Danke für eure Kommentare. Hier kommt der Schluss der Geschichte:
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„Wachen! Packt den verrückten Zauberer!“ kreischte der Kanzler. Sofort änderte der Schatten seine Richtung und glitt auf Leonik und die Wachen zu.
Der Prinz rief den Zauberspruch und ein Lichtblitz zuckte aus seinem Kristallstab. Er zerriss den Schatten in kleine Fetzen.
„Verdammt!“ fluchte Morinor, stieß seinen Stuhl um und rannte aus dem Ratszimmer.
„Kümmert euch um den verräterischen Kanzler“, wies der Prinz die Wachen an und hetzte Morinor hinterher. Ich klammerte mich an seiner Schulter fest. „Weißt du, was er vorhat?“ fragte mich Leonik. Wir hatten Morinor aus den Augen verloren. „Wo ist er hin?“
„Dahin wo ein Zauberer rennt, der in Schwierigkeiten steckt“, sagte ich.
„Die Bibliothek.“
„Exakt.“
Leonik war schon lange nicht mehr im Schloss gewesen, daher musste ich ihn treppauf, treppab dirigieren. Wir waren noch ein gutes Stück von der Bibliothek entfernt, da stieg mir ein unheilvoller Geruch in die Nase.
„Wir sind zu spät! Dieser Hund hat die Bibliothek angezündet!“
Rechts, links, wieder rechts, den letzten Korridor hinunter. „Da, die linke Türe.“
Leonik blieb keuchend stehen. Hinter der Tür knisterte es. Rauchschwaden quollen durch die Ritzen. „Er muss noch drin sein“, sagte der Prinz und trat mit aller Wucht gegen das Holz. Die Türe sprang auf, Funken und brennende Papierfetzen stoben uns entgegen. Die alten Bücher brannten lichterloh. „Morinor!“ schrie der Prinz.
Irres Gelächter antwortete uns. Leonik machte einige Schritte in das Inferno hinein. Dann sahen wir ihn. Morinor stand am offenen Fenster, den Zauberstab immer noch in der Hand.
„Ihr werdet nichts bekommen, Leonik, nichts! Weder das Schloss noch meine Bücher und schon gar nicht mich. Irgendwann sehen wir uns wieder, und dann rechne ich mit Euch ab. Doch vorher werde ich den Goldenen Turm zerstören. Die Bücher dort brennen bestimmt genau so gut wie jene hier.“ Er richtete den Zauberstab auf sich selbst, seine Lippen formten leise Worte. Seine Gestalt zerfloss, schrumpfte und festigte sich erneut. Der Rabe packte den Zauberstab mit beiden Krallen, schenkte uns ein verächtliches Krächzen, schlug mit den Flügeln und stieß sich vom Fensterbrett ab. Leonik sprang über die Flammen zum Fenster.
Der Rabe stieg hoch in den Himmel. Bevor ein Bogenschütze zur Stelle sein konnte, wäre er längst außer Reichweite.
„Wie sollen wir den Goldenen Turm warnen?“ fragte mich Leonik. „Kennst du den Vogelspruch, Ratte?“
„Nein, er muss ihn aus einem der Bücher haben, die er den gefangenen Zauberern abgenommen hat. Wie ich Morinor kenne, lebt von denen keiner mehr.“
„So ist der Goldene Turm verloren.“
Während der Rabe eine spöttische Runde hoch über dem Schloss zog dachte ich an die tatterigen Zauberer im Goldenen Turm. Wie viele würden wohl in den Flammen umkommen?
Plötzlich erschien ein goldener Adler wie aus dem Nichts. Der Rabe krächzte entsetzt und versuchte, dem mächtigen Vogel zu entkommen. Doch da war der Adler schon über ihm. Die großen Klauen packten ihn und die Krallen gruben sich in sein Fleisch. Der Zauberstab entglitt ihm und fiel auf den Schlosshof, wo er zerbrach. Ein letztes Krächzen und es war vorbei. Der goldene Adler ließ den toten Raben in die Abfallgruben fallen, zog einen letzten Kreis über dem Schloss und verschwand so lautlos wie er gekommen war.
„War das...?“ fragte Leonik und schluckte schwer.
„Ja, das war der Goldene, der mir die Gabe der menschlichen Sprache schenkte“, antwortete ich. „Wie lange wollt Ihr noch warten, ehe Ihr etwas gegen das Feuer unternehmt? Soll das Schloss völlig niederbrennen?“
„Das Schloss?“ fragte Leonik abwesend und starrte zum Himmel, als könnte er den Goldenen dadurch herbei beschwören.
„Euer Majestät!“ Graf Telgan stand in der Türe. „Seid Ihr in Ordnung?“
„Sicher. Ich komme.“ Leonik riss sich zusammen und rannte aus der Bibliothek. Die ersten Regale stürzten zusammen und die Holzbohlen glosten. „Wir müssen das Schloss retten. Holt alle herbei und bildet eine Reihe bis zum Brunnen im Hof.“
„Es geht auch einfacher“, sagte ich. „Sebiond kannte einen Spruch, der Feuer löscht.“
„Eine sprechende Ratte?“ Graf Telgan wich zurück.
„Das ist eine längere Geschichte“, sagte Leonik. „Wie lautet der Spruch?“
Ich sprach ihn dreimal vor. Leonik nahm seinen Stab und intonierte den Zauber. Die Flammen flackerten noch einmal auf und fielen dann in sich zusammen. Die Funken erloschen. Das Schloss war gerettet, doch von den allermeisten Büchern blieben nur die verkohlten Ledereinbände.
Noch am selben Tag wurde Leonik offiziell gekrönt. In den Kerkern fanden sich zum Glück noch eine Menge Bücher, die Hinterlassenschaften der besten Zauberer des Reiches, die außerhalb des Goldenen Turmes lebten. Sie hatten in der Bibliothek keinen Platz mehr gehabt. Leider fand sich in keinem ein Spruch, mit dem man meinen leidigen Zustand hätte beenden können. Leonik schickte zum Goldenen Turm um Hilfe, aber auch dort kannte niemand Morinors Spruch oder einen Gegenzauber.
„Ich muss den Goldenen finden“, sagte ich zu Leonik. „Er wird mir helfen können.“
„Nein“, erwiderte der König. „Das kann ich dir nicht gestatten. Die Bücher aus dem Keller sind nicht einmal ein Viertel dessen, was die alte Bibliothek besaß. Einen Teil muss ich auch an die Nachfolger der ermordeten Zauberer übergeben, damit sie ihren Dienst in den Schlössern und Burgen antreten können. Sebiond kannte fast die ganze Bibliothek auswendig. Sein Wissen in deinem Kopf ist viel zu wertvoll, als dass ich es einem Wiesel oder Fuchs als Nachtmahl gönnen würde. Ich habe vor, mein eigener Hofzauberer zu werden. Da ich nicht mehr in den Goldenen Turm zurück kann, werde ich meine Ausbildung eben hier fortsetzen. Und du, Ratte, wirst mein Lehrer sein.“
So kam es, dass ich fortan bei den verstaubten Büchern schlief. Ein Rattenleben ist kurz, aber meines wird dank des Staubes lange genug dauern, bis Leonik alle Sprüche Sebionds gelernt hat. Nicht, dass es mir dabei schlecht geht. Ich habe das beste Leben, das man als Ratte haben kann. Ich besitze eine Speisekammer voller Korn, Speck und Käse, einen weich gepolsterten Schlafkorb und Leonik hat die Hunde aus dem Schloss verbannt. Greinolf tobte, aber ich half ihm mit einem Spruch, der alle Ratten von seiner Küche fernhält. Meine Sippe hat sich inzwischen bei den Abfallgruben eingenistet, die anderen Sippen sind nach Norden gezogen. Ich hoffe, sie machen einen großen Bogen um den Goldenen Turm. Die Barden haben darum gebeten, dass ich meine Erinnerungen dem Hofschreiber diktiere, damit sie ein paar Balladen daraus dichten können. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
Ende
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Danke fürs Lesen!