[Aeruin RPG] Hauptthread

[Unterschlupf]

Es war merkwürdig Sie lag auf einem harten Untergrund während ihr das weisse Licht von fünf Sonnen in den Augen brannte. Ein blitzendes, dünnes Schwert schnellte aus dem Licht auf sie herab und traf sie mitten in die Stirn. Es stach in jeder Faser, in jedem Muskel und weitere Schwerter stürzten herab, durchstachen Arme und Beine und das Licht wurde immer schwächer. Danach kam eine Flut aus grünem Schlamm und obwohl ihr ganzer Körper unter der Masse begraben wurde, konnte sie atmen. Die Welt bewegte sich wie im Zeitraffer nach vorn, immer weiter nach vorn im Meer aus Schlamm. Menschen in schwarz reichten sich die Hände vor einem großen dunklen Sarg. Sie wollte die Arme vor die Augen heben als sich der schwarze Kasten langsam öffnete. Kein Laut, kein Knarren. Nur Schatten und Stille. Doch ihr Körper hörte nicht auf sie. Weit aufegrissene Augen sahen sie aus dem Dunkel an. Ein kreidebleiches Gesicht das langsam seinen Mund öffnete. Sie wollte schreien, doch es wollte sich kein Ton von ihren Lippen lösen. Ein dünner Schatten floss aus dem Rachen des Gesichtes und dann schlug es seine Zähne in ihre Augen.

„Ist ja gut, beruhige dich!“

Als sie aufwachte, schwebte De´Coys aufgedunsenes Gesicht über ihrem eigenen. Er rüttelte sachte an ihren Schultern und legte ihr eine Hand auf die Stirn. Sie spürte wie er den Schweiss von ihrem Gesicht wischte und ihr darauf hin ein Handtuch reichte. „Verflucht, du hast geschrien wie am Spieß, was war denn los?“, fragte er und fing gleichzeitig damit an vereinzelte Porzelanscherben und Frühstückreste vom Boden neben ihrem Bett aufzusammeln. Sie beobachtete ihn eine Weile dabei, wie er die Scherben auf ein Tablett legte und es auf das Fußende stellte. Solange bis er seinen Kopf erneut hob und sie fordernd ansah. „Also was war? An meinem Frühstück kann es ja nicht gelegen haben.“ Toxin schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe Bilder gesehen.“ - „Bilder? Achso, du hast schlecht geträumt.“ bemerkte er und sie sah ihn fragend an. Er schüttelte ungläubig mit dem Kopf und fluchte leise als er das Rührei auf dem Boden tiefer in den Teppich rieb. Teppich. Toxin war sich ziemlich sicher das gestern Abend noch kein Teppich in ihrem Zimmer lag. Mit leichtem erstaunen stellte sie fest das außerdem noch einige andere Einrichtungsgegenstände ihren Weg in den Keller gefunden hatten. „Aus welchem Sarg haben die dich denn ausgegraben, Kalkleiste? “ - „Wie bitte?“ - „ … Vergiss es.“

Das war also ein Traum, dachte Toxin und sah auf ihre zitternden Handflächen. Mit kontrollierten Atemzügen beruhigte sie sich langsam und versuchte zu verstehen. Sieh zurück„Haben Sie etwas gesagt?“, wollte Toxin wissen und De´Coy hob nur seine linke Augenbraue, bevor er erneut mit dem Kopf schüttelte und die letzten Reste zusammen sammelte. Sie schien sich verhört zu haben. „Woher kommen die ganzen Einrichtungsgegenstände?“ Bei der Frage rieb sie sich die Schläfe und zum ersten mal sah sie den adipösen Vermieter lächeln. „Wie sicher bist du dir, dass sie nicht schon die ganze Zeit hier waren?“ Als sie nach einer Antwort suchte rieb er sich seine knollige Nase. „Wie willst du den Mörder hinter dir im Spiegel sehen, wenn du nur dich darin bewunderst?“ Jetzt schien er sie gänzlich verloren zu haben. „Ich … wollen sie mich töten?“ - „Schon gut. Heben wir uns das Gespräch für ein anderes mal auf Niko Clarks. Wenn ich mich nicht täusche haben Sie heute ihren ersten Schultag.“ Sie nickte und stand sofort auf. Als sie die Decke beiseite warf stellte sie überrascht fest, das sie komplett andere Kleidung trug. Bevor sich jedoch dazu äußern konnte, drückte ihr De´Coy ein Glas mit Orangensaft in die Hand und holte hinter seinem Kopf ein belegtes Butterbrot hervor. „Du kannst später Danke sagen Nikki. Trink, iss auf und sieh was der Tag dir bieten kann. Ach und wenn du nicht vor Mitternacht zu Hause bist, ist der Zauber dahin.“ Was immer er auch damit meinte, sie biss in das Brot und betrachtete sich dabei im Spiegel eines massiven Wandschrankes. Einer der zahlreichen Gegenstände die ihren Weg hier hin gefunden hatten. Sie betrachtete die weite, schwarze Schlaghose und das dunkle Top. Dann jedoch riss sie ihren Körper herum und blockte einen Schlag, der auf ihren Hinterkopf abgezielt war. Noch in der Bewegung zog sie De´Coy am Handgelenk zu sich und stieß ihre freie Hand gegen den Ellbogen des gestreckten Armes. Sie fixierte den Arm hinter seinem Rücken und presste sein Gesicht gegen den Spiegel das es schepperte. „Sehr gut ...“, stöhnte er. Doch plötzlich sah Toxin das ihr jemand das fallen gelassene Butterbrot über ihre Schulter anreichte. „ … aber siehst du auch wirklich hinter dein Spiegelbild?“ Als sie es tat erhaschte sie für einen Augenblick das Gesicht eines Mannes mit kurzen dunklen Haaren und leuchtend türkisen Augen der eine Uniform von Serpentis trug. Doch etwas war anders. Sie schnellte erneut herum und warf ihren Arm in einer kompakten Bewegung nach vorne. Sie traf nur Luft. Keine Spur von dem Mann den sie gesehen hatte.
„ … Um wirklich hinter dich blicken zu können, musst du erst mal wissen hinter was du genau blickst,“ kam erneut aus ihrem Rücken. Doch diesmal war es nur der dicke De`Coy der sich sein Handgelenk rieb. „Entschuldige, alte Angewohnheiten legt man nur langsam ab. Geh jetzt besser, sonst kommst du zu spät. Ich mache alles hier wieder klar Schiff.“ Es dauerte eine Weile, doch schließlich nickte sie ihm zu und verlies das Haus.

„Aus welchem Grab hat man dich nur ausgegraben ...“

[Vereinbarter Treffpunkt vor dem Arcana-High Gelände]

Toxin stand in der Nähe einer Haltestelle, an der mehr und mehr Schüler und Schülerinnen der Arcana-High eintrafen. Sie hatte in ihrem Leben noch nie soviele junge Leute gesehen. Soviele unterschiedliche Gesichter und Emotionen. Doch für die Menge war sie so gut wie unsichtbar. Nur ein paar Blicke wurden in ihre Richtung geworfen und schnell wieder zurückgezogen als sie zurück sah, um Archer unter den Leuten auszumachen.
 
[Mitten in der Nacht: Unterwegs]

"Geht einfach", hatte Marcus noch einmal gesagt und im Inneren bitterlich gehofft, sein Versuch würde klappen und die Nacht würde ohne eine Schlägerei enden. Doch die Kerle sahen ihn grinsend an. "Ein Streifenwagen? Interessant ... Nicht wahr, Bobby?" Hinter Marcus waren Schritte zu hören und eine weitere Gruppe Möchtegernrocker versperrte ihnen den Fluchtweg. Auch auf ihrem Antlitz fand sich ein Grinsen wieder. "Komisch", erwiderte ein Kerl mit Glatze - wahrscheinlich Bobby -, "Gerade eben hab ich keinen gesehen." Die Jungs auf der anderen Seite schüttelten mit gespielter Enttäuschung die Köpfe. "Du solltest besser zweimal überlegen, was du sagst, Kleiner. Großmäulern gehört einfach die Fresse poliert!" Sie gingen auf Marcus und Kalina zu, das Mädchen an den Haaren zerrend. Auch die andere Gruppe kam näher und kesselte die zwei ein. Marcus war angespannt, biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste, jedoch aus purer Wut und Verzweiflung. Würde er Kalina wirklich vor dem ganzen Dutzend beschützen können? Selbst mit seiner Geschwindigkeit konnte er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Er musste kurz ein daran denken, wie es sein könnte, einfach offensiv vorzugehen, ohne Rücksicht und Gnade. Sein Herz begann wie wild zu schlagen und einen winzingen Moment lang glaubte er, Sharon zu verstehen, wenn sie sich gegen die Soldaten erhob und sie offen angriff. Er glaubte, den Mann im weißen Mantel zu verstehen und seine Gründe, für die Vaishara einzutreten. Dann jedoch wurde Marcus bewusst, dass das hier kein Kampf Mensch gegen Vaishara war. Er sah sich nicht als Vaishara und er vermutete, dass es auch in einer Welt, in der es nur Vaishara gab, auch Kriminelle geben würde. Es galt nun einfach, möglichst heile aus dieser Situation heraus zu kommen und dabei Kalina zu beschützen - und zu vermeiden, als Vaishara erkannt zu werden.

"Da bin ich ganz eurer Meinung!", durchbrach eine Frauenstimme die ohrenbetäubende Stille. Die Gruppe hinter Marcus und Kalina drehte sich um. Im Schein der nahe stehenden Straßenlaterne war das Mädchen aus dem Supermarkt zu sehen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte extrem mies gelaunt. Die Männer begannen zu lachen und gingen nun auf das Fräulein zu, doch dieses blieb ungerührt stehen, selbst als einer der Hünen - dem sie beinahe nur an die Hüfte reichte -, sich vor ihr auftürmte. "Eure Mama hat wohl vergessen, euch zu zeigen, wie man mit Damen umzugehen hat." Die Männer grinsten sardonisch, doch auch das Mädchen schenkte ihnen ein Raubtierlächeln. Der Hüne packte sie am Kragen und hob sie hoch in die Luft, doch noch immer machte sie keine Anstalten sich zu wehren. "Was ist denn los, große Klappe aber nichts dahinter?" Marcus sah in den nächsten Sekunden verwundert zu, als das Mädchen angriff, zuerst das Gemächt eines der Rocker in Mitleidenschaft zog, dann den Unterkiefer eines anderen. Sie teilte gut aus, ehe sie gepackt wurde und einen Schlag in den Magen kassierte. Marcus hatte indes wenig Zeit, ihr zuzusehen. Zwar hatte er alle Zeit der Welt zur Verfügung, aber es warteten auch fünf Kerle auf ihre Abreibung. Außerdem hatten sie das Mädchen als Geisel. Doch just in dem Moment warf Kalina ihre Einkaufstasche nach dem Mann, der im Reflex seine Arme schützend vor sich hielt. Sie schnappte sich das Mädchen, blieb nicht stehen und lief weiter. Zwei Männer versperrten ihr jedoch den Weg und hinter ihr befanden sich drei weitere, die abwechselnd zu Marcus und ihr blickten. "Kommst du bald in die Gänge, oder soll ich übernehmen?", hörte Marcus das andere Mädchen neben sich. Sie hatte das Holzschwert geschultert und grinste maliziös in Richtung der Bande. Sie war etwas angeschlagen, ihre Schuluniform - die der Arcana High - an einigen Stellen aufgerissen und dreckig. Ihr Haar war ebenfalls etwas schmutzig und stand etwas ab. Doch das Braun ihrer Augen funkelte lichterloh. Und das Grinsen wich nicht von ihrem Antlitz.

Er würde wohl nicht drum rum kommen zu handeln. Einfaches weglaufen würde wohl nicht funktionieren, nicht solange noch so viele von dieser Bande auf den Beinen waren. Außerdem durfte er das Mädchen mit dem Holzschwert nicht einfach zurück lassen. Sie schien zwar prächtig auf sich selbst aufpassen zu können, doch er wäre ein Unmensch, wenn er sie sich selbst überließe. Kurz seufzte er. Er hatte immer versucht, sich von Ärger fern zu halten und nicht aufzufallen. Manchmal funktionierte das leider nicht. Kurz verschränkte er die Hände ineinander und ließ die Knöcheln knacken. "Ich dachte mir nur, naja, Ich spiel den Gentleman und lass der Dame den Vortritt. Aber wenn du mich so nett auf die Tanzfläche bittest..." Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung und eilte auf die drei Typen zwischen sich und Kalina zu, die das andere Mädchen mit sich zog. Er würde mit den drei Kerlen schnell fertig werden müssen um die beiden anderen, die Kalina den Weg versperrten gleich danach aufs Korn zu nehmen. Es galt also, hart aber im Rahmen des menschenmöglichen zuzuschlagen und dabei Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Marcus war sich ziemlich sicher, dass er das gut hinkriegen würde. Die drei Typen sahen abwechselnd zu ihm und zu Kalina. Gerade als sie zu Kali sahen, konzentrierte sich Marcus, beschleunigte seine Schritte - jedoch nicht übermenschlich - und erreichte den ersten, der ihm am nächsten stand. Er verschränkte die Hände, wie es manche taten, wenn sie den Göttern huldigten und donnerte seine Fäuste auf den Hinterkopf des ersten Typen, ehe er herum wirbelte, die Hände voneinander löste und dem zweiten einen Kinnhaken zu verpassen versuchte. Dabei würde er sich immer wieder umsehen, um nicht überrascht zu werden und herausfordernd funkelte er den Dritten an, ehe er nach vorne zuckte und versuchte, beide Arme des Typen beiseite zu schlagen, ehe er ihm das Knie in den Unterleib rammen wollte. Anschließend würde er versuchen, Kalina nach zu eilen um sich um die beiden anderen Kerle zu kümmern. Das alles machte er schnell, versuchte jedoch immer, nicht zu schnell zu werden. Die Situation kotzte ihn so schon an und er hatte nicht vor, sie durch eine Zuschaustellung seiner Gabe zu verschlimmern.

[Mitten in der Nacht: Unterschlupf / Nächster Morgen - Arcana High]

Sie hatten sich am Nachmittag in der Arcana High angemeldet und waren unterschiedlichen Klassen zugewiesen worden, dann hatte William Archer - wie er nun wohl eine ganze Weile heißen würde - Niko Clarks an einer Straßenecke ihrer Wahl abgesetzt. Er selber hatte ein Hotel im Stadtzentrum angesteuert und dort die Luxussuite gemietet. Er hatte das nötige Geld und fühlte sich in einer gut ausgestatteten Wohnung einfach wohler. Nach einer kleinen Mahlzeit machte er es sich auf dem Sofa gemütlich, ließ auf dem großen Plasma-Fernseher die Nachrichten laufen und schaute sich via dem Laptop auf seinem Schoß die offizielle Webseite der Arcana High an, schaute sich die Liste der Lehrer an und suchte auch nach Klassenfotos, um sich einen Überblick zu verschaffen. Doch sehr schnell wurde er müde, weshalb er den Laptop zuklappte, das Schlafzimmer ansteuerte und sich dort auszog und ins Bett fallen ließ. Es hatte Probleme mit dem Einschlafen, was nicht einmal am Bett lag. Er konnte auch auf Pritschen oder Iso-Matten perfekt schlafen, wenn es darauf ankam. Das Problem war - wie Archer viel zu schnell bemerkte - dass es sich irgendwie nicht wie zuhause anfühlte. Aber das tat es schon ewig nicht mehr, egal wie riesig und weich das Bett auch war.

Am nächsten Morgen verließ Archer in einem piekfeinen Anzug und mit seinem Aktenkoffer das Hotel, ließ sich in die Nähe der Arcana High bringen und suchte einen nahen Bäcker auf, wo er zwei belegte Brötchen und einen Kaffee konsumierte. Anschließend umkreiste er die Schule, prägte sich Merkmale des Gebäudes ein und hielt auch genau nach Notausgängen Ausschau. Scheinbar gelangweilt und gelassen schlenderte er um das Schulgelände herum, betrachtete die Schüler in gespielter Gleichgültigkeit und steuerte dann den Treffpunkt nahe der Bushaltestelle an. Toxin stand in der Nähe einer Haltestelle, an der mehr und mehr Schüler und Schülerinnen der Arcana-High eintrafen. Archer näherte sich ihr von hinten und konnte nicht anders, als ihren Körperbau zu begutachten. Dann blieb er neben ihr stehen. "Schönen guten Morgen", sagte er, ohne eine Antwort zu erwarten. "Gehen wir schon rein und suchen unsere Klassenräume?" Nico war der 1F zugewiesen worden und ihn selbst hatte es in die 2B verschlagen. Was eigentlich ein Jammer war, zu gerne hätte er Niko mal beim Sportunterricht begutachtet.
 
[Unterschlupf]

„Noch ein wenig da, eine Prise hier. Meine Güte, ich hab noch nie ein Mädchen gesehen das mit nur einem Satz Unterwäsche durch die Weltgeschichte reist.“ De´Coy hatte sich während Toxins Abwesenheit daran gemacht ihre alte Ausrüstung zu Reinigen. Er empfand zu gleich Dankbarkeit, dass Sie keinen Berg aus Klamotten angeschleppt hatte wie manch anderer Zwangs-Stationierter, aber diese abgenutzte Kampfrüstung, der Zylinder mit dem Kleingeld und dem mehr schlecht als recht verborgenen Peilsender wirkten doch schon deprimierend einsam. Er hatte das kleine Ortungsgerät aus dem Hohlkörper geholt und es in seiner geschlossenen Faust verschwinden lassen. Wohin? Ein guter Zauberer verschwendete kein noch so kleines Geheimnis leichtfertig, besonders nicht wenn es für eine Überraschung gut war. Mit einem breiten Grinsen auf den nicht minder breiten Lippen legte er die Rüstung mit dem Schlangensymbol zurück in den Schrank. Dabei fiel ihm jedoch ein kleines Accessoire auf, dass in Form einer matt glänzenden Halskette aus der Brusttasche lugte. „Trägt das graue Schattengewächs Schmuck? Hätte ich ihr gar nicht zugetraut.“ De´Coy gingen die privaten Gegenstände seiner Klienten nichts an. De´Coy legte keine Hand an die Kette mit dem kleinen Medallion, es war der Zauberer der es tat. Als er den winzigen Schließmechanismus löste, konnte er es mit den Fingern auseinander schieben wie eine gute Hand beim Kartenspiel. Was er aufdeckte war ein altes sepiafarbenes Foto, dass von der kreisrunden Form des Medallions eingerahmt war. Zu sehen waren zwei junge Menschen. Ein jugendlicher Bengel mit ramponiertem Gesicht und einem lückenhaften Lächeln, der ein Mädchen fest in seinem Arm hielt. Sie grinste wie er, über beide Ohren und kniff dem Burschen frech in seine Wange. Wer diese beiden wohl waren, dachte der Zauberer, schloss seine Faust und als er sie öffnete hielt er zwei Halsketten in der Hand. Eine davon schloss er wieder und steckte sie De´Coy in die Jackentasche, der wie versteinert vor dem Schrank stand. Das Original sah er noch eine Weile an. Die Ähnlichkeit war schwer auszumachen und er schob es auf das Lächeln. Doch ohne Zweifel handelte es sich auf dem Foto um eine junge Niko Clarks. „Du hast ja doch mal die Mundwinkel nach oben gekriegt. Welch ein Unhold stiehlt einem so jungem Ding das Lächeln?“ Der Zauberer verschränkte die Arme vor seiner alten und abgenutzten Serpentis-Rüstung und grinste breit in den Spiegel am Schrank. „Was für eine Großartige Gelegenheit. Ein Publikum wie es schwieriger nicht sein kann.“ Er schnippte mit den Fingern und wischte über seine Hand, in der die Halskette lag. Der Schmuck verschwandt und so auch der Zauberer.

De´Coy legte die Sachen zurecht und schloss den Wandschrank wieder. „Zaubern wir wieder ein Lächeln auf dieses Gesicht.“
 
[Mitten in der Nacht: Ai's Apartment]

"Weder das eine noch das andere, wenn man ihrer Geschichte glauben schenkt", antwortete Travia auf Sharons Frage und verursachte bei Sharon ein Stirnrunzeln. "Vielleicht erzählen sie sie dir eines Tages. Ihrer Aussage nach zu urteilen seid ihr also bereits auf Lakar gestoßen. Wie die beiden ist er ein Aviati, einer von fünf Auserwählten der Götter selbst. Sein wahrer Name ist unbekannt, aber Nina nennt ihn den Drachen der Dämmerung." Die beiden wirkten wie Gegensätze. Auf der einen Seite die impulsive, lebhafte Mina - auf der anderen die stoisch, ruhige Nina. Sie sahen nicht älter aus als Sharon selbst, doch als Aviati mussten sie die Götter persönlich gekannt haben. Und deren Zeitalter endete vor rund zweitausend Jahren! Sharon stand nun der Mund offen. "A-Aviati?", stammelte Sharon verwundert und sah Mina und Nina mit einer Mischung aus Neugier und Unglauben an. "Lakar ist der Typ mit dem weißen Mantel? Fünf Aviati gibt es also? Wer sind die anderen zwei?" Sharon rieb sich verwundert die Stirn. Hier stand sie also mit Halbgöttern zusammen! So viele Fragen lagen ihr auf der Zunge, doch ehe sie weitere Fragen stellen oder auch nur Antworten auf die bereits gestellten bekam, öffnete Nathan die Tür von Ais Zimmer und trat heraus. Er grinste Nina an, ehe Travia Nate mit sich nahm. Was die beiden wohl miteinander besprachen? Sharon sah den beiden nach, ehe Nina und Mina sie ansprachen.

"Ai ist ein wenig sauer", begann Mina und Ninas vollendete den Satz: "dass er sie hat warten lassen. Aber sie war auch" - "besorgt um ihn, selbst hier konnte man ihn spüren ..." Irgendwie gingen ihre Worte flüssig ineinander über. Mina nahm Sharon an der Hand. "Ich nehme an, du möchtest sie nun kennenlernen." Bereits von draußen schien sie ein weiteres Piepsen im Rhythmus der Uhren hören zu können. Wieviele Uhren es hier wohl gab? Langsam betraten die drei den Raum, erst die Zwillinge gefolgt von Sharon, deren Blick schnell auf die Monitore fiel, dann auf das Beatmungsgerät und auf das Krankenbett. Ai hatte langes schwarzes Haar, das in extremen Kontrast zu ihrer Haut stand. Das Piepen des Monitors war in stetem Gleichklang mit den Uhren. "Ai, Sharon ist gekommen. Sie ist eine Freundin von Nathan", flüsterte Mina, die sich zu dem Mädchen herabgebeugt hatte. Für einen winzigen Augenblick kam das Piepsen aus dem Takt, beruhigte sich aber sofort wieder. Das Mädchen hatte die Augen noch immer geschlossen und es war fraglich, ob sie diese jemals wieder aufmachen würde. Sharon trat ans Bett heran, betrachtete das Mädchen einen Moment, ehe sie lächelte und zu reden anfing.

In Büchern oder Filmen hieß es immer, Menschen im Koma würden manchmal doch etwas mitbekommen. Hatte nicht eben das Piepsen einen kurzen Moment ausgesetzt? So oder so, Sharon beschloss, optimistisch zu sein und tatsächlich fielen ihr auch einige Dinge ein, die es sich zu sagen lohnte. "Hallo, Ai", begann sie leise, mit freundlicher Stimme. "Ich bin sehr erfreut, dich kennen lernen zu dürfen. Wie ich sehe, bist du mit der Schönheit gesegnet, die Nate irgendwie... gemieden hat." Sie schmunzelte ob des kleinen Scherzes. "Du bist wirklich ein sehr hübsches Mädchen." Einen Moment schwieg sie. "Ich weiß nicht einmal, warum du hier liegst. Aber es ist gut, dass du Freunde hast, die auf dich aufpassen. Freunde sind wichtig. Keine Ahnung, ob Nate von mir erzählt hat, aber ich schätze, wir sind Freunde. Zumindest passe ich auf ihn auf. Genau deshalb kam dein Bruder heute etwas später. Indirekt habe ich ihn in Schwierigkeiten gebracht und musste ihn heraus boxen. Es ist nicht seine Schuld gewesen. Wir beide hätten es wohl besser anstellen können... Aber nun ist dein Bruder ja hier. Und ich finde es schön, dass er mich mitgenommen hat."

[Mitten in der Nacht: Tomos Haus]

Tomo wartete bis der Junge den Hörer wieder aufgelegt hatte, dann schritt sie zurück in ihr Zimmer. "Dir ist der Energieerhaltungssatz ein Begriff?", fragte sie und kramte in einer Schublade ihres Schreibtisches herum, "Innerhalb eines geschlossenen Systems kann Energie nie verloren gehen, sie wechselt nur ihre Form. Doch was ist Energie? Es gibt so viele Formen der Energie. Sie kommt in elektrischer Form aus der Steckdose, ein Stück Kohle birgt chemische Energie, ein Airshuttle produziert Bewegungsenergie, die Heizung erzeugt Wärmeenergie und in Atomen steckt nukleare Energie." Sie fand einen Schlüssel und nickte lächelnd, ehe sie an ihm vorbei erneut den Gang entlang ging. Kevin folgte ihr nachdenklich, hörte ihr ganz genau zu. "Habt ihr euch je die Frage gestellt, woher eure Kräfte kommen? Welcher Mechanismus dahintersteckt und welche Energie ihr dafür nutzt? Wahrscheinlich nicht ..." Sie seufzte und ging eine Treppe abwärts. Mitten in der Bewegung blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um, sah auf, da sie sich zwei Stufen unter ihm befand. "Welche Energie ist vonnöten um ein Leben zu erzeugen und was ist das, was manch einer Seele nennt?" Sie schritt weiter. "In der Physik existiert das ungeschriebene Gesetz des äquivalenten Tausches: Um A zu bekommen, brauchst du denselben Wert dessen in B."

"Wir alle stehen tagein, tagaus im steten Austausch von Energien, indem wir dieselbe Menge an Energie abgeben, die wir aufnehmen. Welche Energie? Nun ..." Sie hielt kurz inne und versuchte anscheinend, eine einfache Erklärung zu formulieren. "Am Anfang war die Energie des Alls an einem Punkt konzentriert, ehe sie sich explosionsartig ausbreitete. Diese kosmische Energie formte Planeten, Monde, Sonnen, Schwarze Löcher ... Diese wiederum formen die Energie zu etwas Anderes um. Im Fall unseres Planeten könnte man es Lebensenergie nennen - oder Manah, wie es unsere Ahnen einst taten. Die Energie verdichtete sich, erschuf Mikroben, Einzeller, Mehrzeller, Menschen. Noch heute fließt diese Energie aus dem Planeten selbst und versiegt in diesem wieder. Wir alle sind dieser Strahlung ausgesetzt, speichern einen Teil davon und geben ihn im Verlauf unseres Lebens wieder ab. Dabei ist das Verhältnis aus Aufnahme und Abgabe äquivalent, sodass wir im täglichen Leben nichts davon mitbekommen." Sie erreichten eine Tür im Keller und blieben vor dieser stehen. "Wenn ein Lebewesen geboren wird, erbt es einen Teil des Lebensstromes und macht es sich zu eigen. Diese Energie, dieses Fragment des Kosmischen Willens nenen wir meist Seele. Das Ich, das Selbstreflektierende. Wenn diese Energie verloren geht ... nun, man existiert weiter dank des Lebensstromes, doch ob man dies noch Leben nennen kann?"

"Aber was hat das alles mit der Sinfonie des Alls zu tun? Die Antwort darauf ist gleichzeitig eine Frage: Wenn Energie nicht verloren gehen kann sondern nur ihre Form wechselt, wo landet dann die Seele? Wo landet die Energie, welche von einem Schwarzen Loch absorbiert wurde?" Tomo drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete das alte Holztor, welches in den rostigen Angeln aufkreischte. Das Zimmer dahinter war dunkel und beherbergte ein alles ausfüllendes Hologramm. Es zeigte eine Kugel mit etlichen Schalen. "Was passiert, wenn man in einem Luftzug so hoch es geht fortgehend 'A' zu sagen? Der Ton wird tiefer, leiser - die Frequenz ändert sich. Was, wenn die Lebensenergie auch Frequenzen besitzt, die sich im Verlauf der Zeit einfach ändern? Nehmen wir an, dieses Universum, diese Dimension liefe auf Frequenz 440. Was würde passieren, wenn deine Existenz eine andere Frequenz annimmt, Kevin Anderson?" Besagter Kevin Anderson atmete tief ein, kratzte sich am Hinterkopf und sah Tomo etwas unsicher an, ehe er antwortete.

"Ich muss gestehen, dass ich in Physik nie eine große Leuchte war", begann er leise. "Aber das mit dem Energieerhaltungssatz leuchtet ein. Zwar kann Energie zwischen verschiedenen Energieformen umgewandelt werden, beispielsweise von Bewegungsenergie in Wärme. Es ist jedoch nicht möglich, innerhalb eines abgeschlossenen Systems Energie zu erzeugen oder zu vernichten: Die Gesamtenergie in einem abgeschlossenen System bleibt konstant." Er schwieg einen Moment. "Mir wurde einmal erklärt, dass ich meine Kräfte vom Manah selbst bekomme. Warum gerade ich so etwas kann, weiß ich nicht. Mir wurde aber gesagt, dass ich es nicht übertreiben darf. Sonst werde ich müde wie ich es jetzt bin. Ich kann sogar krank werden." Erneut eine kurze Pause. "Seele betrachten manche auch als das Vorhandensein von Bewusstsein, von Intelligenz und Verstand. Aber wenn ich alte Videos sehe, wie Tiere um andere trauern oder wie Pflanzen auf Musik reagieren... Meinst du, alles was lebendig ist, hat auch eine Seele?" Er lauschte ihrer Erklärung von Aufnahme und Abgabe und genau das selbe hatte der Fuchs ihm einst erklärt. "Du meinst also, man kann seine Seele verlieren, trotzdem weiter existieren? Und wie sieht das dann aus?"

Kevin betrachtete das riesige Hologramm. Es zeigte eine Kugel mit etlichen Schalen. "Hier könnte man fleissig philosophieren", antwortete Kevin. "Über Wiedergeburt, über alternative Realitäten... Wenn wir über Frequenzen und deren Veränderungen reden... Da stelle ich mir das Gefüge der Welt wie Gitarrensaiten vor. Vielleicht bringt ein Vaishara sie zum Schwingen, wenn er seine Kräfte nutzt oder Energie abzapft. Allerdings kann auch interpretieren, dass wir Vaishara vielleicht garnicht in diese Welt gehören und eine Veränderung zur Vernichtung führen kann... oder zu einer großen Kettenreaktion, die eine Veränderung mit sich bringt." Er atmete tief durch, wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Puh, ich hab mich immer für recht clever gehalten, aber du bringst meinen Schädel grad echt zum Rauchen. Aber es macht Spaß, mal über solche Dinge nach zu denken. Wir können über völlige Annihilierung sprechen, von Veränderung... oder von endloser Macht, wenn man nur wüsste, wie." Er sah Tomo neugierig an. "Du meinst, hinter solchen Fragen liegen die Antworten auf den Grund der Existenz der Vaishara? Eine Entschlüsselung eines "Lebens-Codes?"? Man könnte eine Menge Gutes bewirken, vielleicht sogar den Nebel verstehen. Aber leider gibt es auch eine Menge böser Wesen da draussen, Mensch und Vaishara gleichermaßen..."
 
[Vereinbarter Treffpunkt vor dem Arcana-High Gelände]

Toxin sah auf die große Uhr über dem hohen Torbogen, durch den die vielen Schüler das Gelände der Arcana-High betraten. Beide Zeiger sagten ihr das Hawksworth genug Zeit hatte sich wie vereinbart zu melden und sie wollte den Strom aus Leuten nutzen, um von Anfang an in der Menge unterzutauchen. Wie in dem Dossier beschrieben, trugen die Schüler vereinzelt eine Uniform, aber der Konsens der Einheitskleidung war weit von einer Übereinstimmung entfernt. Sie beobachtete eine Gruppe aus Mädchen die zu ihr herüber blickten, nahe genug um ihre scharfen Zungen peitschen zu hören. „Sieh nicht direkt zu ihr. Das Schattengewächs hat eine Schultasche mit dem Arcana Emblem. Schonmal was über Sie gehört? Ist das eine neue Schülerin?“ Toxin konnte es nicht genau beschreiben, aber diese Art der Aufmerksamkeit lies diese eine Stelle an ihrem Hinterkopf jucken. Ihre Blicke waren unangenehm, obwohl keine Bedrohung von Ihnen ausging. „Hätte ich von gehört. Vielleicht vom Alter her mehr eine Lehrhilfskraft. Würde mehr Sinn machen. Hey, sie sieht zu uns rüber, lass uns weiter.“ Die Gruppe verschwand im Fluss der Menge, der durch das Tor trieb und Toxin atmete erleichtert aus. Sehr wohl verwundert über ihre eigene Reaktion. Es blieb nur keine Zeit mehr, weder für den Agenten des Militärs noch für Sie, hier Gedankenversunken eins mit der Vegetation zu werden. Sie wusste in ihren Gedanken zu versinken war wie das Tauchen in einer ausrangierten Badewanne. Es würde nichts bringen und ziemlich blöd aussehen. Mit sortiertem Kopf machte sie den ersten Schritt und verschwand im unkoordiniertem Treiben der Schülerschaft, wie der Schäferhund im Flock. Die jungen Leute lachten, wurden laut und manche hielten sich an den Händen, als würden sie befürchten einander in der Menge zu verlieren. Es waren viele Eindrücke die auf sie einprasselten, doch eines half ihr die Ruhe zu bewahren. Eine simple und praktische Vorstellung, die für ihren phantasielosen Verstand beinahe einem Quantensprung glich. Es war laut wie inmitten einer Viehherde. Umgeben vom Schafen war sie der Hund, der über all das Geplapper die Ohren gespitzt hielt um die Raubtiere zu hören. Ihre Sinne wahren darauf geschärft die Vaishara, die Wölfe unter den Schafen auszumachen. Das war ihr Auftrag. Sie war nicht hier um etwas um das viele Gerede zu geben, sondern um einen Job zu erledigen.

„Hallo meine Schöne. Oh du mysteriöses Geschöpf das mir im Traum als Schemen erschienen ist und nun Gestalt angenommen hat um das Loch in meinem Herzen zu füllen. Deine schweren Blicke, deine angespannten Bewegungen sind wie ein Schrei nach Hilfe. Doch verzage nicht, den Noah Asura, das Strahlende Licht, das Epizentrum zweier Kulturen und Gott der Liebe, wird dich retten!“ Gerade noch dachte sie an Schafe als ein bunt angezogener Vogel vor ihr in die Menge sprang und ein Kreis um sie beide gebildet wurde. Hätte sie seine Stimme nicht gehört, hätte sie bei dem Anblick der Gestalt glatt an ein Mädchen gedacht. Oder einen Papagei. Er hatte wild gefärbte, stachelige Haare, lange Wimpern und zu allem kunterbunten Überfluss, besaßen seine Augen jeweils einen Grün- und einen Blauton. Eine wandelnde Farbpalette die mit lauter Stimme malte.
Einige der Mädchen um sie herum hielten überrascht den Atem an, als sich der junge Mann mit Namen Noah Asura vor ihr verbeugte und seine Hand anbot. „Du bist wie ein ungeschriebenes Blatt, ein unberührtes Gemälde das mit Farben gefüllt werden will. Das habe ich beim ersten Blick sofort erkannt, oh du meine mysteriöse Unbekannte. Meine Künstlerseele schrie, als sie dich sah.“ Toxin glaubte das sie einige Schülerinnen schmachtend Seufzen gehört hatte. „Hör mal ich-“, wollte sie das Gespräch beenden und so schnell wie möglich wieder die Aufmerksamkeit von sich lenken, als Noah der Papagei ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen legte und belustigt mit dem Kopf schüttelte. „Ich kann es in deinen Augen ablesen, dass du nur selten von deiner bezaubernden Stimme Gebrauch machst. Deshalb möchte ich, dass du sie dir für eine ganz besondere Antwort aufsparst meine mysteriöse Unbekannte. Bitte höre was dein Künstler und Gott der Liebe dir zu sagen hat.“ Ging es nur ihr so oder hielten die Leute wirklich ihren Atem an?

„Willst du mit mir, Noah Asura, dem Höllenfeuer lodernder Leidenschaft, dem Künstler knisternder Kameradschaft auf dem Pfad der Liebe und Schulvertreter des Musik- und Kunstkurses … “ Jetzt war sich Toxin sicher das die Leute den Atem anhielten, denn sie konnte nur ihren eigenen hören. Doch dann brach, zur Erlösung vornehmlich der Außenstehenden, das letzte bisschen lodernde Luft aus dem bunten Asura. „ ...gehen?“

Die Schüler um sie herum reagierten sehr unterschiedlich, was meist mit ihrem Geschlecht zusammenhing. Einige der Jungen schlugen sich mit der Flachen Hand vor die Stirn, wobei die coreographische Abstimmung viel zu einstudiert wirkte, als das es sich hier um einen Einzelfall handelte. Hingegen konnte sie bei den Mädchen einen erhöhten Blutdruck um die Wangen ausmachen und selbst ihr entging die Komik nicht, als sie die Schülerinnen wiedererkannte, die vor dem Tor über Sie gesprochen hatten. Doch was sollte sie jetzt tun? Sie war schon mehr in den Vordergrund gerückt als es ihr lieb war. Am besten sie sagte Nein zu ihm und ging ihrer Wege und es lag ihr schon auf der Zunge als sie erneut in seine Augen sah. Doch dann überlegte sie.

„Okay. Gehen wir.“

Zum allgemeinen Erstaunen des Schülerkreises willigte sie auf Noahs Angebot ein. Sie verstand nicht ganz warum man um die bitte einer einfachen motorischen Handlung, wie mit jemanden zu Gehen, so einen Trubel veranstaltete. Doch dann wiederum handelte es sich hier um junge Menschen in der allgemeinen Ausbildung.

„Sie hat echt ja gesagt … Ich meine, du hast weise entschieden, oh meine mysteriöse Unbekannte. Aber bitte sage mir deinem Künstler, wie ist der Name meiner neuen Muse?“

„Niko Clarks. Nett dich kennenzulernen Noah Asura.“
 
[Mitten in der Nacht: Unterwegs]

Herausfordernd funkelte er den Dritten an, ehe er nach vorne zuckte und versuchte, beide Arme des Typen beiseite zu schlagen, ehe er ihm das Knie in den Unterleib rammen wollte. Der Kerl grinste jedoch nur und für Marcus fühlte es sich an, als wäre er gegen Granit getreten. "Du bist schnell, Kleiner, aber mir bist du nicht gewachsen!" Er holte mit der Rechten aus und schlug nach seinem Gesicht, doch dank seiner Fähigkeiten konnte Marcus rechtzeitig reagieren und seinen Oberkörper zur Seite lehnen. Die Faust traf auf die Mauer hinter ihm. Ein Zusammentreffen, welches Letztere nicht überlebte. Trotz dieser beeindruckenden Stärke mangelte es seinem Gegner aber nicht an Agilität und sofort setzte er mit der Linken nach, doch auch dieses Mal verfehlte er sein Ziel und sprengte einen kleinen Krater in den Asphalt. Marcus Kraft erlaubte ihm, ausweichen zu können, doch er wurde daran gehindert, zu den Mädchen aufzuschließen.

"Du hast keine Chance", grinste sein Gegner amüsiert, als in der Luft hinter ihm ein Schatten auftauchte. Der Rocker konnte gerade noch zur Seite rollen, als das Mädchen aus dem Supermarkt vor Marcus landete, das Holzschwert fest in der Hand. "Wieso bist du ausgewichen?", fragte sie den Kerl, während ihre Augen den Boden anzustarren schienen. Ihr Widersacher erhob sich, wischte sich etwas Blut von der Wange und betrachtete sie schweigend, ehe sie sich erhob und das Schwert schulterte. Ihr langes brünettes Haar wehte in einer leichten Brise. "Du kannst eine Mauer mit deiner bloßen Faust sprengen, wieso bist du dann gerade ausgewichen?" Sie grinste ekstatisch und blickte über ihre Schulter. "Ich wette, deine Fähigkeit ist das rasche Ändern der Körperstruktur. Damit können Knochen die Stabilität von Titan annehmen. Du scheinst jedoch eine recht schwache Hexe zu sein, denn es reicht gerade einmal zu einem partiellen Wechsel, nicht wahr? Wie es aussieht, kannst du nur ein Körperteil gleichzeitig ändern. Wie enttäuschend ..."

In Windeseile hatte sie sich umgedreht und in die Hocke begeben, ehe sie sich abstieß und auf ihn zurannte. Der Junge riss die Faust in den Boden und sprengte den Asphalt zwischen ihnen. Staub und Gesteinsbrocken wurden aufgewirbelt, und das Mädchen musste zurückspringen, um nicht in eine Falle zu tappen. Just in diesem Augenblick kam der Kerl auf sie zugehechtet, mit der rechten Faust ausholend. Auch sie verstärkte den Griff um das simple Holzschwert, hielt es wie einen Baseballschläger und schlug zu. Nicht jedoch, ohne Marcus einmal kurz anzusehen. Selbst das Ändern eines Körperteils reichte meist aus, um gegen einen Gegner anzukommen. Aber sie war nicht alleine. Es klang, als wären zwei Schiffe ineinander gedonnert, als sich das Holzschwert des Mädchens und die gestählte Faust des Mannes trafen. Das Mädchen rutschte einen Meter nach hinten, doch sie konnte - zum Erstaunen ihres Kontrahenten - den Schlag parieren. Sie grinste maliziös. "Das ist nicht die einzige Überraschung, Freundchen!" Kaum gesagt, spürten sie einen Luftzug neben sich. Der Kerl versuchte noch, zu wenden und Marcus Angriff zu parieren ...


[Mitten in der Nacht: Ai's Apartment]

Mit der Ruhe und Gleichmäßigkeit einer Atomuhr zuckte der Graph auf dem Monitor. Als Sharon so weitersprach, geriet er jedoch aus dem Rhythmus. Es war, als wäre die Luft trocken und schwer. Selbst der Boden schien ein wenig zu zittern. Ein Glas mit Wasser fiel vom Nachttisch und zersprang in tausende kleine Splitter, während das kalte Nass den Boden befeuchtete. Mina und ihre Schwester sahen sich an, ehe sie Sharon an der Schulter berührten und bedeuteten zu gehen. Draußen angekommen, schloss Mina die Türe wieder. "Sie scheint ... sauer zu sein", murmelte sie und seufzte. "Hat er dir wirklich nichts erzählt?", hakte sie nach, "Du musst wissen, sie ist nicht wirklich ..." Doch ihre Schwester brachte sie mit einem Räuspern zum Schweigen. "Es steht uns nicht zu darüber zu reden. Er wird es seinen Freunden offenbaren, wenn die Zeit gekommen ist ...", flüsterte Nina. Der Blick ihrer Schwester barg Zweifel und Ungemach. Just in diesem Augenblick betraten Nathan und Travia das Zimmer wieder. Es schien, als hätten sie Ai's Puls gespürt, denn ihr Bruder blieb vor ihrer Türe stehen. "Jaina Remilia Mayer, es reicht, beruhig dich! Es ist nicht ihre Schuld." Stille, dann verschwand das kleine Beben. Nathan packte Sharon bei der Hand und verließ die Wohnung mit ihr und Travia wieder, nachdem er Mina und Nina noch versprach, dass er morgen wiederkomme. Sharon stand gerade an der Türschwelle, als sie schwören konnte, dass sie eine ihr unbekannte Stimme vernahm. Die Stimme eines aufgebrachten Mädchens.

'Idiot ...'


[Mitten in der Nacht: Tomos Haus]

Tomo betrachtete das Hologramm nachdenklich mit einem Anflug von Nostalgie in den Smaragdaugen. "Nicht nur die Vaishara ... der Grund jeglicher Existenz ... Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Tomos Eltern haben lange nach den Antworten gesucht ... Auch Tomo sucht danach. Viele tun das. Viel Gutes kann daraus entstehen ... Aber auch viel Böses ..." Sie wischte sich Wasser, das von ihrem nassen Haar auf ihre Wangen getropft zu sein schien, aus dem Gesicht, drehte sich wieder um und ging. Nachdem auch Kevin den Raum verlassen hatte, sperrte sie die Türe wieder ab und ging die Treppe hoch. Das Haus war definitiv riesig, aber immer noch gab es keinerlei Anzeichen von weiteren Bewohnern. Im großen Flur hallten ihre Schritte kalt und endlos wider. "Es ist schon spät", murmelte sie, "Tomo nimmt an, Du möchtest nach Hause ... Tomo könnte Dir ansonsten anbieten, die Nacht hier zu verbringen ..." Ihre Stime war monoton wie auch sonst immer, die Smaragdaugen betrachteten Kevin Anderson indes mit Interesse.


[Mitten in der Nacht: Unterwegs]

Kalina und das Mädchen liefen so schnell sie konnten, doch da ihre Begleitung bereits ziemlich angeschlagen war, mutete die Flucht geradezu lächerlich an. Ihre beiden Verfolger schienen keinerlei Eile zu haben und hielten gerade so viel Abstand, um die beiden anzuspornen, weiterzulaufen. Doch da tauchte ein weiteres Mädchen auf und schien sich mit ihnen anlegen zu wollen. Zoe war bereit, den beiden eine Abreibung zu verpassen, musste sich jedoch davor hüten, den beiden in die Augen zu blicken. Einer knurrte bereits wütend, als hinter ihnen Schritte zu hören waren. Marcus und das Mädchen kamen auf sie zu, kesselten sie ein. Wie in die Enge getriebene Wölfe rissen sie den Kopf hin und wieder her, ihre Augen weit aufgerissen. Während der eine, ein untersetzter Glatzkopf eher nach einer Fluchtmöglichkeit suchte, wurde der andere, dessen Körper von unzähligen Piercings geziert war, in Flammen gehüllt. Ein Pärchen ging an der gegenüberliegenden Straße ihres Weges, als sie der Gruppe ansichtig wurden und schreiend das Weite suchte. Nur wenige Augenblicke ertönte der Lärm von Sirenen. "Mich kriegt ihr niemals, ihr Ärsche! NIEMALS!" Zoe und Marcus machten sich auf einen Angriff gefasst, welchen sich das Mädchen anscheinend schon herbeisehnte. Doch zu aller Beteiligten Überraschung ging Kalina auf ihn zu und stellte sich direkt vor ihn hin, die ihr entgegenzüngelten Flammen ignorierend. Ihre Augen strahlten Zuversicht aus, als sie eine Faust des Mannes in die Hände nahm, die sofort Feuer fingen. "Es ist gut. Es ist vorbei. Gleich kommt eine Streife der Inneren Sicherheit. Lauf und versteck dich, sonst werden sie dich töten!" Die Flammen verschwanden und man konnte dem Mann ansehen, dass er unschlüssig war. Dann jedoch schnappte er sich Kalina und hielt ihr ein Klappmesser an die Kehle. "Wenn auch nur einer von euch Losern einen Schritt vorwärts macht, ist die Kleine tot, verstanden?!" Niemand rührte sich, das Mädchen knurrte leise und umfasste ihr Holzschwert fester. "Du bist nicht zufällig schnell genug, um sie zu retten, oder?", flüsterte sie in Marcus' Richtung, aber dieser war sich selbst nicht sicher. Der menschliche Reflex könnte zu schnell sein und Kalinas Leben kosten. So schüttelte er lediglich den Kopf. Der Glatzkopf nutzte die allgemeine Konfussion und lief so schnell er konnte davon. Das Geheule der Sirenen wurde lauter, kam immer näher.

"Wenn sie erst da sind, werden sie keine Kompromisse machen ...", gab Kalina unter Ächzen von sich, doch das schien ihren Peiniger nur noch mehr anzustacheln. "Hast du es etwa eilig, zu sterben, Schlampe?!" Die Flammen erschienen wieder und begannen langsam, an ihren Schultern entlang zu kriechen. "Die Idioten von der Inneren Sicherheit sind nicht fähig ihresgleichen zu gefährden, Mensch. Mit dir als Geisel komm ich hier raus. Oder du stirbst mit mir." Die Situation fing an zu eskalieren. Zoe geriet langsam in Panik. Was, wenn ihr wirklich etwas zustoßen sollte? Was, wenn die IS einen Scan verlangten und sie alle aufflogen? Sie könnten alle sterben - und das nur wegen dieses einen Trottels! Zornig starrte sie ihm in die Augen - und dann geschah es. Die Hexe ließ vom Messer ab und stieß Kalina kreischend von sich. "Wir werden alle sterben!", schrie er und verfiel in irres Lachen, ehe er davontorkelte. Noch immer war er in Flammen gehüllt und er lachte, als gäbe es einen Grund zur Erheiterung. "Sie werden uns finden und einen nach dem anderen auslöschen ...", lachte er in sich hinein, während Tränen Sturzbächen gleich über seine Wangen flossen. Ein gleißendes Licht umhüllte ihn und er breitete seine Arme in freudiger Erwartung aus. "Seht ihr nicht das Licht? Das Licht wird uns retten! Das Licht wird ..." Mehr konnte er nicht sagen, als er frontal von einem Airshuttle getroffen wurde und mehrere Meter durch die Luft segelte. Blut spritzte auf die Straße und das Shuttle kam schlitternd zum Stehen.

Die Gruppe blieb wie angewurzelt stehen, während Kalina in die Knie ging und den Brechreiz zu unterdrücken versuchte. Ein Streifenwagen kam um die Ecke des Supermarkts und hielt vor der Gruppe an. Zwei Männer mit ein Auge verdeckenden Visoren traten auf sie zu, schienen die Lage zu scannen. Ein Blick zum Leichnam brachte die Scanner zu unheilvollem Leben. "Eine Hexe", raunte einer der beiden und wandte sich an die Gruppe. Ehe einer der Scanner jedoch anschlagen konnte, trat das Mädchen an sie heran. "Dem Demiurgen sei Dank, dass Sie endlich gekommen sind. Meine Freundin und ich wurden plötzlich von dieser Hexe und deren Kumpels überfallen. Wir dachten schon, die würden uns umbringen!" Die beiden Offiziere sahen einander an, dann richtete einer seinen Visor auf sie. Dieser schwieg. Als sie hinter das Mädchen blickten, sahen sie nur die dunkle Gasse und das beinahe vergewaltigte Mädchen. "Sag mal, Kind, wo sind deine Freunde hin?" Das Mädchen machte große Augen. "Wen meinen Sie? Außer uns ist doch niemand hier." Langsam versammelten sich immer mehr Schaulustige. "Aber ich könnte schwören ...", fing der andere an, wurde aber vom Mädchen unterbrochen. "Bitte, können Sie uns ins nächste Krankenhaus bringen! Meiner Freundin geht es nicht gut!" Die Offiziere seufzten, dann nahm einer das bewusstlose Mädchen und fuhr davon, während der andere die Menschenmenge verscheuchte und sich daran machte, den Unfall zu untersuchen. Kalina und die anderen waren indes längst wieder auf dem Weg zu ihrer Wohnung. Kalina war noch immer kreidebleich und musste von Marcus gestützt werden, während Zoe den Wohnungsschlüssel an sich nahm und aufsperrte. Wäre dieses mysteriöse Mädchen nicht gewesen, wer wusste schon wie wohl alles ausgegangen wäre? An der Wohnungstüre angekommen, fanden sie auch Nathan, Sharon uns Travia, die wohl auf ihre Rückkehr gewartet haben. Als Nate Kalina sah, lief er zu ihr und schwang sie sich sachte auf seine Arme. Zoe sperrte die Tür auf und sie alle verschwanden in der Wohnung. "Was ist denn passiert?", wollte Sharon wissen, währen Nathan Kalina auf ein Sofa legte und ein Glas Wasser holte. Travia nickte. "Genau. Was ist nun wieder geschehen?"


[Vereinbarter Treffpunkt vor dem Arcana-High Gelände, etwas abseits in den Schatten]

Noch immer murmelten die Leute von der neuesten Kunde, dass der schräge Noah eine Freundin abbekommen habe. Die Kinder zerrissen sich im wahrsten Sinne des Wortes die Mäuler. Ein Schatten fernab des Trubels lachte nur leise. Strähnen des feuerroten Haars fielen ihm ins Gesicht, als er zu Boden blickte. Ein rubinrotes Auge betrachtete Niko Clarks mit brennenden Spott. Der Blick des roten Auges wanderte zu William Archer und ein Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. "Du kennst deine Mission?", fragte General Gray, während er sich eine weitere Zigarette in den Mund schob. Das Feuerauge blickte über die Schulter, als sich der Glimmstengel von alleine entzündete. "Was ist mit den beiden? Sie könnten mir in die Quere kommen ..." Lucien Gray hielt inne und sah nun ebenfalls zu Toxin. Sie schien sich bereits in den Schulalltag hineingelebt zu haben. "Mach, was du für nötig erachtest, Crowley ..." Die Schultern des Angesprochenen zitterten, während er sich benommen den Kopf hielt. "Ich dachte, Euch liegt etwas an diesem Gör ..." Der General wandte den Blick von Toxin ab und zuckte mit den Schultern. "Kollateralschaden." Dann ging er wieder, stieg in ein Airshuttle und verschwand. Zurück blieb der Schatten, welcher sich noch immer den Kopf hielt. Sein Grinsen blitzte in den Schatten auf, ehe es wieder in der Dunkelheit verschwand.
 
[Vereinbarter Treffpunkt vor dem Arcana-High Gelände]

Archer hielt sich neben Toxin, schwieg jedoch und sah sich um. Die Schule war wirklich groß und obwohl er eigentlich Erfahrung in Sachen Infiltration hatte, war so eine große Schule mit so vielen Schülern doch etwas neues für ihn. Schwierig war es, hier effektiv die Augen offen zu halten und gleichzeitig aufzupassen, ob man sich nicht selber im Blickfeld eventueller Zielpersonen befand. Da half es wenig, dass Archer rote Augen und graue Haare hatte. Archer sagte sich, dass andere Leute auch merkwürdige Augen- und Haarfarben hatten und das ganz normal war, doch es half wenig bei dem Gefühl, in so einer großen Menschenmasse einfach nicht die Übersicht zu haben. Doch ging es ja auch darum, Hexen aufzuspüren, die zweifellos irgendwann aus der Menge herausstechen würden. Sein Blick wanderte kurz zu Toxin - Niko Clarks - und dann über den Strom der anderen Schüler. Die meisten waren ausgelassen am Herumalbern, am Lästern, am Gähnen. Archer musste zugeben, dass er sie ein wenig beneidete. Sorglose Zeiten, dachte er sich. Bei mir lange vorbei. Er war wohl kurz in Gedanken versunken gewesen und als er wieder zu Toxin sah, war diese verschwunden. Also beschloss William Archer, langsam nach seiner Klasse zu suchen. Auch er schob sich durch die Menge weiter, ehe sich unweit vor ihm ein Kreis in der Menge bildete.

Archer sah Niko und einen bunt gekleideten Typen in der Mitte dieses Kreises und Archer trat langsam näher, sah noch, wie sich der Junge vor Niko verbeugte. "Du bist wie ein ungeschriebenes Blatt, ein unberührtes Gemälde das mit Farben gefüllt werden will. Das habe ich beim ersten Blick sofort erkannt, oh du meine mysteriöse Unbekannte. Meine Künstlerseele schrie, als sie dich sah." An dieser Stelle zeigte Archer - wie einige andere Jungen in der Nähe auch - einen Blick, als hätte er eine riesige, tanzenden Spinne vor sich, eine Mischung aus Verwunderung und Entsetzen. "Hör mal ich-", begann Niko doch der Junge legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen. "Ich kann es in deinen Augen ablesen, dass du nur selten von deiner bezaubernden Stimme Gebrauch machst. Deshalb möchte ich, dass du sie dir für eine ganz besondere Antwort aufsparst meine mysteriöse Unbekannte. Bitte höre was dein Künstler und Gott der Liebe dir zu sagen hat. Willst du mit mir, Noah Asura, dem Höllenfeuer lodernder Leidenschaft, dem Künstler knisternder Kameradschaft auf dem Pfad der Liebe und Schulvertreter des Musik- und Kunstkurses gehen?" Archer fühlte sich wie bei einem Unfall: Es war schwer, hin zu schauen, aber weitergehen war auch irgendwie schwierig. Am Ende riss er sich von dem bizarren Aufeinandertreffen los, schob sich durch die Schülermassen und sah sich im Flur der Schule nach einer Pinnwand mit dem Stundenplan um.

Diesen fand er schließlich und als er die Nummer des Klassenzimmers hatte - oder eher die Nummer des Raumes, in der die ersten beiden Stunden stattfanden - machte er sich auf den Weg und sah sich an den Wänden nach Richtungsanweisungen bezüglich der Raumnummern um. Dann plötzlich stieß er mit jemandem zusammen, einem Mädchen, welches ihre Schultasche fallen ließ und auch Archers schwarzer Lederkoffer ging zu Boden. Zu allem Überfluss sprang Archers Koffer auf und auch aus der Tasche des Mädchens rutschten ein paar Ordner. Sofort schlug Archers Herz ihm bis zur Brust: Er hatte Glück gehabt, dass das Geheimfach des Koffers nicht aufgesprungen war und Blaster und Messer damit enthüllt hatten. Es war ohnehin komisch genug, dass der Koffer aufgegangen war und Archer beschloss, sich einen neuen zu besorgen. "Kannst du nicht aufpassen, du Blödmann!" Erst jetzt konzentrierte sich Archers Aufmerksamkeit auf das Mädchen vor sich, welches sich nun hinkniete und ihre Sachen aufhob. Archer tat es ihr gleich. "Tut mir leid", begann er und packte sorgsam seine Sachen wieder in den Koffer. Schon erhob sich das Mädchen und sah auf ihn hinab wie eine drohende Gestalt aus Gruselfilmen.

"Kannst du nicht ein bisschen aufpassen, wohin du gehst?" donnerte die Stimme des Mädchens und Archer sah nach oben und hätte fast schwören können, dass in den Augen des Mädchens glühende Feuer loderten. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre Archer wohl auf der Stelle nieder gestreckt worden. Ein anderes Mädchen, zierlich und mit blonden Haaren, war nun an der Seite ihrer größeren, sportlicheren Freundin und zupfte an ihrem Ärmel. "Du Reika, lass ihn doch... Er hat sich entschuldigt!" Das Mädchen namens Reika jedoch ignorierte ihre Freundin und fixierte weiter Archer mit tödlichen Blicken. "Das interessiert mich nicht", knurrte Reika und Archer befürchtete schon, dass sie auf ihn losgehen würde. Über den Rand seiner Brille fixierte er sie nun mit seinen weinroten Augen und konzentrierte sich. Zusätzlich zu seiner Fähigkeiten, Illusionen in die Köpfe seiner Opfer zu pflanzen hatte er auch die Gabe, vage ihren Verstand zu beeinflussen. "Geh doch einfach, mehr als entschuldigen kann ich mich nicht", sagte er mit befehlendem Tonfall - den Reika einfach ignorierte, die Macht seiner Stimme und seines Blickes abschüttelte, als sei sie immun. "Ich glaub ich spinne, so eine Frechheit!" "Reika-", versuchte es ihre Freundin erneut - erneut vergebens.

"Du hast genau so wenig aufgepasst, wohin du gehst", rutschte es Archer schneller heraus, als er nachdenken konnte. Zwar wusste er, dass Menschen mit Willenskraft seinen Befehlen widerstehen konnten, doch dieses Mädchen... hatte etwas. Und das irritierte ihn. "Sonst wärst du ausgewichen. Du bist also genau so Schuld an unserem unglücklichen Zusammentreffen wie ich." Nun erhob sich Archer, seinen Koffer wieder in der Hand. Er hielt Reikas durchdringenden Blick stand, bis es fast schon schmerzte, nicht zu zwinkern. Es schien, als würde die Zeit stehen bleiben und Archer fühlte sich wie in den alten Ganoven-Filmen, wo sich die Schurken gegenüber standen und es nur darum ging, wer zuerst die Waffe in der Hand hatte um zu feuern. Erst das erste Läuten der Schulglocke, welches den Beginn der ersten Stunde in 5 Minuten ankündigte, beendete die Anspannung. Fast wiederwillig wandte Reika ihren Blick ab und folgte ihrer Freundin und Archer schluckte hart, atmete erleichtert aus und machte sich auf den Weg, immerhin wollte er bei der ersten Stunde nicht zu spät kommen.

[Mitten in der Nacht: Unterwegs]

Herausfordernd funkelte er den Dritten an, ehe er nach vorne zuckte und versuchte, beide Arme des Typen beiseite zu schlagen, ehe er ihm das Knie in den Unterleib rammen wollte. Der Kerl grinste jedoch nur und für Marcus fühlte es sich an, als wäre er gegen Granit getreten. "Du bist schnell, Kleiner, aber mir bist du nicht gewachsen!" Er holte mit der Rechten aus und schlug nach seinem Gesicht, doch dank seiner Fähigkeiten konnte Marcus rechtzeitig reagieren und seinen Oberkörper zur Seite lehnen. Die Faust traf auf die Mauer hinter ihm. Ein Zusammentreffen, welches Letztere nicht überlebte. Trotz dieser beeindruckenden Stärke mangelte es seinem Gegner aber nicht an Agilität und sofort setzte er mit der Linken nach, doch auch dieses Mal verfehlte er sein Ziel und sprengte einen kleinen Krater in den Asphalt. Marcus Kraft erlaubte ihm, ausweichen zu können, doch er wurde daran gehindert, zu den Mädchen aufzuschließen.

"Du hast keine Chance", grinste sein Gegner amüsiert, als in der Luft hinter ihm ein Schatten auftauchte. Der Rocker konnte gerade noch zur Seite rollen, als das Mädchen aus dem Supermarkt vor Marcus landete, das Holzschwert fest in der Hand. "Wieso bist du ausgewichen?", fragte sie den Kerl, während ihre Augen den Boden anzustarren schienen. Ihr Widersacher erhob sich, wischte sich etwas Blut von der Wange und betrachtete sie schweigend, ehe sie sich erhob und das Schwert schulterte. Ihr langes brünettes Haar wehte in einer leichten Brise. "Du kannst eine Mauer mit deiner bloßen Faust sprengen, wieso bist du dann gerade ausgewichen?" Sie grinste ekstatisch und blickte über ihre Schulter. "Ich wette, deine Fähigkeit ist das rasche Ändern der Körperstruktur. Damit können Knochen die Stabilität von Titan annehmen. Du scheinst jedoch eine recht schwache Hexe zu sein, denn es reicht gerade einmal zu einem partiellen Wechsel, nicht wahr? Wie es aussieht, kannst du nur ein Körperteil gleichzeitig ändern. Wie enttäuschend ..."

Marcus war entsetzt: Der Kerl war also ebenfalls ein Vaishara! Und das Mädchen mit dem Holzschwert war clever genug, dies nicht nur zu bemerken sondern auch seine Kraft und seine Möglichkeiten zu analysieren. Ich muss höllisch aufpassen, ermahnte er sich und sah zu, wie das Mädchen den Typen angriff, dieser jedoch auf den Asphalt schlug und Staub und Gestein aufwirbelte und dann selber das Mädchen angriff. Marcus bemerkte ihren Blick und machte sich bereit. Als ihr Schwert und die Faust des Typen aufeinander prallten, krachte es gewaltig und das Mädchen rutschte etwas nach hinten. Doch das Grinsen des Mädchens verriet dem Typen, dass es nur ein Trick gewesen war. Er versuchte noch zu wenden doch Marcus hatte sich noch in Bewegung gesetzt, als die beiden anderen noch aufeinander zu hechteten. Marcus' Faust sauste schnell nach vorne und der Kerl drehte sich förmlich in den Schlag hinein, bot sein Gesicht regelrecht an, um kräftig hinein zu schlagen.Der Kerl bekam den Schlag voll ab und krachte mit dem Rücken gegen die Wand und ging zu Boden. Marcus konnte nur hoffen, es nicht übertrieben zu haben, sei es nun, um den Kerl nicht zu doll zu verletzen - oder um das Mädchen auf seine Gabe aufmerksam zu machen.

Sofort eilten das Mädchen und Marcus Kalina und dem anderen Mädchen hinterher und kesselten die beiden verbliebenen Typen ein. Während der eine, ein untersetzter Glatzkopf eher nach einer Fluchtmöglichkeit suchte, wurde der andere, dessen Körper von unzähligen Piercings geziert war, in Flammen gehüllt. Noch ein Vaishara! Marcus presste die Lippen vor Anspannung zusammen und ballte die Fäuste. Auf der anderen Straßenseite sah er Menschen, die schreiend das Weite suchten. "Mich kriegt ihr niemals, ihr Ärsche! NIEMALS!" Zoe und Marcus machten sich auf einen Angriff gefasst, welchen sich das Mädchen anscheinend schon herbeisehnte. Doch zu aller Beteiligten Überraschung ging Kalina auf ihn zu und stellte sich direkt vor ihn hin, die ihr entgegenzüngelten Flammen ignorierend. Ihre Augen strahlten Zuversicht aus, als sie eine Faust des Mannes in die Hände nahm, die sofort Feuer fingen. Erschrocken fiel Marcus' Blick auf ihre Hände. "Es ist gut. Es ist vorbei. Gleich kommt eine Streife der Inneren Sicherheit. Lauf und versteck dich, sonst werden sie dich töten!" Die Flammen verschwanden und man konnte dem Mann ansehen, dass er unschlüssig war. Dann jedoch schnappte er sich Kalina und hielt ihr ein Klappmesser an die Kehle.

"Wenn auch nur einer von euch Losern einen Schritt vorwärts macht, ist die Kleine tot, verstanden?!" Niemand rührte sich, das Mädchen knurrte leise und umfasste ihr Holzschwert fester. "Du bist nicht zufällig schnell genug, um sie zu retten, oder?", flüsterte sie in Marcus' Richtung, aber dieser war sich selbst nicht sicher. Der menschliche Reflex könnte zu schnell sein und Kalinas Leben kosten. So schüttelte er lediglich den Kopf. Der Glatzkopf nutzte die allgemeine Konfussion und lief so schnell er konnte davon. Sirenengeheul kam immer näher. Marcus zitterte vor Wut und vor Sorge. Sollte er es doch versuchen? Unmöglich, ohne sich vor dem Mädchen als Vaishara zu erkennen zu geben. Für Kalina war es das zwar wert, doch sie hatte das Messer direkt an der Kehle. Egal wie schnell Marcus auch wahr, es gab Dinge, die für die er nicht schnell genug war. Zu wahrscheinlich war es, dass Kalina verletzt wurde. "Wenn sie erst da sind, werden sie keine Kompromisse machen ...", gab Kalina unter Ächzen von sich, doch das schien ihren Peiniger nur noch mehr anzustacheln. "Hast du es etwa eilig, zu sterben, Schlampe?!" Die Flammen erschienen wieder und begannen langsam, an ihren Schultern entlang zu kriechen. "Die Idioten von der Inneren Sicherheit sind nicht fähig ihresgleichen zu gefährden, Mensch. Mit dir als Geisel komm ich hier raus. Oder du stirbst mit mir."

Die Situation fing an zu eskalieren. Zoe geriet langsam in Panik. Was, wenn ihr wirklich etwas zustoßen sollte? Was, wenn die IS einen Scan verlangten und sie alle aufflogen? Sie könnten alle sterben - und das nur wegen dieses einen Trottels! Zornig starrte sie ihm in die Augen - und dann geschah es. Die Hexe ließ vom Messer ab und stieß Kalina kreischend von sich. "Wir werden alle sterben!", schrie er und verfiel in irres Lachen, ehe er davontorkelte. Noch immer war er in Flammen gehüllt und er lachte, als gäbe es einen Grund zur Erheiterung. "Sie werden uns finden und einen nach dem anderen auslöschen ...", lachte er in sich hinein, während Tränen Sturzbächen gleich über seine Wangen flossen. Ein gleißendes Licht umhüllte ihn und er breitete seine Arme in freudiger Erwartung aus. "Seht ihr nicht das Licht? Das Licht wird uns retten! Das Licht wird ..." Mehr konnte er nicht sagen, als er frontal von einem Airshuttle getroffen wurde und mehrere Meter durch die Luft segelte. Blut spritzte auf die Straße und das Shuttle kam schlitternd zum Stehen.

Die Gruppe blieb wie angewurzelt stehen, während Kalina in die Knie ging und den Brechreiz zu unterdrücken versuchte. Sofort war Marcus bei ihr, doch ihm fehlten die Worte. Ein Streifenwagen kam um die Ecke des Supermarkts und hielt vor der Gruppe an. Zwei Männer mit ein Auge verdeckenden Visoren traten auf sie zu, schienen die Lage zu scannen. Ein Blick zum Leichnam brachte die Scanner zu unheilvollem Leben. "Eine Hexe", raunte einer der beiden und wandte sich an die Gruppe. Ehe einer der Scanner jedoch anschlagen konnte, trat das Mädchen an sie heran. "Dem Demiurgen sei Dank, dass Sie endlich gekommen sind. Meine Freundin und ich wurden plötzlich von dieser Hexe und deren Kumpels überfallen. Wir dachten schon, die würden uns umbringen!" Die beiden Offiziere sahen einander an, dann richtete einer seinen Visor auf sie. Dieser schwieg. Als sie hinter das Mädchen blickten, sahen sie nur die dunkle Gasse und das beinahe vergewaltigte Mädchen. "Sag mal, Kind, wo sind deine Freunde hin?" Das Mädchen machte große Augen. "Wen meinen Sie? Außer uns ist doch niemand hier." Langsam versammelten sich immer mehr Schaulustige. "Aber ich könnte schwören ...", fing der andere an, wurde aber vom Mädchen unterbrochen. "Bitte, können Sie uns ins nächste Krankenhaus bringen! Meiner Freundin geht es nicht gut!" Die Offiziere seufzten, dann nahm einer das bewusstlose Mädchen und fuhr davon, während der andere die Menschenmenge verscheuchte und sich daran machte, den Unfall zu untersuchen.

Kalina und die anderen waren indes längst wieder auf dem Weg zu ihrer Wohnung. Kalina war noch immer kreidebleich und musste von Marcus gestützt werden, während Zoe den Wohnungsschlüssel an sich nahm und aufsperrte. Wäre dieses mysteriöse Mädchen nicht gewesen, wer wusste schon wie wohl alles ausgegangen wäre? An der Wohnungstüre angekommen, fanden sie auch Nathan, Sharon uns Travia, die wohl auf ihre Rückkehr gewartet haben. Als Nate Kalina sah, lief er zu ihr und schwang sie sich sachte auf seine Arme. Marcus konnte nicht anders, als ihn merkwürdig anzusehen, immerhin war er doch bereits an Kalinas Seite, passte auf sie auf - doch vorher, als es wichtig war, da hatte er versagt. Zoe sperrte die Tür auf und sie alle verschwanden in der Wohnung. "Was ist denn passiert?", wollte Sharon wissen, währen Nathan Kalina auf ein Sofa legte und ein Glas Wasser holte. Travia nickte. "Genau. Was ist nun wieder geschehen?" Marcus sah wie in Trance von Kalina zu Zoe. Aiolos schlawenzelte um seine Füße herum und jaulte leise, als könne er die Unruhe in seinem Herrchen spüren.

"Ihr wart gerade weg. Zoe wollte sich die Beine vertreten und Kalina schlug vor, zum nahen Supermarkt zu gehen, damit sie uns ein leckeres Frühstück zaubern konnte." Marcus ertappte sich dabei, dass seine Stimme merkwürdig monoton klang, als würde eine digitale Ansage etwas einprogrammiertes herunter rasseln. "Im Supermarkt hab ich etwas länger gebraucht. Kalina ging bereits wieder nach draussen. Da waren... so Typen, die ein Mädchen überfallen haben. Kalina wollte helfen und so gerieten wir in ein ziemliches Schlamassel. Zwei der Typen waren Vaishara. Und da war dieses Mädchen mit dem Holzschwert, was keine Angst vor ihnen hatte und sogar die Schwächen von dem einen bemerkte... Am Ende hat einer, der Flammen erschaffen konnte, Kalina gepackt und mit einem Messer bedroht." An dieser Stelle ballte Marcus wieder die Hände zu Fäusten, zitterte vor Anspannung. "Ich glaub, das Mädchen mit dem Schwert hat geahnt, was ich drauf ab. Aber trotzdem hab ich Kalina nicht beschützen können... Ich wäre nicht schnell genug gewesen. Der Typ geriet in Panik, haute am Ende ab und wurde vom Airshuttle der IS erwischt. Wir konnten gerade noch abhauen. Das Mädchen mit dem Schwert blieb zurück."

Er mied die Blicke von Nathan, Sharon und Travia. Immer wieder sah er zwischen Zoe und Kalina hin und er und Zoe würde bei eventuellem Blickkontakt spüren, wie sehr etwas Marcus quälte, wie aufgewühlt er war. Er hasste es, dass er nicht schnell genug war, um Kalina hätte retten zu können. Auch war es ein Schock gewesen, Vaishara zu sehen, die ihre Kräfte auf solch eine Art und Weise gebrauchten. Beinahe wären sie erwischt worden. "Ich wäre nicht schnell genug gewesen", murmelte Marcus leise und seine Fäuste zitterten. Er sah zu Kalina. Wenn er noch länger im Supermarkt gebraucht hätte, hätte sie vielleicht ein schlimmes Schicksal ereilt. Marcus wusste, dass er unter Schock stand. Das Adrenalin, der Schrecken um Kalina und wegen dem Auftauchen der IS und der raschen Flucht... Er wusste, dass er zur Ruhe kommen sollte. Doch das konnte er nicht. "Nate, schau mal, ob Kalina irgendwo verbrannt ist. An den Händen oder so..." Er mied direkten Blickkontakt. Auch Zoe sah er nun nicht mehr an. Nur Kalina sah er noch kurz an, ehe er Aiolos auf die Arme nahm. "Ich weiß ja, dass so ein Mist echt jedem passieren kann", sagte er leise in die Runde.

"Für normale Menschen hätte so etwas schlimm ausgehen können. Vergewaltigung, schwere Körperverletzung. Vielleicht sogar mit dem Tod." Sein Stimme zitterte. "Aber ich..." Er machte eine Pause. "Niemand soll wegen mir leiden. Sei es nun, weil ich Mist baue oder weil ich nicht schnell genug bin, die Sache wieder auszubügeln." Er fixierte Nates Schuhe, dann die von Sharon. "Es tut gut, Freunde zu haben. Sich auf andere zu verlassen. Mit anderen vernünftig reden zu können. Aber diese Welt..." Er musste wieder an die irren Worte des Typen denken, ehe er vom Airshuttle erwischt wurde. "Ich glaube, wir gehören einfach nicht in diese Welt. Wir müssen doch echte Missgeburten sein, dass wir so gejagt werden. So gnadenlos, fanatisch, gründlich. Ich glaube, es ist besser..." Erneut machte er eine lange Pause, schritt durch das Wohnzimmer gen Balkon. "...wenn niemand wegen mir in Gefahr gerät, sich niemand auf mich verlassen muss und ich umgekehrt mich auf niemanden verlassen muss." Er stand nun auf dem Balkon, Aiolos noch immer auf dem Arm. Der Welpe winselte und leckte Marcus Hand. Mit dem Rücken zum Geländer hob Marcus den Kopf und sah nun zu Zoe, Sharon, Nate, Travia und zu Kalina. "So ist am Ende der größte Freundschaftsdienst von mir, dass ihr zumindest von mir keine Gefahr mehr zu erwarten habt. Ich... muss jetzt einfach alleine sein. So viele Gefühle... Da in der Gasse..."

Er wahrte Blickkontakt, obwohl es ihm schwer fiel, weiter zu sprechen. "Ein Teil von mir wollte 100% geben. Diese Typen zerlegen, ohne Gnade. So viel kann ich schaffen, aber so viel auch wieder nicht. So wenig weiß ich über meine Kräfte, über meine Grenzen... So sehr habe ich diese Typen gehasst! Und die IS-Bullen mit ihren Scannern..." Er schüttelte mit dem Kopf. Dann sah er über die Schulter. Die Straßen waren leer. Sofort lehnte er sich zurück, kippte vom Balkon. Er fiel, konzentrierte sich und nahm dem Aufprall jegliche Geschwindigkeit, als würde er sanft wie eine Feder landen. Elegant landete er auf den Füßen und eilte davon. Wohin wusste er selber nicht. Erst einmal einfach nur fort, sich vielleicht ablenken. Oder einfach laufen, bis endlich die gewollte Müdigkeit kam und er schlafen konnte, ins selige Vergessen abdriften und dabei Sorgen und Gefühle ausblenden konnte. Und er würde trainieren, das schwor er sich. Mit Aiolos auf dem Arm eilte er durch die leeren Straßen, doch immer wieder fiel er in ein normales Tempo zurück, da seine Emotionen seine Konzentration störten. Am Ende ging er entnervt zu sich nach hause, schloss die Wohnungstür hinter sich gut ab und setzte Aiolos auf der Couch ab.

Das Gefühl der Unruhe wollte einfach nicht weichen, doch hatte er keine Ahnung, was er nun machen sollte und obwohl er trainieren wollte, fehlte ihm nun die Geduld. Wütend starrte er die Wände an. Dann fiel sein Blick auf seinen Wecker, dessen Zeiger sich mal schnell, dann wieder unendlich langsam bewegte. Wütend packte er den Wecker und schmetterte ihn mit aller Kraft gegen die Wand, so dass Plastiksplitter und kleine Zahnräder in alle Richtungen davon flogen. Und dann, fast so schleichend wie die Vorstellung in der Gasse, in der er die Typen gnadenlos hingerichtet hatte, kam ihm ein Gedanke: Was, wenn du den Mann im weißen Mantel suchst? Um Hilfe bittest? Um Training? Kalina hatte auf dem Schulhof erzählt, dass es Gerüchte gab, er sei im Süden der Stadt zu finden und würde Hexen in Not helfen, unter gewissen Konditionen. Sicher hatte er keine Angst vor der IS, wusste genau, wie man seine Kräfte kontrollierte, verbesserte und deren Grenzen zu kennen lernte. Lange stand Marcus auf seinem Balkon und schaute gen Süden. "Ich muss dich ein wenig alleine lassen, Aiolos", sagte Marcus schließlich, den Blick noch immer in die Ferne gerichtet.
 
[Mitten in der Nacht: Ai's Apartment]

Mit der Ruhe und Gleichmäßigkeit einer Atomuhr zuckte der Graph auf dem Monitor. Als Sharon so weitersprach, geriet er jedoch aus dem Rhythmus. Es war, als wäre die Luft trocken und schwer. Selbst der Boden schien ein wenig zu zittern. Ein Glas mit Wasser fiel vom Nachttisch und zersprang in tausende kleine Splitter, während das kalte Nass den Boden befeuchtete. Mina und ihre Schwester sahen sich an, ehe sie Sharon an der Schulter berührten und bedeuteten zu gehen. Sharon war ziemlich perplex. Sie konnte sich denken, dass Ai das kleine Beben verursachte und ihr Mund stand vor Erstaunen offen. "Sorry, falls ich was falsches gesagt habe, Ai", sagte Sharon noch, während Mina und Nina sie nach draußen geleiteten. "Es war mir trotzdem ein Vergnügen... irgendwie." Dann schlossen die Schwestern die Tür auch schon und Sharon starrte die Tür verwundert an, als würde sie etwas magnetisch wieder ins Zimmer locken, nur um heraus zu finden, was dann geschehen würde. "Sie scheint ... sauer zu sein", murmelte Mina und seufzte. "Hat er dir wirklich nichts erzählt?", hakte sie nach, "Du musst wissen, sie ist nicht wirklich ..." Doch ihre Schwester brachte sie mit einem Räuspern zum Schweigen. "Es steht uns nicht zu darüber zu reden. Er wird es seinen Freunden offenbaren, wenn die Zeit gekommen ist ...", flüsterte Nina. Der Blick ihrer Schwester barg Zweifel und Ungemach. Just in diesem Augenblick betraten Nathan und Travia das Zimmer wieder. Es schien, als hätten sie Ai's Puls gespürt, denn ihr Bruder blieb vor ihrer Türe stehen. "Jaina Remilia Mayer, es reicht, beruhig dich! Es ist nicht ihre Schuld." Stille, dann verschwand das kleine Beben. Nathan packte Sharon bei der Hand und verließ die Wohnung mit ihr und Travia wieder, nachdem er Mina und Nina noch versprach, dass er morgen wiederkomme. Sharon stand gerade an der Türschwelle, als sie schwören konnte, dass sie eine ihr unbekannte Stimme vernahm. Die Stimme eines aufgebrachten Mädchens.

'Idiot ...'

Sharon hielt einen Moment inne, drehte sich um. Ihr Blick haftete wieder an der Zimmertür, dann sah sie kurz zu Nate. Ich glaube, manchmal hast du damit recht, Ai. Sie verabschiedete sich freundlich von Mina und Nina und auf dem Rückweg saß Sharon schweigend im Taxi und ließ das gesehene und gehörte noch einmal Revue passieren. Der Mann im weißen Mantel, Lakar, war also ein Aviati, einer von fünf Auserwählten der Götter. Wie kam es dann, dass Mina und Mina als Auserwählte auf ein kleines Mädchen im Koma aufpassten? War Ai benevolent? Oder malevolent? Gerne hätte sie Travia oder Nathan gefragt, wusste aber nicht, ob sie da überhaupt auf eine Antwort hoffen konnte. Nate verschwieg ihr eindeutig etwas und wenn sowohl Travia als auch die Schwestern meinten, Nate selber müsse mit der Sprache heraus rücken, dann hatte Sharon wohl keine Wahl als abzuwarten oder unwissend zu bleiben. Bei Kalinas Wohnung stellten sie fest, dass niemand dort war. Travia vermutete, dass sich die Marcus, Kalina und Zoe wahrscheinlich die Beine vertraten, denn schlafen würden sicher nicht. Sharon runzelte die Stirn. Möglicherweise war es noch zu gefährlich, im Freien zu sein, immerhin konnte es gut sein, dass das Militär sie noch suchte. Lange schaute Sharon zum Balkon. Sollte sie versuchen, nach oben zu schweben? Doch so etwas hatte sie nie zuvor versucht und deshalb trautete sie sich einfach nicht. "Wenn ich mich selber schweben lassen könnte, könnte ich zum Balkon fliegen und von innen die Tür öffnen", sagte sie etwas missmutig. Doch es dauerte nicht lange und Marcus, Zoe und die bewusstlose Kalina tauchten auf. Sie alle verschwanden in der Wohnung, wo Sharon fragte, was geschehen war und Marcus erzählte es ihnen. Es war ziemlich offensichtlich, dass Marcus sich die Schuld für Kalinas Zustand gab. Wohl stand er auch unter Schock, denn er zitterte. "Ja, so etwas kann jedem passieren, Marcus", sagte Sharon ruhig. "Es ist nicht deine Schuld!" Marcus schien ihre Worte einfach zu ignorieren.

"Niemand soll wegen mir leiden. Sei es nun, weil ich Mist baue oder weil ich nicht schnell genug bin, die Sache wieder auszubügeln." Marcus' Worte erinnerten Sharon auch ein wenig an sich selbst. "Es tut gut, Freunde zu haben. Sich auf andere zu verlassen. Mit anderen vernünftig reden zu können. Aber diese Welt... Ich glaube, wir gehören einfach nicht in diese Welt. Wir müssen doch echte Missgeburten sein, dass wir so gejagt werden. So gnadenlos, fanatisch, gründlich. Ich glaube, es ist besser wenn niemand wegen mir in Gefahr gerät, sich niemand auf mich verlassen muss und ich umgekehrt mich auf niemanden verlassen muss." Er stand nun auf dem Balkon, Aiolos noch immer auf dem Arm. Der Welpe winselte und leckte Marcus Hand. Mit dem Rücken zum Geländer hob Marcus den Kopf und sah nun zu Zoe, Sharon, Nate, Travia und zu Kalina. "So ist am Ende der größte Freundschaftsdienst von mir, dass ihr zumindest von mir keine Gefahr mehr zu erwarten habt. Ich... muss jetzt einfach alleine sein. So viele Gefühle... Da in der Gasse... Ein Teil von mir wollte 100% geben. Diese Typen zerlegen, ohne Gnade. So viel kann ich schaffen, aber so viel auch wieder nicht. So wenig weiß ich über meine Kräfte, über meine Grenzen... So sehr habe ich diese Typen gehasst! Und die IS-Bullen mit ihren Scannern..." Er schüttelte mit dem Kopf. Dann sah er über die Schulter und ließ sich vom Balkon fallen. Als Sharon beim Balkon war und nach unten sah, war Marcus bereits verschwunden. Sie schaute zu Nate, Zoe und Travia und verzog das Gesicht. "Ich hoffe sehr, dass er nach einer Mütze Schlaf wieder besser drauf ist. Nicht, dass er demnächst morgens mit der Nachricht auftaucht, Mist gebaut zu haben so wie ich heute früh..." Ihr Blick fiel auf Kalina. "Marcus hat sie wirklich gern... Ich hoffe, er beruhigt sich wieder." Sie ging in die Küche, machte allen etwas Tee. Ihr war nicht gerade zum Schlafen zumute und so setzte sie sich in den Sessel und streichelte führsorglich Kalinas Kopf. Dann sah sie zu Travia. "Du hast mir noch immer nicht klar erklärt, wie ich stärker werden kann. Daher schätze ich mal, dass Übung wohl den Meister macht, oder?"

[Mitten in der Nacht: Tomos Haus]

Tomo betrachtete das Hologramm nachdenklich mit einem Anflug von Nostalgie in den Smaragdaugen. "Nicht nur die Vaishara ... der Grund jeglicher Existenz ... Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Tomos Eltern haben lange nach den Antworten gesucht ... Auch Tomo sucht danach. Viele tun das. Viel Gutes kann daraus entstehen ... Aber auch viel Böses ..." Sie wischte sich Wasser, das von ihrem nassen Haar auf ihre Wangen getropft zu sein schien, aus dem Gesicht, drehte sich wieder um und ging. Nachdem auch Kevin den Raum verlassen hatte, sperrte sie die Türe wieder ab und ging die Treppe hoch. Das Haus war definitiv riesig, aber immer noch gab es keinerlei Anzeichen von weiteren Bewohnern. Im großen Flur hallten ihre Schritte kalt und endlos wider. "Es ist schon spät", murmelte sie, "Tomo nimmt an, Du möchtest nach Hause ... Tomo könnte Dir ansonsten anbieten, die Nacht hier zu verbringen ..." Ihre Stime war monoton wie auch sonst immer, die Smaragdaugen betrachteten Kevin Anderson indes mit Interesse.

Kevin lächelte und zuckte mit den Schultern. "Meine Eltern haben kein Problem damit, wenn ich weg bleibe. Ich kann auf mich aufpassen. Meistens. Ich glaube, ich bleibe besser hier. Ein zwölfjähriger Junge des Nachts auf der Straße kommt nicht so gut. Bist du müde? Dann schläfst du wohl besser und zeigst mir, wo ich schlafen kann, wenn mir danach ist. Oder hast du etwas zum Lesen für mich?" Einen Moment überlegte er. "Ich hätte da einige Fragen an dich, aber die Antworten gehen mich wahrscheinlich nichts an. Von daher denke ich, ich mach es mir irgendwo bequem und lese, bis ich müde genug zum Schlafen bin." Tomos Interesse bezüglich diverser Theorien hatte ihn angesteckt. Der Fuchs hatte ihm einst beigebracht, dass jeder einen Unterschied machen konnte. Und obwohl er selbst der Gewalt abgeschworen hatte, mochte es doch andere Möglichkeiten geben, etwas für die Welt zu tun, für Menschen und Vaishara gleichermaßen. Seine bernsteinfarbenen Augen ruhten auf Tomo und gern hätte er gewusst, wo ihre Eltern nun waren und warum sie hier so alleine wohnte. Doch er schwieg.
 
[Mitten in der Nacht: Unterwegs]

Kalina und ein fremdes Mädchen kreuzten ihren Weg, als sie das Ende der Gasse erreicht hatte. Die beiden wurden von den Randalierern verfolgt, doch Zoe wollte den beiden Mädchen helfen weiter zu flüchten und sich gegebenenfalls solange mit ihnen beschäftigen. Doch noch ehe sie dazu kam, erblickte sie das Marcus und das Mädchen aus dem Supermarkt auch schon auf ihren Fersen waren. Zusammen kesselten sie die beiden ein, die wie in die Enge getriebene Tiere nun keinen Ausweg mehr sahen. Als sich Zoe gerade dazu aufmachen wollte ihm eine Abreibung zu verpassen, wurde ihr Ansatz auch schon im Keim erstickt. Ihr Gegenüber wurde in Flammen eingehült, was sie zurück schrecken und instinktiv den Arm hoch reissen lies, als müsse sie sich vor dem Licht schützen.

"Mich kriegt ihr niemals, ihr Ärsche! NIEMALS!" Zoe und Marcus machten sich auf einen Angriff gefasst, welchen sich das Mädchen anscheinend schon herbeisehnte. Doch zu aller Beteiligten Überraschung ging Kalina auf ihn zu und stellte sich direkt vor ihn hin, die ihr entgegenzüngelten Flammen ignorierend. Ihre Augen strahlten Zuversicht aus, als sie eine Faust des Mannes in die Hände nahm, die sofort Feuer fingen. "Es ist gut. Es ist vorbei. Gleich kommt eine Streife der Inneren Sicherheit. Lauf und versteck dich, sonst werden sie dich töten!" Die Flammen verschwanden und man konnte dem Mann ansehen, dass er unschlüssig war. Dann jedoch schnappte er sich Kalina und hielt ihr ein Klappmesser an die Kehle. "Wenn auch nur einer von euch Losern einen Schritt vorwärts macht, ist die Kleine tot, verstanden?!" Niemand rührte sich, das Mädchen knurrte leise und umfasste ihr Holzschwert fester. "Du bist nicht zufällig schnell genug, um sie zu retten, oder?", flüsterte sie in Marcus' Richtung, aber dieser war sich selbst nicht sicher. Der menschliche Reflex könnte zu schnell sein und Kalinas Leben kosten. So schüttelte er lediglich den Kopf. Der Glatzkopf nutzte die allgemeine Konfussion und lief so schnell er konnte davon. Das Geheule der Sirenen wurde lauter, kam immer näher.

In Zoe machte sich Sorge breit, Angst um Kalina und auch um die Streife die sich näherte. Sie durften nicht erwischt werden, dass wäre das Ende für sie alle. Das durfte nicht passieren. "verdammt..." dachte sie für sich, blickte abwechselnd zum Messer und dann zu Kalina.
Die Flammen erschienen wieder und begannen langsam, an ihren Schultern entlang zu kriechen. "Die Idioten von der Inneren Sicherheit sind nicht fähig ihresgleichen zu gefährden, Mensch. Mit dir als Geisel komm ich hier raus. Oder du stirbst mit mir." Die Situation fing an zu eskalieren. Zoe geriet langsam in Panik. Was, wenn ihr wirklich etwas zustoßen sollte? Was, wenn die IS einen Scan verlangten und sie alle aufflogen? Sie könnten alle sterben - und das nur wegen dieses einen Trottels! Zornig starrte sie ihm in die Augen - und dann geschah es. Die Hexe ließ vom Messer ab und stieß Kalina kreischend von sich. "Wir werden alle sterben!", schrie er und verfiel in irres Lachen, ehe er davontorkelte. Noch immer war er in Flammen gehüllt und er lachte, als gäbe es einen Grund zur Erheiterung. "Sie werden uns finden und einen nach dem anderen auslöschen ...", lachte er in sich hinein, während Tränen Sturzbächen gleich über seine Wangen flossen. Ein gleißendes Licht umhüllte ihn und er breitete seine Arme in freudiger Erwartung aus. "Seht ihr nicht das Licht? Das Licht wird uns retten! Das Licht wird ..." Mehr konnte er nicht sagen, als er frontal von einem Airshuttle getroffen wurde und mehrere Meter durch die Luft segelte. Blut spritzte auf die Straße und das Shuttle kam schlitternd zum Stehen.

Sie war perplex, irritiert und ... geschockt. Was war passiert? War es möglich das ... ? Nein, als sie ihm in die Augen sah spürte sie alles andere als Angst oder Todessehnsucht. Sie spürte nur Wut, doch binnen Sekunden hatte sich das geändert. Es war, als wäre in ihrem inneren das Feuer, welches ihren Kontrahenten umgab und würde all ihre Panik, ihre Sorge verbrennen. Zoe überlegte nicht was sie tat, lies ihre Emotionen einfach frei, als sie dem Kerl in die Augen blickte. Doch als er plötzlich davon rannte und sie wieder im Stande war den Blick von ihm abzuwenden, war da diese Leere in ihrem inneren. Wieso hatte er gerade genau das gesagt, was sie grade gedacht hatte? Wie konnte das möglich sein? Was um Himmels willen ging hier nur vor sich?!
Zoe sah zu Charon der sich an ihrer Seite positioniert hatte, der sie eben so verwundert wie verwirrt anblickte, dann sah sie zu den anderen.

Erst als die Streife mit Scannern auf die Gruppe zu kam, konnte sie wieder einen klaren Gedanken fassen und erneut stieg die Angst in ihr auf das sie nun alle auffliegen konnten. Stur und auch aus Sorge doch etwas mit dem unfreiwilligen Suizid des Mannes zutun zu haben, blickte sie gen Boden.
Ihre Gedanken schob sie derweil zurück, darüber konnte sie sich später noch Gedanken machen.
"Eine Hexe", raunte einer der beiden und wandte sich an die Gruppe. Ehe einer der Scanner jedoch anschlagen konnte, trat das Mädchen an sie heran. "Dem Demiurgen sei Dank, dass Sie endlich gekommen sind. Meine Freundin und ich wurden plötzlich von dieser Hexe und deren Kumpels überfallen. Wir dachten schon, die würden uns umbringen!" Die beiden Offiziere sahen einander an, dann richtete einer seinen Visor auf sie.
Und während die Männer beschäftigt waren, machte sich die Gruppe schnellstens von dannen.

Unterwegs nahm Zoe den Schlüssel an sich, während sie Kalina einen beunruhigten Blick über deren befinden schenkte. Sie machte sich aufrichtig Sorgen um sie.
An der Wohnungstüre angekommen, fanden sie auch Nathan, Sharon uns Travia, die wohl auf ihre Rückkehr gewartet haben. Als Nate Kalina sah, lief er zu ihr und schwang sie sich sachte auf seine Arme. Zoe sperrte die Tür auf und sie alle verschwanden in der Wohnung. "Was ist denn passiert?", wollte Sharon wissen, währen Nathan Kalina auf ein Sofa legte und ein Glas Wasser holte. Travia nickte. "Genau. Was ist nun wieder geschehen?"
Zoe stellte sich in den Türrahmen und blickte immer noch angestrengt zu Boden, versuchte sich angestrengt auf das Gespräch zu konzentrieren.

Als Marcus begann zu erklären was passiert war und bei dem Punkt ankam, als Kalina angegriffen wurde, war es ihr, als könnte sie die Anspannung in der Luft förmlich spüren. Instinktiv, mehr ungewollt als gewollt, blickte sie auf und sah ihm direkt in die Augen. Die Sache quälte ihn, fraß ihn innerlich schier auf. Sie spürte den Hass den er gegen sich selbst richtete und die Wut die er auf diese Kerle hatte. Sie wollte etwas sagen, war jedoch nicht im Stande sich auch nur von der Stelle zu bewegen. So blieb sie wo sie war, lauschte weiter dem was er erzählte.
Seine Worte sprachen aus was er fühlte, er machte sich Vorwürfe das er Kalina nicht hatte beschützen können. Als er den Blickkontakt zu ihr abbrach und nicht mehr aufssah, ging sie einen Schritt in seine Richtung, blieb dann jedoch auf Abstand zu ihm.

Sie hörte wie Sharon versuchte ihn zu beruhigen, was jedoch kläglich daneben ging da Marcus schon nicht mehr zuhörte.
"Für normale Menschen hätte so etwas schlimm ausgehen können. Vergewaltigung, schwere Körperverletzung. Vielleicht sogar mit dem Tod." Sein Stimme zitterte. "Aber ich..." Er machte eine Pause. "Niemand soll wegen mir leiden. Sei es nun, weil ich Mist baue oder weil ich nicht schnell genug bin, die Sache wieder auszubügeln." Er fixierte Nates Schuhe, dann die von Sharon. "Es tut gut, Freunde zu haben. Sich auf andere zu verlassen. Mit anderen vernünftig reden zu können. Aber diese Welt..." Er musste wieder an die irren Worte des Typen denken, ehe er vom Airshuttle erwischt wurde. "Ich glaube, wir gehören einfach nicht in diese Welt. Wir müssen doch echte Missgeburten sein, dass wir so gejagt werden. So gnadenlos, fanatisch, gründlich. Ich glaube, es ist besser..." Erneut machte er eine lange Pause, schritt durch das Wohnzimmer gen Balkon. "...wenn niemand wegen mir in Gefahr gerät, sich niemand auf mich verlassen muss und ich umgekehrt mich auf niemanden verlassen muss." Er stand nun auf dem Balkon, Aiolos noch immer auf dem Arm. Der Welpe winselte und leckte Marcus Hand. Mit dem Rücken zum Geländer hob Marcus den Kopf und sah nun zu Zoe, Sharon, Nate, Travia und zu Kalina. "So ist am Ende der größte Freundschaftsdienst von mir, dass ihr zumindest von mir keine Gefahr mehr zu erwarten habt. Ich... muss jetzt einfach alleine sein. So viele Gefühle... Da in der Gasse..."

Er wahrte Blickkontakt, obwohl es ihm schwer fiel, weiter zu sprechen. "Ein Teil von mir wollte 100% geben. Diese Typen zerlegen, ohne Gnade. So viel kann ich schaffen, aber so viel auch wieder nicht. So wenig weiß ich über meine Kräfte, über meine Grenzen... So sehr habe ich diese Typen gehasst! Und die IS-Bullen mit ihren Scannern..." Als er sie so direkt ansah, spürte sie wie eine Woge der Emotionen über sie hinweg branndete und sie in eine art der Starre verfiel. Nur am Rande ihres Bewusstseins sah sie wie Marcus den Kopf schüttelte, hinter sich den Balkon hinab sah und kurz darauf sich einfach fallen lies. Viel zu geschockt von dieser Tatsache, war es ihr unmöglich darauf auch nur in irgendeiner Form zu reagieren.
"Es ist nicht seine Schuld ... ", dachte sie nur und blickte stumm gen Boden.

Sie bekam nicht mit was Sharon sagte, noch das sie in die Küche ging und kurz darauf wieder kam und sich zu Kalina setzte. Ihre Gedanken waren längst wieder abgedriftet, zu dem was in der Gasse passiert war. Zu dem Kerl der voller Panik vor einen Airshuttle lief. Was war nur so plötzlich in ihn gefahren, dass ihn so dermassen aus der Fassung gebracht hatte? War es wirklich ihre Schuld? War das überhaupt möglich?
Zoe rieb sich den Kopf, soviele Gedanken gingen ihr binnen Sekunden durch den Kopf die sie nicht fassen konnte und auf die sie einfach keine Antwort fand. Unruhig sah sie hin und her, sah zu Kalina, Sharon, Travia, Nate und Charon. Als sie das Gefühl bekam als würde ihr jemand die Luft abschnürren, schritt sie lautlos durch den Raum und ging auf den Balkon.
Ohne etwas zu sagen blickte sie zum Himmel hinauf, lies sich von der kühlen Luft umfangen und versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Ihr Wolf stand an ihrer Seite, hatte die Vorderpfoten auf den Rand des Balkons gestellt und war so fast mit seiner Züchterin auf einer Höhe.
Nachdem Zoe ein paar tiefe Atemzüge genommen hatte, blickte sie zu ihm und zwang sich ein Lächeln auf die Züge.
"Was die anderen wohl treiben, was denkst du? Ich hoffe es geht ihnen gut ..." Mit den Gedanken an ihre anderen Wölfe versuchte sie sich ein wenig abzulenken, doch die quälende Unruhe blieb. Sie brauchte Antworten, doch wen sollte sie fragen? Kalina war nicht bei Bewusstsein, Marcus verschwunden und das Mädchen mit dem Holzschwert kannte sie nicht. Sonst wusste niemand was passiert war. Eine bescheidene Situation ...
 
[Mitten in der Nacht: Kalinas Wohnung]

Unschlüssig wie sie auf das was Nate tat und die Erläuterung von Travia reagieren sollte, hatte sie ihren Blick von ihnen abgewandt und zur leeren dunklen Straße hinaus geblickt. Ihre Gedanken schweiften ab, zurück an das was in der Mine geschehen war und zu dem was mit Nate passierte. Auch an den Zwischenfall mit den beiden Rüpeln musste sie denken und jetzt war Marcus verschwunden. Es passierte so viel in so kurzer Zeit, ihr Kopf sprudelte förmlich über vor Informationen und sie wusste sie einfach nicht zu ordnen.
Ihr Gedankengang wurde jedoch jäh unterbrochen als Nate in die Nähe des Balkons kam, sich eine Gitarre griff und zu spielen begann. Sein Gesang klang so traurig und wehmütig, als sie zu ihm sah bemerkte sie das er zum Mond hinauf blickte. Zu gerne hätte sie gewusst wovon er da sang und woran er gerade dachte. Er war ein Buch mit sieben Siegeln.
Fast ein wenig wie in Trance, lief sie in die Wohnung zurück und suchte in den Schubladen nach einem Block und einem Stift. Als sie beides fand, ging sie zurück zum Balkon, setzte sich an die Wand gelehnt auf den kühlen Boden und lehnte den Kopf an. Ohne direkt hin zu sehen, schrieb sie einfach alles auf was ihr durch den Kopf ging. Zoe machte das oft, wenn sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Vielleicht half es ihr dieses Mal ja dabei hinter ein paar der Rätsel zu kommen. Alles was ihr in der Mine aufgefallen war, jede Emotion die sie bei den anderen wahr genommen hatte schrieb sie auf, bis zu dem Punkt wo Marcus verschwand.
Charon lag zwischen der geöffneten Balkontür und gab nur ein brummen von sich, als er mit seinen eisblauen Augen in die Runde blickte.
"Das ist so frustrierend ... ", wisperte Zoe indes und schloss die Augen, den Block auf den angewinkelten Beinen liegend.
 
[Mitten in der Nacht: Tomos Haus]

Tomo legte den Kopf schief, sagte jedoch nichts, sondern griff in ein Ablagefach zu ihrer Linken und fischte gezielt ein mehrseitiges, handgeschriebenes Dokument heraus. Es trug das simple Kürzel E87-070676-MM/pN und wirkte schon etwas älter. Kevin wunderte sich über die merkwürdige Bezeichnung des Dokuments, vermutete jedoch, es sei eine wissenschaftliche Abhandlung oder etwas in der Art. Er trat näher an Tomo heran und warf einen Blick auf die Seiten. Er war immer schon ein schneller Leser gewesen und besonders interessant fand er den Text, in dem von den Göttern und der Schöpfung der Welt die Rede war. Hier versuchte sich Kevin, die Namen einzuprägen. Schnell wechselte das Thema zu den Ausbeutungen der Welt durch den Menschen und zum Thema Nebel. Als von den Druiden von Iga die Rede war, bekam Kevin eine Gänsehaut und musste dagegen ankämpfen, mit seinen Gedanken abzudriften. Als von Aeasis und Shio die Rede war, wurde die Gänsehaut nicht besser. Doch der Verfasser des Berichts hatte unglaublich tapfer die Welt bereist und nachgeforscht. Der Teil über den Nebel als Schleier der Schöpfung war aufschlussreich. Mit Namen wie General Gray, O'Connor oder McKenzie konnte er nichts anfangen, versuchte sie sich jedoch zu merken, um vielleicht später etwas zu recherchieren. Das der Nebel aus Manah bestand, wusste Kevin. Als jedoch davon die Rede war, ein Utopia zu erschaffen, schnaubte Kevin bitter. "Die sind viel zu sehr damit beschäftigt, Vaishara zu jagen als sich mal Gedanken darüber zu machen, was wir und der Nebel doch Gutes tun könnten..." Dann überflog er die Passage über das Orthomophologischen Serum und schüttelte traurig mit dem Kopf. "Wenn das Serum das ist, was ich damals kennen gelernt habe, dann hatte es wenig mit "Heilung" zu tun. Aber ich vermute, selbst die wunderbarsten Dinge können pervertiert werden." Er betrachtete die Skizzen und Formeln, schmunzelte, als er die Gleiter-Repulsoren sah und wusste nun, dass dieses Dokument wohl recht alt war. Interessiert betrachtete er die Zeichnungen und wunderte sich, dass jemand so detailliert zeichnen konnte, dass es fast schon als Foto durchgehen konnte.

Bei dem Gruppenbild dachte er sich zuerst nichts, dann jedoch fiel sein Blick auf zwei Personen. Shio kannte er nur von einem Foto, welches er damals beim Fuchs gesehen hatte. Was ihn jedoch wirklich irritierte war die Zeichnung vom Fuchs. Kevin wich zurück, als hätte eine unsichtbare Faust ihn geschlagen. Nur ganz im Rande bemerkte er, dass Tomo ihm irgendwann das Dokument in die Hand gedrückt hatte und auf einer Matratze saß, die Hände auf ihrem Schoß ruhend und das Haar zu einem Dutt hochgesteckt. Abwartend betrachtete sie ihn und mit zitternden Händen legte Kevin das Dokument dort ab, wo sie es aus dem Ablagefach gezogen hatte. Sein Blick wanderte von ihrem leeren Bett zu Tomo auf der Matratze direkt daneben. "Solltest du nicht auf dem Bett schlafen und ich auf der Matratze?", fragte er leise, wartete jedoch nicht auf Antwort. Tomo hatte ihm scheinbar die Schuhe ausgezogen, ehe sie ihn auf das Bett gelegt hatte. Und so stieg Kevin nun über das Fußende der Matratze und legte sich auf das Bett, drehte sich zu Tomo und sah sie an. "Du meintest, die Schule ist nicht mehr sicher? Bleibst du nun ganz weg? Sicher wird jemand nachforschen, was das dann soll." Er schwieg einen Moment, dachte über ihre Worte nach. "Ich möchte auch nicht mit ansehen, wie Menschen sterben. Ich habe so viele Freunde verloren. So viel Blut fließen sehen..." Die Zeichnung vom Fuchs zu sehen hatte die Erinnerungen über ihn gebracht wie eine Sturmflut. "Ich wuchs in einer Einrichtung des Militärs auf, bis mich der Fuchs und seine Anhänger befreiten. Ein Bild von ihm ist auf der letzten Seite des Dokuments. Frage mich, was es mit der Gruppe auf sich hatte... Jedenfalls, das war vor etwa vier Jahren. Leider gerieten die Dinge damals ziemlich außer Kontrolle und... Ich habe so viele sterben sehen. Klar, die meisten kannte ich nicht besonders gut. Aber sie waren nett zu mir gewesen. Sie waren Freunde gewesen. Und ich hab so viele von ihnen sterben gesehen..." Tränen quollen aus seinen Augenwinkeln und er schloss die Augen, redete jedoch weiter, als würde es ihm helfen, die Erinnerungen zu verarbeiten - oder nieder zu ringen.

"Ich hab vorhin gesagt, dass wir entscheiden, wie wir leben. Damals... hab auch ich töten müssen. Und mir geschworen, es nie wieder zu tun. Wenn man eine Gabe hat, dann muss man sie für das Gute nutzen! Nicht für den Eigennutz. Ich bin meinem Schwur treu geblieben, all die Jahre - obwohl es teilweise so schlecht für die Vaishara aussieht." Er atmete tief durch, denn seine Stimme zitterte. "Ich versuche, friedlich zu protestieren. Und gestern wurde ich erwischt und... ich habe mich nicht gewehrt. Ich weiß nicht warum. Die hätten mich getötet und meine Pflegeeltern hätten vergeblich darauf gewartet, dass ich wieder nach hause komme. Ich versuche, wie der Fuchs zu sein. Immerhin hat er damals sein Leben für mich geopfert. Aber trotzdem weiß ich nicht, ob es richtig ist, was ich tue." Er schniefte und Tränen benetzten das Bettlaken unter seinem Gesicht. "Die Überlebenden wollten damals, dass ich mit ihnen komme. Doch ich wollte nicht. Ich wollte erwachsen werden und friedliche Lösungen finden. Anders für das Gute kämpfen. Aber naja... Meine Prinzipien haben heute sehr gelitten, als ich dir half und davor den anderen Vaishara. Kann ich noch länger im verborgenen handeln oder zwingt einen diese Welt, zu kämpfen? Zu töten?" Er drehte sich weg von Tomo, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg. "Ohje... Zwölf Jahre alt und ich flenne, als wäre ich wieder Acht. Tut mir leid, dass ich dich so vollheule, aber das Bild vom Fuchs hat so viele Erinnerungen an damals hoch gebracht... Und irgendwie scheint die Welt einfach nicht besser zu werden, die Zeiten werden einfach nur immer finsterer. Warum werden Vaishara so gnadenlos gejagt? Warum ist diese Welt so unfair, einem Freunde zu nehmen? Warum ist mein Leben trotz meiner Eltern und meinem Zuhause so leer? Warum wohnst du hier so alleine? Es ist alles unfair! Einfach alles..." Nun fing er richtig an zu weinen und dafür schämte er sich. Kevin kniff die Augen zusammen und legte zitternd beide Hände vor seinen Mund und versuchte, einfach nur ruhig zu sein und Tomo schlafen zu lassen. Mit etwas Glück schlief sie bereits und hatte den Großteil seines Ausbruchs nicht mitbekommen. Er hoffte darauf. Und er hoffte, heute Nacht nicht zu träumen. Doch er ahnte, dass er einen roten Himmel sehen würde. Und Feuer. Und sterbende Freunde.

[Mitten in der Nacht: Kalinas Wohnung]

Sharon staunte, als Nate mit einer Berührung Kalinas Haut zu heilen schien. Sie bemerkte den bläulichen Dunst und kniff die Augen vorwurfsvoll zusammen. Travia kam ihr jedoch zuvor: "Es ist noch zu früh für dich, ihre Haut zu manipulieren." Doch der Junge brummte nur als Antwort und fuhr fort, was Travia mit einem Augenrollen erwiderte. Auf die fragenden Gesichter der beiden Mädchen, lächelte sie schwach. "Ich hatte doch erwähnt, dass eine jede Hexe eine gewisse Affinität für ein Element hat. In seinem Fall kann er temporale Vektoren umlenken. Praktisch gesehen, dreht er den zeitlichen Zustand ihrer Haut vor dem Unfall zurück und extrahiert diese Zeit. Aber das hat auch seine Risiken, vor allem in seinem Zustand." Kaum hatte sie das gesagt, rauchte Nathans Rücken kurz in demselben blauen Dunst. "Der Junge macht das seit ich ihn kenne ...", seufzte Travia leise und zuckte lediglich mit den Schultern. "Eine Narbe mehr oder weniger fällt bei mir wohl nicht mehr ins Gewicht", scherzte Nathan und erhob sich, um Sharon Platz zu machen. "Du solltest dich wirklich mal ein wenig schonen, du Dickkopf!", murrte Sharon und machte damit weiter, Kalinas Kopf zu streicheln.

"Ich habe euch in die Obhut der Zwillinge gegeben", antwortete Travia auf Sharons Frage, "Die können euch weitaus mehr beibringen als meine Wenigkeit. Wenn du aber darauf bestehst, kann ich dir schon den einen oder anderen Kniff beibringen ... Vor allem sobald wir wissen, welche Elementaffinität ihr habt ..." Nathan schnappte sich gedankenverloren eine Gitarre aus dem Instrumentenstapel in seiner Nähe und setzte sich an einen der großen Fensterbänke nahe des Balkons. Mit dem Blick gen Mond gewandt, begann er langsam eine alte Melodie zu spielen, begleitet nur von seinem Gesang in einer Sharon unbekannten Sprache. Sharon lauschte seinem Gitarrenspiel und dem Gesang und wunderte sich, was für eine Sprache das wohl war. Zoe indes hatte sich einen Block und einen Stift gesucht und schien ihre Gedanken aufzuschreiben. Oder vielleicht zeichnete sie auch etwas. Sharon machte es zumindest manchmal so, wenn sie einen klaren Kopf kriegen wollte. Besorgt sah Sharon Kalina an, ehe sie in Richtung Balkon ging und sich an den Türrahmen lehnte und besorgt zu Zoe sah. "Bist du in Ordnung?" Sie hatte noch mitbekommen, wie Zoe "frustrierend" gemurmelt hatte und einen Moment lang lauschte sie noch Nate, ehe sie das Wort ergriff.

"Marcus wird sich schon wieder beruhigen, denke ich. Er hat sich nun einmal Sorgen um Kalina gemacht und sich die Schuld an ihrer Verletzung gegeben. Travia hat nicht Unrecht, dass es eben gefährlich sein kann, sich mit Vaishara einzulassen. Allerdings hätte so etwas wohl jedem passieren können. Es hätte sogar noch schlimmer ausgehen können." Sie sah von Zoe zu Nate, Kalina und dann zu Travia. "Sehen wir es doch mal positiv: Nate ist wieder bei uns und obwohl er sich gefälligst eine ganze Weile auszuruhen hat..." - hier nahm ihre Stimme einen herrischen, knurrenden Ton an - "Sind wir doch ganz gut davon gekommen. Dieses Mal. Das heißt natürlich nicht, dass ich so einen Unsinn noch einmal erleben will. Wir müssen alle nach wie vor aufpassen. Wenn Mina und Nina uns wirklich trainieren, kann das nur von Vorteil sein, möglichst lange am Leben zu bleiben. Man weiß ja nie, wann man in die nächste Bredouille gerät. Wir müssen wirklich sehr aufpassen, jederzeit! Und... wir müssen aufpassen, niemand anderen in solche Situationen mit reinzuziehen. Wir hätten heute alle sterben können, wegen mir. Zwar haben die Soldaten verdient, was ich mit ihnen gemacht habe... Aber... Ich glaube, ich hab vergessen, dass man Gleiches nicht mit Gleichem vergelten sollte. Und das ich eigentlich ein junges Mädchen bin, mich aber ewig nicht mehr so benommen habe."

Sie schmunzelte wehmütig. Das letzte Mal, wo sie wirklich ausgelassen gewesen war und Spaß gehabt hatte, war damals mit Kathy gewesen. Kathy war wie eine Schwester gewesen, war ihr so nahe gewesen. Und dann war sie ihr genommen worden. Mit einem traurigen Lächeln musste Sharon an ihre erste Begegnung denken und an den Moment, wo beide aneinander ihre Kräfte offenbahrt hatte und sich duelliert hatten - danach waren sie beste Freundinnen gewesen. "Wir dürfen niemals uns selbst aus den Augen verlieren. Wir müssen uns immer über unsere Handlungen und unsere Motive im Klaren sein - und über mögliche Folgen. Wir müssen wachsam sein, dürfen aber auch nicht die Hoffnung verlieren. Heute haben wir zusammen gehalten und wir sind heile davon gekommen. Das ist ein Erfolg, irgendwie." Sie lächelte Zoe aufmunternd an, sah dann zu Nate. "Marcus wird sich schon wieder beruhigen. Es war ja nun doch eine Menge Stress, für uns alle..." Mit diesen Worten setzte sie sich und streichelte wieder über Kalinas Stirn. Sharons Ankh-Anhänger baumelte leicht, als sich das junge Mädchen besorgt über das andere beugte. Sharon hoffte, dass Kalina wieder in Ordnung kommen würde, war sich aber auch der Gefahr bewusst, in der sie immer schweben würde, solange sie Vaishara als Freunde hatte.
 
[Mitten in der Nacht: Im Süden der Stadt]

Marcus hatte keine Ahnung, wo er suchen sollte. Der Süden der Stadt war nicht gerade eine detailierte Ortsangabe. Dennoch wurden seine Schritte nicht langsamer. Es war beinahe so, als kannte er den Weg bereits. Tatsächlich ertappte er sich selbst oft bei der Frage, ob man ihn nicht bereits erwartete und jemand seine Schritte regelrecht lenkte. Immer wieder war er kurz davor, umzukehren. Doch er konnte einfach nicht vergessen, was mit Kalina geschehen war. Er musste lernen, mit seinen Kräften umzugehen, musste begreifen, was es überhaupt bedeutete, Vaishara zu sein. Wer, wenn nicht der Mann im weißen Mantel konnte ihm denn helfen? Vor ihm in einigen Häuserblöcken Entfernung befand sich ein gigantischer weißer Wolkenkratzer, das eines der beeindruckendsten Etablissements von Ylesia beherbergte: das Jack of all Trades. Dabei handelte es sich um eine Mischung aus Museum und Trödelladen. Wenn man auf der Suche nach obskuren Objekten war, so wurde man dort sicher fündig. Schnellen Schrittes machte sich der Junge auf den Weg.

Als er den gigantischen Wolkenkratzer erreicht hatte, hielt er inne. War er hier wirklich richtig? Er hatte eher ein Untergrundversteck erwartet, niemals etwas so protziges. Das beste Versteck ist wohl dort, wo man einen niemals vermuten würde, schoss es ihm durch den Kopf. Doch zu solch später Stunde war es natürlich noch verschlossen. Hatte er sich geirrt und der Mann in Weiß war nicht hier? Ehe er sich entscheiden konnte, wie er nun vorgehen sollte, öffnete sich die Türe und ein Mädchen mit weißem Haar trat in die Straße hinaus. Ein Auge war smaragdgrün, das andere so blau wie der Ozean. Marcus wurde das Gefühl nicht los, sie schon einmal gesehen zu haben. Als der Groschen schlussendlich fiel, lächelte das Mädchen herzhaft und umarmte ihn. "Lange nicht gesehen, du Dummkopf!" Marcus war noch immer ganz verwundert. Mit ihr hätte er hier niemals gerechnet.

Es waren sechs Jahre vergangen, seit er Fate zuletzt gesehen hatte. Damals zogenMarcus und seine Mutter Cyan nach Varath, kurz nach dem Tod seines Vaters. Marcus erinnerte sich noch gut daran, dass er ihr einst versprochen hatte, sie niemals einfach so alleine zu lassen. Lange sah er sie an und es dauerte, bis das schlechte Gewissen echter Freude wich, seine Sandkastenfreundin wieder zu sehen. "Viel zu lange, allerdings." Marcus sah hoch zum Wolkenkratzer, dann wieder zu Fate. "Mit dir hätte ich am Allerwenigsten gerechnet." Er kratzte sich nervös am Kopf. "Wow... Ich hab dir soviel zu erzählen, aber für's erste muss ich wohl beim Grund meines Hierseins bleiben. Dass ich ausgerechnet hier gelandet bin, heißt sicher, dass man mich erwartet hat und über mich Bescheid weiß." Er sah Fate forschend an. Alleine die Frage auszusprechen war zu schwer, so absurd: "Bist du auch Vaishara? Arbeitest du für... Kann er mir helfen?" Doch er musste auch wieder an Kalinas Worte denken, dass es eventuell Bedingungen gab. Marcus fragte sich, wie diese wohl aussehen würden...
 
[Mitten in der Nacht: Kalinas Wohnung]

Noch immer schrieb sie unaufhörlich Dinge auf die ihr einfielen, versuchte einen roten Faden durch das ganze zu ziehen. Doch so mehr sie es versuchte, umso mehr schien das ganze sie zu verwirren. Es schien als würde ihr ein Puzzleteil fehlen. Als sich Sharon am Balkon einfand, hatte sie die Züchterin zunächst gar nicht wahr genommen. Erst als sie das Wort an sie richtete, schrak sie ein wenig auf und blickte auf.
"Bist du in Ordnung?"
Das musste eine Scherzfrage sein, oder meinte sie es wirklich ernst? Zoe legte die Stirn in Falten, wandte den Blick wieder ab und starrte gerade aus. "Hm .. ", war ihre einzige Bemerkung gewesen, während sie Sharon weiter zuhörte.
"Marcus wird sich schon wieder beruhigen, denke ich. Er hat sich nun einmal Sorgen um Kalina gemacht und sich die Schuld an ihrer Verletzung gegeben. Travia hat nicht Unrecht, dass es eben gefährlich sein kann, sich mit Vaishara einzulassen. Allerdings hätte so etwas wohl jedem passieren können. Es hätte sogar noch schlimmer ausgehen können." Sie sah von Zoe zu Nate, Kalina und dann zu Travia. Schweigend folgte sie ihrem Blick und nickte Stumm, vermutlich hatte Sharon recht. Es hätteschlimmer ausgehen können.
"Sehen wir es doch mal positiv: Nate ist wieder bei uns und obwohl er sich gefälligst eine ganze Weile auszuruhen hat..." - hier nahm ihre Stimme einen herrischen, knurrenden Ton an - "Sind wir doch ganz gut davon gekommen. Dieses Mal. Das heißt natürlich nicht, dass ich so einen Unsinn noch einmal erleben will. Wir müssen alle nach wie vor aufpassen. Wenn Mina und Nina uns wirklich trainieren, kann das nur von Vorteil sein, möglichst lange am Leben zu bleiben. Man weiß ja nie, wann man in die nächste Bredouille gerät. Wir müssen wirklich sehr aufpassen, jederzeit! Und... wir müssen aufpassen, niemand anderen in solche Situationen mit reinzuziehen. Wir hätten heute alle sterben können, wegen mir. Zwar haben die Soldaten verdient, was ich mit ihnen gemacht habe... Aber... Ich glaube, ich hab vergessen, dass man Gleiches nicht mit Gleichem vergelten sollte. Und das ich eigentlich ein junges Mädchen bin, mich aber ewig nicht mehr so benommen habe." Als sie die Namen der beiden Mädchen nannte, runzelte Zoe erneut die Stirn. Von wem sprach sie da?
"Wer sind Mina und Nina?" Die Neugierde in ihrer Stimme lies sich nicht verbergen, vielleicht konnte ihr diese Information weiter helfen ihr Puzzle zu lösen. Einen Versuch war es Wert.

Zoe entging nicht, dass Sharon sich die Schuld an den Vorkommnissen gab. Sie wollte sie beruhigen, beschwichtigen und ihr sagen das niemand ahnen konnte wohin dieser Weg sie alle führte. Doch stattdessen schwieg sie, blickte traurig zum Boden.
Noch immer musste sie an den Vaishara denken, der Kalina bedroht hatte und kurz darauf panisch davon gerannt war. Es wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen, es musste einen Grund geben für sein Verhalten. Und was, wenn sie der auslöser dafür war?
Ein schweres Seufzen entronn ihren Lippen.

"Wir haben alle noch sehr viel zu lernen, es nutzt aber niemanden von uns etwas, wenn wir uns in selbstvorwürfen zerfleischen. Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Jetzt gilt es, dass beste daraus zu machen ... ", murmelte sie, während sie Charon sacht durchs Fell strich. Ja, es nutzte nichts, wenn sie sich die Schuld gab an dem Tod dieses ... Jungen, vielleicht war sie nicht Schuld. Und falls doch, er hatte sie bedroht, hatte er es da nicht verdient? Zoe schüttelte den Kopf, starrte Gedankenverloren zum Himmel hinauf.

(ich geh einfach mal davon aus - so ich es nicht überlesen habe - das nicht gesagt wurde, dass Sharon; Nate und Travia bei den Zwillingen waren und damit Zoe und Kalina nichts von ihnen wissen)
 
[Mitten in der Nacht: Kalinas Wohnung]

Zoe runzelte die Stirn, als Sharon Mina und Nina erwähnte und fragte auch sofort, wer diese beiden Frauen denn waren. "Sie sind unglaublich mächtige Vaishara und sie wollen uns trainieren. Vorbereiten, falls es noch einmal so eng für uns wird. Damit wir uns verteidigen und anständig fliehen können, wenn man uns auf die Schliche kommt oder wir wieder in solchen Ärger geraten." Sharon beugte sich ein wenig nach vorne und flüsterte nun, in der Hoffnung, dass nur Zoe sie hören konnte. "Die beiden sind Aviati, zwei von fünf Auserwählten der Götter selbst. Klingt merkwürdig und ich habe es auch nicht ganz verstanden. Aber sie haben wohl einiges drauf und wenn wir da etwas lernen können, kann uns das nur gut tun." Bei Zoes Worten nickte Sharon langsam. "Ja, wir können nicht mehr ändern, was passiert ist. Wir müssen daraus lernen." Sie lächelte schwach, spielte gedankenverloren mit ihrem Ankh-Anhänger. "Denk du nicht zuviel nach. Versuch, ein wenig zu schlafen, ja?" Sharon wandte sich ab und war bereits wieder an Kalinas Seite, tätschelte sanft ihren Kopf und konnte jedoch nicht anders, als über sich, ihre Taten und die Welt um sie herum nachzugrübeln.
 
Dies ist eine Welt, die ihr Ende gefunden hat. Hier existiert nur die unerbittliche Kälte des sternenlosen Alls. Und ein Mädchen, das nach einer verwandten Seele sucht. Es ist schon lange unterwegs, so lange, dass die eisigen Berge zu Beginn seiner Reise nur noch winzige Sägezähne in der weiten Ferne sind. Das Mädchen schreitet weiter, ohne einmal zu ruhen. Zu rasten bedeutet, sein Ende zu akzeptieren, doch es ist noch nicht bereit, aufzugeben. Es muss noch weiteres Leben geben, davon ist es überzeugt. Die Tränen auf den Wangen des Mädchens sind längst gefroren, die Glieder steif und taub. Nur ab und zu blickt es zurück auf die rote Spur, die es auf dem jungfräulichen Winterkleid hinterlässt ...


Episode 03 | Abandoned


Marcus & Fate: Das Jack of All Trades

Fate lächelte schwach, während sich Marcus' Gedanken überschlugen. Bei seiner Frage, ob sie auch eine Vaishara sei, formten ihre Lippen jedoch einen dünnen Strich, ehe sie die Kopf schüttelte. "Nein, ich bin keine Hexe. Und ich arbeite auch nicht für Lakar." Sie hatte die Türe geöffnet und führte den Jungen durch ewig lange Vitrinengassen zu einem Aufzug. Statt diesen jedoch zu benutzen, betrat sie das Stiegenhaus. Wollte sie wirklich die Treppen bis ganz nach oben nehmen? "Wie geht es deiner Mom? Ihr seid damals so schnell verschwunden, dass ich mich nicht einmal verabschieden konnte." In ihrer Stimme klang kein Vorwurf mit, "Gehst du jetzt auf die Arcana High? Ich habe gehört, dass es da nur so von attraktiven Frauen wimmelt ... Schon eine passende gefunden?" Sie lächelte vergnügt und schien es nicht eilig zu haben. Nach einem Dutzen Etagen blieb sie letztlich stehen und betrachtete das Aushängeschild, welches den Raum als 'Werkstatt' bezeichnete, eine Weile nachdenklich. Ohne jedoch etwas zu sagen, öffnete sie die Türe und trat ein. Das Interieur war luxuriös, schwarzer Marmor traf auf rote Samtbezüge, erhellt in der Synthese aus fluoreszierendem Licht und Kerzenschein. Marcus gegenüber erstreckte sich über eine riesige Glasfassade die Skyline von Varath. Der Mann in Weiß stand mit dem Rücken zu ihm vor ebenjener Fensterfläche und schien seinen Blick ebenfalls in den weiten Auswüchsen der Hauptstadt verloren zu haben.

"Hast Du gewusst, dass diese Stadt hier einmal von Drachen bevölkert wurde? Vor etlichen Jahrhunderten waren es die Théalhacyn, die Kinder des Großen Windes, welche den Menschen die Stimme verleih, ihnen eine Sprache lehrte. Es war Kailash selbst, der Erste Drache, der ihnen die Flammen der Erkenntnis brachte."

Der Mann wandte sich um und die goldenen Augen blickten voller Belustigung in ihre Richtung. Ohne Vorwarnung ließ er sich in einen geflochtenen Stuhl fallen, der vor wenigen Sekunden ganz sicher noch nicht da gewesen war. Mit einer lässigen Handbewegung deutete er den beiden, sich ebenfalls zu setzen, und siehe da, auch hinter ihnen befanden sich urplötzlich Stühle. Der Vaishara nippte an seinem Rotwein, während die Goldaugen Marcus die ganze Zeit anzustarren schienen. "Wie tragisch und für den Menschen typisch, dass sie es waren, die die Drachen von hier vertrieben haben. Die Stimme kann eine mächtige Waffe sein, aber selbst so etwas Mächtiges und Erhabenes wie Drachen waren der schieren Masse an Menschen unterlegen." Er lächelte schwach und ließ jene Worte, die so garnichts mit Marcus' Problemen zu tun hatten, für einige Augenblicke im Raum schweben. Erst Fates Räuspern brachte ihn dazu, weiterzusprechen.

"Du bist hier, um in den Künsten der Vaishara unterrichtet zu werden, stimmt das, Junge? Warum sonst würdest Du mich aufsuchen wollen? Warum glaubst Du, sollte ich Deinen Wunsch gewähren? Was glaubst Du denn überhaupt erreichen zu wollen?"




Sharon & Zoe: Kalinas Wohnung

Die Nacht war schnell vergangen und als Sharon erwachte, hörte sie gedämpfte Geräusche aus der Küche. Ein schneller Blick auf die Wanduhr im Wohnzimmer machte klar, dass es früh am Morgen war. In der Küche waren Nate und Kalina indes beschäftigt, den Tisch zu decken und das Frühstück vorzubereiten. Sie unterhielten sich über die Schule, Musik und Sport, lachten ab und zu leise und kurz fing Sharon einen Blick auf, mit dem sich die beiden bedachten. Er strahlte so etwas wie Zuneigung und Wärme aus. Kurz darauf bemerkten die beiden Sharon, lächelten schwach und grüßten sie. Dabei blieb Kalinas Schürze an einem Stuhl hängen und sie ließ eine Teetasse zu Boden fallen. Mit leicht roten Wangen verließ sie das Esszimmer auf der Suche nach Kehrblech und Handbesen. Nathan grinste leicht und deckte den Esstisch fertig.

"Sie kann manchmal wirklich tollpatschig sein ... Hast du gut geschlafen, Sharon? Frühstück sollte gleich fertig sein. Ich hab vorhin mit Travia gesprochen. Es wäre zu auffällig, wenn wir alle nach den gestrigen Ereignissen in der Schule fehlen würden. Daher haben Kalina und ich beschlossen, die Lage auszukundschaften, während Zoe und du das Training bei Mina beginnen werdet. Es sei denn, ihr habt euch das anders überlegt ... Wenn nicht, grüß Ai bitte von mir. Ich werde heute nicht zu ihr gehen können. Ich muss sicher gehen, dass mir niemand zu ihr folgt." Er beendete seine Arbeit, putzte seine Hände kurz an einem Geschirrtuch ab, welches er auf seine rechte Schulter gelegt hatte. Danach nahm er einen Sessel und zog ihn zurück, um Sharon mit einer höflichen Geste zu Tisch zu bitten. Dabei konnte er sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. Auch Zoe schien wach zu sein, denn die beiden konnten hören, wie sich Kalina mit jemandem zu unterhalten schien.

"Keine Sorge, mir geht es wieder gut!", versicherte sie Zoe, die sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte. Die beiden hatten inzwischen ebenfalls das Esszimmer betreten und Kalina wandte sich nun an alle Anwesenden: "Ich werde in Zukunft besser auf mich aufpassen! Tut mir leid, dass ich euch allen soviel Sorgen bereitet habe ..." Sie schluckte leicht und vermied jeglichen Augenkontakt, aber auch ohne konnten sich alle denken, dass sie gerade an Marcus dachte. Natürlich hatte sie von dessen Flucht nichts mitbekommen, aber es hatte sie schwer getroffen. Vielleicht würde sie es sich nun zweimal überlegen, sich in die Obhut gefährlicher Leute zu begeben, um eine Katastrophe verhindern zu wollen. Das war alles gut gemeint, doch von ihnen allen hatte Kalina keinen Grund, in die Konflikte zwischen Menschen und Hexen hineingezogen zu werden. Sie am allerwenigsten, dachte sich Nate und blickte kurz aus dem Fenster. Und doch war sie es, die es oft am schwersten erwischte. Vielleicht war Marcus' Entscheidung gar nicht so falsch und sie sollten sich alle von Kalina fernhalten, um ihre Sicherheit gewährleisten zu können.

"Das ist alles viel zu anstrengend ...", seufzte er.




Nathan & William: Die Arcana High

Es war ein ungewöhnliches Gefühl, als wäre es bereits eine Ewigkeit her, dass er die Schule besucht hatte. Andererseits hatte Nathan schon etwas länger keine Schule besucht. Zumindest keine, in der der Zusammenbau von Schusswaffen und Überlebenstraining nicht an der Tagesordnung standen. Er seufzte leise, ehe er eine Hand auf der Schulter spürte. Kalina schenkte ihm einen leicht besorgten Blick und er bereute, sie beunruhigt zu haben. Im Augenblick konnte sie wirklich eine Auszeit vertragen. Ihm war gar nicht klar, dass sie sich lange einfach nur in die Augen sahen, als sie sich auch wieder schweigend entfernten und zur Schule gingen ohne nur ein Wort zu sagen. Die Stille war beklemmend aber irgendwie vertraut. Er verabschiedete sich von ihr, als er seine Klasse betrat - oder betreten wollte. Just in diesem Augenblick krachte er in einen anderen Schüler hinein und sie beide verloren das Gleichgewicht, ehe sie auf ihre Hintern fielen. Nate stöhnte leise und verkniff sich, seinen Po in aller Öffentlichkeit zu reiben. Stattdessen blickte er zu seinem Gegenüber. Es handelte sich um einen Jungen, dessen Gesicht ihm nicht bekannt vorkam. War er neu hier oder war Nathan bereits so abgedriftet von seiner Klasse, dass er sich nicht einmal ein einfaches Gesicht merken konnte? Seine Miene wurde ernster. Nein, so ein Gesicht hätte er sicher nicht vergessen. Das weiße Haar und die Rubinaugen, so ähnlich wie er sie vergangene Nacht aufwies, waren nicht gerade das, was man als unauffällig bezeichnen konnte. Nathan erhob sich und reichte dem Jungen eine Hand. Dabei fiel ihm auf, dass der Junge einen eigenartigen Koffer mit sich rumzuführen schien. Es war nicht ungewöhnlich, dass Schüler sehr eigen sein konnten, wenn es um Schultaschen ging, doch solch ein Koffer wirkte dennoch etwas deplatziert. Er schrie förmlich nach einem Geheimnis. Zu spät bemerkte Nathan, dass der Fremde seinen Blick aufgefangen hatte. Interessiert musterten sich die beiden, maßen sich mit Blicken.

"Nathan Reed. Bist du neu hier?", fragte er dann mit einem Grinsen und reichte schüttelte ihm die Hand, welche er immer noch ergriffen hielt. Dabei übte er ein kleines Bisschen mehr Kraft auf, als er es sonst tat.




Sharon & Zoe: Ai's Apartment

Travia war sehr kurz angebunden und es hatte den Anschein, als hätte sie nicht gut geschlafen. Während der Fahrt wechselte sie kein Wort mit den beiden, fluchte über das Fahrverhalten anderer Leute und leerte einen Becher Kaffee nach dem anderen. Nach einer scharfen 127°-Kurve blieb sie vor dem Gebäude stehen, das Sharon schon einmal betreten hatte. Für Zoe war es das erste Mal, sowohl was die Wohnung als auch die Zwillinge betraf. Während Travia an der Türe klingelte, dachte Sharon noch einmal über die beiden nach und kam erneut zu dem Schluss, dass Mina und Nina sehr ... ungewöhnlich waren. Auf allen Ebenen. "Wie ich schon einmal gesagt habe, handelt es sich bei den beiden um überaus erhabene und mächtige Wesen, also zollt ihnen ein bisschen Respekt. Ich will nachher nicht hören, dass ihr euch nicht anständig benommen habt", tadelte Travia die beiden Mädchen, als wären sie ihre Töchter. Ehe die beiden jedoch etwas erwidern konnten, öffnete sich die Türe und Mina (oder war es Nina?) trat in den Flur - mit nichts als einem langen Shirt, das mehr schlecht als recht ihre nackte Hüfte zu verhüllen schien. Ihr Haar war vollkommen zersaust und das Makeup leicht verschmiert. Doch was der Sache die Krone aufsetzte, war der junge Mann, der auf einem Bein humpelnd versuchte, seine Jeans anzuziehen. "Raus!", murrte die junge Dame und half dem Armen geradezu nach, ehe sie Sharon und Zoe in die Wohnung zog und Travia zwischen Tür und Angel ansah.

"Du kannst sie so gegen sieben abholen ..."

Und dann flog auch schon die Tür zu. Travia unterließ es, noch einmal zu klingeln. Stattdessen blickte sie zu jenem halbnackten Spargeltarzan, der noch immer dabei war, sich anzuziehen. Bei näherem Hinsehen fiel ihr auf, dass er leicht ausgeprägte Hühnerbrüste besaß und heimlich fragte sie sich, wie nötig man es haben musste, um sich so etwas ins Bett zu holen. Er knöpfte sich gerade das Hemd zu, als er Travia endlich bemerkte. Sofort bildete sich ein Lächeln auf seinem Antlitz und er trat näher. "Na aber hallo, schöne Frau! Lust auf einen Kaffee?"

Travia verdrehte die Augen, was er durch ihre getönte Sonnenbrille nicht sehen konnte, und ging wieder zurück zum Auto.

Währenddessen räumte Mina noch schleunigst ihre Unterwäsche vom Küchenboden. Und Sessel. Und Tisch. "Ihr wollt also trainieren, hm?", murmelte sie, "Was schwebt euch denn so vor? Ich kann euch ja schon den einen oder anderen Liebeskniff verraten ..." Sie wollte grinsen, doch noch in der Bewegung ihrer Gesichtsmuskeln hielt sie inne. Just in dem Moment trat der andere Zwilling, Nina, ein. Man konnte Nina sehr gut an ihrem schwarzen Anzug erkennen. Im Gegenzug zu ihrer Schwester schien sie etwas auf gepflegtes Auftreten zu halten. "Ich hab es dir gesagt", flüsterte Nina und widmete sich nun den Gästen. "Verzeiht dieses ... Trauerspiel. Ihr wollt also den Weg der Vaishara gehen? Habt ihr euch denn jemals die Frage gestellt, was das bedeutet? Was es heißt, ein Vaishara zu sein?"




Kevin: Tomos Haus / Arcana Middle School

Kevin drehte sich weg von Tomo, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg. "Ohje ... Zwölf Jahre alt und ich flenne, als wäre ich wieder acht. Tut mir leid, dass ich dich so vollheule, aber das Bild vom Fuchs hat so viele Erinnerungen an damals hochgebracht ... Und irgendwie scheint die Welt einfach nicht besser zu werden, die Zeiten werden einfach nur immer finsterer. Warum werden Vaishara so gnadenlos gejagt? Warum ist diese Welt so unfair, einem Freunde zu nehmen? Warum ist mein Leben trotz meiner Eltern und meinem Zuhause so leer? Warum wohnst du hier so alleine? Es ist alles unfair! Einfach alles ..." Nun fing er richtig an zu weinen und Tomo schwieg für einen Augenblick, ehe sie sich erhob und sich an den Bettrand setzte und mit ihrer Hand leicht über Kevins Kopf strich. Sie war nicht gut mit Worten, sie verstand sich nicht darauf andere zu trösten. Doch sie erinnerte sich an tröstende Worte aus der Vergangenheit, an die Geborgenheit und Wärme einer mitfühlenden Seele, deren bloße Anwesenheit ausreichte, um sie zu trösten.

Tomo legte sich hin, lehnte ihre Stirn an Kevins Hinterkopf, während ihre Hand sich auf die seine legte. "Vielleicht ist die Welt manchmal ungerecht ... vielleicht ist es manchmal schwer zu glauben ... aber glaubst du nicht, dass sich die Welt, Stück für Stück, in die richtige Bahn begibt? Dass es noch immer Wunder gibt? Tomo glaubt an diese Welt, Tomo glaubt an ihre Wunder. Der Fuchs hat dich gerettet. Bestimmt hat er ein Wunder in dir gesehen. Und nun vollbringst du Wunder, um andere zu retten ... Wenn es einen Kreislauf des Neids und des Hasses gibt, muss es dann nicht zwangsläufig auch einen Kreislauf der Freude und der Liebe geben? Das Leben ist nicht immer das beste, aber wir können stets das Beste daraus machen." Sie ließ ab von ihm, denn er war eingeschlafen. Kurz betrachtete sie ihn gedankenversunken, ehe sie ihn zudeckte und das Licht der Kerze löschte.

"Und manchmal ... manchmal braucht es die Dunkelheit, damit andere das Licht sehen können ..."

Als Kevin aufwachte, befand er sich vor dem Eingang seiner Schule. Er wusste nicht, wie er dorthin gelangt war, noch, was überhaupt geschehen war. Er konnte sich nur vage daran erinnern, dass ihn eine leise Stimme durch den Schlaf geführt hatte. Ob er einen Albtraum gehabt hatte, vermochte er nicht zu sagen. Aber er fühlte sich ausgeruht und fit.
 
Marcus & Fate: Das Jack of All Trades

Als Fate meinte, keine Hexe zu sein und nicht für Lakar zu arbeiten, wollte Marcus schon fragen, was sie denn dann hier machte, schwieg jedoch bei ihrem Gesichtsausdruck. Er war sich nicht sicher, ob er hier Neid sah oder Bedauern. Weil er nichts falsches sagen wollte, blieb er also besser still und folgte ihr durch ewig lange Vitrinengassen zu einem Aufzug. Statt diesen jedoch zu benutzen, betrat sie das Stiegenhaus. Wollte sie wirklich die Treppen bis ganz nach oben nehmen? "Wie geht es deiner Mom? Ihr seid damals so schnell verschwunden, dass ich mich nicht einmal verabschieden konnte." In ihrer Stimme klang kein Vorwurf mit, "Gehst du jetzt auf die Arcana High? Ich habe gehört, dass es da nur so von attraktiven Frauen wimmelt ... Schon eine passende gefunden?" Sie lächelte vergnügt und schien es nicht eilig zu haben. Marcus zumindest hatte es nicht eilig, denn einerseits genoss er es, Fate nach so vielen Jahren wieder zu sehen und andererseits hatte er auch ein bisschen Angst davor, den Mann mit dem weißen Mantel - Lakar - zu treffen. "Meiner Mom geht es gut. Ja, wir sind damals schnell verschwunden. Meine Mom hatte Angst." Seine Stimme wurde belegt. "Ich hätte mich gerne von dir verabschiedet, Fate." Er schwieg einen Moment, ehe er weitersprach. "Ja, ich geh auf die Arcana. Nun nein, ich habe keine Freundin. Ich schätze, es ist in meiner Nähe nicht sicher. Man weiß nie, was nicht alles passieren kann und wann nicht ein Manah-Scanner auf mich gerichtet wird." Er musste an Kalina denken und wurde traurig. "Ich bin höchstwahrscheinlich dazu verdammt, jung und brutal zu sterben. Aber weil ich eben dies nicht wünsche, bin ich hier."

Nach einem Dutzen Etagen blieb sie letztlich stehen und betrachtete das Aushängeschild, welches den Raum als 'Werkstatt' bezeichnete, eine Weile nachdenklich. Ohne jedoch etwas zu sagen, öffnete sie die Türe und trat ein. Das Interieur war luxuriös, schwarzer Marmor traf auf rote Samtbezüge, erhellt in der Synthese aus fluoreszierendem Licht und Kerzenschein. Marcus gegenüber erstreckte sich über eine riesige Glasfassade die Skyline von Varath. Der Mann in Weiß stand mit dem Rücken zu ihm vor ebenjener Fensterfläche und schien seinen Blick ebenfalls in den weiten Auswüchsen der Hauptstadt verloren zu haben.

"Hast Du gewusst, dass diese Stadt hier einmal von Drachen bevölkert wurde? Vor etlichen Jahrhunderten waren es die Théalhacyn, die Kinder des Großen Windes, welche den Menschen die Stimme verleih, ihnen eine Sprache lehrte. Es war Kailash selbst, der Erste Drache, der ihnen die Flammen der Erkenntnis brachte."

Der Mann wandte sich um und die goldenen Augen blickten voller Belustigung in ihre Richtung. Ohne Vorwarnung ließ er sich in einen geflochtenen Stuhl fallen, der vor wenigen Sekunden ganz sicher noch nicht da gewesen war. Mit einer lässigen Handbewegung deutete er den beiden, sich ebenfalls zu setzen, und siehe da, auch hinter ihnen befanden sich urplötzlich Stühle. Der Vaishara nippte an seinem Rotwein, während die Goldaugen Marcus die ganze Zeit anzustarren schienen. "Wie tragisch und für den Menschen typisch, dass sie es waren, die die Drachen von hier vertrieben haben. Die Stimme kann eine mächtige Waffe sein, aber selbst so etwas Mächtiges und Erhabenes wie Drachen waren der schieren Masse an Menschen unterlegen." Er lächelte schwach und ließ jene Worte, die so garnichts mit Marcus' Problemen zu tun hatten, für einige Augenblicke im Raum schweben. Erst Fates Räuspern brachte ihn dazu, weiterzusprechen. Marcus indes wunderte sich sehr, vor allem über die Kräfte Lakars und darüber, dass Fate überhaupt nicht nervös zu sein schien.

"Du bist hier, um in den Künsten der Vaishara unterrichtet zu werden, stimmt das, Junge? Warum sonst würdest Du mich aufsuchen wollen? Warum glaubst Du, sollte ich Deinen Wunsch gewähren? Was glaubst Du denn überhaupt erreichen zu wollen?"

Marcus kam sich plötzlich unendlich dumm vor. Vielleicht hätte er besser alleine trainieren sollen, anstatt Lakar aufzusuchen. Was, wenn er den Raum nicht lebend verließ? Er wusste, wo Lakar zu finden war und war nun ein Sicherheitsrisiko. Konnte er schnell genug davon laufen? Wahrscheinlich konnte Lakar Türen einfach verschwinden lassen. "Es ist tatsächlich typisch für den Menschen, alles andersartige zu vernichten", antwortete Marcus und antwortete eher auf die ersten Worte Lakars anstatt auf dessen Letzte. "Sehr schade, dass die Théalhacyn fort sind. Wer weiß, wie weise die Menschen wären, lebten die Kinder des Großen Windes noch unter uns. Und ich erkenne Parallelen zu Unseresgleichen: Wie weit könnte die Menschheit sein, wenn sie uns nicht jagen würde." Marcus sah sich im Raum um, ehe er sich zwang, in die Augen Lakars zu sehen. "Ich bin hier, weil ich nicht die Absicht habe, wie die Théalhacyn einfach von der Bildfläche zu verschwinden. Ja, ich möchte unterrichtet werden." Er dachte genau über Lakars Worte nach. "Warum ich Sie sonst aufsuchen würde? Nun, Fähigkeiten sind nicht alles. Wissen ist Macht, heißt es doch. Ich bin leider nicht in der Lage, mit meinen Gedanken Dinge zu verändern wie Sie. Ich kann Kugeln nicht in Luft verwandeln. Ich habe teilweise nicht die leiseste Ahnung, was ich überhaupt bin und wozu ich fähig bin. Ich bin einfach nur erpicht darauf, am Leben und in Sicherheit zu sein. Warum Sie meinen Wunsch gewähren sollten?" Er machte eine Pause. "Vielleicht können Sie sich ein wenig in mich hinein versetzen. Vielleicht bin ich wie ein kleiner Théalhacyn, der nach einer Chance sucht, unter den Menschen wandeln zu können. Außerdem... Möglicherweise kann ich mich für etwas Training und Wissen erkenntlich zeigen. Das heißt nicht, dass ich Dinge für Sie mache, die ich niemals tun würde. Aber es heißt, dass ich möglicherweise den Gefallen erwidern kann. Eine Hand wäscht die Andere. Ich erwarte nicht, die Hilfe die ich möchte umsonst zu bekommen. Aber ich habe es satt, Angst zu haben. Was ich erreichen will? Ich bin bescheiden. Ich möchte einfach nur alt werden, Kinder haben und zufrieden sein."

Nathan & William: Die Arcana High

Das Zusammentreffen mit Reika noch im Kopf, hatte er den anderen Schüler nicht gesehen und war mit ihm zusammen geprallt. Sie beide verloren das Gleichgewicht und fielen hin. "Mein persönliches Pech heute", stöhnte William und sah seinen Gegenüber an. Und mit Mühe bewahrte er die Fassung, denn der Junge kam ihm sehr bekannt vor. Konnte es etwa sein... Der Junge erhob sich und reichte ihm die Hand. William ergriff die Hand und sein Gegenüber half ihm hoch. Er bemerkte den Blick des Jungen, der auf seinem Koffer lag. "Ich hatte vorher nur Privatlehrer", kommentierte William und zuckte mit den Schultern. "Ich dachte mir, auch wenn ich nun auf eine öffentliche Schule gehe, kann ich trotzdem gut dabei aussehen." Er zeigte ein gewinnendes Lächeln und schob dann mit Zeige- und Mittelfinger die Sonnenbrille zurecht. Dann schüttelte er Nathan Reeds Hand. "Ja, heute ist mein erster Tag hier. Ich bin William Archer. Freut mich sehr. Jetzt sollten wir aber in die Klasse gehen, bevor es Ärger gibt."
 
Sharon & Zoe: Kalinas Wohnung

Als Sharon die Küche betrat fiel ihr sofort der Blick auf, mit dem sich Nate und Kalina bedachten. Sie wusste natürlich, dass Nate vergeben war, hätte aber eigentlich erwartet, dass Kalina durch die Abwesenheit von Marcus traurig sein würde. Oder bahnte sich da doch etwas an? Aber sie wusste auch, dass man Blicke fehl deuten konnte, also dachte sie sich nichts weiter dabei. "Guten Morgen, ihr zwei", grüßte Sharon die beiden und schmunzelte, als Kalina eine Teetasse fallen ließ und das Esszimmer verließ. "Ich habe so gut geschlafen wie es ging, bedenkt man einmal die Umstände", antwortete sie auf Nates Frage. Bei Nates Worten nickte sie. "Ja, ihr habt Recht. Wir sollten nicht alle fehlen." Als Nate das Training bei Mina und Nina erwähnte, hob Sharon eine Augenbraue. "Beim nächsten Mal sollten wir das Training so legen, dass wir die Schule nicht versäumen. Ich hab es mir jedenfalls nicht anders überlegt und gerne grüße ich Ai von dir." Sie schmunzelte, als Nate sie galant zu Tisch bat und setzte sich hin. "Äußerst höflich... Du willst wohl deinen Ruf als blöden Kerl bei mir ruinieren, hm?" Zoe schien mittlerweile auch wach zu sein, denn die beiden konnten hören, wie sich Kalina mit jemandem zu unterhalten schien. Kurz darauf kamen sie und Kaline auch ins Esszimmer und Sharon grüßte Zoe freundlich.

Kalina wandte sich nun an alle Anwesenden: "Ich werde in Zukunft besser auf mich aufpassen! Tut mir leid, dass ich euch allen soviel Sorgen bereitet habe ..." Sie schluckte leicht und vermied jeglichen Augenkontakt, aber auch ohne konnten sich alle denken, dass sie gerade an Marcus dachte. Natürlich hatte sie von dessen Flucht nichts mitbekommen, aber es hatte sie schwer getroffen. Vielleicht würde sie es sich nun zweimal überlegen, sich in die Obhut gefährlicher Leute zu begeben, um eine Katastrophe verhindern zu wollen. Das war alles gut gemeint, doch von ihnen allen hatte Kalina keinen Grund, in die Konflikte zwischen Menschen und Hexen hineingezogen zu werden. Sharon musste an Kathy denken und spielte gedankenverloren mit ihrem Ankh-Anhänger. Wenn Kathy damals ein Mensch gewesen wäre und verletzt worden wäre... "Jeder kann in Gefahr geraten", sagte Sharon leise. "Aber wir wären keine guten Freunde, wenn wir nicht alles tun würden, um eben dies zu verhindern. Ich könnte mir nie verzeihen wenn jemand den ich mag wegen mir leiden muss." Sharon konzentrierte sich auf das Frühstück, aß auch relativ viel, denn sie hatte das Gefühl, ewig nichts mehr gegessen zu haben. Sie verabschiedeten Kalina und Nate als die beiden zur Schule gingen und Sharon sah den beiden vom Balkon aus nach, als sie die Straße entlang gingen. Wo Marcus wohl gerade war? Vielleicht würden die beiden ihn ja in der Schule antreffen und alles würde wieder in Ordnung sein. Vielleicht hatte Marcus nur eine Auszeit und etwas Schlaf gebraucht.

Sharon & Zoe: Ai's Apartment

Nachdem Travia Zoe und Sharon abgeholt hatte, war sie sehr kurz angebunden und es hatte den Anschein, als hätte sie nicht gut geschlafen. Während der Fahrt wechselte sie kein Wort mit den beiden, fluchte über das Fahrverhalten anderer Leute und leerte einen Becher Kaffee nach dem anderen. Nach einer scharfen 127°-Kurve blieb sie vor dem Gebäude stehen, das Sharon schon einmal betreten hatte. Für Zoe war es das erste Mal, sowohl was die Wohnung als auch die Zwillinge betraf. Während Travia an der Türe klingelte, dachte Sharon noch einmal über die beiden nach und kam erneut zu dem Schluss, dass Mina und Nina sehr ... ungewöhnlich waren. Auf allen Ebenen. "Wie ich schon einmal gesagt habe, handelt es sich bei den beiden um überaus erhabene und mächtige Wesen, also zollt ihnen ein bisschen Respekt. Ich will nachher nicht hören, dass ihr euch nicht anständig benommen habt", tadelte Travia die beiden Mädchen, als wären sie ihre Töchter. Ehe die beiden jedoch etwas erwidern konnten, öffnete sich die Türe und Mina (oder war es Nina?) trat in den Flur - mit nichts als einem langen Shirt, das mehr schlecht als recht ihre nackte Hüfte zu verhüllen schien. Ihr Haar war vollkommen zersaust und das Makeup leicht verschmiert. Doch was der Sache die Krone aufsetzte, war der junge Mann, der auf einem Bein humpelnd versuchte, seine Jeans anzuziehen. "Raus!", murrte die junge Dame und half dem Armen geradezu nach, ehe sie Sharon und Zoe in die Wohnung zog und Travia zwischen Tür und Angel ansah. Sharon - die durchaus auch hübsche Frauen zu schätzen wusste - hatte eine Weile perplex die Hüfte der Frau vor sich angestarrt und war ein wenig rot angelaufen, konnte dies aber dann geschickt kaschieren mit: "Hab lange nicht mehr einen Mann so hüpfen und fliehen sehen". Sie kicherte und nickte Travia zum Abschied zu, ehe die Tür zuflog. Mina und Nina schienen ja erhabene Wesen zu sein. Doch sie spielten die Rolle von ganz normalen Frauen wirklich perfekt.

Mina räumte noch schleunigst ihre Unterwäsche vom Küchenboden. Und Sessel. Und Tisch. "Ihr wollt also trainieren, hm?", murmelte sie, "Was schwebt euch denn so vor? Ich kann euch ja schon den einen oder anderen Liebeskniff verraten ..." Sie wollte grinsen, doch noch in der Bewegung ihrer Gesichtsmuskeln hielt sie inne. Just in dem Moment trat der andere Zwilling, Nina, ein. Man konnte Nina sehr gut an ihrem schwarzen Anzug erkennen. Im Gegenzug zu ihrer Schwester schien sie etwas auf gepflegtes Auftreten zu halten. "Ich hab es dir gesagt", flüsterte Nina und widmete sich nun den Gästen. "Verzeiht dieses ... Trauerspiel. Ihr wollt also den Weg der Vaishara gehen? Habt ihr euch denn jemals die Frage gestellt, was das bedeutet? Was es heißt, ein Vaishara zu sein?" Sharon hatte schon oft darüber nachgedacht. Besonders in der letzten Nacht. "Ihr beide seid Aviati, zwei von fünf Auserwählten der Götter. Ich bin mir nicht sicher, wie viel ich mit euch beiden gemeinsam habe. Aber wenn ich Vaishara sein mit etwas göttlichem in Verbindung bringe, dann denke ich, dass Vaishara eigentlich die Menschen beschützen müssten. Auf sie aufpassen müssten. Leider müssen wir in dieser Zeit eher auf uns selber aufpassen, da uns die meisten Menschen jagen und töten. Obwohl es natürlich Städte und Länder gibt, wo es anders aussieht." Sie machte eine Pause. "Ich möchte eigentlich nur lernen, meine Kräfte zu benutzen und besser zu werden. Um am Leben zu bleiben. Und meine Freunde zu beschützen."

Kevin: Tomos Haus / Arcana Middle School

Er spürte Tomos Hand, die ihm über den Kopf strich und schalt sich für diesen Emotionsausbruch. Er spürte ihre Stirn an seinem Hinterkopf, während ihre Hand sich auf seine legte. "Vielleicht ist die Welt manchmal ungerecht ... vielleicht ist es manchmal schwer zu glauben ... aber glaubst du nicht, dass sich die Welt, Stück für Stück, in die richtige Bahn begibt? Dass es noch immer Wunder gibt? Tomo glaubt an diese Welt, Tomo glaubt an ihre Wunder. Der Fuchs hat dich gerettet. Bestimmt hat er ein Wunder in dir gesehen. Und nun vollbringst du Wunder, um andere zu retten ... Wenn es einen Kreislauf des Neids und des Hasses gibt, muss es dann nicht zwangsläufig auch einen Kreislauf der Freude und der Liebe geben? Das Leben ist nicht immer das beste, aber wir können stets das Beste daraus machen." Sie ließ ab von ihm, denn er war eingeschlafen. Kurz betrachtete sie ihn gedankenversunken, ehe sie ihn zudeckte und das Licht der Kerze löschte.

"Und manchmal ... manchmal braucht es die Dunkelheit, damit andere das Licht sehen können ..."

Als Kevin aufwachte, befand er sich vor dem Eingang seiner Schule. Er wusste nicht, wie er dorthin gelangt war, noch, was überhaupt geschehen war. Er konnte sich nur vage daran erinnern, dass ihn eine leise Stimme durch den Schlaf geführt hatte. Ob er einen Albtraum gehabt hatte, vermochte er nicht zu sagen. Aber er fühlte sich ausgeruht und fit. Er war angezogen und sogar seine Schultasche war bei ihm. Wie hatte Tomo ihn hier her gebracht? Er war sich sicher, dass Tomo möglicherweise doch eine Vaishara war, doch es machte keinen Unterschied. Ja, er glaubte daran, die Welt verbessern zu können. Ohne Gewalt. Hastig sprang er von den Stufen der Schule auf und eilte zu einer nahen Telefonzelle, rief bei seinen Eltern an und hinterließ eine Nachricht, dass es ihm gut ging. Dann ging er zum nahen Bäcker, kaufte sich zwei Nuss-Schleifen und einen Becher Kakao und verputzte alles hastig, ehe er sich auf den Weg zum Klassenzimmer machte. Gern würde er einige Jahre vorspuhlen, wäre so gerne bereits ein Wissenschaftler oder Theologe, um aktiv etwas zu bewirken. Doch wusste er auch, dass er seine Kindheit genießen musste, denn andere hatten so eine Chance nicht. Vor dem Klassenzimmer hielt er die Augen nach Tomo offen, würde sie freundlich begrüßen und den Unterricht - wie langweilig auch immer - über sich ergehen lassen.
 
Sharon & Zoe: Ai's Apartment

Sie hatte geschwiegen. Die ganze Zeit über, hatte sie nicht ein einziges Wort verlauten lassen. Nicht, als Travia mit high-speed die Straßen entlang fegte, auch nicht, als ein halbnackter Mann von einem der Zwillinge aus der Wohnung geworfen wurde. Selbst dann nicht, als eine der beiden ihre Unterwäsche zusammen sammelte und versuchte für Ordnung zu Sorgen.
Es war nicht, dass sie nichts sagen wollte. Es war einfach nur ... Sie wusste nicht was. Es kam ihr vor als würde alles in Zeitraffer ablaufen und keiner lies ihr auch nur die Möglichkeit, die neuen Entwicklungen und Geschehnisse zu verarbeiten, geschweigeden zu Kommentieren. Sharon kannte die beiden bereits, doch für Zoe war sowohl die Umgebung, als auch die Zwillinge völlig fremd, was sie ein wenig verunsicherte.
Zugegeben war "ein wenig" dabei noch untertrieben.
Erst letzte Nacht hatte sie von den beiden zum ersten Mal gehört, die von Sharon als Aviati und somit sehr mächtige Wesen, bezeichnet wurden. Sie wusste nicht was sie damit nun anfangen sollte, geschweigeden wie damit umgehen. Wenn diese beiden Vaishara wirklich so mächtig waren wie es hieß, könnte das noch mehr Schwierigkeiten bedeuten, als sie ohnehin schon hatten.
Andererseits ... Sharon hatte recht, wenn sie etwas von ihnen lernen konnten, konnte das nur gut für sie sein. Sie musste es einfach darauf ankommen lassen.

"Ihr wollt also trainieren, hm?", murmelte sie, "Was schwebt euch denn so vor? Ich kann euch ja schon den einen oder anderen Liebeskniff verraten ..." Sie wollte grinsen, doch noch in der Bewegung ihrer Gesichtsmuskeln hielt sie inne. Just in dem Moment trat der andere Zwilling, Nina, ein. Man konnte Nina sehr gut an ihrem schwarzen Anzug erkennen. Im Gegenzug zu ihrer Schwester schien sie etwas auf gepflegtes Auftreten zu halten. "Ich hab es dir gesagt", flüsterte Nina und widmete sich nun den Gästen. "Verzeiht dieses ... Trauerspiel. Ihr wollt also den Weg der Vaishara gehen? Habt ihr euch denn jemals die Frage gestellt, was das bedeutet? Was es heißt, ein Vaishara zu sein?" Zoe sah sie nur an, unklar was sie mit ihrer Frage eigentlich ausdrücken wollte. Doch noch ehe die Züchterin die Chance bekam auch einmal das Wort zu ergreifen, war es Sharon die auf die Frage antwortete.
"Ihr beide seid Aviati, zwei von fünf Auserwählten der Götter. Ich bin mir nicht sicher, wie viel ich mit euch beiden gemeinsam habe. Aber wenn ich Vaishara sein mit etwas göttlichem in Verbindung bringe, dann denke ich, dass Vaishara eigentlich die Menschen beschützen müssten. Auf sie aufpassen müssten. Leider müssen wir in dieser Zeit eher auf uns selber aufpassen, da uns die meisten Menschen jagen und töten. Obwohl es natürlich Städte und Länder gibt, wo es anders aussieht." Sie machte eine Pause. "Ich möchte eigentlich nur lernen, meine Kräfte zu benutzen und besser zu werden. Um am Leben zu bleiben. Und meine Freunde zu beschützen."
Es war nicht schwer zu erraten das sie dabei von Marcus sprach und Kalina und natürlich auch von Nate. Zoe musste sie nicht ansehen um zu ahnen, dass sie sich immer noch schlecht fühlte, wegen dem was passiert war. Am liebsten hätte sie ihr aufmunternt auf die Schulter geklopft, beließ es lieber jedoch dabei ihre Aussage mit einem "das selbe gilt für mich" zu kommentieren. Anschließend fügte sie noch ein "Ich weiss nicht recht, ob ich meine Kraft wirklich ausbauen kann, hoffe aber sehr das es möglich ist und das ich damit in der Lage bin, jene zu schützen die mir wichtig sind." Bei ihren Worten blickte sie kurz zu Charon, der an ihrer Seite saß und die fremden missmutig beäugte.

Mina schwieg zur Verwunderung aller und Nina lächelte schwach, was nicht minder erstaunlich war. "Aviati ... Diesen Namen haben wir schon lange nicht mehr gehört ... Glaubt mir, dass es nichts Göttliches hatte ..." Mina verzog die Miene, während sie beide einen Hauch Nostalgie und Bedauern ausstrahlten. Ein schwaches Beben rüttelte sie jedoch wortwörtlich aus dieser Starre und Mina konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. "Schon gut, Ai. Kommt nicht wieder vor!", rief sie in Richtung einer Tür, ehe sie sich wieder an die beiden Mädchen wandte. Ai? Von wem sprachen die beiden und was war das für ein seltsames Beben gewesen?
Zoe zuckte vor Schreck zusammen, ehe sie ein wenig rot anlief und die Arme vor dem Körper verschrenkte. "Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es da noch einige Sachen gibt, von denen mir bisher keiner erzählt hat ..", murmelte sie und hörte dann wieder Aufmerksam zu.

"Zu überleben und zu beschützen sind beide wichtig. Doch nicht immer lässt sich das eine mit dem anderen verbinden. Dennoch ehren wir deine Entscheidung und versuchen so gut es uns möglich ist, euch auf euren Weg zu unterstützen. Ich hoffe bloß, ihr macht uns nicht so viele Schwierigkeiten wie Ai und ihr Bruder." Bei diesen Worten bekam sie von Nina einen leichten Schlag auf ihren Hinterkopf. Diese richtete nun das Wort an sie, während sich Mina leise fluchend den Kopf rieb. "Wie dem auch sei, hier können wir euch nicht trainieren. Das Trainieren der primären Kräfte und der Elementaraffinität benötigt bei talentierten Vaishara Jahre. Soviel Zeit werden wir nicht haben. Mina ..." Die Angesprochene schloss kurz ihre Augen, schien etwas zu murmeln und öffnete ihr linkes Auge wieder. Das Grün wirkte lebendig und es hatte den Anschein, als würde die Farbe im Strudel der Pupille hineingesogen werden. Der Raum schien zu beben und zu verschwimmen, und sowohl Sharon als auch Zoe würden einen Sog an ihrem Körper spüren. Dann krümmte sich der Raum und es wurde finster.
Als die beiden die Dunkelheit wegblinzelten, fanden sie sich plötzlich in einer riesigen Wüste wieder. Es war Abend und die Sonne war im Begriff unterzugehen. Nina stand vor ihnen - in einem befremdlichen Gewand, das ein leicht gepanzertes weißes Kleid darstellte. "Was zum ..." war das erste was Zoe entwich, ehe sie sich die Hand vor den Mund schlug um dem Zwilling - sie wusste nicht, wer von beiden Nina oder Mina war - ins Wort zu fallen.
Wie ein Schwamm sog sie die Erläuterung des Vaishara in sich auf, versuchte die neuen Informationen irgendwie zu verarbeiten und gegebenenfalls auch mit den bereits existierenden in Verbindung zu bringen.
Als sie einen dieser Felsen in die Hand gedrückt bekam, legte sie den Kopf schräg und sah ihn skeptisch an. Dann sah sie wieder zum Zwilling und beobachtete, was sie tat.
Als sie fertig war, war Zoe nicht viel schlauer als vorher. Wie sollte sie ihr eigenes Manah in diesen Würfel projezieren? Sie hatte keine aktive Fähigkeit und mit ihrer passiven, wusste sie nicht, wie sie diese auf den Fels anwenden sollte.
"Ahm ..." räusperte sie sich kleinlaut, ehe sie auf den Zwilling ein wenig zuging. "Ich weiss nicht genau, wie ich das jetzt anstellen soll. Wie genau, kann ich das Manah in den Würfel fliessen lassen?"

(hoffe das ist so in Ordnung, ansonsten sag bescheid)
 
Sharon & Zoe: Ai's Apartment

Als ein kleines Beben durch das Zimmer ging, konnte Sharon Zoe's fragenden Blick sehen. "Ups, das habe ich gestern ja ganz vergessen. Das war Ai. Nates Schwester. Er besucht sie regelmäßig. Denn sie ist wach, gleichzeitig aber auch nicht. Ich weiß nicht, wie ich es besser erklären soll und ich habe weder Nate, Travia noch Mina und Nina gefragt, was eigentlich mit Ai passiert ist. Sie scheint einfach zu schlafen, doch ich bin mir sicher, dass sie jedes Wort von uns hört."

Dann konzentrierte Sharon sich wieder auf die Zwillinge und es schien, als würden sie in Minas Augen verschwinden und sie fanden sich alle in einer Wüste wieder. "Der Mann mit dem weißen Mantel ist auch ein Aviati", erklärte Sharon Zoe. "Wenn das hier also keine Illusion ist, dann haben uns die beiden wirklich in irgendeine Wüste teleportiert..." Sharon war selber erstaunt, dass es solch mächtige Fähigkeiten gab. Wo lag dann ihre eigene Grenze? Sie wusste noch genau, wie sie gegen Nate gekämpft hat und was für erstaunliche Dinge sie getan hatte. Das machte ihr auch Angst, doch war sie sich auch bewusst, dass diese Macht sie beschützen konnte, wenn sie sie trainierte und zu kontrollieren lernte. Sie betrachtete die untergehende Sonne am Horizont, fuhr mit den Schuhen durch den Sand unter ihren Füßen. Die Zwillinge erschufen handliche Steinwürfel, sprachen von Manah. Sharon hörte gut zu, sah zu, wie die Zwillinge Energie in die Würfel sandten. Dann sah sie zu, wie Nina den Würfelhaufen teilte.

Zoe fragte, wie sie das denn anstellen sollte. Das wollte Sharon auch gerne wissen, doch liebte sie es, Dinge einfach auszuprobieren. Betriebsanleitungen waren ihr zuwider. Sharon setzte sich im Schneidersitz vor ihren Würfelhaufen und betrachtete die Würfel erst einmal nur. Ihre Kräfte funktionierten meist nur, wenn sie Gegenstände berührte. Erst dann konnte sie diese Gegenstände bewegen. Doch Sharon wusste auch, dass sie es wesentlich besser konnte, wenn sie wütend war. Sie vermutete, dass sie bei ihrer Telekinese bereits Manah in einen Gegenstand sandte oder eher um es herum wob, um den Gegenstand zu bewegen. Also nahm sie sich nun einen Würfel, hielt ihn in beiden Händen und starrte den Würfel unverwandt an. Dann ließ sie den Würfel um sich herum in der Luft schweben. Sandte sie bereits Manah in den Würfel?

Sie hatte jedoch eine gute Vorstellung davon, wie sie es übertreiben konnte: Sie stellte sich vor, den Würfel einfach zu zermalmen und einen kurzen Moment leuchtete der Würfel azurblau auf, wurde schnell hell wie eine kleine Sonne, ehe er einfach verschwand und weg schmolz. Sharon lächelte, trotz dieses Fehlschlags. Sie nahm den nächsten Würfel in ihre Hände, ließ ihn kurz vor sich herum schweben, ehe sie ihn wieder in die Hände nahm und versuchte, Kraft in den Würfel zu lenken, ohne diesen dabei zu zerquetschen. Wenn sie einen Gegenstand berührte, konnte sie ihn spüren, ihn regelrecht fühlen, ohne ihre Augne zu benötigen. Ganz sanft übte sie einen gewissen Druck auf den Würfel auf, nutzte dabei die Verbindung der Berührung. Der Würfel begann erst schwach zu leuchten, dann jedoch etwas stärker. Dann allerdings sprühten Blitze aus dem Würfel und er zerbrach. Auch das machte Sharon herzlich wenig aus. Ja, sie wollte besser werden und zwar schnell. Doch sie würde sich da ganz sicher nicht verrückt machen.

Nun wollte sie auf eine Berührung verzichten. Sie starrte den nächsten Würfel einfach nur an, bemühte sich, ihn zu spüren und dann zu bewegen. Es galt, das unsichtbare Band ohne eine vorherige Berührung zu weben. Telekinese war ihre Kraft und so musste sie darin einfach besser werden. Lange starrte sie den Würfel an, blinzelte kaum, bis ihre Augen schmerzten. Dann plötzlich bewegte sich der Würfel, kaum mehr als ein Zucken und Sharon gönnte sich ein Lächeln. "Man muss ruhig bleiben", sagte sie leise an Zoe gerichtet. "Mach dir keinen Druck. Sei dir der Energie in dir selbst bewusst." Der nächste Würfel krachte gegen Sharons Stirn und sie bekam eine Beule, ließ den Würfel um sich kreisen, doch der Würfel trudelte. Doch Sharon wusste, dass die Sache mit der Berührung nur Trug war und nicht nötig war. Sie musste sich einfach konzentrieren. Auch der zweite Würfel leuchtete, ehe er zerbrach. Sharon merkte, wie sie selber ungeduldig wurde und versucht war, es mit Zorn zu versuchen. "Ich kann Laserstrahlen verbiegen, wenn ich sauer bin, aber keine Würfel zum Leuchten bringen, wenn ich ruhig bin", sagte sie leise mehr zu sich selbst. Es war so absurd, dass Sharon kurz lachen musste.

Dann hatte sie eine Idee. Es ging um Gleichmäßigkeit. Also berührte Sharon einen Würfel nach dem anderen und brachte sie zum schweben, versuchte, mehrere Würfel gleichzeitig um sich herum schweben zu lassen. Als es irgendwann zu schwierig wurde, fügte sie keine weiteren Würfel hinzu, konzentrierte sich nur darauf, die wenige Würfel konstant zum Schweben zu bringen. Dann ließ sie einen Würfel zu Boden fallen, bemühte sich jedoch, die aufgewendete Kraft weiter in die restlichen Würfel fließen zu lassen. Immer wieder fielen Würfel zu Boden. Doch am Ende war da ein Würfel übrig, der konstant am Schweben und am Leuchten war und erst zerbrach, als Sharon zufrieden grinsend zu Mina und Nina sah. Und sofort schalt sie sich dafür. Doch sie war auf dem richtigen Weg. Der nächste Würfel leuchtete, solange Sharon sich nicht ablenken ließ. Zufrieden wischte sie sich etwas Blut von der Oberlippe, denn ihre Nase war leicht am Bluten. Sollte sie es mit mehreren Würfeln gleichzeitig probieren oder doch lieber langsamer vorgehen?
 
Marcus & Fate: Das Jack of All Trades

Fate schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, doch es erreichte ihre Augen nicht. "Du wirst nicht sterben, Marcus. Weder heute noch in naher Zukunft." Wahrscheinlich meinte sie damit, dass er schon bald unter Lakars Schutz stehen würde. Doch würde er ihm wirklich Sicherheit bieten können? Marcus hatte bemerkt, dass ihr Lächeln nicht ihre Augen erreichte. Lag es daran, dass sie noch sauer auf ihn war? Oder wusste sie vielleicht, dass selbst Lakar ihn nicht beschützen konnte - oder nicht beschützen würde, wenn es wirklich erforderlich sein sollte. Doch andererseits war Marcus nicht hier um einen Babysitter für sich zu finden. Er wollte lernen, selber auf sich aufzupassen. Der Tod lauerte für einen Vaishara theoretisch überall. Doch Marcus würde sich nicht einfach abknallen lassen. Wenn es irgendwann wirklich richtig bitter für ihn werden sollte, dann schwor er sich, dem Militär einen höllischen Kampf zu liefern. Als er versuchte, sich vor Lakar mit den Théalhacyn zu vergleichen, lächelte Lakar nur süffisant, stellte sein Weinglas ab und verschränkte die Hände vor seinem Gesicht.

"Du hast Angst, Junge. Das ist nur allzu verständlich. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Doch leider kann ich Deinen Wunsch nicht erfüllen." In den Goldaugen war nun Niedergeschlagenheit zu sehen, als er weitersprach: "Du hast viel Potential, versteh mich nicht falsch. Aber Dein Beweggrund ist schwach ..." Er erhob sich, und auch Fate tat es ihm gleich, als die Umgebung in Flammen gehüllt war, die sich nicht wie Illusionen anfühlten, wie Marcus feststellen musste, als er neugierig eine berührt hatte. Er zuckte kurz zusammen, und als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, waren sie nicht mehr im Jack of All Trades. Vielleicht waren sie gar nicht einmal mehr in Ylesia. Vor Marcus Augen erstreckten sich die Ruinen eines Dorfes. Es schien, als hätte es vor Kurzem ein Bombardement gegeben. Der Boden war blutrot gefärbt, die Abenddämmerung setzte ein. Doch das alles war nebensächlich. Die drei betrachteten aus sicherer Entfernung zwei Jugendliche in Marcus' Alter. Sie flüchteten vor zwei Soldaten in eine schmale Seitengasse, doch sie hatten keine Chance.

Der Junge wurde an der Schulter getroffen und fiel zu Boden, das Mädchen eilte zu ihm. Sie streckte ihre Handflächen nach ihm aus und sofort wurde er von einem blauen Schimmer umgeben. Dann aber packte sie ein Soldat an den Haaren und schmetterte ihr Gesicht gegen eine Mauer. Der Junge schrie ihren Namen, doch der andere Soldat nahm sich seiner bereits an. Er stellte sich mit einem Bein auf die Brust des Jungen und zog einen Arm zu sich. "Du bist doch die Hexe mit der Fähigkeit, Schmerzen zu projezieren, oder?" Er holte ein Messer hervor und richtete es an seinen Ellbogen. "Dann wirst du das hier fast so sehr genießen wie ich ..." Er ließ sich mit dem Verstümmeln seines Opfers Zeit, schnitt ihm langsam Muskeln und Sehnen von den Knochen. Der Junge schrie, doch es nützte nichts. Das Mädchen versuchte ihm zu helfen, doch ihre passiven Kräfte nutzten ihr nicht, als ihr Peiniger begann, sie zu entkleiden. "Macht dich das an, dass dein Freund hier filletiert wird, Kleines? Du bist echt ein Miststück." Als er den Akt mit ihr begann, zog Fate Marcus von der sich ihnen bietenden Szene ab.

Nur Lakar betrachtete das Schauspiel mit steinerner Miene weiter, und die Flammen loderten in dessen Goldaugen. "Sie hatten nie eine Chance", flüsterte er, "Sie waren nur schwache Hexen, ihre Fähigkeiten kaum vorhanden. Beide wollten sie ihre Kräfte nutzen, um anderen zu helfen, doch in ihrer größten Not konnten sie nicht einmal sich selbst retten ..." Die Umgebung verschwamm, verschwand in dichtem Nebel, und als dieser verschwunden war, befanden sie sich abermals an einem anderen Ort. Es handelte sich um eine Militärbasis, und für einen kurzen Augenblick bekam es Marcus mit der Angst zu tun, als er eine Wache neben sich wiederfand. Doch diese schien nicht auf ihn zu reagieren. Lakar und Fate gingen einen weiten Flur entlang, ehe sie an einem Labor ankamen. Bildete er es sich ein, oder hörte er ein Kind weinen? Fate öffnete die Türen und die drei traten ein. In jenem Labor, hundert Meter unter der Erde, wurde Marcus Zeuge wie Kinder jeden Alters, vom Kleinkind bis zum Jugendlichen, an Apparaturen geschnallt waren und Tests über sich ergehen lassen mussten. Ein vielleicht sieben Jahre altes Mädchen lag mit starken Verbrennungen auf einer Stahlplatte, ehe diese kochend heiß wurde und es grässlich zu zischen begann.

Kurz drang der Geruch verschmorten Fleisches an seine Nase, doch ehe er sich übergeben konnte, war er auch wieder verschwunden. Er blickte sich weiter um, und sah einen Jungen, dessen linke Gesichtshälfte bis auf die Knochen verätzt war. Er wand sich in den Gurten, doch es gab kein Entrinnen vor der Chemikalie, die in stetem Takt auf ihn herabtropfte. Diese zwei waren nicht die einzigen im Labor, nein, es war zu Dutzenden gefüllt mit Kindern in Foltermaschinen und ihre Schreie drangen bis in Marcus' Seele. "Diese Kinder waren hier, weil sie anders waren. Sie konnten sich nicht aussuchen, als was sie geboren wurden. Sie hatten ihr ganzes Leben noch vor sich, doch man hatte ihnen diese Zeit genommen." Erneut wechselte die Umgebung und nun war es, als würden sie von einem Ort zum nächsten springen. Bilder des Schreckens schwirrten nur so um Marcus herum, so schnell, dass er nicht die Zeit hatte, alle Schicksale in sich aufzunehmen. Ihre Reise endete mit einem kleinen Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt. Es hielt einen zerschlissenen Plüschbären in den zitternden Händen.

Durch die kleinen Schlitze im Schrank musste sie mitansehen, wie fremde Männer ihre Mutter ins Bett warfen und sie dann zu Tode prügelten. Einige konnte sie mithilfe ihrer Telekinese mit in den Tod jagen, doch es waren zu viele. Das Mädchen verstand von alledem nichts, nur, dass es Angst hatte. Die fremden Männer taten ihrer Mutter weh, ihre Schreie liefen ihr kalt über den Rücken. Das Mädchen versuchte still zu sein, versuchte nicht zu schreien. Nach einer Weile ließen die Fremden ab von ihrer Mutter und gingen davon, nachdem einige ihrer Mutter noch ins Gesicht spuckten. Das Mädchen biss in den Kopf des Plüschtiers, aus Angst, man würde ihr flehendes Flüstern hören können. Doch sie zogen alle davon. Langsam atmete das Mädchen aus, doch es war immer noch zu ängstlich, um nach draußen zu gehen. Die Wohnungstüre wurde geöffnet und die Schritte verhallten, als sie eine Stimme vernehmen konnte. "Wartet, hatte das Flittchen nicht noch 'n Kind?" Lakar wischte das Bild vor ihren Augen weg, seine Augen waren voller Gram.

Sie alle standen nun auf einem Marktplatz, und Marcus glaubte, ihn aus dem Geschichtsunterricht zu kennen. Tarisia, die hexenlose Stadt. Warum sie so hieß, wurde ihm heute nur umso deutlicher klar. Der weiße Marmor des Forums war vom Blute Hunderter besudelt, ihre Leichen lagen zu Dutzenden gestapelt überall. Diejenigen unter ihnen, die ihren Lebensodem noch nicht verbraucht hatten, röchelten leise die kalte Winterluft ein. Was Marcus aber umso mehr entsetzte, war, dass er eine Person zu erkennen glaubte. Es war ein Junge in seinem Alter, mit schwarzem Haar und Bernsteinaugen. In der schwarzen Robe des Militärs gekleidet, stand er inmitten der Leichenberge und tötete jene, die den ersten Angriff überlebt hatten, mit einem einfachen Schnippen. In Nathans Augen war nicht eine Spur an Emotion zu erkennen, weder Reue noch Mitgefühl. Lakar legte eine Hand auf Marcus' Schulter. Er lächelte traurig. "Wir alle leben in Furcht, Junge. Für uns alle könnte heute der letzte Tag sein. Doch du bist nicht wie jeder andere. In dir steckt sehr viel Potential, ja. Du musst nicht fürchten, in einer einsamen Gasse als Namenloser zu sterben. Aber reicht Dir das?" Lakar ließ ab von ihm und ging auf die Leichen anderer Hexen zu. "Genügt es Dir, in Sicherheit zu sein, während andere um ihr Leben bangen müssen? Du wirst auch weiterhin dazu verdammt sein, tatenlos mitansehen zu müssen, wie alle um Dich herum zum Sterben verurteilt sind, weil Du nur um Deine eigene Sicherheit und die Deiner engsten Freunde besorgt bist!" Die ganze Zeit über war Lakars Stimme leise, aber bestimmt. Nie mehr als ein Flüstern aber so schlagkräftig wie ein Wirbelsturm.

"Du willst Macht und ich kann sie Dir geben, Marcus O'Connor. Doch noch einmal frage ich Dich: Was glaubst Du denn überhaupt erreichen zu wollen?"

Marcus atmete tief durch. Es war ein schlimmer Fehler gewesen, hier her zu kommen, mit der Absicht, sich von Lakar trainieren zu lassen. Lakar behauptete, sein Beweggrund sei schwach und hatte ihm dann schreckliche Bilder von Grausamkeiten der Menschheit gezeigt. Ja, die Bilder hatten ihn schockiert und er würde sie sicher nicht vergessen. Doch glaubte er auch, sich Lakars Absicht bewusst zu sein. "So viele Vaishara hatten keine Chance", stimmte er Lakar zu. "Ich möchte eine Chance haben. Nur ein paar Tipps, etwas Training. Nicht mehr. Aber..." Er sah Lakar an, hatte deutlich den Gram in dessen Augen gesehen. "Möglicherweise lautet die Frage nicht, was ich erreichen möchte. Sondern was Sie erreichen möchten. Ich bin kein dummer Mitläufer. Kein Bauer, der sich einfach so opfern lässt. Ich bin kein Kanonenfutter. Mir gefällt nicht, was da draussen in der Welt so vor sich geht, wirklich nicht. Ich vermute, Sie wollen Ihre Zeit nicht mit mir vergeuden, wo sich tausend wichtigere Dinge zu tun haben. Allen Vaishara helfen, anstatt nur einem einzigen. Natürlich ist das Wohl aller wichtiger. Ja, so viele bangen um ihr Leben. Aber ich weiß nicht, ob es etwas bringt, da in die Offensive zu gehen."

"Wenn es einfach wäre, den Konflikt zu beenden... Aber ich kann mir nicht einmal eine Vorgehensweise vorstellen, die sowohl den Menschen als auch den Vaishara den Frieden bringen kann. Oder denken Sie, nur eine von beiden Rassen kann überleben? Ich werde mich sicher nicht gegen die ganze Menschheit stellen. Und gegen das Militär vorzugehen schürt nur den Hass und macht alle Vaishara zu Sündenböcken. Ich werde mich bestimmt nicht gegen das Militär stellen. Denn auch damit setze ich meinen Freunden und meiner Familie einem Risiko aus. Es war falsch von mir, hier aufzutauchen und Ihre Zeit zu vergeuden. Dafür entschuldige ich mich. Gerne würde ich etwas bedeutsames tun. Etwas für den Frieden. Aber ich kenne meine Grenzen und ich kenne die Macht des Militärs. Wenn ich meine Kräfte kontrollieren kann, dann kann ich vielleicht einige wenige beschützen. Wenn ich jedoch mit Ihnen offensiv vorgehe, dann ist die Chance, alles zu verlieren und dabei zu sterben nur umso größer. Ich halte mich lieber vom Rampenlicht fern, anstatt mitten hindurch zu tanzen und eine einzige, große Zielscheibe zu sein."

"Ich habe gehofft, hier etwas zu lernen. Den Umgang mit meinen Kräften. Damit ich überleben kann, ein einigermaßen erträgliches Leben führen kann. Um an Altersschwäche zu sterben und nicht an einer Gewehrkugel. Bescheidene Ziele, oder? Das war töricht von mir, denn ich habe etwas gelernt in den letzten paar Minuten." Er sah zu Fate. "Die beste Möglichkeit, seine Freunde und Familie zu beschützen, wenn man eine Hexe ist, ist sich von ihnen fern zu halten. Vielleicht kann ich kein normales Leben führen, denn früher oder später holen einen die Vergangenheit, die Wirklichkeit oder das Militär ja sowieso ein." Marcus sah wieder zu Lakar. "Ich schätze, ich werde alleine den Umgang mit meinen Kräften lernen müssen. Das haben andere auch schon geschafft, denke ich. Es wird wohl das beste sein, sich von allem los zu sagen und alleine klar zu kommen. Nur so muss ich keine Furcht mehr haben. Nur dann kann ich offensiv gegen alles, was mich bedroht vorgehen. Denn Hoffnung... Ist einfach nichts für kleine Leute wie mich. Tut mir leid, die Vergeudung Ihrer Zeit. Ich würde jetzt gerne gehen, ich habe Vorbereitungen zu treffen."

Er sah zu Fate. "Tut mir sehr leid, wieder aus deinem Leben zu verschwinden. Sei diesmal aber nicht traurig, denn ich verschwinde praktisch aus dem Leben aller, die mich kennen." Marcus sah wieder zu Lakar. Würde er ihn einfach so gehen lassen? Oder würde er ihn gar töten? Es tat nichts zur Sache. Marcus war sich sicher, dass Lakar ihn dazu bewegen wollte, für ihn zu arbeiten und für ihn zu kämpfen. Doch das Militär war zu mächtig. Zu wahrscheinlich war es, damit seine Familie und seine Freunde in Gefahr zu bringen. Es gab einfach keine Chance, offensiv vorzugehen. Vaishara waren wohl dazu bestimmt, sich zu verbergen und als Einzelgänger durchs Leben zu gehen. Das wäre das beste für alle. Sowohl für Marcus' Mutter, als auch für Nate, Kalina, Zoe, Sharon und Fate. Nur Aiolos würde er mit sich nehmen, doch auch das wäre vielleicht gefährlich für Zoe. Es durfte keine Verbindungen zu anderen geben. Kein Name mehr, keine feste Adresse. Er würde trainieren und niemand außer ihm selbst wäre dann noch in Gefahr. "Euch wünsche ich natürlich alles Glück der Welt. Vielleicht habt Ihr ja noch Hoffnung auf Frieden. Vielleicht könnt Ihr einen Unterschied machen. Aber Ihr habt auch Kräfte, die... mächtig sind. Viele Vaishara haben die eben nicht. Ich möchte nun gehen." Das war besser, als den Handlanger für Lakar zu spielen im Austausch für ein paar Tipps. Denn Marcus war sich sicher, dass Lakar vielleicht sogar jedes Mittel recht war, um seine Ziele zu erreichen. Für das Wohl aller Vaishara wäre es nicht weiter schlimm, ein paar Schwache zu opfern. Marcus würde sich nicht opfern lassen. Dann lieber ein Leben in Einsamkeit und in den Schatten der Gesellschaft.
 
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