Früher gab es mal eine Zeit, da hatte ich noch mehr als zwei Leser...
Kapitel 6 - Teil 2
„Wo ist Bakchos?“, fuhr Pentheus die zurückkehrenden Wachen ein, als diese statt des Gottes lediglich einen menschlichen Jüngling brachten.
„Wir konnten ihn nicht finden“, antworteten sie. „Aber wir haben einen seiner Gefolgsleute, der offenbar noch nicht lange mit ihm reist.“
Pentheus wandte sich nun dem Fremden zu. „Todgeweihter!“, rief er. „An dir muss ich ein Exempel statuieren und dich hinrichten lassen! Sage mir, wie heißt du, von wem stammst du ab und wieso verehrst du diesen falschen Gott?“
„Mein Name ist Akötes“, erwiderte der Gefragte furchtlos, „und ich stamme aus Mäonien. Meine Eltern waren arm und hinterließen mir keine Grundstücke, Reichtümer oder Herden, sondern bloß die Kunst des Fischfangs. So lernte ich also die Lenkung eines Schiffes und fuhr zur See. Eines Tages kamen wir an eine unbekannte Küste und ich bestieg einen großen Hügel, um mich zu orientieren. Als ich zum Schiff zurückkehrte, hatten meine Kameraden einen sagenhaft schönen Jüngling dabei, der vor Weingenuss nur noch zu torkeln vermochte. Sie sagten, sie hätten ihn geraubt.
‚Seht ihr denn nicht‘, wandte ich mich an sie, ‚dass dies ein Gott ist? Ich weiß nicht, wer er ist, doch etwas Göttliches ist ohne Zweifel an ihm.‘
Aber meine Kameraden lachten mich nur aus. Ich versuchte, sie davon abzuhalten, den Jüngling mit an Bord zu nehmen, doch der Kräftigste von ihnen schleuderte mich aus dem Wege. Nach einer Weile erwachte der Entführte.
‚Wo bin ich hier?‘, fragte er verwirrt.
‚Sorgt Euch nicht‘, entgegnete ihm einer meiner Kameraden heuchlerisch, ‚nennt uns einfach Euer Ziel und wir werden Euch dorthin bringen.‘
‚Nun gut‘, sagte der Junge, ‚ich möchte zur Insel Naxos, denn sie ist meine Heimat.‘
‚Wir schwören bei allen Göttern, dass wir Euch sicher dorthin bringen werden‘, erwiderten die Seeleute. Dann riefen sie nach mir, denn ich sollte die Segel setzen. Als ich die Segel nach rechts hisste, sodass unser Kurs uns nach Naxos führen würde, zischten sie mir jedoch zu: ‚Bist du dem Wahnsinn verfallen? Was tust du? Nach links musst du die Segel richten!‘
Entsetzt weigerte ich mich, diesen Auftrag zu erfüllen.
‚Als ob diese Reise von dir abhinge‘, fuhr mich einer verachtend an und hisste die Segel selbst.
So fuhren wir also in die falsche Richtung. Der Jüngling blickte hinaus aufs Meer, wo in der Ferne Naxos zu sehen war, von dem wir uns immer weiter entfernten. Mit gespielten Tränen klagte er: ‚Ist es Recht, dass ihr einen Knaben so betrügt? Versprachet ihr mir doch, mich nach Naxos zu bringen!‘
Meine Kameraden spotteten bloß und beschleunigten die Reise durch Rudern. Aber auf einmal hielt das Schiff an. Alles Rudern und aller Wind half nicht, wir bewegten uns kein Stück. Efeu wuchs aus dem Wasser und umschlang das Schiff, meine Kameraden, die sich bereits ängstlich umgeschaut hatten, begannen zu zittern, ihr Rückgrat verformte sich, ihre Gesichtszüge veränderten sich, sie durchliefen eine Verwandlung und schließlich waren von ihnen nur mehr Fische geblieben, die ins Meer sprangen und darin verschwanden. Auch ich erwartete die Verwandlung, doch nichts geschah.
‚Du hast mir nur Gutes getan‘, wandte sich der Jüngling an mich, der nun den Thyrsosstab als Erkennungszeichen des Bakchos und seiner Anhänger trug, ‚dir soll kein Leid geschehen.‘
Ich steuerte das Schiff nach Naxos, dort nahm er mich mit an seinen Altar und weihte mich in seine Dienste ein.‘“
„Schweig!“, rief Pentheus verärgert. „Wir haben dir schon viel zu lange zugehört!“ Und den Wachen befahl er: „Werft ihn ins tiefste Verlies, foltert ihn und lasst ihn in die ewigen Qualen der Unterwelt hinabfahren!“