Kapitel 9
Alexia sah sich in der Kanalisation nach allen Seiten um, bevor sie mit einem Wink andeutete, dass die Luft rein war. Die fünf weiteren Vampire, allesamt männlich, folgten ihr daraufhin im angegebenen Abstand, Migel ging als Führer an der Spitze voran.
Rückblick
Nachdem alle Vampire bei Rico eingetroffenen waren, hatte Alexia den Plan erklärt, wie sie am Besten und Schnellsten in das Gefängnis hinein - und natürlich wieder hinauskamen.
"Der schnellste Weg führt durch die Kanalisation, jeder andere Weg wäre zu riskant. Aaron würdest du mich bitte nicht so anstarren?"
Die Bemerkung war nur so in den Raum geworfen worden, doch in ihr schwang etwas einschüchterndes mit, so das der besagte Vampir seinen Blick abwandte.
"Verzeihung, my Lady. Es kommt nicht wieder vor."
Aaron Benehmen war oft tadellos, denn er entsprang einem hohen Adelsgeschlecht. Als 1685 ein Bürgerkrieg in seiner Heimat ausbrach, wurde er im Kampf schwer verletzt. Ein Vampir fand ihn und machte ihn zu seinesgleichen. Seitdem gehörte er dem Clan Merricks an.
Aaron hoffte tief in seinem Inneren, Alexia irgendwann mal zu einer Verabredung zu bekommen, doch bis jetzt war sie wie ein Eisberg gewesen, der einfach nicht nachgeben wollte. Insgeheim glaubte er auch, sie sei so kalt, dass sie nicht mehr fähig wäre irgendetwas zu fühlen. Doch das würde er niemals laut zugeben, sein Tod wäre ihm dann 100 % sicher. Ansonsten glaubte er, bei den anderen Frauen landen zu können, mit seinen meerblauen Augen und den weiß-blonden Haaren, die er kurz geschnitten hielt. Und so hässlich war er nun ja auch wieder nicht, denn jeden dritten Tag befand er sich im Trainingsraum. Dementsprechend hatte er auch eine muskulöse Figur. Alexias Meinung über ihn war schlicht und ergreifend die, dass er einfach nur arrogant und in sich selbst verliebt war, aber die Frauen durchaus beeindrucken konnte.
"Das hoffe ich doch sehr für dich Aaron."
Alexia sah auf und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Max sich schwer ein grinsen verkneifen musste. Aaron und er waren Langzeit-Rivalen und kämpften um die Gunst anderer Frauen. Man konnte getrost sagen, dass beide die 'Weiberhelden' im Clan waren. Zwar Weiberhelden, aber unentbehrlich. Sie waren zwei der besten Kämpfer überhaupt.
Max war ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Sein dunkel olivefarbenes Haar und seine dunkelgrünen Augen passten perfekt zu seinem hellen Teint. Und auch er war oft im am Trainieren.
"Hast du ebenfalls etwas zu sagen, Max?"
Ertappt zuckte der Angesprochene zusammen.
"Ich?? Nein, überhaupt nicht!!"
Abwehrend hob Max seine Hände, über seine Geste konnte Alexia nur ihren Kopf schütteln. Die Kämpfe der beiden fand sie einfach nur peinlich und übertrieben lächerlich. Aber jedem das seine.
'Kinder! Ihr könnt beiden von Glück sagen, dass ihre gute Kämpfer seid. Sonst seid ihr ja zu nichts zu gebrauchen.'
Ihr Blick ging weiter zu dem Schweigsamsten im Bunde - Pit. Wie immer sah er nachdenklich in der Ferne und durchdachte Alexias Worte. Er war einer der Klügsten, die es im Clan gab. Sein schulterlanges kastanienbraunes Haar verdeckte zur Hälfte sein Gesicht, während seine grasgrünen Augen neugierig in die Welt sahen. Als er noch ein Mensch war, war er ein Autist. Es gab auch heute noch Momente, wo alte Gewohnheiten in ihm wieder hervorbrachen.
"Pit, möchtest du noch etwas dazu sagen bevor wir aufbrechen?"
Pit drehte seinen Kopf und schenkte Alexia einen warmes, ehrliches lächeln.
"Nein, wir machen es so wie du es gesagt hast."
Alexia nickte und kam nicht drum herum leicht zu lächeln. Sie mochte Pit auf eine freundschaftliche Art. Er war einer der wenigen, denen sie vertraute.
"Gut. Also Leute ihr wisst was zu tun ist. Jeder nimmt soviel Sprengstoff mit wie er tragen kann. Wir haben nur eine Minute Zeit um das Weite zu suchen. Wer nicht schneller als eine Minute ist, hat Pech gehabt!"
Rückblick Ende
Die Schritte der Vampire waren lautlos, als sie zu der besagten Stelle ankamen. Alexia kletterte die verrostete Treppe als erstes nach oben, im geziemten Abstand folgten ihr die Anderen, wobei Migel es sich nicht nehmen ließ auf ihren Hintern zu schauen. Er befand ihn als äußerst wohlgeformt und knackig.
Ohne große Mühe stemmte die Vampirin den Gullydeckel bei Seite und kletterte hinaus, sah sich prüfend im menschenleeren Gefängnis um. Überall sah sie die Zellen, die verrosteten Schlösser und metallenen Treppen. Die Wände waren schon mit Schimmel versehen, der Putz bröckelte von der Decke und ließ das Gebäude wie eine verfallene Ruine erscheinen – was es ja eigentlich schon insgeheim war. Und noch immer schwang der Geruch von Tod in diesen Gemäuern mit, die unverhohlene Gewalt, was Alexia irgendwie gefiel.
Lautlos erschienen auch die Anderen neben ihr und sahen sich um. Migel gab leise ein Kommentar von sich.
"Richtig gruselig. Wäre ich ein Mensch, würde ich mir vor Angst jetzt ins Hemd machen."
"Du machst dir ja schon ins Hemd, wenn Al dir die Hölle heiß macht."
Max feixte, er meinte natürlich die ständige Prügel, die er von Alexia bekam. Migel schenkte ihm einen finsteren Seitenblick.
"Hört auf mit den Kindereien. Wir haben eine Mission zu erfüllen."
Alexia behielt wie immer einen kühlen Kopf und machte sich auf dem Weg, Pit an ihrer Seite. Migel, Fabian, Max und Aaron folgten den Beiden und sahen sich um, jeder hielt eine Desert Eagle in der Hand.
Fabian neigte sich zu Migel und flüsterte leise.
"Ist die immer so gelassen?"
"Weiß ich nicht. Ich hab sie bis jetzt gelassen, wütend, stinksauer, rasend, ruhig, schlafend, brutal, fies, gemein, sadistisch und was weiß ich schon erlebt."
Fabian nickte und grinste breit, doch gab er Migel keine Antwort. Theoretisch konnte er ihm aber eine hämische Antwort geben, aber er hegte nicht das Bedürfnis danach einen Zahnarzt aufzusuchen, um seinen Kiefer wieder richten zu lassen.
Vorsichtig und immer darauf bedacht ungesehen zu bleiben, drangen sie immer tiefer in das alte Gefängnis vor, sie gingen dabei an zahlreiche Zellen vorbei, anschließend eine vor sich hinrostende Metalltreppe hinab, wobei sie äußerst vorsichtig ihre Schritte in die Dunkelheit setzten. Alexia war leicht mulmig zumute, sie hatte erwartet irgendwo im Gebäude auf feindliche Clanmitglieder zu stoßen, doch bis jetzt war alles ruhig gewesen. Den Gang weiter entlang gehend, hielten sie schließlich kurz in einem runden Raum an, in welcher wohl früher die Hinrichtungen stattfanden, denn man sah noch immer den elektrischen Stuhl. Die Tür die diesen Raum ursprünglich verschlossen gehalten hatte, hing nur noch lose in einer Angel.
"Irgendetwas stimmt hier nicht?"
"Was meinst du Al?"
Die Frage kam von Aaron, der vorsichtshalber noch seinen gebogenen Dolch gezogen hatte. Alle anderen trugen ebenfalls noch mehrere Waffen bei sich, über ihrer Schulter jeweils ein Gewehr mit UV-verstrahlter Ladung, die ebenfalls in den Desert Eagles waren. Sie gingen weiter, durch eine weitere Tür und standen schließlich vor einer Treppe, die in das Kellergewölbte führte.
"Nun, es ist viel zu ruhig. Ich habe gedacht, dass wir auf Gegenwehr stoßen würden."
"Mensch Al, jetzt sei nicht immer so pessimistisch. Die haben doch keine Ahnung wo die Waffen versteckt sind. Wir sind dem Boten zuvorgekommen."
Migel grinste selbstgefällig und ging an Alexia vorbei die Treppe nach unten. Sie folgten ihm und befanden sich kurz darauf im Kellergewölbe wieder, was eher einem undurchdringlichen Labyrinth glich.
"Und außerdem, was hast du sonst erwartet?"
"Nun, irgendwo einen Posten der Wache hält. Oder eine Falle."
Plötzlich hörten sie von allen Seiten das Klicken von Waffen – und Alexia seufzte resigniert.
"Oder ein Hinterhalt."
Seine Hände glitten wie von Geisterhand über die Tastatur, neben ihm lag schon ein gewaltiger Bogen von Papier, allesamt enthielten sie Informationen über seltsame Vorkommnisse der Vergangenheit. In vielen Berichten war die Rede von blutleeren Leichen und leeren Gräbern. Doch diese Berichte endeten Anfang des 19 Jahrhunderts, was ihn verwirrte. Warum so ein plötzliches Ende? Waren diese Wesen in den Jahrhunderten vorsichtiger geworden?
Auch verwirrte ihn, dass jetzt von rivalisierten Gangmitgliedern die Rede war – in seiner Stadt. Eine Ermordung auf offener Straße, verübt von einer Frau. Von einer Frau! Hektisch machte er sich auf die Suche nach einem Foto, vielleicht hatte er ja Glück. Doch seine Mühe war vergebens, man konnte sie getrost als nicht fotogen einstufen.
Seufzend knallte er seinen Kopf auf die Tastatur, ohne hinzusehen auf welchen Tasten er landete. Frustriert hämmerte er seine Faust auf den Tisch.
"Ach verdammt noch mal!"
Sein PC piepte und er sah auf, bemerkte ziemlich erschrocken dass sein Rechner total verrückt spielte. Was war denn plötzlich mit ihm los?
Hoffungslos versuchte er seinen PC wieder in Ordnung zu bringen, als plötzlich ein klares Bild auf dem Monitor erschien. Es sah aus wie Bilder aus einer Kamera.
"Scheiße. Ich hab mich in ne Videoüberwachung gehackt."
Er strich sich nervös durch seine braunen Haare und von einer plötzlich aufkommenden Neugier gepackt werdend, klickte er sich quer durch die Überwachung, lauschte Gesprächen und sah sich das gewaltige Gebäude an. War das nicht die Burg, die einst zu Beginn des Bandenkrieges im 19 Jahrhundert gekauft worden war?
Er klickte weiter und platzte genau in eine wichtige Besprechung. Eine Frau, umringt von 5 Männern, gab Anweisungen für eine Mission. Verträumt betrachtete er sie und zoomte interessiert näher heran. Sie war der Wahnsinn und ihre Stimme. So impulsiv und klar. Und diese Augen! So ...
Er erstarrte. Das war doch.. Ja das war SIE!! Und er bemerkte noch etwas anderes ...
Sofort sprang er auf und zog sich an, schlüpfte flink in seine Jacke und verließ seine Wohnung. Seine Schritte lenkten ihn wie programmiert zu dem alten Gefängnis.