LadyRaven
Lady Raven
Das ist auch eines meiner älteren Stücke, daher hoch in alter Rechtschreibung: ein Krimi in Tagebuchform.
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Der Varan und die Schlange - Die Geschichte eines Mordes -
Notizen einer (unwilligen) Zeugin
13. April
„Sie sind ein bißchen merkwürdig“, hatte Egon gesagt, als wir in der Mensa zusammensaßen. „Merkwürdig?“ hatte ich ihn gefragt. „Inwiefern?“
„Nun...“ Ich erinnere mich noch genau an sein verlegenes Grinsen. „Das läßt sich schwer beschreiben, aber“, hatte er sich beeilt hinzuzufügen, „es sind zwei Zimmer, wirklich schöne Zimmer. Und du hast ein eigenes Bad mit Dusche und Wanne.“
„Wenn es so großartig ist“, hatte ich erwidert, „warum gibst du es dann auf?“
„Ich ziehe zu Ivonne“, hatte er rasch gesagt, zu rasch für meinen Geschmack. „Du suchst doch dringend eine Bleibe, oder?“
„Versuch, es mir zu beschreiben“, hatte ich ihn aufgefordert.
„Das eine Zimmer ist etwa doppelt so groß wie deine jetziges, das Bett steht gleich links neben der Türe.“
„Das meinte ich nicht“, hatte ich ihn unterbrochen. „Die beiden, was ist merkwürdig an ihnen. Genau, bitte.“
„Wenn du es denn unbedingt wissen willst“, er hatte eine Grimasse gezogen, „sie können einander nicht ausstehen. Es ist eine Art Krieg, Rosenkrieg.“
„Weshalb lassen sie sich dann nicht scheiden?“
„Wegen dem Haus, verstehst du? Das Haus gehört ihm, aber nur mit ihrem Geld kann er es erhalten. Wenn er etwas erneuern will, muß er sie zuerst fragen. Aber sie kann keine Freundinnen einladen oder eine Party geben ohne seine Einwilligung.“
„Das ist alles?“ hatte ich erstaunt gefragt. Egon hatte genickt und ich war zufrieden gewesen. „Merkwürdig“ - was für eine Untertreibung.
Es ging ruckzuck. Egon nahm mich mit und stellte mich den beiden vor. Sie sahen eigentlich ganz normal aus. Er, Anfang fünfzig, graumeliertes Haar, dunkler Teint, breit - alles an ihm war irgendwie breit. Sein Gesicht, seine Schultern, sein Lächeln, seine Nase - selbst sein Gang, breit und behäbig.
Sie dagegen, sie war schlank, die Augen leicht schräg, die dünnen Lippen rot übermalt, ihr Lächeln schmal und sparsam. Sparsam wie ihre Bewegungen, es sei denn, jemand reizte sie. Dann reagierte sie schnell und aprupt.
„Wir freuen uns, eine neue Mieterin gefunden zu haben“, sagte sie, als ich meine Unterschrift unter den Vertrag setzte.
„Hätte ein Handschlag nicht genügt?“ fragte ich sie. Ich konnte mich nicht erinnern, für eine einfache Untermiete jemals einen Vertrag abgeschlossen zu haben.
„Stört es dich?“ fragte er und lächelte breit.
„Nein, nein, natürlich nicht“, erwiderte ich und kritzelte rasch meinen Namen hin. Danach führte sie mich herum. Das Haus war wirklich groß, fast schon ein Palast. Es gab breite Treppen und hohe, schmale Fenster. Auf der Rückseite befand sich eine große Veranda, an die ein parkähnlicher Garten anschloß. Direkt über der Verande verlief ein langer Balkon, der von drei Zimmern aus erreichbar war. Statt eines Geländers säumte ihn eine kniehohe Brüstung auf der zahlreiche Blumenschalen standen.
Meine Zimmer grenzten an die Eingangshalle im Erdgeschoß. Früher hatte hier wahrscheinlich die Haushälterin gewohnt. Es erstaunte mich, daß es zwar Dienstbotenquartiere im zweiten Stock gab, aber keine Dienstboten. Zumindest keine, die Haus wohnten. Täglich kamen zwei Gärtner, eine Köchin und einige Putzfrauen, um das Haus in Ordnung zu halten und die Herrschaften zu versorgen. Doch sie blieben nicht länger als bis zum Abendessen, erklärte sie mir. „Du ißt natürlich mit uns. Belinda ist eine ausgezeichnete Köchin.“
„Was ist mit dem Geschirr?“ fragte ich.
„Das bleibt bis zum nächsten Morgen stehen.“
Sie zeigte mir auch ihren liebsten Raum, das Blumenzimmer. Durch die gläserne Balkontüre hatte man einen wunderbaren Blick auf den Garten. Im Zimmer selbst standen und hingen bestimmt fünfzig Tröge, Schalen und Töpfe. Der Duft erinnerte mich an ein Treibhaus.
„Die Gärtner versorgen den Park“, erklärte sie mir, „ich kümmere mich um alle Blumen im Haus und auch um jene auf dem Balkon.“
„Sie sind wunderschön“, sagte ich, und das Lob freute sie sichtlich.
Das Abendessen war eine schweigsame Angelegenheit. Wir speisten im kleinen Saal an einer Tafel, die vielleicht dreimal so lang war wie ein normaler Tisch. Er saß am oberen Ende, sie ganz unten und ich in der Mitte. Das Essen schmeckte köstlich, aber das eisige Schweigen zerrte an meinen Nerven. Jedesmal, wenn mein Messer über das Porzellan kratzte, zuckte ich zusammen. Ich kam mir furchtbar tolpatschig vor. Die beiden aßen beinahe lautlos. Er war zuerst fertig, faltete die Serviette zusammen und stand auf.
„Hast du deine Tabletten genommen?“ fragte sie sanft.
Ich sah, wie er die Lippen zu einem dünnen Strich zusammenpreßte. „Ich nehme sie später.“
„Vergiß es bitte nicht. Du weißt, was dein Arzt dazu sagen würde.“
„Mach dir deswegen mal keine Sorgen.“ Er schob den Stuhl zurecht und marschierte breitbeinig hinaus.
„Was fehlt ihm denn?“ erkundigte ich mich höflichkeitshalber.
„Er ist ab und zu ein bißchen verwirrt, mußt du wissen. Keine ernsthafte Sache, sagt jedenfalls Doktor Blum, unser Hauspsychiater. Jeder von uns hat heutzutage seine Neurose, nicht wahr?“
Mir war der Appetit endgültig vergangen. Das boshafte Funkeln in ihren Augen stieß mich ab. Ich murmelte etwas, das nach Zustimmung klang, erhob mich und zog mich in meine Räume zurück.
Hier sitze ich nun und denke an Egons Worte. Die beiden sind mehr als nur ein bißchen merkwürdig. Doch das Seltsamste ist, sie scheinen ehrlich froh zu sein, eine Untermieterin zu haben.
Ende des ersten Eintrags.
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Der Varan und die Schlange - Die Geschichte eines Mordes -
Notizen einer (unwilligen) Zeugin
13. April
„Sie sind ein bißchen merkwürdig“, hatte Egon gesagt, als wir in der Mensa zusammensaßen. „Merkwürdig?“ hatte ich ihn gefragt. „Inwiefern?“
„Nun...“ Ich erinnere mich noch genau an sein verlegenes Grinsen. „Das läßt sich schwer beschreiben, aber“, hatte er sich beeilt hinzuzufügen, „es sind zwei Zimmer, wirklich schöne Zimmer. Und du hast ein eigenes Bad mit Dusche und Wanne.“
„Wenn es so großartig ist“, hatte ich erwidert, „warum gibst du es dann auf?“
„Ich ziehe zu Ivonne“, hatte er rasch gesagt, zu rasch für meinen Geschmack. „Du suchst doch dringend eine Bleibe, oder?“
„Versuch, es mir zu beschreiben“, hatte ich ihn aufgefordert.
„Das eine Zimmer ist etwa doppelt so groß wie deine jetziges, das Bett steht gleich links neben der Türe.“
„Das meinte ich nicht“, hatte ich ihn unterbrochen. „Die beiden, was ist merkwürdig an ihnen. Genau, bitte.“
„Wenn du es denn unbedingt wissen willst“, er hatte eine Grimasse gezogen, „sie können einander nicht ausstehen. Es ist eine Art Krieg, Rosenkrieg.“
„Weshalb lassen sie sich dann nicht scheiden?“
„Wegen dem Haus, verstehst du? Das Haus gehört ihm, aber nur mit ihrem Geld kann er es erhalten. Wenn er etwas erneuern will, muß er sie zuerst fragen. Aber sie kann keine Freundinnen einladen oder eine Party geben ohne seine Einwilligung.“
„Das ist alles?“ hatte ich erstaunt gefragt. Egon hatte genickt und ich war zufrieden gewesen. „Merkwürdig“ - was für eine Untertreibung.
Es ging ruckzuck. Egon nahm mich mit und stellte mich den beiden vor. Sie sahen eigentlich ganz normal aus. Er, Anfang fünfzig, graumeliertes Haar, dunkler Teint, breit - alles an ihm war irgendwie breit. Sein Gesicht, seine Schultern, sein Lächeln, seine Nase - selbst sein Gang, breit und behäbig.
Sie dagegen, sie war schlank, die Augen leicht schräg, die dünnen Lippen rot übermalt, ihr Lächeln schmal und sparsam. Sparsam wie ihre Bewegungen, es sei denn, jemand reizte sie. Dann reagierte sie schnell und aprupt.
„Wir freuen uns, eine neue Mieterin gefunden zu haben“, sagte sie, als ich meine Unterschrift unter den Vertrag setzte.
„Hätte ein Handschlag nicht genügt?“ fragte ich sie. Ich konnte mich nicht erinnern, für eine einfache Untermiete jemals einen Vertrag abgeschlossen zu haben.
„Stört es dich?“ fragte er und lächelte breit.
„Nein, nein, natürlich nicht“, erwiderte ich und kritzelte rasch meinen Namen hin. Danach führte sie mich herum. Das Haus war wirklich groß, fast schon ein Palast. Es gab breite Treppen und hohe, schmale Fenster. Auf der Rückseite befand sich eine große Veranda, an die ein parkähnlicher Garten anschloß. Direkt über der Verande verlief ein langer Balkon, der von drei Zimmern aus erreichbar war. Statt eines Geländers säumte ihn eine kniehohe Brüstung auf der zahlreiche Blumenschalen standen.
Meine Zimmer grenzten an die Eingangshalle im Erdgeschoß. Früher hatte hier wahrscheinlich die Haushälterin gewohnt. Es erstaunte mich, daß es zwar Dienstbotenquartiere im zweiten Stock gab, aber keine Dienstboten. Zumindest keine, die Haus wohnten. Täglich kamen zwei Gärtner, eine Köchin und einige Putzfrauen, um das Haus in Ordnung zu halten und die Herrschaften zu versorgen. Doch sie blieben nicht länger als bis zum Abendessen, erklärte sie mir. „Du ißt natürlich mit uns. Belinda ist eine ausgezeichnete Köchin.“
„Was ist mit dem Geschirr?“ fragte ich.
„Das bleibt bis zum nächsten Morgen stehen.“
Sie zeigte mir auch ihren liebsten Raum, das Blumenzimmer. Durch die gläserne Balkontüre hatte man einen wunderbaren Blick auf den Garten. Im Zimmer selbst standen und hingen bestimmt fünfzig Tröge, Schalen und Töpfe. Der Duft erinnerte mich an ein Treibhaus.
„Die Gärtner versorgen den Park“, erklärte sie mir, „ich kümmere mich um alle Blumen im Haus und auch um jene auf dem Balkon.“
„Sie sind wunderschön“, sagte ich, und das Lob freute sie sichtlich.
Das Abendessen war eine schweigsame Angelegenheit. Wir speisten im kleinen Saal an einer Tafel, die vielleicht dreimal so lang war wie ein normaler Tisch. Er saß am oberen Ende, sie ganz unten und ich in der Mitte. Das Essen schmeckte köstlich, aber das eisige Schweigen zerrte an meinen Nerven. Jedesmal, wenn mein Messer über das Porzellan kratzte, zuckte ich zusammen. Ich kam mir furchtbar tolpatschig vor. Die beiden aßen beinahe lautlos. Er war zuerst fertig, faltete die Serviette zusammen und stand auf.
„Hast du deine Tabletten genommen?“ fragte sie sanft.
Ich sah, wie er die Lippen zu einem dünnen Strich zusammenpreßte. „Ich nehme sie später.“
„Vergiß es bitte nicht. Du weißt, was dein Arzt dazu sagen würde.“
„Mach dir deswegen mal keine Sorgen.“ Er schob den Stuhl zurecht und marschierte breitbeinig hinaus.
„Was fehlt ihm denn?“ erkundigte ich mich höflichkeitshalber.
„Er ist ab und zu ein bißchen verwirrt, mußt du wissen. Keine ernsthafte Sache, sagt jedenfalls Doktor Blum, unser Hauspsychiater. Jeder von uns hat heutzutage seine Neurose, nicht wahr?“
Mir war der Appetit endgültig vergangen. Das boshafte Funkeln in ihren Augen stieß mich ab. Ich murmelte etwas, das nach Zustimmung klang, erhob mich und zog mich in meine Räume zurück.
Hier sitze ich nun und denke an Egons Worte. Die beiden sind mehr als nur ein bißchen merkwürdig. Doch das Seltsamste ist, sie scheinen ehrlich froh zu sein, eine Untermieterin zu haben.
Ende des ersten Eintrags.
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