auf auf zum fröhlichen Desillusionieren! (Teil 1)

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Achtung: Spoiler
Die Matrix ist entladen
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Tristes Ende einer toll gestarteten Trilogie: «The Matrix Revolutions» von Andy und Larry Wachowski enttäuscht.
Überall auf der Welt gleichzeitig startet morgen Mittwoch der dritte Film der Matrix-Saga. Der verleihtechnische Coup ist allerdings die einzige Meisterleistung in einem ansonsten auf allen Ebenen misslungenen Film.
Der Erlöser hat sein Werk getan, mit verklärten Augen schaut die Orakel genannte Frau afroamerikanischer Provenienz in den von Sonnenlicht durchfluteten Himmel und antwortet auf die Frage «Wusstest du es?» mit: «Nein, ich glaubte es.» Nicht vom Ende eines Sonntagsschultheaters ist hier indes die Rede, sondern von einem filmischen Grossunternehmen, das als erstes Werk der Kinogeschichte überall auf der Welt gleichzeitig anläuft.
Schon bevor allerdings die eben erwähnte Szene über die Leinwand flimmert, wächst die Hoffnung, dass der Werbeslogan dieser Produktion «Everything that has a beginning has an end» kein leeres Versprechen bleibt. Viele von den in den Vorgängerfilmen angerissenen Fragen und Konflikte bleiben zwar offen und ungelöst, doch die Lust zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Stoff sinkt in «The Matrix Revolutions» auf den Nullpunkt die Matrix ist definitiv entladen.
Herr Jedermann rebelliert
Noch vor kurzem hat alles ganz anders ausgesehen. Die Welt, wie man sie täglich sieht, hört, riecht und empfindet sie ist bloss Lug und Trug. Was im 1999 gedrehten Film «The Matrix» ein einsamer Informatiker als Tatsache erfährt, entspricht einem Gefühl des Unbehagens, das vielen Menschen bestens vertraut vorkommt. Himmel und Hölle haben die Plätze getauscht, in der Welt des Lichts haben Maschinen die Herrschaft übernommen und gaukeln mittels Computerprogrammen den in Schlafkapseln gefangenen Menschen die Kontinuität des Courant normal vor, in der Unterwelt aber, tief unter der Erde, verschanzen sich die letzten freien Menschen. Nicht Superman, Rambo, James Bond oder der Terminator Arnold Schwarzenegger, sondern Thomas Anderson, von Keanu Reeves dargestellt als unscheinbarer Herr Jedermann, ist «der Auserwählte», der das Regime der Technik stürzen soll: Diese Botschaft ist dankbar aufgenommen worden, zumal die Inszenierung der Brüder Andy und Larry Wachowski voll gestopft ist mit Bezügen zu über 2000 Jahren Kulturgeschichte, so dass sich nebst dem jugendlichen Stammpublikum von Sciencefictionspektakeln auch Heerscharen von Intellektuellen in philosophische Diskussionen über «The Matrix» gestürzt haben.
Action und Bibelschinkenpathos
Die Begeisterung hat erste Dämpfer erhalten, als «The Matrix Reloaded» in die Kinos gekommen ist. Der Neo genannte Thomas Anderson kann jetzt fliegen wie Superman und ist bloss noch eine überlebensgrosse Heldengestalt wie viele andere. In den Schaltzentralen der Schiffe und im Rat von Zion, dem Hauptsitz der rebellischen Menschen, wird langweilig palavert wie in «Star Trek»-Streifen. Eine Ansprache von Neos Mentor Morpheus (Laurence Fishburne) wie auch die öde Schilderung des Fests am Vorabend der Entscheidungsschlacht wecken unangenehme Assoziationen zu Hollywoods schwülstigen alten Bibelschinken. In Sachen Action immerhin legt der Film gegenüber dem Vorgänger einen Zacken zu, vor allem in der Autoverfolgungsjagd mit dem wahnwitzigen Stunt von Daniel Bernhard, dem Matrix-Agenten aus der Berner Vorortsgemeinde Worblaufen. Es knistert gar so etwas wie erotische Spannung, wenn sich Neo unter den Augen seiner Geliebten Trinity (Carrie-Anne Moss) zu einem Kuss mit der feindlichen Agentin Persephone (Monica Bellucci) genötigt sieht.
Lärm und Lachnummern
Aus mehr Rohren als je zuvor wird jetzt in «The Matrix Revolutions» geschossen, doch zu sehen gibt es bloss noch einen Sturm im virtuellen Wasserglas. Am Filmanfang ist Neo gefangen in einer Zwischenzone zwischen Menschen- und Matrixwelt und hält sich in einer weiss getünchten U-Bahn-Station auf. Er wird daran gehindert, einen haltenden Zug zu besteigen, und landet wieder am Ausgangspunkt, als er auf die Gleise springt, um zu Fuss dem Zug zu folgen. Das ist knapp, witzig und schnörkellos montiert und eines der raren Highlights im neuen Matrix-Film. Beim Eindringen in den Nachtclub des hemmungslos hedonistischen Merowingers (Lambert Wilson) dürfen Neo und Trinity noch einmal zeigen, wie virtuos sie mit Schusswaffen umgehen können. Der Flug des heftig attackierten Schiffs von Niobe (Jada Pinkett Smith) sieht dagegen aus wie auf morbid getrimmte Luftkampfszenen aus «Star Wars». Hier wie auch in den nicht enden wollenden Schlachtszenen um Zion, wo es riesige Bohrer und Millionen von mechanischen Tintenfischen abzuwehren gilt, schreitet die Entkörperlichung des Actionkinos zügig voran. Endgültig in den Niederungen von B-Pictures und unfreiwilliger Komik versinkt die Handlung, wenn bei Neos Reise nach Machine City der aus der griechischen Theatergeschichte stammende Ausdruck Deus ex machina wortwörtlich genommen wird und sich im Finale «der Auserwählte» und sein ewiger Gegner Mister Smith (Hugo Weaving) wie Figuren in einem Zeichentrickfilm in der Gegend herumwerfen. Das, was den Reiz von «The Matrix» und den besseren Passagen von «The Matrix Reloaded» ausgemacht hat die ultracoolen Designs, die eleganten Kampfszenen, das witzige Spiel mit Zitaten und Anspielungen geht unter in einer erbärmlichen Lärmorgie in platter Videogame-Ästhetik. Der Verleih weiss um das Debakel: Erstmals an einer Pressevision wurden Flugblätter verteilt mit der Bitte, keine Kritiken in den Tagen vor dem Filmstart zu publizieren. Das wird aber nichts nützen: Wohl werden sich am nächsten Wochenende Massen von Zuschauern in den Film begeben, aber dann wird die Mundpropaganda dafür sorgen, dass die Publikumszahlen ganz schnell einbrechen werden. [/color]
Der BUND (
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