Changes [Original]

Hallo zusammen!

Also, man, ich bin vollkommen begeistert von euren Theorien :D Und das ist jetzt ernst gemeint .. Daher sage ich da jetzt auch mal nicht viel mehr zu und bedanke mich so bei euch allen für die lieben Commies :) Danke! :knuddel:



Kapitel o2: Ausbruch
Akt o7, Teil o1

Ich fiel.
Ich erkannte es nicht daran, dass Gegenstände an mir vorbeiflogen, Landschaft an mir vorbeirauschte. Es war alles schwarz, aber ich stürzte abwärts, unaufhaltsam tiefer in die Finsternis hinein. Ich wusste es. Nirgendwo gab es Halt für mich und meine Füße berührten keinen unsichtbaren Boden, aber das Gefühl des Falls war unverkennbar. Verzweifelt streckte ich meine Arme aus und versuchte, mich irgendwo festzukrallen. Es war verrückt. Es schien mir, als würde ich von Scheinwerfern angestrahlt werden, da ich mich sehr gut erkennen konnte. Meine Umgebung jedoch lag in absoluter Finsternis um mich herum.

Meine Haare flatterten im Zug des Sturzes und auch das Nachthemd bauschte sich um meine Beine herum auf, als es immer schneller abwärts ging. Mein Atem ging schneller, ängstlicher. Nein. Nein, das war nicht wirklich. Alles nur Simulation. Nicht echt. Falsch.
„Chester!“, hörte ich mich plötzlich schreien und meine Stimme war nur Nuancen von einem hysterischen Kreischen entfernt. Die Angst kroch auf Spinnenfüßen meine Haut entlang und machte meinen Herzschlag rasend. Ich bemerkte nicht einmal, wie ich mittlerweile vor Furcht doch kreischte.

Dann tauchte ich übergangslos in eine zähe Masse ein. Mein Schreien wurde erstickt, da ich jedoch nicht schnell genug meinen Mund schließen konnte, floss die schwarze Substanz ungehindert in mich hinein. - Kalt! - Aus einem Impuls heraus versuchte ich zu husten, schluckte dabei aber nur noch mehr von dem trägen, eiskalten Zeug, das mir die Atemwege zu verstopfen schien und meinen Körper mit dieser Kälte überzog. Ich ertrinke! Ich ertrinke! Entsetzt riss ich die Augen auf und vollführte instinktiv abgehackte Schwimmbewegungen, um aus diesem Brei wieder herauszukommen. Streng befahl ich mir, bloß die Klappe zu halten, um nicht noch mehr Luft zu verlieren, obgleich die schwarze Masse wie Blei in meinem Mund zu liegen schien. Gleichzeitig überzog eine dünne Eisschicht die Unterseite meiner Haut. Wohin? Wohin? Blindlings schwamm ich nach oben. Oder hoffte zumindest nach oben zu schwimmen. Hatte ich mich im Fallen gedreht? Gab es überhaupt ein Oben und Unten? Ein Rechts und Links?

Ohne dass ich es verhindern konnte, breitete sich die schiere Panik vermischt mit der reinen Todesangst in mir aus, und ich hatte Mühe, einen klaren Kopf zu bewahren. Ruhig! Beruhig dich! Ganz ruhig! Ich zwang mich bewusst dazu, einen Augenblick lang mit meinem sinnlosen Gestrampel aufzuhören. Mein Herz hämmerte wie eine ganze Kolonie Presslufthämmer in meiner Brust, pumpte den Sauerstoff und das Adrenalin viel zu schnell durch meine Adern, machte mich wahnsinnig. Meine Lungen verlangten mit zunehmendem Nachdruck nach Luft, doch vorerst ignorierte ich das Gefühl beharrlich und sah mich bewusst in meiner dunklen Umgebung um, während das Eis meine Glieder entlang kroch. Okay. Wo lang? Komm schon, Ada. Ganz ruhig. Wo bist du hergekommen? Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich vor mich hin und strengte mich unsäglich an, wenigstens die winzigste Spur einer Kleinigkeit zu entdecken, an der ich mich hätte orientieren können. Ich drehte mich sogar mit bedächtigen Bewegungen um mich selbst, um auch ja nichts zu übersehen. Schaute nach oben, nach unten, in jede mögliche Richtung und Tiefe. Doch da war nichts. Nichts, nichts, nichts.

Mit einem Schlag war die Panik wieder da und das Brennen in meinen Lungen machte sich stärker denn je bemerkbar. Wie von selbst strampelte ich wieder aufwärts, aus einem reinen Instinkt heraus, dass die Oberfläche eines Wasserspiegel eben immer oben lag. Mit jedem Schwimmzug schien ich Tonnen von Steinplatten bei Seite zu schieben, brachen Eissplitter in meinem Inneren. Meine Arme und Beine wurden schwerer und meine Muskeln zerrten in verschiedene Richtungen auseinander. Oh, bitte, schneller ... schneller! Verbissen kniff ich die Lippen fest zusammen, weil ich meinem eigenen Atemreflex nicht traute, und spornte mich zu noch schnelleren Bewegungen an.
Doch sie wurden immer langsamer.
Nein! Schwimm, schwimm, schwimm!
Meine Lungen standen kurz vor dem Platzen und meine Glieder schmerzten auf eine kribbelnde, schlappmachende Weise. Meine Gedanken wurden von einem grauen Schleier umnebelt, mein Kopf mit dem schmeichelhaften Weich der Besinnungslosigkeit ausgefüllt, während mein Körper zunehmend erstarrte. Nein ... Mit einem letzten Aufbäumen all meiner Willenskraft wollte ich den Kopf schütteln und die Schwummrigkeit abschütteln, doch selbst dazu hatte ich keine Kraft mehr.
Mit einem alles vernichtenden Atemzug bahnte sich die schwarze Masse unaufhaltsam ihren Weg in mich hinein, die ich augenblicklich von einem Gefühl klirrender Kälte durchflossen wurde.
Und wieder fiel ich.



Das nächste, was ich wieder bewusst wahrnahm, war ein sanftes Dahingleiten. Ruhig, gerade, weiter, immer weiter. Ich hätte ewig so daliegen und mich treiben lassen können. Die schwarze, zähe Masse, auf der ich dahinglitt, hatte sich in etwas viel Weicheres verwandelt und umspielte meinen Körper beinahe zärtlich. Es hatte etwas Friedliches an sich, dem ich um nichts in der Welt wieder hätte entrinnen mögen.
„Nun, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du jetzt schon gehen kannst.“
Beinahe mürrisch konzentrierte ich meine Gedanken. Was?
„Immerhin bist du doch gerade erst gekommen und glaubst du vielleicht, ich hätte mir die Mühe gemacht, nur damit du hier selig vor dich hin schippern kannst?“
Schippern?
Ein genervtes Aufstöhnen. „Nun komm schon, Ada. Mach die Augen auf.“ Die Aufforderung hatte so etwas Gewöhnliches an sich, dass ich ihr beinahe schon bereitwillig gefolgt wäre. Ich musste dabei jedoch feststellen, dass meine Lider viel schwerer waren, als ich erwartet hätte. Es gelang mir erst beim dritten Anlauf, die Augen aufzuschlagen und meinen Gegenüber anzusehen.
Ein erschrockener Aufschrei entfuhr mir und weil ich fassungslos zurückweichen wollte, ging ich beinahe erneut in der Masse, die mich mittlerweile eher an Wasser erinnerte, unter, dass es nur so planschte. Ohne mich darüber zu wundern, wieso ich noch nicht ertrunken war, wo ich überhaupt war, führte meine Gedanken eine ganz anderer Frage an.

„Was schaust du denn so?“ Ruth grinste leicht, was eigentlich mehr von ihren mausgrauen Augen auszugehen schien.
„Ich ... ich ...“, stammelte ich und war außerstande, auch nur einen klaren Satz zu formulieren. Sie lief einen knappen Meter über mir auf einem nicht sichtbaren Weg, trug ihr graues Regierungsnachthemd und wirkte durchaus lebendig. Erst mit einiger Verspätung erkannte ich, dass sich alles um mich herum erneut gewandelt hatte. Das Schwarz war längst nicht mehr so durchdringend wie noch vor kurzem (Kurzem? Wie lange war ich überhaupt ohnmächtig?) und allmählich wurden sogar etwas wie Konturen sichtbar. Häuser?
Ich selbst schipperte tatsächlich auf dem Rücken auf einem pechschwarzen Fluss entlang, der sich in sanften Biegungen dahin schlängelte. „Was ... ist das?“ Verwundert konnte ich meinen Blick gar nicht zurück auf Ruth legen, da mich die Dinge, die nun immer mehr aus dem Nebel auftauchten, viel mehr fesselten als eine von den Toten Auferstandene. Stand dort tatsächlich eine Schaukel?

Ruth lächelte mich warmherzig an. „Du bist auf dem besten Weg, deine anderen Eigenschaften als Telepath zu entdecken.“
„Häh?“, war alles, was ich darauf antworten konnte. Anstatt mir zu antworten, beschleunigte Ruth jedoch ihr Tempo und entfernte sich von mir, dass ich ihr schon hinterher rufen wollte, als sie sich in einiger Entfernung plötzlich auf den Bauch niederließ und einen Arm zu mir herunter streckte.
„Komm erst einmal da raus.“ Noch bevor ich mich überhaupt darüber wundern konnte, wie Ruth so zielsicher eine Öffnung in dem einheitlichen Nichts über mir hatte finden können, durch die sie ihren Arm stecken konnte, kam ich ihrem Arm auch schon immer näher. Schnell strampelte ich mich in eine senkrechte Lage, spielte kurz mit dem Gedanken, abzutauchen und mich vom Boden abzudrücken, verwarf diesen aber beinahe sofort wieder. Erstens wusste ich nicht mal genau, wie tief dieser ... Fluss war, und zweitens war mein erster Tauchgang nicht besonders glatt verlaufen, als dass ich ihn alsbald hätte wiederholen wollen. Also musste es so irgendwie gehen.

So gut es ging, passte ich den Zeitpunkt ab, tat ein paar kräftige Beinschläge unter Wasser und machte mich so lang wie möglich, um Ruths Hand zu erreichen, als sie mich auch schon fest packte. Bei ihrem zierlichen Aussehen befürchtete ich zwar, dass ich sie bei der leichten Strömung einfach mit mir mitreißen würde, aber sie hielt mich beharrlich und zog mich sogar ein Stücken weit hoch. Allerdings musste ich ihr dann doch einiges an Arbeit abnehmen und mich selbst an einem unsichtbaren Rand hochziehen, den sie mir zeigte. Schließlich stand ich auf derselben Höhe wie sie und konnte den schwarzen Fluss unter mir dahinfließen sehen. Ich fragte jedoch erst gar nicht nach, warum ich von einem Moment auf den anderen plötzlich trocken war; mein Nachthemd, sowie mein langes Haar und mein Körper.
_________________________________________________
to be continued ..

Zugegeben, das Ende hört sich reichlich abgehackt an, aber irgendwo muss ich ja einschneiden .. *seufz* ;)

Danke für's Lesen,
- SnowWhite
 
Ich würde mal tippen, dass Ada sich auf einer Art "Astralebene" befindet... Einer Gedankenebene, und dass Ruth nur ihre personifizierte Erinnerung an Ruth ist... Aber wer weiß, ich kann mich genauso gut irren...
 
?????????? tut mir leid, aba jetz is es aus mit meiner orientierung. ich hoffe es kommt bald eine aufklärung, sonst zerfall ich noch in meine einzelteile vor aufregung und neugier! :D

bussi
gato
 
Alae!

Uuh... muss schrecklich sein so zu ersticken. Ist eigentlich wunderlich dass Ada überhaupt so lang durchgehalten hat... .

Was soll diese schwarze Landschaft eigentlich mit ihren telephatischen Fähigkeiten zu tun haben wenn Ruth noch besser als sie drin klar kommt?
Auf die Frage will ich jetzt ne Antwort!
Looooooooos, weitaaaaaaaaaaaaaaaa!!!

Atenio Kitti
 
Gut. Vor allem Adas Kampf gegen die "Wasser"massen war sehr gut beschrieben. Ansonsten ist meine Theorie von zuvor ja noch nicht völlig widerlegt :rolleyes:
 
Hallo zusammen!

So, nachdem das Forum die letzten Tage irgendwie rumgesponnen hat, gibt es heute von mir für euch was Neues zu lesen :) Danke für eure Commies! :knuddel:

@Tiara: Ja, es gibt jetzt wieder Antworten :D - dafür lässt, glaube ich, die Qualität vom Teil etwas nach .. :( Solche Erklärungsteile liegen mir nicht so wirklich .. Ada schenkt der Umgebung mehr Beachtung als Ruth? Hm .. *malnachlesengeht* oh .. stimmt. Habe ich gar nicht mitbekommen .. he he .. -.-" Wie erkläre ich das jetzt .. ? Also, das hat den Grund, dass Ada sich ganz einfach wundert, wo sie ist, und dass sie Ruths Tod bisher noch gar nicht richtig akzeptiert hat, sondern nur verdrängt .. Klingt das logisch? (*hoff*)

@Shan'xara: Nya, so ein wenig stimmt das wohl .. *sichausschweigt*

@*gato_negro*: Ich weiß, dass es etwas konfus ist, aber irgendwie muss ich eine Erklärung doch einleiten *entschuldigendschaut* Ich hoffe, nach diesem Teil wird es wieder besser :)

@Kitti: Tja, sagen wir so .. Sie ist da in irgendwas reingerasselt .. O.o

@stLynx: Nein, sie ist noch nicht völlig widerlegt .. *sichimmernochausschweigt*



Kapitel o2: Ausbruch
Akt o7, Teil o2

„Na schön“, fing ich dann etwas unbeholfen an und starrte Ruth mit einer Mischung aus Argwohn und aufrichtiger Freude an. „Vielleicht erklärst du mir zunächst mal, wieso du hier bist? Und wo ich bin, wäre auch schon zu wissen.“
„Kannst du dir das nicht denken?“, fragte sie mich, ihre Augen unverwandt auf mich gerichtet.
„Wenn ich es tun würde, würde ich nicht nachfragen“, erwiderte ich hitzig, da ich absolut keine Lust auf solche zeitaufwendigen Ratespielchen hatte. „Ich weiß noch, dass ich mit Brad, Chester und seinem widerlichen Bruder in einer Simulation steckte - zumindest glaube ich, dass es eine war“, fügte ich grüblerisch hinzu, als ich mir den weißen Raum zurück ins Gedächtnis rief. Die darauffolgenden Örtlichkeiten hatten zwar eine unleugbare Ähnlichkeit mit dem weißen Zimmer, aber dennoch schloss ich von vornherein aus, dass dies auch überwachte Simulationen von der Regierung waren. Dafür waren sie ... zu erschreckend gewesen. „Dann wurde auf einmal alles schwarz und die drei sind verschwunden. Dann kam Chester wieder. Aber nicht als er selbst, sondern -“ Ich stockte kurz. „Ach, verflucht, du weißt ja gar nicht, wer das ist, oder?“

Sie bedachte mich mit einem undefinierbaren Ruth-Blick, den ich doch tatsächlich schon zu vermissen begonnen hatte. „Doch, weiß ich.“
„Ach ja?“ Augenblicklich kniff ich die Augen misstrauisch zusammen. Vielleicht hatten die Regierungstechniker mittlerweile ja so einen Fortschritt gemacht, dass sie es selbst zu dieser nahezu fantastischen Simulation bringen konnten. Vielleicht hatten sie schon viel zu viel herausgefunden!?
„Und vielleicht kennst du ihn auch besser, wenn du hiermit durch bist.“
„Womit?“ Ich war noch lange nicht bereit, mein Misstrauen abzulegen, so sehr ich mich auch freute, meine einstige Zimmergenossin wieder zu sehen.
„Du bist gerade in seinem Geist drin, Ada, ich dachte, das hättest du schon mitbekommen“, eröffnete sie mir, als wäre sie verwundert darüber, dass ich nicht wusste, wie man eine Flasche öffnete.
„Ich bin ... was?“, platzte es aus mir heraus, ehe ich meine Hände wild fuchtelnd in die Luft warf und somit versuchte, Ruth ein wenig auf Abstand zu bringen. „Okay, okay, ganz klar. Dies hier ist eine Simulation.“

Ruth verdrehte lächelnd die Augen. „Kein Wunder, dass du nicht mehr hinbekommst als Gedankenleserei.“ Unvermittelt griff sie nach meiner Hand und zog mich den Weg in einem Meter Höhe über dem Fluss entlang. Ich zuckte ob der erschreckend realen Berührung kurz zusammen und wollte mich schroff von ihr losreißen, zögerte dann jedoch. Was konnte schon falsch daran sein, mich von ihr führen zu lassen? Ich musste ja nicht reden; das konnte ich getrost ihr überlassen. Sie hatte mir gegenüber so lange geschwiegen, dass sie mir nun vielleicht einen Haufen wichtiger Dinge zu erzählen hatte (wenn sie tatsächlich meine Ruth war). Und außerdem, was wäre so schlimm daran, wenn ich es tatsächlich in Chesters Geist hineingeschafft hätte?
„Es ist nicht dein eigener Verdienst, dass du jetzt hier bist, als platz nicht vor Stolz“, machte mir Ruth mit ruhiger Stimme einen Strich durch die Rechnung.
„Oh, vielen Dank“, brummte ich eingeschnappt, ohne zu merken, dass ich mich beinahe nahtlos drei, vier Tage in der Zeit zurückversetzt hatte, so wie ich mit einer Frau sprach, die bereits seit zwei Tagen tot war. Wenn dies wirklich eine Simulation war, war den Technikern erschreckend genau ihr charakterlicher Zug der Gedankenspionage gelungen.
„Chester hat dich hierher gebracht, allerdings nicht, um dir damit einen Gefallen zu tun, sondern um dich zu töten.“

Wie vom Donner gerührt, blieb ich stehen.
Ich war so fassungslos, dass ich nicht einmal eine Frage über die Lippen quetschen konnte. Ruth hielt ebenfalls an und drehte sich mit einem Blick in den grauen Mausaugen um, der so etwas wie Mitleid hätte sein können. „Es war nicht der Chester, der bei dir im Zimmer schläft, keine Sorge. Die ... andere Variante. Er hat deinen Geist gefangen und wollte ihn zerstören. Das müsste direkt nach der Simulation passiert sein. Es war ein Kinderspiel für ihn, wo dein Verstand schon einmal frei im Raum schwebte. Er musste ihn nur einfangen und in seinen ziehen.“
„Der Strudel und der Fluss“, hauchte ich entsetzt und fühlte eine plötzliche Kälte an mir hoch kriechen. Meine Hand in ihrer war da ein willkommener Halt.
„Wahrscheinlich“, bestätigte Ruth nickend. „Der Junge ist selbst jedoch viel zu zwiespältig, als dass er dich tatsächlich hätte sterben lassen können. Ich habe ihm da nur einen winzigen Stoß in die richtige Richtung gegeben.“ Sie lächelte mich aufmunternd an. „Und nun bist du hier und ich auch, aber er nicht. Irgendwo bestimmt, da Chester selbst nicht hier ist, aber er hält ihn ganz gut in Schach.“ Ich sah sie verdattert an, während ich die verschiedenen Informationen aus diesem Satz herausfilterte. Woher wusste sie so viel?

„Und ich bin ... ein Geist?“ Das hatte ich noch nicht so ganz herausfinden können.
„So was Ähnliches.“ Ruth nickte und zog mich an der Hand weiter, als befürchtete sie, dass ich ansonsten einen falschen Schritt tun und wieder im Fluss landen könnte. Ich muss zugeben, ich war recht erleichtert über die Berührung. Sie hatte so etwas Sicheres. Ruth legte kurz die Stirn in Falten, beschloss dann innerlich aber wohl doch, dass sie mir das nächste sagen sollte: „Im Moment geht es dir als Körper ohne deine Seele nicht besonders gut, aber die haben fähige Wissenschaftler bei der Regierung und du bist ihnen viel zu wichtig, um dich einfach aufzugeben.“
Ich musste kurz schlucken, ehe ich meine Frage formulieren konnte. „Also bin ich gerade tot?“

Es war erschütternd zu sehen, wie Ruth sich schweigend wieder umwandte und einfach nur an meiner Hand zog, damit ich ihr folgte, statt zu antworten. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, während ich meiner einstigen Zimmergenossin stumm folgte. Sicher, es waren nur bestbefähigte Leute bei der Regierung, aber ein wenig Angst durfte man angesichts des Fast-Todes doch haben, da halfen auch die beruhigenden Worte einer Freundin nichts.
Andererseits, erklärte dieser Zustand zwischen Leben und Tod nicht auch Ruths Anwesenheit?

Nach nur kurzer Zeit bedrückte es mich jedoch zu sehr, allein mit diesem Gedanken kämpfen zu müssen, also öffnete ich wieder einmal meinen Mund. Inzwischen hatte ich die Vermutung, dies hier könnte eine Simulation sein, ohnehin über Bord geworfen. Es war ... etwas anderes.
„Wieso bin ich zu wichtig?“
„Da kommst du auch alleine drauf, Ada. Überleg mal.“
Ich verdrehte genervt die Augen. „Hör zu, Ruth. Ich finde es echt klasse, dich wieder zu sehen. Es sind zwar eigentümliche Umstände, aber darauf will ich jetzt gar nicht näher eingehen. Ich weiß, dass du nicht mehr lebst und dass ich momentan gute Chancen habe, deinem Beispiel zu folgen, aber worauf ich jetzt überhaupt keinen Bock habe, sind deine ewigen Umständlichkeiten! Sag mir doch einfach, was Sache ist, ehe ich den Ärzten unter den Händen wegsterbe, oder sie mich zurückholen!“ Ich starrte ihren Rücken zornig an. Wie konnte sie sich angesichts meiner Lage mit dieser Zeitverschwenderei aufhalten?

Dann ließ sie auf einmal meine Hand los. Sekunden lang wankte ich verloren in schwarzer Watte, bis ich sie wieder deutlich vor mir sehen konnte. Ich keuchte erschrocken. „Mach doch mal deine Augen auf, dann siehst du auch viel mehr“, sagte sie ruhig und mir unverwandt in die Augen blickend. „Warum verlegen sie die zwei wohlgehüteten beiden ersten Nummern ausgerechnet auf die zwei Zimmer der einzigen Telepathen in der ganzen Regierungsanlage?“
„Weil ihnen danach zumute war?“, schlug ich ungeduldig vor und blickte leicht sehnsüchtig auf ihre Hand. Ich hatte mich wohler gefühlt, als Ruth mich noch festgehalten hatte.
„Weil sie es selbst nicht hinbekommen, die zwei zu verstehen. Sie wollen durch die Telepathen an sie heran kommen. Hast du nicht gesehen, was sie anrichten können? Allein Chester birgt eine Kraft in sich, dass er als Waffe gegen beispielsweise andere Länder unbezahlbar wäre.“
Ich blinzelte verwirrt. „Darum geht es?“
„Größtenteils. Sie waren die beiden ersten und als sie bemerkt hatten, dass sie unzulänglich waren, mussten sie nach anderen suchen. Ich denke, die Forschungsarbeiten zu den anderen Mutationen waren ein willkommener Nebeneffekt und - bei den Feuermutanten - ein Erfolg. Wem nützt es schon nicht, mit Feuerbällen um sich schleudern zu können?“

Ich nickte langsam. Es klang logisch. Ich hatte selbst erlebt, wie Chester Erdbeben heraufbeschwören konnte, ganz zu schweigen von denen Dingen, zu denen er würde fähig sein können, wenn er nicht so ganz er selbst war. Wie Ashton ins Bild passte blieb mir allerdings ein Rätsel. Bisher hatte ich an ihm keine anderen eigentümlichen Eigenschaften entdecken können außer überheblicher Arroganz und einer viel zu großen Portion Selbstbewusstsein.

Plötzlich hob Ruth ihre Hände und wies in einem weiten Bogen auf unsere Umgebung. Wie auf Befehl sah ich mich neugierig um. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie sich unser Umfeld fortwährend verändert hatte. Zunehmend war es heller geworden und zu der Schaukel, die ich zuvor schon gesehen hatte, gesellten sich nun tatsächlich immer mehr Häuser, die an ein mittelalterliches Dorf erinnerten. Selbst der Weg, auf dem wir standen, war mittlerweile sichtbar geworden und zu einem mit Kies ausgelegten Spazierweg geworden. Der Fluss unter uns war verschwunden. Rechts und links von uns waren kleine Grünflächen, die mit Blumen bestückt waren, die sich bei näherem Hinsehen als so etwas wie Fotos entpuppten, kurze Ausschnitte aus einem Leben, für immer auf Papier festgehalten und jederzeit in den Erinnerungen abrufbar. Ich meinte, eine Familie darauf zu erkennen; Mutter, Vater und zwei Kinder. Zwei Söhne.
„Meine Güte“, brachte ich heraus, als ich diese wirre Umgebung erfasste. „Was ist das denn?“
„Er wird langsam wieder er selbst.“ Ruth nickte bedächtig. „Hat lange gedauert diesmal.“
Ich schaute sie fassungslos und staunend zugleich an. „Woher weißt du so viel?“
Sie lächelte warm. „Nun, ich bin immerhin schon etwas hier.“ Was wollte sie denn damit sagen?

Sie griff wieder nach meiner Hand und zog mich in das Dorf hinein, bevor ich weiter in sie eindringen konnte. Weitere Fragen erübrigten sich jedoch, als sie sagte: „Komm mit. Ich zeig dir was“, und mich auch schon in das kleine Dörfchen hineinzog. Gleich beim ersten, alten Haus geriet ich ins Stocken. Ashton stand dort groß über der stabilen Holztür. Schnell drehte ich meinen Kopf, um den Schriftzug auf dem Haus gegenüber zu lesen: Mom. Dann das nächste: Pop. Verwirrt stolperte ich hinter Ruth her, las Namen, bemerkte die feinen Unterschiede zwischen den Häusern, die mal eckiger, mal runder und älter oder neuer aussahen.
„Da steh ich!“, rief ich plötzlich erschrocken aus und zeigte auf ein Haus recht am Ende der Straße. Es war ziemlich klein, wirkte sonst aber ganz hübsch und ziemlich gut ausgebaut mit Erkern und Giebeln und Blumen im Vorgarten. Direkt vor der Tür lag das Buch, das ich ihm zu lesen gegeben habe. Unwillkürlich musste ich lächeln. Zugern wäre ich auf einen kleinen Abstecher in das Häuschen reingegangen, da ich mir deren Funktion mittlerweile zusammenreimen konnte. Es wäre bestimmt sehr interessant gewesen, was Chester noch so alles mit mir in Verbindung brachte oder was er über mich dachte, mir gegenüber empfand.

„Vergiss es, Ada“, sagte Ruth bestimmt, jedoch mit einem Lächeln in der Stimme. „Ich schnüffle hier auch nicht unaufgefordert in jedem Haus rum. Eines allerdings kann ich dir zeigen.“ Unvermittelt hielt sie an und wartete schweigend, bis ich meine Augen wieder beisammen hatte und mich auf sie konzentrieren konnte.
Dann zeigte sie auf das Haus, das das Ende der Straße markierte. Allein schon bei seinem Anblick jagte mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Vor mir stand eine schwarze Ruine. Schief ragte das große Haus in die Höhe, sah mit leeren, dunklen Augen auf uns herab, da alle Fenster geborsten waren und einen ungehinderten Blick in das schwarze Innere darboten. Der Boden um es herum war grau, hart und trocken. Blumen gab es keine, nur verdörrtes Gras. Außerdem schien das Haus in einem nie verschwindenden Nebel zu liegen, von Schatten versteckt zu sein, da es irgendwie verschwommen wirkte und mir zusätzlich ein Kribbeln im Nacken bescherte. Die Tür war mit allerlei Möbeln verbarrikadiert worden, was angesichts der zerbrochenen Fenster nahezu lächerlich erschien. Ein leiser Wind unbekannten Ursprungs ließ die zerfetzten Gardinen im Fenster wie Leichentücher zu uns heraus wehen. Es roch nach Rauch und Verbranntem.

Über der Tür stand kaum noch lesbar: Chester.
_____________________________________________
to be continued ..

Gnaah! Ich mag keine Erklärungsteile .. *heul*

Danke für's Lesen,
- SnowWhite
 
Also, dafür dass du keine Erklärungsteile magst, war der aber sehr gut. Die ganze Atmosphäre war toll getroffen, Ruth wie immer enervierend *lol* - und es ist ein bisschen mehr klar, dafür aber gleich ne Masse neue Fragen aufgetaucht...
 
ich find den teil echt gelungen. besonders die vorstellung wie das "gehirn" also die erinnerungen an menschen dargestellt sind find ich echt super und total kreativ! mach weider so!
bussi
gato
 
Hallo zusammen!

Freut mich, dass ihr den Teil trotz meiner Abneigung gut fandet *froi* Leider geht das mit dem Erklären jetzt noch ein Stückchen weiter .. :( Ein Stückchen .. *fg* Aber auf jeden Fall bedanke ich mich wieder bei euch für eure lieben Commies! :knuddel:

@Shan'xara: Auweia .. halt mich für nicht besonders schlau, aber .. was bedeutet enervierend .. ? *schäm* :embarasse

@Tiara: Nun, ich versteh vollkommen, was du meinst :D Aber da das auch noch irgendwie zur Aufklärung mit dazu gehört, sag ich dazu nichts *LippenverschließtundKopfschüttelt* Und die Erklärung zu Adas Verhalten gegenüber Ruth gefällt mir mittlerweile ganz gut. Darauf baue ich später noch auf .. wahrscheinlich gehen dann die Meinungen etwas auseinander ..

@*gato_negro*: Super kreativ .. ? *froi* Danke dir. :) Ich hab mir dabei eigentlich nur gedacht, dass es langweilig ist, wenn schon wieder alles schwarz bzw. weiß wäre .. und außerdem passt das ganz gut zu dem Folgenden ..




Kapitel o2: Ausbruch
Akt o7, Teil o3

Zunächst hatte ich mich mit einer beinahe kindischen Sturheit gewehrt, das Haus zu betreten, was ich selbst nicht so ganz nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich lag es teilweise an dem zitternden Gefühl, das es in mir wachrief, dass es mir gerade zuzurufen schien, das ich es ja nicht wagen sollte, auch nur meine Nasenspitze über die Türschwelle zu schieben. Aber Ruth hatte darauf bestanden und mit einigem Zeitaufwand hatten wir die ganzen Hindernisse vor der Tür bei Seite geräumt und anschließend die halb vermoderte Tür aufgestoßen, die demnächst wohl aus ihren Angeln fallen würde.

„Wieso sieht es hier so aus?“, flüsterte ich ganz unbewusst, da es mir schien, als würde das Gemäuer über uns zusammenkrachen, sollte auch nur eine von uns einen falschen Ton anschlagen. Neben Ruth stand ich in der Eingangshalle von Chesters Haus, die beinahe noch trostloser wirkte, als sein Äußeres ohnehin schon tat. Auch hier drinnen sah es aus, als hätte ein fürchterliches Feuer sein Unwesen getrieben und alles verbrannt, was es zu verbrennen gab. Die Wände waren mit schwarzem Russ überzogen, den zerfetzten Teppich und die zerrissenen Vorhänge zierten dunkle Brandflecken und an den Stellen, an der die Tapeten nicht verbrannt waren, sahen sie aus, als hätte ein wildes Tier sie mit seinen scharfen Krallen traktiert.
Es gab eine Treppe nach oben und eine nach unten, wobei die untere mit sämtlichen Möbeln versperrt worden war, die es im Haus gegeben zu haben schien.

Ruth hatte meine Frage entweder nicht gehört oder ignorierte sie geflissentlich, was ich für wahrscheinlicher hielt. Vermutlich wollte sie, dass ich meinen Grips mal wieder selbst anstrengte. Stattdessen bot sie mir an, mich ein wenig umzusehen, wenn ich wollte.
„Du kommst nicht mit?“, fragte ich verwundert, vielleicht sogar etwas ängstlich, da ich mich leicht unbehaglich bei dem Gedanken fühlte, die Ruine für mich alleine zu erkunden.
„Ich warte hier“, nickte sie mit entgegen und verschränkte zur Untermauerung dieser Aussage wartend die Arme vor der Brust.
Ich zögerte noch einen Atemzug lang und machte mich dann eigenständig auf Erkundungstour. Viel Neues zu entdecken gab es allerdings nicht. Jeder Raum in dem Haus ähnelte irgendwie dem vorherigen und jedes weitere leere Zimmer trug nur noch mehr dazu bei, dass sich ein schwerer Schatten über mein Herz legte. Die Trostlosigkeit, die aus jedem Zentimeter Stein herausschien, grub einen tiefen Graben quer durch mich hindurch.

Bedrückt kehrte ich schließlich in die Eingangshalle zurück, wollte Ruth fragen, was sie überhaupt damit bezwecken wollte, dass sie mir Chesters Haus gezeigt hatte, doch zu meiner Überraschung stand sie nicht mehr da, wo ich sie zurückgelassen hatte. Sie war gar nicht mehr da.
„Ruth?“ Ein leichtes Zittern begleitete meine Stimme. Suchend blickte ich mich um, konnte sie jedoch nirgends ausmachen. Dafür entdeckte ich einen schmalen, frei geräumten Weg zwischen einem riesigen Schrank und einem entzwei gebrochenen Tisch, der zwischen den ganzen Möbeln die Treppe hinunterführte. Alles in mir sträubte sich kreischend dagegen, diese Stufen hinunterzugehen, aber ich war mir ganz sicher, dass die Gasse zuvor noch nicht da gewesen war, und da Ruth und ich die einzigen waren, die hier rumliefen (zumindest hoffte ich das ... ), konnte eigentlich nur sie die Sachen bei Seite geschoben haben. Aber hatte sie nicht gesagt, dass sie hier warten würde?

Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe, beschloss dann aber, dass sie von uns beiden wohl diejenige war, der mehr Ahnung von diesem Ort hatte und dass ich ohne sie leicht aufgeschmissen wäre. Mein ungutes Gefühl niederkämpfend ging ich langsam, bedächtig einen Fuß von den anderen setzend die Stufen hinunter, immer in der Hoffnung, dass sie mir vielleicht doch noch auf halbem Wege entgegen kommen würde.
Und dann stand ich am unteren Treppenabsatz und hatte Mühe, etwas in dem grauen Zwielicht zu erkennen. Im Gegensatz zum oberen Geschoss schien es hier unten nämlich so gut wie keine Fenster zu geben und die undurchdringbare Dunkelheit brachte sofort das erstickende Gefühl der Angst wieder zurück. Ich selbst allerdings schien wieder beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum zu sein.
„Ruth?“, rief ich zaghaft und kniff die Augen zusammen, um in der Finsternis mehr zu erkennen. Erfolglos.

Plötzlich klirrte leise etwas. Ich zuckte erschrocken zusammen und blieb sofort wie festgewachsen stehen. „Ruth?“ Keine Antwort. Ich schluckte trocken. Ach, verdammt, wieso konnte diese Frau sich nicht einmal normal geben und mir antworten?!
Tausend kleine Spinnen schienen meine Arme hoch zu krabbeln und mit ihren acht Beinen an den feinen Härchen hängen zu bleiben, während ich vorsichtig weiter tapste, alle Sinne auf Alarmbereitschaft geschaltet und die Muskeln zum Zerreißen gespannt. Für heute ist mein Bedarf an unheimlichen Ereignissen wirklich gedeckt!, dachte ich leicht grimmig und meine aufkeimende Panik zurückdrängend, als ich das Klirren erneut vernahm.
„Ruth? Ruth, verdammt, antwortete mir gefälligst, wenn du das bist! Ruth!“, schrie ich ins Dunkel hinein, als ein leises Lachen meinen Herzschlag für einige Sekunden abdrückte. Wie aus Stein gemeißelt stand ich da, als sich die Schatten zu lichten schienen und ganz allmählich die Konturen eines zusammengekauerten Menschen erkennbar wurden.

„Hat sie dich tatsächlich hergebracht“, lachte es mir mit einer humorlosen Belustigung in der Stimme entgegen, dass mein Bauch sich zusammenkrampfte. Die Stimme war männlich. Nicht Ruth. Wieder das Klirren. „Und ich hab’s ihr noch verboten!“ Mit einem plötzlichen Krachen sprang mich jemand so unvermittelt an, dass ich aufschreiend einen Satz zurückmachte. Mein Atem kam stoßweise, als ich verspätet bemerkte, dass der Unbekannte mich gar nicht hätte erreichen können. Er stand ungefähr einen Meter von mir entfernt, die Arme nach hinten gebogen, da er mit schweren Eisenketten an den Händen an die rückwärtige Wand gefesselt worden war. Seltsamerweise war er in der Schwärze wie ich beleuchtet, so dass ein Erkennen problemlos wurde.

„Chester?“, fragte ich ungläubig und verstehend zugleich. Irgendwie hatte ich ihn hier erwartet. Ich wäre sogar verwunderter gewesen, hätte ich hier jemand anderen vorgefunden; es war schließlich sein Haus. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass ich es hier nicht mit der netten Version seines Selbst zu tun hatte, was mir bereits die zwei Höhlen seiner Augen klar machten.
„Verschwinde!“, fauchte er mich zornig an und zog so stark an seinen Ketten, dass ich befürchtete, sie jedem Moment aus der Wandhalterung reißen zu hören. Vorsichtshalber wich ich noch einen Schritt zurück. „Und nimm diese verfluchte Hexe mit!“ Es war nicht schwierig zu erraten, wen er damit hätte meinen können.
„Das würde ich wirklich liebend gerne tun“, sagte ich in einem zuckersüßen Ton, der mein pochendes Herz Lügen strafte, „aber ich weiß nicht, wo sie ist.“
Ein eisiger Schauer überzog meinen Rücken, als ich ihn mich hasserfüllt anknurren hörte. Die Ketten knirschten gefährlich und seine Augen schienen in Flammen zu stehen.

Ich konnte nicht umhin, ihn mir genauer zu betrachten. Völlig widersinnig empfand ich so etwas wie Mitleid für ihn, wie er da an der Wand angekettet war. Mittlerweile hatte ich mir so meine Gedanken zu Chesters Seelenzustand gemacht. Es war beinahe offensichtlich, dass er so was wie zwei Persönlichkeiten in sich vereinte, ohne dabei richtig schizophren zu sein. Vielleicht wollte ich jedoch auch nur nicht glauben, dass Chester eine psychische Krankheit hatte, die sich ... erklären ließ. Mir erschien alles viel wunderlicher, als dass man es mit dem nüchternen Fachjargon hätte definieren können.

„Und doch kann man es so am besten verstehen.“ Chester heulte wie wahnsinnig auf, als er Ruths Stimme vernahm, und bäumte sich wie unter Schmerzen auf, dass mir schon wieder eiskalt wurde. Hinter mir aus dem Schatten trat Ruth hervor, die nun, da sie neben mir stand, genauso angestrahlt wurde wie Chester und ich.
„Verschwinde! Hau ab! Lass ihn in Ruhe!“, brüllte Chester uns aus voller Lunge an und spannte sich so stark an, dass er die Ketten jeden Moment sprengen musste.
Ich betrachtete ihn mit aufgerissenen Augen. „Was ... ?“
„Er ist schon viel zu lange von den Wissenschaftlern misshandelt worden, körperlich und geistig, dass sich tatsächlich so etwas wie eine zweite Persönlichkeit entwickelt hat“, erläuterte Ruth mit ruhiger, fester Stimme und beachtete Chesters Geschrei nur mit einem beinahe traurigen Blick.
„Nein!“, kreischte er und wieder zuckte ich unwillkürlich erschrocken zusammen. „Halt die Klappe! Sei still, sei still!“ Er presste die geballten Fäuste gegen die Schläfen, sackte kraftlos in sich zusammen und gab erbärmliche Laute von sich. Allein schon der Anblick ließ sich mein Herz zusammenziehen.

„Geballter Hass, Zorn und absolute Hilflosigkeit haben sich mit seinen beachtlichen Fähigkeiten zu einem zweiten Ich zusammengeschmolzenen, dass Chester bei klarem Verstand so tief wie möglich in sich einsperrt.“
Mein Mund war staubtrocken. „Aber ... wieso ... bei uns ...“, krächzte ich und konnte meinen Blick nicht von dem sich windenden Bündel Mensch abwenden, das vor uns angekettet war. Die Angst war verraucht wie nie da gewesen und stattdessen überflutete das Mitleid mich zunehmend.
„Keiner von uns ist so lange hier wie Chester und Ashton“, erzählte Ruth unter Chesters Gewimmer weiter. „Chester war zwölf, als er hierher kam.“

N E I N!” Unvermittelt richtete Chester sich wieder auf und sprang mit so viel Kraft in seine Ketten, dass die Halterung knirschte und Steine bröckelten. Seine Stimme war mit Eispfeilen gespickt, so hart, dass es schmerzte. „Wieso kannst du mich nicht in Ruhe lassen?! Hau ab! Hau ab!“ Er brüllte wie ein jähzorniges Tier und riss die Augen zu voller Größe auf, dass uns auch ja nicht der geringste Funken Hass entging, der aus jeder schwarzen Tiefe sprühte. Jeder einzelne Muskel trat sichtbar unter seiner Haut hervor, als er sich mit der Kraft eines Wahnsinnigen gegen seine Fesseln stemmte und sie Stück für Stück weiter aus der Wand zog. Entsetzt wollte ich Ruth etwas zurufen, als er weiterschrie. „Ich habe deinen Bruder getötet, ich habe deinesgleichen getötet, ich habe dich getötet, wieso kannst du nicht endlich verschwinden?!“ Noch ehe ich die Worte erschütternd aufnehmen konnte, machte er sich endgültig von seinen Ketten los und sprang wie eine tollwütige Bestie auf uns zu. Schwarze Kälte sprudelte aus seinen Augen hervor, schlug über uns zusammen und schleuderte uns quer durch den ganzen Raum davon, als sich die reine Energie in einem weißen Lichtblitz entlud und ihn und uns auseinander trieb und ...

... in etwas Weiches hinein presste.
______________________________
to be continued ..

Tja ja .. *schweig*

Danke für's Lesen,
- SnowWhite
 
Zuletzt bearbeitet:
man, bist du gemein!! an so einer entscheidenden stelle aufzuhören??? willst du mich in den wahnsinn treiben??? der teil war natürlich ähhhmm... mir fällt kein synonym mehr für supergenialmeisterhafttollmehralsgeil ein!
 
Alae!

Nein!! Nein!!!!!!!!!!!! Nicht aufhören!!!!
Nicht an der Stelle!! Bitte!! Tu uns das nicht an!! *vorverzweiflungzweitepersönlichkeitentwickel* *mordslustigrumspringundmenschenfress* *nekopfnusskriegt* *wiedernormalist*

Dr.Jekyl, Mr.Hide,... willkommen.

Böse Wissenschaftler! Aber naja, was soll man machen; Mutanten sind ja keine Menschen und haben somit keine Rechte... .

Weittttaaaaaaaaaaaaa!!

Atenio Kitti
 
Die beiden Teile haben mir gut gefallen, vor allem der zweite, in dem Chesters wahnsinnige zweite Hälfte sehr gut rüberkommt. Und immerhin war meine recht abwegige Theorie gar nicht mal so daneben :D
 
Chesters dunkles Ich kam wirklich hervorragend herüber, genauso wie Ruth. Außerdem ist jetzt klar, dass er Ruth getötet hat, Brad und auch andere... Allerdings würde ich jetzt mal annehmen, dass das Weiche Adas Kissen ist... Und sie immer noch im Bett liegt ;)...
 
Hallo zusammen!

Entschuldigung, dieses Mal hat es wieder etwas länger gedauert .. bin sogar auf die zweite Seite abgerutscht .. Aber langsam nähert sich meine FF schwer zu schreibenden Stellen, wo ich mir fast über jedes Wort den Kopf zerbrechen muss .. *seufz* Nun, denn ..

@*gato_negro*: In den Wahnsinn treiben? Nö. Wer soll mir denn dann noch Commies schreiben? :D Danke dir für dein supergroßes Lob *froi*

@Tiara: Arghs .. ! Was die Dass-Sätze angeht, hast du recht .. *zerknirschtist* So war es eigentlich gemeint .. Und danke für die Worterklärung *wiedereinbisschenschlauerist* :D Und natürlich für den lieben Commie *froi*

@Kitti: Da hast du recht - im Moment besitzen die Mutanten da wirklich nicht gerade viele Rechte .. *seufz* Sollte das mit dem Dr. Jekyl und Mr. Hide zufällig ein Schubs in Richtung Klischee sein .. ? *weißdasssiesowasgerneeinbaut* Danke auch dir für deinen Commie! *froi*

@stLynx: Nö, war sie nicht. Aber das hätte ich schlecht bestätigen oder abstreiten können :D Und danke für den lieben Commie *froi*

@Shan'xara: Brad? Auweia .. wo steht, dass er Brad getötet hat .. ? *vielleichteinenriesigenFehlergemacht hat* :eek: Der lebt eigentlich noch .. *schluck* Aber davon mal abgesehen, danke ich auch dir für dein Lob *froi* Schön, wenn es so rübergekommen ist, wie es sollte.




Kapitel o2: Ausbruch
Akt o8, Teil o1

Mit einem viel zu hastigen Atemzug schlug ich unvermittelt die Augen auf, was gleich darauf zu einem heftigen Hustenanfall führte, der meine Brust zu sprengen schien und meinen Körper schmerzhaft schüttelte. Alles brannte und pochte, als wäre ich buchstäblich durch den Wolf gedreht worden. Von irgendwoher vernahm ich wie durch einen Nebel ein beständiges Piepen, das von einem beinahe erleichterten Aufatmen untermalt wurde.
„Gut, sie atmet wieder.“
„Die Werte normalisieren sich.“
„Herzschlag stabil.“
Ich hatte einige Mühe, klar zu sehen. Graue Nebelschlieren schienen vor meinen Augen hin und her zu wandern, Formen und Schemen zu bilden, die mich aufforderten, zurück ins Dunkel einzutauchen. Doch dann erblickte ich die Ärzte. Es waren mindestens drei der besser qualifizierten, die über mich gebeugt da standen - und einer trug zu meinem Entsetzen die Defilibrator-Handschuhe.

Entsetzen? Nun, eine Sekunde später fiel mir alles einem Dammbruch gleich wieder ein, von der weißen spitzen Simulation der Techniker über den schwarzen Strudel in Chesters Geisterfluss, in dem er mich hatte ertränken wollen, bis hin zu Ruths seltsamen Erklärungen und Chesters Gejammer im Keller seines Erinnerungshauses, das in einer vollkommenen Entladung von Energie geendet hatte, was meine Seele geradezu in meinem Körper zurückgeschleudert haben musste. Wobei letzteres auch von dem EKG-Gerät stammen konnte. Jedenfalls schmerzte meine Brust dementsprechend und all meine Glieder fühlten sich bleischwer an. Meine Augen brannten und ich hatte das zerfressende Bedürfnis, einfach nur noch zu schlafen.

„Was sagen die Aufzeichnungen?“
Mit einem Ruck war ich wieder in der Gegenwart, als ich diese Stimme hörte. Professor Doktor Richard Francis Sherman. Sogleich war alles in mir auf misstrauisch gepolt und schnell sah ich mich um, um den Wissenschaftler ausmachen zu können, und registrierte dabei eher beiläufig, dass ich gar nicht in dem mir bekannten Simulationsraum lag. Ich hatte nur eins im Sinn: Shermans Gesichtsausdruck sehen, wenn er sich die Aufzeichnung anschaute. Allein dieser Gedanke übernahm auf einmal die Führung meines Verstandes, ließ mein zitterndes Herz ängstlich aufspringen. Was hatten sie nur aufgezeichnet? Etwa ... alles?

Der ältere Mann mit dem grau meliertem Haar stand nur wenige Meter entfernt von meinem gepolsterten Tisch und blätterte sich durch einen beachtlich dicken Stapel Computerausdrucke. Sein weißer Arztkittel saß ihm wie der Umhang einem König. Klirrend kalte Eisaugen flogen schnell und auf der Suche nach den richtigen Informationen über die nüchternen und knappen Computeranalysen, während ich mir vor Nervosität auf die Zunge biss, um ihn nicht anzuschreien. Wut und Angst sowie Ungeduld lagen wie ein bitterer Geschmack in meinem Mund, den ich ihm nur zu gern entgegengespuckt hätte.

Eine feste Hand drückte mich mit Nachdruck zurück in die Waagerechte und ich fuhr herum wie ein angeschossenes Tier, bereit den Eigentümer der Hand streitsüchtig anzufauchen. Es brachte mich etwas aus dem Konzept, als ich in die schmalen, blau-grauen Augen von Matt Vaughan blickte, die hinter der eckigen Brille doch tatsächlich so etwas wie aufrichtige Sorge zeigten.
Dieser verwirrte Moment strich jedoch schnell vorüber und ich erinnerte mich augenblicklich daran zurück, was mein einstiger Bekannter mit meiner einstigen Zimmergenossin gemacht hatte.
„Fass mich nicht an!“, fauchte ich zornig, schlug seine Hand hart von meiner Schulter und richtete meinen Oberkörper wie zum Trotz wieder auf. Die drei anderen Ärzte, die mich wohl ins Leben zurückgerufen hatten und die ich bei meinem Erwachen als erstes erblickt hatte, hatten mich inzwischen von sämtlichen Kabeln befreit, sodass mir dies nicht weiter schwer fiel. Ich bemerkte nur am Rande, dass sie Matt mit fragenden Blicken musterten, und ignorierte es komplett, dass ihm das überhaupt nichts auszumachen schien.

„Wie geht es dir? Alles in Ordnung?“ Starrsinnig weigerte ich mich, die Besorgnis aus seiner Frage herauszuhören oder zu bemerken, dass er mich auf einmal wieder viel persönlicher duzte, und blitzte ihn böse an.
„Wie soll es mir schon gehen, nachdem du dich mit mir und den notwendigen Informationen über meine Fähigkeiten bereichert hast und nun vermutlich zum Oberwissenschaftler mit Auszeichnung befördert wirst? Willst du es wirklich hören? Großartig, sage ich dir. Ich fühle mich großartig!“ Trotz meiner noch leicht schmerzenden Brust hatte ich die Stimme erhoben. Er sollte merken, dass mir die Anwesenheit der anderen keine Angst einjagte, während er allein schon bei Shermans Namen nervös über die Schulter blickte. Normalerweise. Nun stand er Matt beinahe gegenüber und außerdem befanden sich auch noch drei andere Ärzte im Raum, die Matt gerade zweifellos abschrieben.
Ich übersah es.

Mit zusammengekniffenen Augen flog mein Blick zu Sherman hinüber, der sich indessen bis zu den letzten Blättern durchgearbeitet hatte. Kampflustig funkelte ich ihn an und legte so viel Häme in meine Stimme wie es mir angesichts meiner nagenden Furcht im Bauch möglich war: „Und? Was steht dort Interessantes geschrieben? Bin ich gerade entbehrlich geworden?“ Am Rande fielen mir Ruths Worte ein, als sie gesagt hatte, dass ich für die Wissenschaftler aufgrund meiner Telepathie viel zu wichtig war, da sie sich durch mich Zugang zu Chesters Fähigkeiten und Kontrolle über seinen Verstand erhofften. Aber diese Theorie erschien mir in Anbetracht der Tatsachen derzeit viel zu wackelig, als dass ich mich blindlings darauf stützen könnte. Immerhin hatte mir das gewissermaßen ein Geist mitgeteilt. Das letzte Bisschen, was von Ruth noch übrig geblieben war und was sie in Chesters zwiespältiger Seele deponiert hatte, damit ich irgendwann draufstieß.
Ich stockte. Meine eigenen Gedanken hatten mir gerade in ihrem freien Lauf ein Rätsel aufgegeben, auf das ich im Moment jedoch noch nicht näher eingehen konnte, da mich Sherman unvermittelt zurück in die Gegenwart rief. Ich beschloss allerdings, dass mir dieser Gedanke nicht wieder entgleiten durfte; später würde ich darauf zurückkommen. Zurückkommen müssen.

„Ich unterbreche euch wirklich nur ungern, wo ihr beiden doch offensichtlich dabei seid, eine richtig nette Beziehung zueinander aufzubauen, aber wir haben jetzt Wichtigeres zu tun.“ Er faltete die Computerausdrucke, nachdem er sie flüchtig zu Ende durchgesehen hatte, sorgfältig zusammen und steckte sie in seine Kitteltasche, ehe er Matt ansah und näher an meinen Tisch herantrat. Wie mit einem Schwamm saugten seine blauen Augen jeden Funken Selbstbewusstsein, den Matt mir gegenüber gerade mühsam bewiesen hatte, auf und ließen ihn sichtlich schrumpfen. „Trotzdem will ich Sie nachher in meinem Büro sehen, Matt, verstanden?“ Er ließ keinen Zweifel daran, dass dies ein unumstößlicher Befehl war, dem Folge zu leisten war. Nachdem Matt, die Augen am Boden, genickt hatte, hätte ich ihn am liebsten laut schreiend geschlagen. Wie konnte man sich nur so befehligen lassen?! Verdammt, er konnte doch nicht immer nur Männchen machen, sobald Francis Sherman mit den Augen zwinkerte!
Und dennoch wusste ich, dass dem so war.

Anschließend neigte er den Kopf ein wenig und begegnete meinem misstrauischen Blick mit Eis. „Um deine Frage zu beantworten, 11, in den Ausdrucken steht nichts von Belang drin, das dich in irgendeiner Art und Weise ... entbehrlich macht.“ Er schüttelte leicht belustigt den Kopf, als er dieses Wort langsam im Mund drehte. Diese Geste stand jedoch so im Kontrast zu seinen tödlich dreinblickenden Augen, dass ich sie kaum wahrnahm. „Ich nehme an, dir ist bewusst, dass du gerade eben fast gestorben wärst, worüber es selbstverständlich einige Aufzeichnungen gibt.“ Unvermittelt beugte er sich zu mir herunter und brachte seine stahlblauen Augen mit meinen auf eine Höhe. Er war mir so nah, dass ich sogar seine frisch gewaschenen Haare riechen konnte, und ich nur mit Mühe den Impuls unterdrücken konnte, vor ihm zurückzuweichen. Eine unleugbare Aura der Macht pulsierte so stark um ihn herum, dass sie mich schier erdrückte. „Liege ich falsch in der Annahme, dass du nicht gewillt bist, uns etwas über deinen kleinen Ausflug in Nummer 1 Geist zu erzählen?“
Ich schoss einen wütenden Blick auf ihn ab. „Nein, da liegen Sie sogar verflucht richtig!“
Seine schmalen Lippen umspielte ein halbherziges Zucken. „Dachte ich mir.“ Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf und sah von oben auf mich herab. „Nun, sicherlich wirst du wissen, dass wir andere Methoden haben, uns die gewünschten Informationen einfach aus deinem Verstand heraus zu nehmen. Oder?“ Er hatte seine Stimme unmerklich gesenkt, verursachte damit aber ein unangenehmes Kribbeln in meinem Nacken, das mit Sicherheit beabsichtigt war.

Ich musste kurz schlucken, um mir selbst auch völlig sicher zu sein, dass kein Krächzen, Flüstern oder ängstliches Fiepen meine Kehle verlassen würde. „Sie richten Ihre Drohungen an die Falsche, Sherman.“ Ein kurzer Seitenblick zu Matt folgte. „Ich bin nicht so leicht einzuschüchtern.“ So gern ich diese Worte glauben wollte, wusste ich es doch besser. Francis hatte mir Angst gemacht.
Wieder dieses Mundwinkelzucken. „Nein, natürlich nicht. Dennoch haben wir tatsächlich solche Mittel, aber bevor ich zu ihnen greife - greifen muss -, möchte ich dir doch nahe legen, noch einmal darüber nachzudenken. Auch wenn du es mir möglicherweise nicht glauben willst, 11, ich verabscheue gewalttätige Methoden, um an Informationen zu kommen, die tief in deinem Geist vergraben liegen. So was kann einen Mensch zu einem psychischen Wrack machen.“ Die Skrupellosigkeit in seinen Augen strafte seine Worte Lügen. Und außerdem wusste ich, dass er log.
Gerade deswegen kam seine Drohung auch so gut bei mir an.

Es war zweifellos Chester, von dem er als psychisches Wrack sprach, und ihn hatten sie offensichtlich auch nicht mit Samthandschuhen angefasst, wenn er als seine zweite Persönlichkeit ganze Räume in einem Erdbeben verschwinden lassen konnte oder -

„Ich habe deinen Bruder getötet, ich habe deinesgleichen getötet, ich habe dich getötet, wieso kannst du nicht endlich verschwinden?!“

Seine Stimme hallte so deutlich in meinem Kopf nach, dass ich mich beinahe erschrocken umgesehen hätte, um ihn hinter mir stehen zu sehen. Beinahe. So gefror mir nur das Blut in den Adern, als die Bedeutung dieser Worte endlich zu meinem klaren Verstand durchsickerte. Ich krallte meine Finger ineinander, damit meine Hände nicht zu zittern anfingen und ich Sherman somit eine Genugtuung bereitete, die ich um jeden Preis verhindern wollte. Er hat sie umgebracht, durchfuhr es mich. Oh Gott, er hat sie umgebracht!

Francis Sherman vor mir lächelte mit kalter Zufriedenheit und mir wurde zu spät bewusst, dass ich ihm nun doch die Befriedigung gab, die ich ihm verwehren wollte. Meine Augen mussten diesmal mich verraten haben, ganz zu schweigen von meiner Gesichtsfarbe, die zweifelsohne der Farbe der Arztkittel Konkurrenz machte.
Schnell versuchte ich, meinen Schrecken zurückzudrängen, meine Angst hinter dicke Türen zu sperren und meine erneut aufkeimende Trauer für Ruth unter der großen Welle an Wut auf den Mann vor mir zu ertränken.
Mit kalter Emotionslosigkeit blickte ich ihm in seine eisblauen Augen und sprach mit beherrschter Stimme: „Sie haben recht. Das glaube ich Ihnen keine zwei Zentimeter weit!“
________________________
to be continued ..

Hun-hun ..

Danke für's Lesen,
- SnowWhite
 
Zuletzt bearbeitet:
*jubel* schon wieder erste ist! tut mir echt leid, aber mir fällt WIRKLICH keine kritik mehr ein! das einzige war vielleicht, dass ich manchmal ein bisschen den überblick verloren hab, aber sonst natürlich wieder ganz ganz supi!!!
freu mich schon auf den nächsten teil!
bussi
gato
 
Puh, war das lang! Aber natürlich nichtsdestotrotz interessant. So richtig zu kritisieren find ich mal wieder nichts... Kann nur anmerken, dass mir die Gefühlbeschreibungen besonders gefallen haben.
Ach, doch, eins hat mich in dem Teil etwas (aber wirklich nur etwas) gestört: Dass ständig auf den (ziemlich ähnlichen) Augenfarben rumgehackt wird :rolleyes:
 
Der Teil war klasse - Sherman kam sehr gut herüber und auch die Szenerie... Nur eines: Für Wiederbelebungen benutzt man kein EKG (das zeichnet nur die Herzaktivität auf...), du meinst wohl eher einen Defibrilator...

Ach ja, das mit Brad ist nur ein Fehler von mir gewesen - ich hatte da einfach den falschen Namen für Ruths Bruder geschrieben (Billy hieß der, oder?)...
 
Alae!

Wird sie jetzt gefoltert? Skrupellose Arschlöcher... . Obwohl sowas ja eigentlich auch sehr dumm ist... Wenn die Mutanten nämlich psychisch gestört sind können sie der Wissenschaft auch net mehr so gut dienen....

War... (...natürlich..) ...supi!

Atenio
 
Hallo zusammen!

Puh, war das ein Akt, diesen Teil zu schreiben *Schweißabwisch* Es hat daher auch - mal wieder - etwas länger gedauert. Allerdings ist es ziemlich schwierig, etwas in der Ich-Person zu verfassen, die Gefühle möglichst nachvollziehbar zu beschreiben und alles trotzdem noch einigermaßen verständlich rüberzubringen, wenn man noch nie in einer solchen Situation war ..
Nya, das Ergebnis seht ihr hier. Sagt ruhig, was euch nicht gefällt.

@*gato_negro*: Also ich beschwer mich bestimmt nicht, wenn du nichts zu kritisieren hast *nö* Etwas unübersichtlich, meinst du? Hm, okay, seh ich noch mal durch ;-)
@Tiara: Arghs, diese Fehler .. Und dabei les ich mir das vorm Posten immer noch durch .. *seufz* Aber dafür habe ich ja dich :D Hab alles korrigiert.
@stLynx: Lang? Öhm .. war eigentlich nicht länger als sonst. Stört das denn? Und die Augenfarben .. *rolleyes* .. da wurde ich auch schon von jemand anderem drauf hingewiesen. Ich werd versuchen, in Zukunft nicht mehr allzu doll darauf rumzuhacken nur ein bisschen .. :D
@Shan'xara: Ähem .. genau das meinte ich -.-" Werde das gleich mal änderen gehen ..
@Kitti: Eine Folterszene hatte ich mir wirklich zuerst überlegt, aber dann hab ich mir überlegt, dass das ganze dann noch länger wird, wenn ich das auch noch mit reinbringe .. Was das psychisch gestört sein angeht, hm .. eigentlich hast du Recht .. Aber bei mir machen die das trotzdem gerne :D

Danke euch allen für die lieben Commies! :knuddel:



Kapitel o2: Ausbruch
Akt o9, Teil o1

„Oh Gott, Ada!“ Chester sprang von seinem Bett auf, kaum dass die zwei Soldaten, die mich zu meinem Zimmer begleitet hatten, die Tür geöffnet hatten und er mich unter dem Rahmen stehen sah. „Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung mit dir? Die Simulation ... du bist nicht wieder aufgewacht und ...“ Er war mit schnellen Schritten auf mich zugeschritten, während die zwei Militärs die Tür hinter sich wieder verschlossen hatten und mich allein mit ihm ließen. Mit ihm. Mit ihm, der fünf Menschen und noch mal genauso viele Wissenschaftler getötet hatte! Mit ihm, der Ruth getötet hatte!
Als er nur noch weniger als einen Meter von mir entfernt war, wich ich instinktiv vor ihm zurück, hatte dabei jedoch endgültig die Tür im Rücken. Chester blieb allerdings augenblicklich stehen, als er bemerkte, dass ich mich bewusst von ihm entfernte. Ein fragender Ausdruck mischte sich in den besorgten in seinen dunklen Augen, die absolut nichts mehr mit dem alles vernichtenden Schwarz gemein hatten. Ich konnte nicht anders, als ihn lange anzustarren, tiefer und tiefer in diese Augen zu sehen, und mir dabei vorstellte, wie er fünf Menschen kaltblütig ermordete.
Meine Gedanken waren zu keinem klaren zusammenzusetzen, als ich bei meiner Musterung nur Besorgnis und Unverständnis entdecken konnte.

„Ada? Ada, was ist denn? Was ... schaust du so? Ist was passiert?“ Er klang vorsichtig, fiel mir plötzlich auf, unsicher, vorsichtig, aber unwissend. Dabei hätte er es doch gar nicht nicht bemerken können, wenn jemand, der dort nicht hingehörte, durch seinen Geist schlenderte wie durch eine Einkaufspassage.
Ich atmete kurz tief durch und befahl mir dann, ihn aufmerksam zu beobachten, um nicht die geringste Kleinigkeit zu verpassen, jede Regung, die Lüge oder Wahrheit bedeuten konnte, auf seinem Gesicht mitzubekommen. „Hast du Ruth getötet?“, fragte ich ihn gerade heraus und sah ihn unverwandt und mit ausdrucksloser Miene an. Jedenfalls wollte ich das. Ich wusste nicht, was für Emotionen gleich einem Film über mein Gesicht spielten. Doch das war im Moment unwichtig. Ich musste ihn ansehen.

Und er starrte mich zurück an. Ich weiß nicht, wie lange sich keiner von uns beiden rührte, wie lange die Temperatur im Raum Zeit hatte, sich dem Gefrierpunkt zu nähern, aber es schien mir eine unendlich lange Zeitspanne zu sein. Meine Gedanken in meinem Kopf jagten sich während dieser kleinen Ewigkeit und kämpften um meine Zustimmung. Zwei Möglichkeiten gab es. Entweder war er schlichtweg perplex darüber, wie ich auf eine solch abstruse Idee auch nur hatte kommen können - oder er war ertappt.
Und je länger er sich mit seiner Antwort Zeit ließ, desto unruhiger wurde ich. Wenn er es nicht gewesen war, dann war es doch bestimmt einfacher, dieser beklemmenden Situation mit schallendem Gelächter oder so etwas zu entwischen, anstatt mich stumm anzustarren. Oder? Wieso musste er mit seiner Antwort so lange überlegen? Ja. Oder nein. Eins von beidem.

„Wie ... kommst du darauf?“, stellte er schließlich eine Gegenfrage, die meine Anspannung nicht im mindesten löste.
Ungeduldig und mit einem Hauch von Ärger und Furcht sah ich ihn an. „Nun komm schon, Chester. Ja oder nein. So schwer kann es nicht sein.“ Mein Herz näherte sich einem gewaltigen Aussetzer, während er mir weiter reglos gegenüber stand und mich schier in den Wahnsinn trieb. Gleichzeitig machte sich eine unfassbare Ahnung in mir breit, mit der auch wieder die Trauer um Ruth an die Oberfläche kam. Wieder? Vor zwei Tagen hatte ich sie so entschlossen weggesperrt, dass ich nicht einmal die Zeit dafür gefunden hatte, sie zu begreifen.
Nein! Entschlossen unterdrückte ich diese Gefühle. Das war im Moment wirklich nicht der passende Augenblick, um in einen eventuellen Heulkrampf auszubrechen!

Er schloss kurz die Augen und murmelte irgendetwas Unverständliches, ehe er sie wieder öffnete und nun mich genau betrachtete, als wenn er sich ebenfalls keine Reaktion von mir entgehen lassen wollte.
Und dann nickte er.

Ich weiß nicht, wie ich das nachfolgende Gefühl beschreiben soll. Es war schrecklich. Ein Teil von mir hatte immer noch gehofft, alle Puzzelteile falsch zusammengelegt zu haben, und für eben diesen Teil ging eine ganze Welt unter, als Chester seine Bestätigung zu meiner Frage gab. Ein Gefühl vollkommener Hilflosigkeit überkam mich so unvermittelt, dass mir leicht übel davon wurde. Ein Mörder. Hier steht ein Mörder. Direkt vor mir. Ein Mörder, ein Mörder, ein Mörder, ein Mörder ... Der Gedanke hämmerte wie verrückt in meinem Kopf und fügte der Hilflosigkeit zusätzlich eine beängstigende Leere hinzu, in der ich strauchelnd umher gewirbelt wurde. Aus irgendeinem Grund fingen meine Augen plötzlich unangenehm an zu brennen und ich kniff sie in einer verzweifelten wie ärgerlichen Geste über meine eigenen, nicht kontrollierbaren Körperfunktionen zusammen.

„Ada ...“ Er berührte mich leicht an der Schulter, ich schlug seine Hand jedoch so schnell weg, dass ich selbst davon überrascht war. Mit einem Ruck hatte ich meine Augen wieder aufgerissen und starrte ihn an. Nicht wütend. Wut empfand ich nicht. Nur Leere. Und Schmerz. Gott, es tat so weh.
„Nicht. Rühr mich nicht an“, sagte ich und war wieder einmal erstaunt über mich selbst, dass meine Stimme beinahe normal klang. Er hatte sie umgebracht. Er hatte die anderen umgebracht. Er hätte mich beinahe umgebracht. Was sollte ich tun?
„Ada -“
„Nein!“, unterbrach ich ihn barsch und schritt schnell an ihm vorbei zu meinem Bett, um ihm gar nicht erst die Gelegenheit zu geben, mich irgendwie einengen zu können. Ich war so ... durcheinander. Und ich musste nachdenken. Worüber? Vorhin gab es doch noch so viele Dinge, über die ich hatte nachdenken wollen, verdammt! Ich hatte mich doch extra dazu ermahnt, sie nicht wieder alle zu vergessen!
Doch nun war mein Kopf auf einmal wie leer gefegt.

„Ich weiß, dass du in meinem Geist warst“, sagte Chester plötzlich leise hinter mir und seine Stimme hatte so etwas an sich, die mich bereits erahnen ließ, dass diese Worte erst der Anfang von einem Geständnis waren. Von einem Geständnis, von dem ich nichts hören wollte. Zumindest jetzt nicht! Ich musste zunächst dieses verzehrende Gefühl in meinem Herzen loswerden ... „Ich habe dich angelogen, als ich dir gesagt habe, ich wüsste nicht, was passiert, wenn ich ... wenn er ... wenn es da ist.“
„So?“ Nun klang ich doch schnippisch. „Hast du das?“ Wie konnte er das jetzt ansprechen? Im Gegensatz zu dem weitaus größeren Problem, das zwischen uns im Raum beinahe Gestalt annehmen konnte, war eine kleine, unwichtige Lüge nahezu Kinderkram.
„Ja. Ich bekomme alles, was geschieht, nach und nach mit, kann aber nichts dagegen tun, sondern nur ... hilflos zusehen.“

Unvermittelt wirbelte ich zu ihm herum. „Ist dem so?“, fauchte ich, nun doch von einer schier unbändigen Wut gepackt und funkelte ihn böse an. Oh ja, dieser Zorn fühlte sich weitaus besser an, als alles andere, was ich in den letzten Minuten hatte fühlen müssen. „Weiß du eigentlich, wie scheißegal mir das ist?!“ Er sah mich gequält an, doch ich beachtete ihn gar nicht. Der räumliche Abstand zwischen ihm und mir war mir auf einmal auch viel zu groß; auf diese Entfernung konnte ich ihm nicht wehtun. Mit einigen raschen Schritten stand ich direkt vor ihm und bohrte meinen Zeigefinger tief in seine Brust, fest entschlossen, das Feuer in mir am Brennen zu erhalten. Mit den unliebsamen Gefühle, die es überdeckte, wollte ich mich auf keinen Fall auseinandersetzen. „Erwartest du tatsächlich von mir, dass ich irgendeine deiner lausigen Entschuldigungen annehme?! Wann hattest du denn vorgehabt, mir zu sagen, dass du ein Mörder bist? Wolltest du so lange warten, bis dir eine geeignete Ausrede dafür eingefallen ist? Oder vielleicht abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen ist, damit es nicht mehr so weh tut? Verdammt, wolltest du es mir überhaupt sagen?!“

Ich stieß ihm hart mit der flachen Hand vor die Brust, sodass er einen Schritt nach hinten machte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Seine dunklen Augen lagen voller Schmerz auf mir, und dieses Gefühl kam sicherlich nicht von meinem läppischen Hieb. Aber ich weigerte mich, das zu erkennen, weigerte mich in seinem Blick einen Spiegel meinen eignen Emotionen zu sehen, die ich so krampfhaft zu unterdrücken versuchte, dass es schmerzte. „Wie kannst du glauben - wie kannst du es wagen, mir mit irgendwelchen miserablen Rechtfertigungen zu kommen, wo du Ruth getötet hast?! Ruth, Chester. Ruth!”

Von einem Moment auf den anderen war meine Wut plötzlich wie verraucht und ganz übergangslos brach sich eine fürchterliche Tränenflut Bahn, die meinen ganzen Körper schüttelte und mich so sehr überraschte, dass ich einen Augenblick lang vollkommen die Kontrolle verlor und kraftlos gegen Chester sank. Zum ersten Mal seit Ruths Tod vor zwei Tagen - vor nur zwei Tagen! - ließ ich mich vollkommen gehen und hielt meine offensichtlichen Gefühle nicht zurück.
Meine Trauer ließ sich nach den vorhergegangen Ereignissen und dem kurzweiligen Wiedersehen mit der einstigen Freundin nicht mehr unterdrücken und überrollte mich jetzt so unerwartet und heftig, dass sie jeden Widerstand durchschlug. Und ich konnte nicht mehr aufhören. Verflucht, ich konnte einfach nicht mehr aufhören! Mein Herz klopfte qualvoll wie mühsam in meiner Brust und zerriss mich in seiner Qual Stück für Stück.
Ich weinte.
__________
to be continued ..

Mal sehen, mal sehen ..

Danke für's Lesen,
- SnowWhite
 
Zuletzt bearbeitet:
Wow, der Teil war total super. Dass du Schwierigkeiten damit gehabt hast, merkt man ihm nicht an. Die Emotionen sind total überzeugend und sehr eindringlich dargestellt - total klasse. Ehrlich.
 
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