Kapitel 15
Das Wasser wog schwer auf den Schultern der 7 Personen, doch nur unter Wasser hatten sie eine Chance der Druckwelle zu entkommen. Die Luft anzuhalten war für die Vampire nicht schwer, sie mussten ja nicht atmen. Nur Philippe schien Schwierigkeiten zu haben, denn sein Gesicht nahm langsam eine leicht bläuliche Farbe an. Das Sonnenlicht würde ihn nicht töten, aber die Druckwelle würde ihn in Stücke reißen. So riss sie den jungen Mann an sich und drückte ihre Lippen auf die seinigen, was ihn kurzzeitig seine Augen aufreißen ließ. Deutlich spürte er ihre Atemluft in seinen Lungen, was ihn die kurze Zeit unter Wasser erleichterte. Migel indes beobachtete all dies mit einem eisigen Gefühl der Eifersucht in seinem Bauch.
'Ich könnte diese Ratte umbringen..'
Seine finsteren Gedanken bekam keiner mit. Alexia sah schließlich nach oben, nachdem sie sich von Philippe gelöst hatte, sah durch die verschwommene Sicht wie die Helligkeit nach und nach nachließ und gab den Anderen ein Zeichen zum Auftauchen. Sie folgten sofort ihren Anweisungen, Philippe nahm sie beim Arm und zog ihn mit nach oben. Dort holte er erst mal tief Luft, bevor ihm schwindlig und schließlich schwarz vor Augen wurde.
"Na, der Knabe hält aber nicht viel aus .." - war die spöttische Bemerkung von Migel.
"Lass ihn! Sein Körper ist nun mal nicht an unsere Geschwindigkeit angepasst. Zwangsweise mussten seine Beine sich unserem Tempo anpassen. Eine Weile wird er wohl kein Gefühl in ihnen haben."
Migel grinste dreckig und kalt.
"Gut, dann kann er mir auch nicht weglaufen."
Alexia warf ihm einen feindseligen Blick zu.
"Wir brauchen ihn noch. Solltest du ihn töten, töte ich dich."
Mit den Worten schwamm sie, Philippe unter dem Arm gepackt, zum Uferrand und ließ einen verblüfften und teils wütenden Migel zurück. Auch die Anderen machten sich daran ans Ufer zu schwimmen. Dort kletterten sie heraus, Alexia trug Philippe auf ihren Rücken.
"Und, kennt einer einen Weg hier raus?"
Fragend sah sich Aaron in der Runde um.
"Hmm, ich glaube ich kenne einen .."
Max ging voran und begann, oder besser versuchte, die Gruppe sicher aus der Kanalisation zu bringen.
Während sie so den Weg entlang liefen, dachte Alexia wieder an ihre Vergangenheit zurück. An den Tag, an dem sie ihre erste Nacht als Vampir verbrachte ...
Rückblick
Nur langsam öffnete Alexia ihre Augen, ihre rechte Hand glitt wie automatisch hoch zu ihrem Kopf, sie strich sich leicht über ihre Stirn. Anschließend sah sie sich um, bemerkte das sie auf ihrem Bett lag. Und noch etwas anderes bemerkte sie: Sie war allein und es war Nacht. Hatte sie etwa einen ganzen Tag lang durchgeschlafen?
Das letzte woran sie sich erinnern konnte war, wie sie von seinem Blut getrunken hatte. Dann kamen diese entsetzlichen Schmerzen. Was danach geschehen war, wusste sie nicht mehr.
Mühsam setzte sie sich auf, sie fühlte sich so schwach und kränklich. Und teilweise fühlte sie sich unwohl in ihrem Kleid.
Elegant schwang sie ihre Beine aus dem Bett und stemmte sich hoch, ging langsam zu ihrem Kleiderschrank und öffnete ihn. Zahllose Kleider hingen in ihrem Schrank, doch sie interessierte sich jetzt nur für eine Kiste, die auf dem Schrankboden lag. Sich vorsichtig hinhockend griff sie danach und öffnete sie, indem sie den Deckel anhob und zur Seite legte. In ihr lag eine enge schwarze Reiterhose, hohe Stiefel, ein weißes bauschiges Hemd und einen weinrote Lederweste für Frauen, die man vorne schnüren konnte. All diese Sachen holte sie heraus und begann sich einzukleiden.
Als sie damit fertig war, betrachtete sie ihren Antlitz im Spiegel. Sie sah etwas blasser aus als früher, ihre Augen schienen auch etwas heller geworden zu sein.
'Was ist nur mit mir passiert? Bin ich jetzt ebenso ein Wesen wie Merrick?'
Dabei ging ihre Hand empor zum Spiegel, sie strich zaghaft über das Glas und betrachtete dabei weiter ihre Gestalt. Doch plötzlich wurde mit einem gewaltigen Ruck ihre Tür aufgestoßen, Alexia wandte sich sofort um und sah in das wütende Gesicht ihrer Mutter.
"Was fällt dir ein den ganzen Tag über zu verschlafen und nicht zum essen zu erscheinen? Warum sind deine Vorhänge zugezogen? Heute war wieder ein Bewerber für dich da, ich musste ihn wegschicken, da du ja nicht erschienen bist!!! Und was soll diese Aufmachung!!! Zieh sofort ein anständiges Kleid an und mach dich fertig!! Der junge Mann wird bald wieder da sein, um dich kennenzulernen."
Alexia wusste nicht was sie jetzt von ihrer Mutter halten sollte. Ihr gegenüber fühlte sie nichts. Da war einfach nicht mehr. Das einzige was sie fühlte war Langeweile und eine jahrelang aufgestaute Wut. So etwas wie Liebe zu ihr fühlte sie überhaupt nicht. Hatte sie eigentlich jemals Liebe zu ihrer Mutter verspürt? Ihren Vater hatte sie niemals kennengelernt, er starb bei einen dieser Kreuzzüge.
"Nein .."
"Wie war das?? Wiederhole das bitte Alexia Florentine .."
Das Gesicht ihrer Mutter hatte eine purpurne Farbe angenommen, während sie ihren Fächer in der Hand fast in zwei Teile zerbrach.
"Nein Mutter. Ich werde nichts desgleichen machen. Die Bewerber sind mir alle egal, sie waren mir schon immer egal gewesen. Ich werde mir von dir nichts mehr sagen lassen, ich bin 19 Jahre alt. Ab sofort werde ich mein eigenes Leben leben und ich werde dieses Haus heute noch verlassen!"
Alexia wunderte sich über sich selbst. Woher nahm sie nur diesen Mut? Diese Ruhe? Warum nur schaffte sie es das zu sagen, was sie schon immer sagen wollte? War ihr Onkel daran Schuld? Hatte er ihr endlich den Mut gegeben zu handeln? Ihr Leben endlich in ihre eigenen Hände zu nehmen und nicht von jemanden bestimmen zu lassen?
Ihre Mutter rauschte auf sie zu, holte aus und verpasste ihr eine harte Ohrfeige. Alexia wandte ihren Kopf zu ihr zurück, als dieser zur Seite flog.
"DU TUST GEFÄLLIGST DAS WAS ICH DIR SAGE!!!"
Die Hand von ihrer Mutter zitterte, während Alexias Hände sich erneut zu Fäusten ballten. Doch eine entspannte sich wieder. Und dieses mal handelte sie auch. Fest griff sie nach ihrem Hals und drückte leicht zu, überrascht von ihrer Tat weideten sich die Augen der Frau, die Alexia gezeugt hatte. Nun wandte sie ihren Kopf zurück, Alexias Augen lagen eiskalt auf der rundlichen Gestalt ihrer Mutter. Ganz langsam neigte sie sich hinab und flüsterte bedrohlich leise in ihr Ohr.
"Ich würde mich nicht zu sehr im Ton vergreifen, was sollen den die Anderen von dir denken?"
Sie konnte spüren, wie der Frau übel wurde. Moment mal! Sie konnte es spüren??? Erneut wunderte sich Alexia über sich selbst. Sie konnte die Emotionen der Frau spüren. Sie konnte jede erdenkliche Anspannung in ihrem Körper fühlen. Waren das einige ihrer neuen Fähigkeiten? Und auch etwas anderes machte sich in ihr bemerkbar – Hunger! Eine unstillbare Gier - doch wonach?
Unter ihren Fingerspitzen konnte sie die pulsierende Ader am Hals spüren, sie roch das wohlschmeckende Blut, welches durch diese roten Adern floss. Und auch etwas anderes bemerkte sie: In ihrem Mund hatten sich zwei ziemlich scharfe und gleichzeitig spitze Eckzähne ausgefahren. Woher kamen die auf einmal? Waren sie schon immer da gewesen? So viele Fragen, würde sie auch Antworten bekommen?
"WAS FÄHLT DIE EIN!! LASS MICH AUF DER STELLE LOS!!"
Alexias Mutter schlug mit aller Kraft auf die Hand ihrer Tochter ein, doch genauso gut könnte sie auch auf einen Stein einschlagen. Nicht einen Millimeter bekam sie die Hand von ihrem Hals los. Unsanft schlang sie nun ihren Arm um die rundliche Gestalt der Frau, die Hand nahm sie von ihrem Hals. Dann, mit einem Ruck, senkte sie ihren Kopf und bohrte die zwei scharfen Eckzähne tief in den Hals ihrer Mutter. Den lauten Schmerzensschrei nahm sie nur am Rande war.
Heißes Blut schoss in ihren Mund und Alexia begann, wie von Sinnen zu trinken. Sie trank, trank solange bis nichts mehr kam, bis sie nicht mehr das Herz der Frau schlagen hörte. Erst dann ließ sie sie los, sah emotionslos dabei zu, wie der nun leblose Körper auf den Boden aufschlug. Starr, vor Schreck und Angst geweidet, blickten die nun leeren Augen an die Decke. In Alexia regte sich noch immer nichts, obwohl sie soeben ihre eigene Mutter getötet hatte.
Mit einer Hand wischte sie sich das Blut von ihren Lippen, nun fühlte sie sich nicht mehr krank und schwächlich. Doch jetzt hatte sie noch etwas zu erledigen. Mit schnellen Schritten durchquerte sie ihr Zimmer, nahm sich einen Leinenbeutel und begann einige Sachen von sich einzupacken – allen voran ihre kleine Büchersammlung, die aus 4 Exemplaren bestand und der Mappe mit den ägyptischen Briefen ihrer Vorfahren. Noch ein paar Sachen stopfte sie hinein, dann schnürte sie den Beutel zu und sah sich um. Sich den Beutel über ihre Schulter werfend, verließ sie flink wie ein Wiesel ihr Zimmer, verhielt sich nahezu lautlos im Haus. Schon bald würden sie die Leiche finden, aber das konnte Alexia nicht zulassen.
Fast lautlos schlich sie von Zimmer zu Zimmer und verriegelte diese, steckte die Schlüssel in einen noch kleineren Leinenbeutel, welchen sie aus einen der Zimmer stibitzt hatte – unter anderem auch Geld, welches sie mit Sicherheit brauchen würde.
Nach vollendeter Arbeit stand sie am Ende der Treppe und starrte gen Boden. Sie wusste, es befanden sich noch Menschen im Haus – zahlreiche Diener und 3 ältere Geschwister. David war unterwegs und er war der Einzige für den sie etwas fühlte. Sie würde ihn niemals töten können. Niemals.
Alexia hob ihren Kopf, ging zu einer Fackel, die an der Tür als Lichtquelle diente und nahm sie ab, hielt sie fest in ihrer etwas zitternden rechten Hand. Starr betrachtete sie die züngelnde Flamme, ehe sie zur Treppe eilte und den darauf befindlichen Teppich in Brand setzte. Schnell fing dieser Feuer, die Flammen breitete sich auf der ganzen Treppe auf und züngelte anschließend an der Wand entlang.
Ohne jede Regung warf sie die Fackel weg, rannte aus dem Haus und verriegelte die Tür von außen. Außerhalb gab es ebenfalls Fackeln, sie nahm sich eine und setzte die Büsche, die um das Haus gepflanzt worden waren in Brand, so das die Flammen die Steinwand emporzüngelten und dichter Rauch in die geöffneten Fenster drang. Schreie drangen aus dem Haus, Hilferufe die aber von niemanden gehört wurden. Außer von Alexia, welche sich aber nicht darum kümmerte. Woher kam nur diese Kälte? Waren das ihre Gefühle für ihre Familie? Ihre wahren Gefühle? Sie hate sich hier nie heimisch gefühlt, außer wenn ihr geliebter Bruder da war. David.
Sie entfernte sich von dem Haus und ging zu den Ställen, wo sie ihr Lieblingspferd - einen schwarzen Hengst - nach draußen führte, sich aufsetzte, noch einmal zu dem brennenden Haus sah, ehe sie dann mit wildem Galopp davon ritt und sich von ihm entfernte, dem Haus in dem sie 19 Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Doch dieses Leben war nun vorbei, eine neue Zukunft wartete auf sie. Und sie wusste genau wo sie jetzt hin musste.
Leicht neigte sie sich nach unten, hielt sich mit beiden Händen an dem Hals des Tieres fest. So ritt sie von dannen, davon in eine unbestimmte Zukunft.
Rückblick Ende
"Hey, ich hab einen Ausgang gefunden."
Max rannte nach vorne zu einer Treppe, welche er flink nach oben kletterte. Oben stemmte er sich gegen den Gullydeckel, welcher sich ächzend zur Seite bewegte. Ihm folgten, als er draußen war, Migel, Aaron, Fabian, Pit und Alexia, welche mit einer Hand Philippe festhielt, mit der anderen Hand die Sprossen und so hochkletterte. Oben angekommen ging ihr Blick zum Himmel, zum runden Vollmond, dessen Licht kalt auf alle herab schien. Zum ersten Mal war sie wirklich glücklich, den runden Vollmond zu betrachten, ein kleines lächeln glitt über ihre Lippen. Doch plötzlich wurden ihre Augen groß. Sekunde. Vollmond?
"Leute, wir haben Vollmond, richtig?"
"Ja. Und?"
Fabian sah Alexia fragend an, doch im gleichen Moment hörten sie alle das Heulen. Verdammt, waren sie etwa im Gebiet der Werwölfe gelandet?