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So, und nun der neue Teil!
Kapitel 2 - Teil 3
Io konnte noch immer nicht glauben, dass dies wirklich mit ihr geschehen war. Aber immer, wenn sie nach unten sah und ihre beiden Vorderhufe erspähte, wurde sie schmerzlich daran erinnert, dass es doch wahr war. Wehmütig sah sie auf. Die Sonne schien spottend am strahlend blauen Himmel. Io stand auf einer Weide. Auf einer von vielen, die sie schon gesehen hatte.
Seitdem sie in diese Gestalt verwandelt worden war, reiste ihr Wächter mit ihr um die ganze Welt. Anscheinend sollte Zeus von ihr ferngehalten werden, damit er sie nicht befreien, damit er sie gar nicht erst im Auge behalten konnte. Apropos im Auge behalten...
Seufzend sah Io hinüber zu der riesenhaften Gestalt, die sie bewachte. Argos hieß er und er sollte darauf achten, dass Zeus sie nicht entführen konnte. Aber zugleich ließ er auch Io keine Chance zu entfliehen. Ständig beobachtete er sie, nachts legte er ihr zudem Ketten an. Mit Unbehagen dachte sie an die Nacht zurück, die sie wieder einmal in einem Käfig verbracht hatte, mit unbequemem Erdboden als Bett, schlammigen Pfützen als Trinkwasser.
Argos war wahrlich die perfekte Wahl, wenn es darum ging, jemanden nicht aus den Augen zu lassen. Denn er besaß einhundert Augen, die über seinen ganzen, gigantischen Kopf verteilt waren. Selbst, wenn er sich von Io abwandte, konnte er sie sehen. Nie war sie allein, stets musste sie sich beobachtet fühlen. Und der Riese schloss stets nur zwei Augen, um zu ruhen, die anderen blieben wachsam.
Wieder einmal waren sie unterwegs, wieder zerrte er sie vorwärts. Zu gern hätte sie verzweifelt um Hilfe gerufen, hätte sie sein Erbarmen erfleht, hätte wenigstens geweint, doch sie vermochte nichts dergleichen zu tun, nun, da sie ein Tier war.
Plötzlich fiel Io etwas auf. Diese Landschaft, durch die sie gerade gingen, kam ihr bekannt vor. Natürlich! Hier hatte sie als Kind häufig gespielt. In glücklicheren Zeiten. Sie blieb an einem Fluss stehen, um zu trinken. Im Wasser spiegelte sich ihr Antlitz und sie fuhr zusammen, wie jedes Mal, wenn sie sich so sah. Wenn sie doch nur wieder ein Mensch hätte sein können...!
Da spürte sie eine Hand, die sie streichelte. Sie blickte auf und konnte nicht fassen, wen sie erblickte: Inachos, ihren eigenen Vater! Doch er erkannte sie nicht, streichelte lediglich das schöne Tier. Wieder stieg Verzweiflung in Io auf. Sie wollte etwas sagen, doch nur ein dröhnendes Muhen entwich ihrem Mund.
Auf einmal kam ihr eine Idee. Warum hatte sie nicht schon früher an diese Möglichkeit gedacht? Sie hob das rechten Vorderbein und schrieb damit Schriftzeichen in die lockere Erde. In wenigen Worten erklärte sie ihrem Vater so, was vorgefallen war.
Dieser fiel der Kuh sofort um den breiten Hals. „Oh, Io!“, schluchzte er. „Überall habe ich nach dir suchen lassen! Und nun finde ich dich hier, daheim, und dennoch scheinst du mir so fern. Ach, könnte ich dir nur helfen!“
In diesem Moment riss Argos sie von dem alten Mann fort. Der Greis war nicht imstande, ihr zu folgen, sah ihr nur traurig hinterher. In diesem Augenblick hätte sich Io gewünscht, wie ihr Wächter über Augen am Hinterkopf zu verfügen, dann hätte sie ihren Vater wenigstens noch einmal ansehen können. Wer wusste schon, ob sie ihn jemals wiedersehen würde?
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Meinungen?!