht, dass der Tod ihres Mannes vielleicht kein reiner Unfall war. "Menschen mit viel Potential werden immer Neider haben. Und Feinde. Egal, ob ihre Absichten gut sind. Egal, wie nett sie zu anderen sind." Das waren Cyans Worte gewesen, auf Marcus' Frage, warum er denn aufpassen sollte. "Dein Vater hat keine einzige schlechte Eigenschaft gehabt. Zumindest keine, über die ich nicht mühelos hinweg gesehen habe. Aber das hilft manchmal wenig, wenn man anderen ein Dorn im Auge ist."

Sechs Jahre später galten diese Worte nur umso mehr. Er war ein Vaishara. Egal, ob er Leute rettete oder andere guten Taten vollbrachte, es würde immer Neider geben. Oder Menschen, die ihn fürchteten oder gar hassten. Marcus musste an Travias Erklärungen über das Militär denken. Waren die Dinge einmal wirklich dermaßen anders gewesen? Was hatte diese Veränderung bewirkt? Das Auftauchen der Vaishara? Gab es vielleicht die Chance, die Dinge wieder zu bessern? Die Situation zwischen Mensch und Vaishara gerade zu rücken? Doch ein Individuum würde es da wohl schwer haben. Marcus hatte immer versucht, sich aus allem Ärger heraus zu halten. Doch vielleicht würde er mit guten Taten etwas ändern. Andererseits würde er damit auch Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Da war es egal, ob er gute Absichten hatte. Man würde ihn wohl ebenso jagen als ob er seine Kräfte benutzt hätte, um Banken auszurauben oder Leute zu bestehlen. Ja, hin und wieder dachte er auch daran, was für schreckliche oder egoistische Dinge er mit seinen Kräften machen könnte, wenn er es nur wollte. Doch seine Eltern hatten ihn anständig erzogen. "Warum arbeitest du so viel?", hatte er einst seinen Vater gefragt. "Wenn man etwas richtig gut kann, also eine besondere Gabe hat... Dann muss man sie auch für das Wohl aller einsetzen. Ich arbeite, weil ich die Welt verbessern möchte." Und Marcus musste grinsen, als er sich erinnerte, was er damals dann gefragt hatte: "Kann ich dir helfen, Papa?" Und Joseph O'Connor hatte genickt. "Jeder kann die Welt verbessern. Aber manche haben trotz guter Absichten böse Methoden. Du hilfst mir, indem du ehrlich bleibst, fleissig bist und auf deine Mutter aufpasst, wenn ich mal zu lange arbeiten muss." Es war eines der letzten Gespräche mit seinem Vater gewesen und nun kamen Marcus die Tränen. So sehr vermisste er seinen Vater. Ihm hätte er wohl auch sein Geheimnis anvertraut. Seine Mom jedoch hatte er nichts davon erzählt. Er nahm sich jedoch vor, sie bald mal anzurufen oder noch besser: Sie mal wieder zu besuchen. Ja, Wachsamkeit war wichtig. Aber Freundschaft und Vertrauen taten auch unglaublich gut.

Seine Gedanken schweiften zum Thema Kräfte und er musste an Travias Worte denken: "Seht euch Speedy an. Auf den ersten Blick scheint er einfach nur schnell zu sein. Was aber, wenn seine Kraft darauf beruht, die Zeit um sich herum oder in sich selbst zu verändern? Das Ergebnis wäre dasselbe, aber es ist dennoch grundverschieden. Auch der Beweggrund wäre ein anderer. Vielleicht der Wunsch, ein Ereignis würde niemals enden oder aber die verzweifelte Bitte, etwas möge nie geschehen. Wer weiß?" Gerne hätte er selber eine Antwort auf das Warum. Er vermutete schon, dass ein gewisser Wunsch hinter seinen Kräften steckte. So viele besondere Momente und besondere Personen waren ins Vergessen gerückt. Vielleicht waren seine Kräfte einfach der Wunsch, manchmal einfach noch mehr Zeit für die besonders schönen Dinge zu haben. Doch musste er sich auch die Frage stellen, ob er die Zeit beeinflusste oder lediglich seinen eigenen Körper. Möglicherweise war die Schnelligkeit auch nur das Verlangen, eine gewisse Kontrolle über sich und sein Leben zu haben. Er beschloss, demnächst ein wenig zu experimentieren und zu trainieren. Schlafen konnte er noch immer nicht. Also erhob er sich aus dem Bett, stieg über den schlafenden Aiolos hinweg und trat auf den Flur. Er konnte sehen das die Balkontür offen stand. Sessel und Couch waren leer, doch er sah zwei Silhouetten auf dem Balkon, hörte Sharon leise sprechen. "Was hast du jetzt vor? Bleibst du? Oder gehst du?" Gerne hätte er die Antwort gehört oder sich gar zu den beiden gesellt. Er war froh, dass Nate wieder wach war. Doch er wollte den beiden Zeit zum Reden geben. Außerdem: Entwickelte sich da etwas zwischen den beiden? Marcus schmunzelte und ging in die Küche. Er machte das Licht an, lehnte die Tür an. Falls Nate abhauen würde und Sharon nach ihm rief, würde er es hören und handeln können. Dann nahm er sich einen Teller mit Sandwiches und eine Flasche Multivitaminsaft aus dem Kühlschrank, setzte sich an den Küchentisch. Auf dem Kühlschrank stand ein kleiner Fernseher und eben diesen schaltete er mit der Fernbedienung an, drehte den Ton so leise, dass er ihn gerade noch hören konnte.

Und so aß er langsam ein Sandwich, trank den leckeren Multivitaminsaft von Mayers und kam sich wieder reichlich dämlich vor, als er an Kalina dachte. Vielleicht sollte er Zoe mal fragen, ob sie eine Ahnung hatte, was Kalina von ihm dachte? Doch andererseits war er noch jung. So viele Dinge verstand er einfach nicht. Für Frauen hatte er noch reichlich Zeit. Und war es nicht gefährlich, als Vaishara eine Partnerin zu haben? Lebte er selber nicht in ständiger Gefahr? Doch vielleicht war es garnicht so schlimm und er redete sich das nur ein. Er musste an die Warnungen seiner Mutter denken. Doch Kalina schien doch ein sehr nettes Mädchen zu sein. Aber andererseits war Fate auch eine gute Freundin gewesen und seine Mom hatte damals darauf bestanden, niemandem zu sagen, wohin sie mit Marcus zog. Sie hatten einfach alles hinter sich gelassen. Marcus seufzte und nippte an dem Glas Multivitaminsaft, biss in sein Sandwich. Gleichzeitig zappte er ein wenig im Fernseher und musste sich kurz fragen, was für eine Geschichte wohl hinter dieser Wohnung steckte. Hinter dem Zimmer mit den himmelblauen Wänden, hinter Kalina... Vielleicht sollte er sie ja doch mal fragen. Was hatte er schon zu verlieren? Marcus aß sein Sandwich auf, leerte sein Glas und machte sich dann an den Abwasch. Mit etwas Konzentration war blitzschnell alles wieder sauber. Im Fernsehen fand er nichts Berauschendes. Um sich selbst müde zu machen konzentrierte er sich auch weiterhin, ging ins Wohnzimmer und nahm sich ein paar Bücher aus einem Regal. So viele, wie er tragen konnte. Dann nahm er wieder in der Küche Platz und begann zu lesen. Äußerst schnell wurden Seiten umgeblättert, Absätze überflogen Inhalte - wenigstens kurzfristig - verinnerlicht. Auf die Bücher selbst hatte er nicht geachtet, es ging ihm nur darum, müde genug zu werden, um danach bis zum Morgen schlafen zu können. Doch immer wieder sah er zum Fernseher, ob nicht etwaige Meldungen über die Kaserne kamen oder zum Balkon, ob bei Sharon und Nate auch alles in Ordnung war.

[Der Mittag zuvor: Ruinen der Militärbasis]

Lucien Gray lauschte den Worten des Jungen und bleckte bei der Erwähnung eines gewissen Doktor Caine die Zähne. "Ich erkenne den Akzent. Tarisia, nicht wahr? Es ist schon einige Zeit her, seit ich das letzte Mal dort Fuß gefasst habe. Wie stehen die Dinge dort? Immer noch Hexen-freie Zone?" Die Blicke des Generals schienen ihn gar nicht wahrzunehmen, als würden sie durch ihn hindurchsehen. Hawksworth vermutete, dass Gray und Caine sich wohl nicht besonders gut leiden konnten. Interessant war, wie Gray vermied, ihn direkt anzusehen. Wachsamer, alter Soldat. Hawksworth wurde bewusst, dass der General seinen Akzent bemerkt hatte und nickte knapp, ehe er sich konzentrierte um diesen Makel weg zu sperren. "Die Dinge stehen... akzeptabel." Leider war ein Mangel an Hexen nicht immer eine Garantie für Frieden und Ordnung. "Störende Elemente werden nach wie vor gejagt, festgesetzt oder eliminiert. Und eben dies werde ich nun hier tun." Nach einer Weile grinste der General und klopfte dem Jungen auf die Schulter. "Du kommst wie gerufen, Soldat! Infiltration ist genau das, was ich im Augenblick brauche! Du und Toxin werdet ab morgen die Schulbank drücken!" Sein Grinsen war mechanisch und kalt, das Grau seiner Augen ungerührt und in der Ferne liegend. "Ein paar werden dein Gesicht bereits kennen, Toxin, doch genau das kann uns nützlich werden. Denn die Kinder werden einander warnen wollen, und damit ihre Tarnung auffliegen lassen! Aber ... vielleicht solltet ihr euch ein bisschen besser kennenlernen und unter Umständen kann Agent Hawksworth der Dame ein bisschen Leben einhauchen. Zu gerne würde ich euch dabei Gesellschaft leisten, doch ich fürchte, ich muss meinen Vorgesetzten erklären, dass die Restaurierung der Fassade nicht länger benötigt wird ..." Hawksworth nickte und salutierte. "Jawohl Sir. Ich habe bereits alles, was ich benötige und könnte bereits morgen die lokale Schule besuchen." Er konnte sich allerdings vorstellen, dass Toxin wenig begeistert sein würde. Kurz musterte er die Frau mit dem Gewehr. Sie strahlte Gleichgültigkeit und Kälte aus und er vermutete, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. Von seiner Seite aus würde es keine Probleme geben, doch hoffte er, dass die Dame professionell genug war. "Wie lange werden Sie abwesend sein, General?", wollte Hawksworth wissen und schob sich mit Zeige- und Mittelfinger die Brille zurecht. Dann sah er zu Toxin. "Wir könnten bei der Schule ganz schnell Ihre Anmeldung arrangieren. Ich kann dabei helfen."
 
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