Die Frage nach dem Wesen der Zeit beschäftigt uns vor allem auch deshalb, weil jeder Mensch in seiner Zukunft einen „Zeitpunkt“ zu erwarten hat, der kein „Nachher“ im Sinne des jetzigen Lebens kennen wird. Dennoch kann niemand sagen, was die Zeit „wirklich“ sei.
Augustinus hat dies vielleicht am deutlichsten ausgedrückt: „Was also ist ‚Zeit‘? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es: Will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.
“Demgegenüber steht die pragmatische Haltung, die „Zeit“ nur nach der Möglichkeit von Termin-Vereinbarungen beurteilt, um sie „auszufüllen“ oder gar zu „vertreiben“. Ich schlage – um den Sinn einbeziehen zu können – folgende Formulierung der Dreiheit der Zeit vor:
Vergangenheit ist das, was festgelegt ist.
Gegenwart ist der Akt des Festlegens.
Zukunft ist das, was noch nicht festgelegt (was noch frei) ist.
In bezug auf die Materie stimmt dies mit der üblichen Betrachtung überein; in bezug auf unsere Freiheit und den Sinn alles Geschehens öffnen sich aber damit neue Horizonte, wenn wir uns bewußt machen, daß der Sinn einer Handlung oder eines Geschehens immer noch frei, immer noch neu bestimmbar ist, solange wir leben!
Freiheit ermöglicht uns, Entscheidungen in Verantwortung so zu treffen, daß sie unserem Leben Sinn geben; sie ist daher sorgfältig von Willkür zu unterscheiden!
Was ist „Zeit“?
Wer sich mit dem Phänomen "Zeit" befaßt und zu ergründen versucht, was seine Bedeutung denn sei, befindet sich in guter Gesellschaft; seit Menschen versuchen, unsere Welt mit den Mitteln der Vernunft zu ergründen, ist die "Zeit" eines der vordringlichsten, aber auch geheimnisvollsten Probleme. Während Sie, liebe Leserin, lieber Leser, diesen Artikel lesen, wissen Sie ganz selbstverständlich, daß dabei die Zeit vergeht und aus dem Umfang des Manuskriptes können Sie auch schon vorher abschätzen, wie lange Sie dazu brauchen. Die Zeit ist uns allen in ihrem praktischen Umgang durchaus geläufig, mit ihrer Handhabung gibt es eigentlich keine Schwierigkeiten.
Diese Selbstverständlichkeit im alltäglichen Umgang mit der Zeit endet aber sofort, wenn wir uns einmal die Frage vorlegen, was die Zeit denn so eigentlich sei; wenn wir also nicht in der Zeit handeln oder Termine in der Zukunft festlegen, sondern wenn wir nach dem Wesen der Zeit fragen.
Ehe wir uns dieser Frage nähern, wollen wir uns jedoch noch auf das besinnen, was man etwa die "Merkmale unserer Zeit" nennen könnte: unsere Zeit ist zweifellos von den technischen Möglichkeiten, also von der Technik und ihrer Mutter, der Naturwissenschaft, geprägt. Mit dem Beginn der Neuzeit um 1500 trat jener Wandel ein, der uns zu unserer heutigen "Höhe der Zeit" geführt hat. Eines der Bestimmungsstücke dieses Weges ist die Betonung des "Meßbaren". Meßgrößen müssen immer auf gewisse Grundeinheiten bezogen werden, Längen etwa auf das Meter, Zeiten auf die Sekunde. Das Schaffen eines einheitlichen Maßsystems war ja eine der großen Errungenschaften der französischen Revolution.
Vor allem Längenmaße waren ja vorher meist den Körpermaßen des jeweiligen Herrschers entnommen (Fuß, Elle etc.), waren also lokal verschieden. Die Vereinheitlichung des Maßsystemes stellt einen wesentlichen Schritt in Richtung "Globalisierung" dar. Zugleich war es in gewissem Sinne ein Schritt der Emanzipation, da nunmehr nicht mehr die Person eines Herrschers, sondern die für alle Menschen in gleicher Weise verfügbare Natur "maßgebend" sein sollte. Demnach bezog sich das Motto der französischen Revolution, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", hinsichtlich der Gleichheit auch auf die Gleichheit der Maßsysteme. Tatsächlich wurde fünf Jahre nach der französischen Revolution eine Gedenkmünze geprägt, die an das einheitliche Maßsystem erinnern sollte. Auf ihr war geschrieben: "für alle Zeiten - für alle Völker" (pour tous les temps, pour tous les peuples).
Es genügen übrigens drei Einheiten für ein universelles Maßsystem, alle anderen Maßeinheiten können darauf zurückgeführt werden. Die französische Revolution setzte das Meter als Längeneinheit, das Kilogramm als Masseneinheit und die Sekunde als Zeiteinheit fest. Dazu wurden in Paris ein Urkilogramm und ein Urmeter geschaffen. Einheiten, die möglichst unverändert und unbeeinflußt von Temperatur und Luftfeuchtigkeit usw. bleiben sollten. (Das Urkilogramm ist übrigens bis auf den heutigen Tag die Einheit der Masse, für die Länge gibt es heute über Atomuhren und Lichtgeschwindigkeit eine verbesserte Einheit).
Wir können nun scherzhaft fragen, warum man bei der französischen Revolution in Paris nicht auch eine "Ursekunde" hinterlegt habe?
Einerseits ist das eine unsinnige Frage, es ist ja ganz klar, daß ein Zeitintervall nicht hinterlegt werden kann. Andererseits aber ein Hinweis auf die flüchtige Natur der Zeit und damit auf die Problematik ihres Wesens. Wenn es also grundsätzlich nicht möglich ist, die Einheit einer Zeit aufzubewahren, wie können wir dann Zeit überhaupt messen? Und wie können wir Zeiten vergleichen? Was ist dann überhaupt die Zeit?
Ich möchte gleich betonen, daß Sie in diesem Artikel keine Antwort erwarten dürfen, weil es dazu keine Antwort gibt. Aber wir können dem nachspüren, warum es keine solche Zeitdefinition gibt und daraus doch einiges lernen.