An dieser Stelle melde ich mich nun auch einmal zu Wort und danke noch einmal, auch im Namen meiner Partnerin, für die Kommentare der Leser.
Ich hoffe, euch wird unsere Geschichte weiterhin gefallen und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Sakatani Ranmaru
Kapitel 1
Sommer 2003 – 20 Jahre später…
„Ach Schatzi, was hast du denn jetzt schon wieder?“ Ein genervtes Seufzen kam über die Lippen der jungen Frau, die gerade damit beschäftigt war, ihren Computer zu streicheln. Das war ihre Methode, das gute Stück wieder zum Laufen zu bringen, nachdem sämtliche Tastenkombinationen versagt hatten. Als nächstes würde sie wohl wieder nach ihm treten, wie sie es immer tat, wenn „Aya“ sie im Stich ließ.
Erneut seufzend, weil nichts geschah und der Bildschirm absolut leer blieb, das heißt bis auf das Wallpaper im Hintergrund, beugte sie sich vor und betätigte die Power-taste, die eigentlich dafür sorgen sollte, dass Aya herunterfuhr.
Nach einigen Augenblicken geschah noch immer nichts.
„Gut, dann eben auf die harte Tour!“ Ihre Laune war nicht überragend, aber doch besser als sonst, deswegen blieb sie auch jetzt ruhig. Sie kannte die Macken ihres Computers langsam in- und auswendig und hatte aufgehört, sich über Ausfälle zu ärgern.
Kurz darauf war der Stecker gezogen und sie machte sich auf den Weg ins Badezimmer.
„Oh Mann!“, gähnte die junge Frau, die eigentlich noch ein Mädchen war, und betrachtete sich im Spiegel.
„Ich sollte weniger vor der Kiste hängen! Kein Wunder, dass meine Augen so brennen, wenn ich stundenlang nur auf den Bildschirm starre. Dabei gibt’s viel schönere Dinge, die man anstarren kann.“
Sie grinste, als sie an den Abend zurückdachte, an dem sich ihr Freund vor seiner Abreise in seine Heimatstadt von ihr verabschiedet hatte. Das war ein sehr schöner Abend gewesen, obwohl sie sich von der Beziehung mit Alex nie viel erhofft hatte.
Eine Frau mit schulterlangen hellbraunen Haaren und fast schwarzen Augen grinste ihr entgegen, als sie in deren Gesicht nach einer Bestätigung für ihre eben getroffene Feststellung suchte. Im nächsten Augenblick schüttelte die Frau im Spiegel lächelnd den Kopf, steckte sich eine Zahnbürste in den Mund und verließ, gemeinsam mit ihren Original, den kleinen, fensterlosen Raum.
Ayas Energieversorgung wurde wieder aktiviert und der PC fuhr hoch, wie es sich für einen braven Computer gehörte.
„Guten Tag Lara!“, ertönte es sogleich aus den Lautsprechern und kurze Zeit später war alles wieder wie gewohnt. Vor dem Wallpaper erschienen die Symbole für sämtliche Verknüpfungen und auch die Taskleiste war wieder verfügbar.
„Geht doch!“, nuschelte Lara mit der Zahnbürste im Mund, während sie noch schnell eine Verbindung zum Internet herstellte.
„Sie haben E-Mail erhalten!“
Grummelnd stellte Lara die Lautsprecher leiser. Jedes mal zuckte sie zusammen, wenn diese Stimme ertönte. Sie war nicht so schön sanft und tief, wie die programmierte Stimme von Aya, aber bis jetzt hatte sie auch noch keine Möglichkeit gefunden, die Mailbenachrichtigung zu ändern.
„Aha...“
3 Nachrichten wurden geladen und danach die Verbindung automatisch beendet. Eine Einstellung, die sie selbst für sehr praktisch hielt.
*Nur schnell lesen, dann geh ich ins Bett, versprochen!*, redete sie sich selbst ein und öffnete das Fenster zum Posteingang.
„Och nö! Werbung, na toll!“, fluchte sie schließlich, als sich zwei der Adressen als Internetanbieter entpuppten. Sofort landeten die dazugehörigen Nachrichten ungeöffnet im Papierkorb. Die dritte Adresse kannte sie nicht und da sie ihrem Virenscanner vertraute, öffnete sie die mit einem Anhang bestückte Mail.
Zunächst sah sie nur ein Bild. Darauf war etwas zu sehen, was sie stark an ein Wappen erinnerte. Verschlungene östliche Drachen umrahmten ein paar Schriftzeichen, die Lara nicht entziffern konnte. *Wahrscheinlich Chinesisch oder so was.*, vermutete sie.
Irritiert runzelte sie aber die Stirn uns scrollte weiter nach unten.
‚Die Familie Sakatani fordert ihr Versprechen ein. Morgen ist die Zeit gekommen, diesem nachzukommen.’
Lara blinzelte. Was sollte das denn? Da lag sicher ein Missverständnis vor, oder ihre Freunde spielten ihr einen Streich.
Sie schüttelte den Kopf, stand auf und brachte ihre Zahnbürste weg.
*So’n Müll aber auch. Werde einfach eine Antwortmail schreiben und sie benachrichtigen, dass se die falsche Adresse haben.*
Als sie wieder zurückkam und die Mail beantworten wollte, stellte sie fest, dass sie noch nicht bis ganz nach unten gescrollt hatte.
‚Sakatani-sama erwartet sie, Fräulein Mizuno.’
Sie erstarrte. Sollte das vielleicht doch kein Missverständnis sein?
„Was zum...?“
Lara wusste nicht, was sie sagen oder denken sollte. Bisher hatte sie niemand so genannt und das sollte eigentlich auch so bleiben. Fieberhaft überlegte sie, woher jemand ihren zweiten Vornamen kennen konnte. Den Namen, den sie von ihrer Mutter bekommen hatte und den auch diese getragen hatte. Ihr Vater hatte damals entschieden, dass sie ihn als zweiten Vornamen tragen sollte, als Andenken an ihre Mutter, die 7 Jahre nach Laras Geburt verstorben war.
Niemandem hatte sie ihn verraten. Sie wusste selbst nicht, warum. Aber es war so ein Gefühl gewesen, als wäre es besser, ihn zu verheimlichen. Außerdem war sie Lara und nicht ihre Mutter. Sie zwang sich, weiter nachzudenken. Nicht einmal Alex, ihr Freund, kannte ihren zweiten Vornamen. Nur ihre Großmutter, ihre einzige verbliebene Verwandte, wusste davon.
Das war beinahe schon gespenstisch. Abwesend schüttelte sie schließlich den Kopf.
„Ein Streich, das ist sicher ein Streich.“, redete sie sich ein und schloss die Mail schließlich. Aya fuhr herunter und einige Minuten später lag Lara in ihrem Bett.
Erstaunlicherweise schlief sie schnell ein. Aber ihre Träume waren wirr. Sie bestanden aus zusammengeschnittenen Erinnerungen aus ihrer Kindheit. Sie träumte von ihrer Mutter, wie sie ihr erzählt hatte, dass sie in Japan geboren worden war, aber dann nach Deutschland gekommen war, weil ihre Firma sie versetzt hatte. Mizuno war eine schöne Frau gewesen, mit langen schwarzen Haaren und ebenso schwarzen Augen. Nur verschwommen erinnerte sich Lara noch an sie, aber was sie sah, waren schöne Erinnerungen.
Der nächste Morgen kam schnell, viel zu schnell für Laras Geschmack. Sie hatte die Begegnung mit ihrer Vergangenheit längst vergessen und machte sich nun schlaftrunken auf den Weg in die kleine Eisdiele, die Punkt 10 Uhr öffnen würde.
*Mist, ich komme zu spät!*, stellte sie für sich fest und trat etwas schneller in die Pedale ihres Fahrrades. Eigentlich hatte sie Ferien und wollte sich ausruhen, aber in drei Monaten würde ihr Studium beginnen und bis dahin wollte sie sich ein wenig Geld dazu verdienen.
„Man kann nicht alles haben!“, schnaufte sie, als sie um die nächste Ecke fuhr.
Nach hundertfachem Entschuldigen für ihr Zuspätkommen konnte sie schließlich mit ihrer Arbeit beginnen und stellte schon bald fest fest, dass es ihr sogar Spaß machte.
Sie bediente an der Theke und hatte ihre Freude daran, wie glücklich einige Kinder über ihr Eis waren.
Die Stunden vergingen recht schnell und als sie gegen Abend den Laden verließ, freute sie sich beinahe auf den nächsten Arbeitstag. Gratis-Eis war etwas schönes!
Draußen stieg sie auf ihr Fahrrad und genoss den lauen Abendwind, der ihr entgegenwehte. Ihre Laune war blendend und als sie daran dachte, dass sie gleich mit Alex telefonieren würde, wurde ihr Lächeln noch breiter. Lächelnd fuhr sie an den vielen Gärten vorbei und träumte vor sich hin. Der Kies raschelte unter den Rädern des Rades, als sie die Einfahrt des Grundstückes ihrer Großmutter durchquerte. Normalerweise saß die alte Frau immer um diese Zeit auf der Veranda und streichelte ihren Hund. Aber an diesem Abend nicht. Max streunerte allein durch den Vorgarten. Etwas verwundert betrat Lara das Haus und rief nach ihrer Großmutter. Zuerst bekam sie keine Antwort, aber als sie genau lauschte, hörte sie fremde Stimmen im Wohnzimmer.
*Ah, sie hat Besuch!*
Beruhigt ging die junge Frau zuerst in ihr Zimmer, um ihre Sachen abzulegen, und betrat danach das Wohnzimmer.
„Guten...“, setzte sie an, verstummte dann aber abrupt, als sie das Gesicht ihrer Großmutter sah. Sie wirkte so traurig und blass, dass Lara gleich auf sie zustürzte und fragte, was geschehen sei.
Mit einem Blick deutete die Ältere an, dass es etwas mit den Gästen zutun hatte, die sich auch im Wohnzimmer versammelt hatten. Insgesamt waren es 5 Männer, vier davon recht breit gebaut und alle in Anzügen. Was sie aber am meisten irritierte war die Tatsache, dass sie allesamt aus dem Ostasiatischen Raum zu stammen schienen.
Blitzartig fiel ihr die Mail wieder ein, aber sie schon sogleich den unangenehmen Gedanken bei Seite. Das konnte doch nicht wahr gewesen sein, oder doch?
„Wer sind sie?“, fragte sie und versuchte freundlich zu bleiben.
„Guten Abend, Mizuno-san!“ Der Sprecher sprach ein gutes Deutsch, aber sein Lächeln gefiel Lara nicht.
„Lara, ich heiße Lara!“, entgegnete sie kühl und setzte sich neben ihre Großmutter.
„Wie auch immer, Mizuno-san. Sakatani-sama erwartet sie bereits. Wir sind hier, um sie abzuholen. Bitte packen sie ihre Sachen. Der Flug geht noch heute Abend.“
Mit offenem Mund und sich fragend, ob dieser Mann den Verstand verloren hatte, starrte sie ihn an.
„Was denken sie sich eigentlich? Wer ist dieser Sakatani-Irgendwas und was will er von mir? Ich sehe keinen Grund ihnen zu folgen!“
Nun war der Sprecher an der Reihe, irritiert zu sein.
„Sie haben ihr nichts gesagt?“, fragte er, jetzt an Laras Großmutter gerichtet. Diese biss sich auf die Unterlippe und betrachtete angestrengt den Boden neben sich.
„Offensichtlich nicht“, stellte er leise für sich fest. Das Grinsen war längst verschwunden und nach Worten suchend sah er Lara an. Er schien in irgendeiner Weise traurig zu sein und fast wäre er in alten Erinnerungen versunken. *Trotz der Haare... sie sieht ihrer Mutter sehr ähnlich. Ein schönes Kind!*
„Nun, sie wissen, dass ihre Mutter Japanerin war?“
Lara nickte. Der Mann schien ihr noch immer suspekt, aber die Art, wie er seine Verwirrung zeigte, ließ etwas wie Vertrauen in ihr aufflackern. Vielleicht würde sie so mehr erfahren.
„Ihre Familie hatte Schulden bei der Familie meines Herrn, die sie nicht abbezahlen konnten. Die Eltern von Mizuno-dono haben schließlich das Angebot, die Familien durch eine Heirat zu vereinen und die Schulden damit nichtig zu machen, nicht mehr ablehnen können. Sie versprachen, das Mizuno-dono das Oberhaupt des Sakatani-Clanes heiraten würde, sobald die Zeit reif sein sollte. Nun, alles kam anders als geplant. Mizuno-dono’s Eltern verloren ihr Leben bei einem Unfall und sie floh, als sie von dem Versprechen erfuhr, nach Deutschland. Niemand wusste, dass sie hierher geflohen war und es hat uns viele Jahre gekostet, das herauszufinden.“
Lara starrte den Mann gebannt an. Was er erzählte war zwar unglaublich, aber das Gesicht, was ihre Großmutter dabei machte, ließ keine Zweifel aufkommen. Außerdem passte alles irgendwie zusammen. Es musste also stimmen.
„Soll... soll das heißen, dass sie mich jetzt an der Stelle meiner Mutter haben wollen?“, fragte sie ungläubig.
Ihr Gegenüber nickte nur.
„Das kann nicht wahr sein. Und was, wenn ich mich weigere?“, fragte sie aufgeregt und funkelte den Mann böse an.
Der Mann lächelte ihr traurig entgegen.
„Das wird ihnen kaum möglich sein. Noch einmal wird uns das nicht passieren. Ihre Großmutter wäre auch schmerzlich berührt, wenn sie nicht mitkämen, nicht wahr?“
Die Angesprochene kniff die Augen zusammen. Tränen rollten über ihre welken Wangen.
„Ich verstehe.“ Lara richtete sich langsam auf. „Ich gehe meine Sachen packen.“, flüsterte sie schließlich, strich der alten Frau sanft über den Rücken und verließ das Zimmer.
Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte sie alles wahrscheinlich furchtbar spannend gefunden, aber unter diesen Umständen... Sie konnte ihre Großmutter nicht in Gefahr bringen, aber vielleicht gab es auch einen Weg zu fliehen, bevor alles zu spät war.
Mechanisch packte sie ihre Sachen und beachtete den Mann, der in der Tür stand und aufpasste, dass sie nicht davonlief, kein bisschen. Sie weinte.
Drei Koffer waren es schließlich, die nach draußen getragen wurden.
„Ich hatte eigentlich an ein paar Wechselsachen gedacht, Mizuno-san, nicht an ihre gesamte Garderobe.“, stichelte der Anführer der kleinen Gruppe, der sich ihr als Hajime vorgestellt hatte, und begleitete Lara zum Auto. Kurz zuvor hatte sie ihrer Großmutter den Zettel mit Alex’ Nummer in die Hand gedrückt und ihr zugeflüstert, dass sie ihn informieren solle.
Nun saß sie im Auto und starrte aus dem Fenster der Limousiene. Sie achtete nicht auf die Worte des Mannes neben ihr, der es schließlich aufgab, sich mit ihr zu unterhalten.
„Es tut mir leid, solche Methoden verwenden zu müssen.“, erklärte er nach einer Weile und lächelte traurig. Als Antwort bekam er nur einen feindseligen Blick von Lara.
Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? War das seine Art, sie um Verzeihung zu bitten? Da gab es nichts zu verzeihen. Er hatte gedroht, ihrer Großmutter etwas anzutun, wenn sie nicht mitkäme. Das war Erpressung und Entführung in einem. Lara schnaubte verächtlich. *Familienbande...tse!*
Der Flug verlief ähnlich ruhig. Sie hatte versucht, sich davonzustehlen, aber die Toiletten auf dem Flughafen hatten weder eine zweite Tür noch irgendwelche Fenster. Man hatte offensichtlich an alles gedacht. Immer behielten sie mindestens zwei der Männer direkt im Auge. Nicht einmal an ihr Gepäck kam sie heran.
*Wie es Oma wohl geht? Ob sie Alex schon angerufen hat?* Sie unterdrückte ein Seufzen und starrte hinaus auf die Wolken. Die Stunden waren langsam vergangen und auch die Zwischenstopps hatten keine Fluchtmöglichkeit geboten. Es war zum Verzweifeln. Ihr Po schmerzte schon vom Sitzen und sie war müde. Zu schlafen traute sie sich aber nicht. Diese Männer waren ihr längst nicht ganz geheuer und von Vertrauen konnte keine Rede sein. Schon bald landeten sie in Tokyo und auch dort war es ähnlich. Hier war es sogar noch viel schwieriger als in ihrer Heimat, denn sie verstand noch nicht einmal die Sprache die gesprochen wurde. Ihre Mutter hatte damals alle Brücken abgebrochen und sich geweigert, ihre Tochter in irgendwelchen Dingen, die ihr Land betrafen, zu unterrichten. Sie hatte auch nicht gewollt, dass Lara diesen zweiten Vornamen bekam, aber ihr Vater hatte das wohl nicht verstanden.
Am späten Nachmittag kamen sie schließlich an ihrem Zielort an. Lara war müde, als sie aus dem Auto stieg. Trotzdem konnte sie ein leichtes Kribbeln in ihrer Magengegend nicht leugnen. Sie war aufgeregt. Denn dies hier sollte der Ort sein, an dem sie, nach Aussagen ihrer Begleiter, den Rest ihres Lebens verbringen sollte.
Unbewusst strich sie noch einmal ihre Hose glatt, als sie aus dem Auto stieg. Der Anblick, der sich ihr bot verschlug ihr die Sprache. Nicht, dass sie sowieso nicht vorgehabt hatte mit irgendwem zu sprechen, aber sie staunte doch sehr über das, was sie sah.
Sie standen vor einem riesigen Gebäudekomplex im japanischen Stil, soweit sie das erkennen konnte. Aus vielen Türen kamen Leute hervorgeströmt und starrten sie an. Alle waren gleich gekleidet und schienen wohl die Dienerschaft auszumachen. Und sie flüsterten.
Lara war das sehr unangenehm. Nicht nur diese Blicke, sondern auch das Klima schien perfekt dazu zu passen. Der Himmel war grau und die Luft war feuchtwarm, wie vor einem Gewitter.
Scheu blickte sie zu Boden und folgte schließlich dem Mann, der wohl einen besonderen Rang innehatte, denn alle verbeugten sich, als er mit ihr an ihnen vorbeilief. Dass sie sich wegen ihr verbeugten konnte sie sich nicht vorstellen.
Nach einigen Minuten kamen sie schließlich in einem Teil des Hauses an, der noch wertvoller und anmutiger wirkte als es der Rest schon tat.
Hajime öffnete eine Schiebetür und verbeugte sich dann einladend. Es war nicht so, wie sie es erwartet hatte. Nicht sonderlich groß, und bis auf einen Schreibtisch, einen Futon und eine Truhe befanden sich keine weiteren Möbelstücke in dem Raum. Nicht sonderlich einladend für ihren Geschmack. Das einzige, was ihr gefiel, war eine Schiebetür an der gegenüberliegenden Wand des Raumes, die eindeutig nach draußen führte. Vielleicht könnte sie sich hier einleben, aber das wollte sie eigentlich gar nicht.
Hajime hatte ihren Blick bemerkt und lächelte entschuldigend.
„Das ist nur vorrübergehend, Mizuno-san.“
„Ich heiße Lara, verdammt!“, fuhr sie ihn wütend an, fragte aber gleich danach, was er damit meinte.
„Der Herr ist nicht im Hause, er kommt erst in einigen Tagen zurück. Bis dahin wohnen sie hier, danach entscheidet er, was mit ihnen geschieht.“
„Hätte ich dann nicht noch etwas Zuhause bleiben können?“, fragte sie forsch, ohne nachzudenken.
Der Angesprochene lächelte nur und entgegnete, dass es so schon besser sei. Danach kündigte er an, dass sich gleich einige Frauen um sie kümmern würden und es dann Essen gäbe. Die Tür wurde schließlich geschlossen und Lara war mit ihrem Gepäck allein.
Verstohlen blickte sie sich nach allen Seiten um und machte sich dann über ihren Rucksack her. Es war ihr gelungen ohne das Aufsehen der Männer zu erregen, ihr Handy einzupacken und vielleicht konnte sie ja so ihre Großmutter erreichen. Doch ihre Hoffnungen wurden jäh zerstört, als sie sah, dass das Display leer war. Nach mehreren Versuchen änderte sich daran auch nichts und sie musste feststellen, dass der Akku sie wohl im Stich ließ.
„Argh! Warum jetzt, verdammt!?“, fluchte sie. An das Kabel hatte sie selbstverständlich nicht gedacht. Das Telefon landete also wieder in ihrem Rucksack und sie rutschte auf dem Boden zusammen. Die Decke ihres neuen Reiches anstarrend sinnierte sie über ihre Lage und unterdrückte die Tränen erneut. Sie vermisste ihr Zuhause schon jetzt furchtbar und glaubte auch nicht daran, dass das sich ändern würde, wenn sie für länger an diesem Ort blieb. Warum musste gerade ihr das passieren, und warum zum Teufel hatten diese Japaner auch unbedingt ihre Mutter haben wollen?
Einige Minuten später wurde auch schon die Tür aufgeschoben und drei Frauen betraten den Raum. Sie deuteten an, dass Lara ihnen folgen sollte, und als diese den panischen Blick der einen sah, weil sie sich nicht rührte, bekam sie Mitleid und folgte ihnen. Wortlos ließ sie alles über sich ergehen. Sie konnte allerdings nicht abstreiten, dass das Bad und die Massage ihrer verspannten Schultern unangenehm waren. Im Gegenteil, sie begann sogar fast, sich zu entspannen.
War sie etwas schon dabei, ihre Lage zu akzeptieren? Sie war sich nicht sicher, aber aus irgendwelchen Gründen war sie es plötzlich müde, sich zu wehren. Jetzt hatte es keinen Sinn. Sie redete sich auch einfach ein, dass es gut war die anderen in Sicherheit zu wiegen. Außerdem... was würde mit diesen Frauen passieren, wenn sie ihnen davonlief? Dieser Blick kam ihr wieder in den Sinn und sie erschrak. Ob „ihr Herr“ sie misshandelte, wenn sie versagten? Lara schauderte und erschreckte damit das Mädchen, was ihr gerade die Haare kämmte.
Aber was interessierten sie eigentlich diese Frauen? Sie schalt sich selbst, dass es für sie momentan besser war, egoistisch zu denken, wenn sie Alex jemals wieder sehen wollte. Lara hatte keine Lust den Rest ihres Lebens in einem goldenen Käfig zu verbringen. Obwohl, golden war dieser Käfig bis jetzt ja nicht gewesen.
Mit etwas Glück musste sie die Nacht nicht in diesem Zimmer verbringen und ein Grinsen schlich über ihr Gesicht, als sie an die Tür ins Freie dachte.
In ihren Gedanken versunken bemerkte sie nicht ganz, was gerade um sie herum geschah. Eine der Frauen musste sie erst antippen, damit sie ihre Arme von sich streckte und man ihr einen Kimono anziehen konnte. Wieder in der Realität zurück beobachtete Lara interessiert, wie sie angezogen wurde. Es passte ihr nicht, dass sie nicht ihre eigenen Sachen bekam, aber sie schwieg. Es hatte keinen Sinn, mit den Frauen ein Gespräch anzufangen. Sie verstanden Lara sowieso nicht, dessen war sie sich sicher. Verstimmt folgte sie ihnen schließlich in den Flur.
Das Abendessen war eine ähnliche Prozedur. Sie wurde von Hajime in einen Raum geleitet, in dem auf einem niedrigen Tisch die Speisen serviert waren. Allesamt japanisch. Viel Reis, der nach nichts zu schmecken schien, und einige Sachen, von denen sie gar nicht wissen wollte, um was es sich handelte. Und sie musste sich auf eines der Sitzkissen knien, um zu essen. Sie griff nur zaghaft zu, brach fast unter den prüfenden Blicken Hajimes, der sich zu ihr gesetzt hatte. Kein Wort wurde gesprochen und sie fühlte sich ausgesprochen unwohl. Der Reis war fast geschmacklos und die Soßen sahen nicht wirklich genießbar aus. Ganz zu schweigen von den restlichen Dingen, die noch auf dem Tisch standen. Ihr wurde beinahe schlecht, als sie einen Tintenfisch entdeckte, der trotz reichlicher Garnierung nicht unbedingt ihren Gaumen kitzelte. Den Blick starr auf ihre Schüssel gerichtet versuchte sie, mit den Stäbchen den Reis zu essen. Immer wieder krümelte etwas davon in ihren Schoß und zu allem Überfluss schliefen ihr nach nicht allzu langer Zeit die Füße ein. Dazu kam, dass Hajime des öfteren seufzte, wenn ihr ein Missgeschick passierte, oder sie drohte, ihre Haltung zu verlieren. Letztlich reichte es ihr. Erzürnt sprang sie auf und verließ den Raum. Sie brauchte frische Luft.
Einen Augenblick später wurde eine andere Tür aufgeschoben und ein Junge von etwa 12 Jahren betrat das Esszimmer.
„Hajime, glaubst du wirklich, dass wir sie hier behalten können? Sie scheint nicht sehr glücklich über ihren Aufenthalt hier zu sein.“, flüsterte er.
„Wir haben keine Wahl, Kenji-san. Sie ist perfekt und die Last, die auf den Schultern von Sakatani-sama liegt, wird wahrscheinlich von ihm fallen, wenn er sie kennen lernt. Sie wird sich wohl eingewöhnen müssen.“ Der Mann lächelte verträumt.
„Wenn sie nur halb so fröhlich wie ihre Mutter ist...“
„Aber Ranmaru ist doch auch nicht glücklich über diese Lösung. Was, wenn er sie gar nicht will?“
Hajime lächelte den Jungen an.
„Ihr kennt euren Bruder schlecht, Kenji-san. Er ist traditionsbewusst erzogen worden und weiß, dass sich erst so die Ehre eures Clans wieder vollständig herstellen lassen wird. Es ist damals sehr unangenehm gewesen, als euer Onkel nicht wie geplant Mizuno-dono zur Frau genommen hat. Das ganze Dorf hat darüber gesprochen, dass ihm die Braut weggelaufen ist. Und außerdem... denkt doch an ihr Erbe!“
Der Junge grummelte vor sich hin und erhob sich langsam.
„Ich würde nie aus Zwang eine Frau heiraten. Sicher behandelt man sie dann nicht so, wie sie es eigentlich verdient.“ Kenji schnaubte erneut und verließ dann das Zimmer.
„Ich schau sie mir mal an, Hajime! Und stör mich bloß nicht!“, rief er noch, dann war er verschwunden.
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