naja, auch wenns vielleicht fies ist, hier trotzdem nochmal eine Filmkritik, die halt in gewisser Weise meine These ein weiteres Mal untermauert..
«The Matrix Reloaded» ist eine Enzyklopädie brillanter Effekte, Handlung ist Nebensache
Neo, der «Matrix»-Held, hat die Wahl. Geht er zur linken Tür hinaus, rettet er die Menschheit, opfert aber die Freundin. Geht er zur rechten Tür hinaus, rettet er die Freundin, aber nichts ist mehr garantiert für die Menschheit. Neo entscheidet sich für..?
Vor vier Jahren wars die Pille. Schon damals musste sich Neo entscheiden. Rote Pille gegen blaue Pille, schmerzhaftes Wissen gegen glückselige Ignoranz. Klar wählte er die rote Pille und lernte damit die grundlegende Prämisse der «Matrix»-Welt kennen: Die Menschheit wird von Maschinen beherrscht, und alles, was wir sehen, ist Simulation. Das war die Ausgangslage zum einflussreichsten Film der letzten Jahre. Jetzt endlich haben die Gebrüder Wachowski die Matrix wieder geladen. Und sorgen damit für Aufregung von Hollywood bis Cannes (wo gleichzeitig zum US-Start die Europapremiere stattfand).
«The Matrix» war 1999 nicht nur wegen der lässigen Lederoutfits, geilen Sonnenbrillen und sensationellen Trickaufnahmen wegweisend. «Matrix war das Produkt einer jeden Idee, die wir in unserem Leben hatten», sagte Larry Wachowski damals in einem seiner raren Interviews (heute vermeiden die Brüder jeden Presseauftritt). Und wirklich: In der «Matrix»-Welt versickert die halbe Filmgeschichte, und es finden sich die unterschiedlichsten Anspielungsstränge (siehe Beispiele). Es gibt griechische Mythologie, östliche Religion, französische Philosophie. Es gibt Kampfsport, Cybertechnik, Helikopterstunts. Es gibt Anspielungen an Autoren wie James Joyce, Philip K. Dick und Lewis Carroll. Mit all dem spielte die Original-«Matrix».
Linke Türe oder rechte Türe? Schon auf den ersten Blick ist klar, dass die neue Matrix die alten Themen variiert. Geschickterweise gibt es auch dazu eine Erklärung im Film: Manche Dinge verändern sich, manche nicht, wird einem mehrmals eingetrichtert. Also gut: «The Matrix Reloaded» ist ein anderer Film als «The Matrix», grösser, lauter, explosiver. Gleich originell ist er allerdings nicht.
Das liegt zuerst einmal am Umfeld. 1999 tauchte die Original-«Matrix» aus dem Nichts auf. Jetzt aber warten Millionen von Fans auf die Fortsetzung. Sie wissen, dass «Matrix Reloaded» noch nicht alles ist, sondern nur der erste Teil eines gigantischen Projekts. Sie spannen den Bogen zu «The Matrix Revolutions», dem gleichzeitig gedrehten dritten Teil, der noch dieses Jahr (am 5. November) in die Kinos kommt. Sie wollen aber jetzt schon alles und noch viel mehr von ihren Helden Neo (Keanu Reeves), Trinity (Carrie-Anne Moss), Morpheus (Laurence Fishburne) und dem Lieblingsfeind Smith (Hugo Weaving).
Manches hat sich geändert. Manches nicht. Neo ist nicht mehr ein kleiner Computerprogrammierer, sondern ein Übermensch. Er hat ungeahnte Kräfte, kann Kugeln mit der Hand aufhalten und sich wie Superman durch die Lüfte schwingen. Da braucht er passende Gegner. Zum Beispiel den Agenten Smith, der sich immer wieder kopiert und gleich hundertfach gegen ihn antritt.
Gerade hier zeigt sich das Problem des Films. Die Szene mit ihren vielfach kopierten Kämpfern ist zwar ein tricktechnischer Meisterstreich, fügt sich aber schlecht in die Handlung ein. Mehr Smith ist einfach mehr vom Gleichen. Und überhaupt: Wieso kämpft Neo gegen all die Smiths, wo er doch weiss, dass er sie nicht zerstören kann, und deshalb oh Superman ebenso gut einfach davonfliegen könnte?
Er kämpft, weil es gut aussieht. Er kämpft, weil man so etwas noch nie gesehen hat. Er kämpft, weil an dieser Stelle ein Kampf fällig ist. Das alles sind ehrbare Gründe aber sie entstammen der Dramaturgie eines normalen Actionfilms. Ja, «The Matrix Reloaded» hat nicht mehr den Touch eines Gesamtkunstwerks, bei dem Kampf und Geheimnis, Wirkung und Aussehen auf gleicher Stufe stehen. Dieser Film ist einfach eine Riesenkiste, folgt den Gesetzen der Riesenkisten und sieht letztlich auch so aus. Wohlverstanden, eine gut gemachte Riesenkiste: In einer 14-minütigen Verfolgungsjagd auf der Autobahn geht wirklich die Post ab. Und es gibt auch ruhigere Höhepunkte wie der Besuch in einem französischen Restaurant bei Lambert Wilson und Monica Bellucci. Gänzlich misslungen, matrixmässig erstaunlich misslungen, ist die erste halbe Stunde des Films, die in der unterirdischen Stadt Zion spielt. Die sieht, mit Senatssitzungen und Massenszenen, genauso aus wie irgendein «Lord of the Star Wars»-Film der letzten Jahre.
Dann aber wirds besser, und am Ende, wenn der Architekt der Matrix gefunden wird, gibts doch noch so ein grosses Rätsel, das einiges verspricht für die Revolution im nächsten Herbst. Denn ein Ende, das ist klar, hat der jetzige Film nicht. Dafür haben wir zum Schluss für einmal auch als Publikum die Wahl: Aufstehen oder sitzen bleiben? Der Nachspann, mit nichts als grünen Titeln, dauert fast neun Minuten. Wer ausharrt, wird belohnt: mit einer Minute Trailer aus «Matrix Revolutions».
Sonntagszeitung, 18.5.03