Bilder gingen durch Kays Kopf, während seiner tiefen Meditation. Bilder von den Geschehnissen der letzten paar Stunden. Bilder der vernichteten Stadt, den Millionen opfern. Bilder des kleinen Yamato, der halbtot in der Lichtung des Quittenwalds lag. Bilder von Gottes Palast, welcher vor seinen Augen in die Luft flog. Schreckliche Bilder. fürwahr. Kay fand es sehr schwer, mit all diesen Bildern im Kopf Ruhe zu finden. Oder die Frage, die ihn beschäftigte.
Und dann hörte er plötzlich etwas. Es war ein sehr leises Geräusch, kaum wahrzunehmen, und doch durchdrang es seinen Körper und löste ein Frösteln in ihm aus. Es war das Schreien eines Babys. Kay konnte mit diesem Geräusch nichts anfangen, immerhin war ein kleines Baby nicht umbedingt etwas, was ihn beschäftigen würde. Doch woher kam dieses Schreien? Er öffnete langsam die Augen, um dem auf die Spur zu kommen.
Die Wände des Raumes, in dem er erwachte waren sehr verschwommen. Um ihm herum bewegten sich einige Menschen, deren Konturen ebenfalls stark verschwommen waren und die nur dumpfe, unverständliche Laute von sich gaben. Er war nicht mehr in seinem Quartier, soviel stand fest. Kay erhob sich wieder von seinem Schneidersitz, und sah sich ein wenig in dem Raum um, in welchen er aufgewacht war. Es schien fast so, als würde er immer noch träumen. Kay befand sich in einer riesigen Halle mit vielen buten Fenstern, auf denen Bilder gezeichnet waren. In den Wänden waren Nieschen gehauen, in welchen Statuen standen und den meisten Raum füllen lange Holzbänke, die in Reihe standen. Er war in einer Art Kirche erwacht. Jedoch war diese hier anders, als all die anderen Kirchen, die er in seinem bisherigen Leben sah. Am anderen Ende der Kirche stand hinter dem Altar keine Heiligenfigur, die er kannte. Kein Kruzifix. Nur eine ca. 10 Meter hohe Statue eines Mannes.
Oder besser: Eines Kriegers. Dieser trug eine Metallrüstung und hatte einen schweren Eisenhelm auf. Ausserdem schmückte ihn ein langer Umhang, mit hohem, aufgestellten Kragen. Der Krieger hielt zwei Schwerter in die Luft. In der linken Hand hielt er ein sehr ansehnliches Katana, und in der rechten ein flammendes Breitschwert. Als kay näher heranging, konnte er auch ein Emblem auf der Brustrüstung des Kriegers entdecken: Ein Dreieck, bei dem von jedem der drei Ecken eine Sichel herausragte.
"Was hat das nur zu bedeuten...?"
Niemand um ihn herum schien seine Worte zu hören. Aber Kay hörte etwas. Das Geräusch, welches ihm eigentlich hergeführt hatte. Das Schreien des Babys. Er ging näher an den Altar, folgte dem Schreien, und sah dort dann auch den Ursprung des Schreiens. Ein frischgeborenes Baby lag in den Händen seiner Mutter, welche auf den Altar lag. Um ihr herum standen einige Priester und Gläubige. Einer der Gläubigen legte seine Hand auf die Schulter der Mutter, worauf diese ihn ansah und lächelte. Der Gläubige lächelte zurück und beide sahen wieder auf das kind. Zu diesem Zeitpunkt bemerkte Kay etwas, was ihn innerlich erschaudern ließ. Die Augen der Mutter, sowie auch die Augen des Gläubigen neben ihr - welcher wohl der Vater sein dürfte - waren völlig schwarz. Voll Horror sah Kay auch auf das Baby. Als dieses nach einigen Sekunden auch seine Augen öffnete, blitzten diese ihm entgegen. Auch sie waren schwarz wie die nacht. Es waren Kree-jins. So wie er. Der Vater, die Mutter, das Kind. Sie alle gehörten seiner Rasse an. Kay konnte es nicht fassen. Er hatte doch immer geglaubt, der letzte seiner Art zu sein, und nun das. Er konnte es einfach nicht fassen.
"Was du siehst, ist die Zukunft, Kay."
Er kannte die Stimme. Es war wiedereinmal der mysteriöse Alte Kree-jin. Doch diesmal war etwas anders. Kay hatte nicht seine Aura gespürt, und die Stimme klang sonderbar alt und unsicher. Er drehte sich um und sah den Alten dann auch auf einer Holzbank in der zweiten Reihe sitzend. Die Hände zum Gebet gefaltet. Er warf auch einen Blick auf das Emblem auf dem Anzug des Alten. Auch dieses leuchtete nur mehr schwach. Kay fasste nach einigen Augenblicken wieder einen festen Gedanken.
"Die Zukunft...?"
"Ja... Alles, was du siehst, wird erst in einigen jahren passieren. Und im übrigen siehst du richtig: Es sind Kree-jins... So wie du... und so wie ich einst war..."
"Du wirst sterben, nichtwahr...?"
"Ist es wirklich so offensichtlich...? Ja... meine Lebensspanne wird bald zu Ende gehen... Und genau aus diesem Grund bist du auch hier und siehst das alles hier... siehst mich hier..."
"Warum?"
"Weil ich einen Nachfolger brauche... Einen Kree-jin, der nach meinem Ableben all meine Rechte und Pflichten übernehmen wird, und meinen Platz einnehmen wird..."
"Was für einen Platz? Was für Rechte und Pflichten?"
"*Ahrgh*... Hör zu Kay... Dich hier her zu bringen und mich mit dir zu unterhalten kostet mir mehr Kraft, als ich ohne weiteres bereitstellen kann, ohne meine ohnehin kurze Lebensspanne noch weiter zu beschneiden... All deine Fragen werden beantwortet werden, sobald ich nicht mehr lebe und meine Energie, mein Wissen auf dich übergeht... Sträube dich nicht dagegen... Dies ist der Preis, den du bezahlen musst..."
"...Ich verstehe..."
"Gut... Dann wirf noch einmal einen Blick auf das Kind hinter dir... Präg es dier gut ein... Alles was kommen wird... Alles was für dich in Zukunft für Bedeutung sein wird... All dass siehst du vor dir..."
Kay warf noch einmal einen Blick auf das Kind. Er musterte es von oben nach unten. Doch schon nach ein paar Sekunden verschwand das Bild um ihm herum mehr und mehr.
Kay stand schließlich alleine da.
Alleine in der Finsternis.