Als er etwas näher gekommen, stellte ich bald fest, dass es sich wohl um die Silhouette einer jungen Frau handeln musste, oder viel eher noch um die eines Mädchens von etwa vierzehn oder fünfzehn Jahren. Einen Moment dachte ich auch, beziehungsweise war es wohl eher Hoffen, dass es vielleicht Silence sei, verwarf den Gedanken aber schnell, als ich sah, das dieses Fräulein hier sehr viel längeres Haar hatte. Doch da wir beide nur äußerst langsam gingen, sie ganz anmutigen Schrittes, dauerte es eine ganze Weile bis wir uns so nah waren, dass es mir endlich möglich war, erste Details zu erkennen: Das Mädchen war äußerst schlank, wirkte durchaus ein klein wenig fragil, und trug ein enganliegendes, seidigglattes Kleid, wahrscheinlich blau oder schwarz in der Farbe. Genau konnte ich es nämlich nicht erkennen, da sämtliche Farben, einerseits von der Finsternis, andererseits vom fremden Mondlicht, ganz verfälscht wurden.
So auch ihr entzückendes Gesicht, welches ganz fahl erschien unter dem Schein des Mondes. Und auch die Farbe der wunderschönen, seidenen Haare sollte mir vorerst unbekannt bleiben. Ich konnte nur sehen, dass sie im blassen Licht glänzten und schimmerten, wie ich es noch nie zuvor erblickt.
Alsbald war das Mädchen dann direkt bei mir. Doch weder blieb sie stehen, noch ging sie einfach weiter. Stattdessen lief sie immerzu rings um mich herum und blickte mich beharrlich an. Geradezu hypnotisierend wirkte ihre Gegenwart auf mich. Und bald war es mir, als nehme ich gar nichts anderes mehr wahr als sie. Dabei fiel mir auch auf, das ihr Gang vollkommen geräuschlos war, nicht einen einzigen Grashalm brachten ihre Füße zum rascheln. Denn hören hätte man das problemlos können, war doch die Nacht, wie schon erwähnt, vollkommen still. Und die Anwesenheit des Mädchens wirkte dem eben kein bisschen entgegen.
Zumindest so lang, bis sie dann sagte: “Guten Abend!” Ihr Stimmchen war süß, niedlich geradezu, hatte aber auch einen unglaublich verführerischen, sinnlichen Unterton. - Unvergesslich auf jeden Fall.
“Guten Abend”, antwortete dann auch ich.
Und danach fragte sie, irgendwie vorwurfsvoll: “Ganz allein in einer solchen Nacht?”
“Bis gerade eben war ich’s noch”, gab ich ihr als Antwort.
“Bis gerade eben... Ja... - Du möchtest, dass ich bei dir bleibe?”, fragte sie und trat ganz nah zu mir heran. Ich konnte ihren heißen Atem spüren, der noch viel wärmer war als die Nachtluft. Und ich konnte ihr in die Augen schauen: Aber pechschwarz waren diese, finsterer sogar als der Himmel. Denn wo jener zumindest noch von Sternen übersät, spiegelte sich in den Augen des Mädchens nicht das allergeringste Licht.
“Diese Entscheidung liegt wohl ganz allein bei dir...”, sprach ich.
Und danach bewege sie ihre süßen Lippen hin zu meinem Ohr und wisperte mit verführerischem Ton: “Ich möcht’ es schon sehr gerne tun.”
“Hast du denn keine Angst?”
“Wovor?”
“Vielleicht vor mir? Oder vor der Nacht, so dunkel wie sie heute ist?”
“Nein, nicht vor dir. Vor dir brauche ich keine Angst zu haben, das weis ich”, sagte sie. Dann ging das Mädchen hin zu einer kleinen Birke am Wegesrande, lehnte sich an ihr an und schaute gen Himmel. “Und die Sommernacht, die liebe ich mehr als alles andere! Wir ein dekadenter Schleier ruht sie über allen Dingen. Nur den Mond, den möcht’ ich ungern schauen. Viel zu kalt ist mir sein Antlitz.”
“Und deine schöne Haut lässt sein Licht so leichenblass erscheinen...”
Charmant lächelnd kam sie erneut wieder näher zu mir hin. Sie deutete mir mit einer kleinen Handbewegung an, dass sie mir noch einmal etwas ins Ohr flüstern wolle, und so bückte ich mich hinunter (ein kleines Stückchen nur, bin ich doch selbst recht klein), und als ich das getan, sprach sie: “Auf die Wange dir den Kuss...!”, und tat alsbald dasselbige. Und dann flüsterte sie mir ganz leis’ noch ins Ohr: “Der Letzte soll’s nicht bleiben!”