Lebenserinnerungen einer Ratte - Fantasy

Na, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ich meine, ich habe eigentlich nicht geglaubt, dass die Ratte Eulenfutter wird, aber dass einer der "Goldenen" auftaucht, das hätte ich nicht erwartet. Jetzt kann die Ratte also sprechen... Das sollte ihre Mission ein wenig erleichtern. Bin schon gespannt, was du ihr noch für Schwierigkeiten in den Weg legen wirst!
 
Danke für den Kommentar. Hier kommt der nächste Teil:

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„Gut gesprochen“, der Goldene lächelte selbstgefällig. „Du musst zugeben, dass mein Zauber erstklassig gewirkt hat.“
„Aber wie, wie kann ich so sprechen? Ich habe keine Lunge dafür, bestenfalls müsste ich rasseln oder quietschen.“
„Ach das“, der Goldene winkte ab, „das ist doch total unwichtig. Magie vermag alles. Ich könnte auch einer Raupe deine Stimme verleihen. Aber keine Angst, du kannst immer noch pfeifen wie eine Ratte.“
Ich probierte mein Repertoire an rattischen Lauten durch und war beruhigt. Die Menschenstimme war nur eine Zugabe.
„Jetzt, da du sprechen kannst, erzähl mir, was dein kleines Hirn mit Zauber und Wissen vollgestopft hat.“
„Nicht ein was, sondern ein Wer“, stellte ich richtig und erzählte in groben Zügen, was mir im Königsschloss zugestoßen war. „Wisst Ihr vielleicht einen Weg, wie ich schneller zum Goldenen Turm komme als auf meinen Pfoten?“
„Kann sein. Aber ich wüsste nicht, was mich die Belange der Menschenwelt kümmern.“
„Sie haben Bedeutung, auch für die Goldenen. Warum sonst, hättet ihr den Menschen Eure magischen Bücher hinterlassen?“
„Wir haben was?“ Der Goldene kicherte. „Das siehst du völlig falsch, Ratte. So war es nie gemeint. Wir sind weder verschwunden, noch ausgestorben. Warum also sollten wir jemandem unsere Magie hinterlassen - ausgerechnet den Menschen?“
„Weshalb habt ihr die magischen Bücher dann so schlecht versteckt? Die Menschen hatten keine große Mühe, sie zu finden. Eure Sprache haben sie enträtselt.“
„Gut. So war es auch geplant.“
Ich schüttelte den Kopf. „Das ist zu hoch für mich.“
„Pass auf, Ratte.“ Der Goldene setzte sich neben mich ins Moos. „Angenommen ich würde dich und deine Sippe in einen großen Raum versetzen, wo ein riesiges Käserad an der Decke hängt. Auf dem Boden wären hunderte kleine Käsestücke verstreut, gerade genug für einen Turm, der bis an das große Rad reicht. Würdet ihr die Stücke zusammentragen, um gemeinsam das Rad zu erreichen?“
Da gab es nicht viel zu überlegen. „Nie und nimmer“, erwiderte ich entschieden. „Jede Ratte würde versuchen für sich und ihre Sippe so viele Stücke wie möglich zu sammeln. Was wir nicht sofort fressen, lagern wir als Vorrat.“
„Die Menschen unterscheiden sich da kaum von euch. Jeder Zauberer sammelt für sich und nur für sich so viele unserer Bücher, wie er ergattern kann. Niemals kämen sie auf die Idee, all ihr Wissen zu vereinen. Dabei wäre das der einzige Weg, eine Stufe der Magie zu erreichen, die der unseren gleichkäme. Sie können keine eigenen Zauber ersinnen wie wir. Sie können nur das benutzen, was wir ihnen überlassen und das sind nur winzige Splitter der wahren Macht.“
„Wäre es nicht einfacher gewesen, den Menschen gar keine Magie zur Verfügung zu stellen?“
„Einfacher vielleicht, aber nicht sicherer. Seit die Menschen zum ersten Mal in unser Land kamen, war uns klar, dass sie ein zähes, wissbegieriges Volk sind. Wir versuchten Freundschaft mit ihnen zu schließen, aber ihre Gier nach unseren Fähigkeiten wurde größer und größer. Da beschlossen wir, einen offenen Krieg zu vermeiden und zogen uns hierher zurück. Die hartnäckigsten, gierigsten folgten uns. Um sie abzuschütteln schufen wir die ersten magischen Bücher und versteckten sie so, dass die Menschen darüber stolpern mussten. Es lief wie geplant. Sie fanden die Bücher und über ihrer Mühe, sie zu entziffern, gaben sie die Verfolgung auf. Wir hatten unsere Ruhe.“
„Und damit es so bliebe hat Euer Volk mehr und mehr Bücher versteckt.“
„Richtig. Der beste Streich war der Zauber, mit dem die Bücher das Leben der Menschenmagier verlängern.“
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Danke fürs Lesen!
 
*ggg* Das ist ja ein netter Plan... Man gebe ihnen den kleinen Finger, damit sie vergessen, dass sie die ganze Hand haben könnten... Wirklich ein interessanter Gedanke. Mir ist nur nicht klar, warum sich der Goldene überhaupt der Ratte gezeigt hat. Er nahm ja an, dass es sich bei ihr um einen Menschen handelt... Und die sollten ja eigentlich von ihrer Existenz nichts wissen.
 
Hallöle!!

Deine Geschichte ist ja so süüüüüss!!!!!! Eine kleine Ratte mit Menschenhirn!(und seit neustem mit Stimme) So eine möcht ich unbedingt haben. :D
Schreibst schön weiter, ja!(oder ich esse deinen Hauptdarsteller auf:liplick: )


:cat: Kitti:cat:
 
Gezeigt hat er sich aus Neugier, über die weiteren Folgen hat er vermutlich nicht nachgedacht und die Rettung war eher ein Impuls.

Hier kommt der nächste Teil:
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„Ahh.... jetzt verstehe ich. Sie werden dadurch gezwungen in ihren Bibliotheken auszuharren, vergraben sich in Staub und Studien.“
„So ist es. Nur die Zauberer wären in der Lage uns aufzustöbern. Durch den Trick mit dem Staub sind wir auch vor ihnen sicher.“
Ich dachte das ganze nochmals durch. Die Sache hatte irgendeinen Haken. Es hatte mit Morinor zu tun und mit seinen Plänen. Was war es nur.... ah ja!
„Was ist“, fragte ich und konnte den Eifer in meiner Stimme kaum dämpfen, „was ist, wenn ein Zauberer über soviel Macht gebietet, dass er Soldaten ausschicken kann, die jeden anderen Magier gefangen setzen? Wenn er sogar wagt, den Goldenen Turm anzugreifen?“
Mir fiel ein, dass Morinor damit gar nicht bis zu seiner Heirat mit der Königin warten musste. Er konnte sie als Marionette benutzen. Als ihr Ratgeber hatte er genug Macht dazu. Mir kam auch in den Sinn, dass Morinors Sohn den Tag seiner Volljährigkeit kaum erleben würde. Die Königin würde nach ihrer Heirat bestimmt bald einer rätselhaften Krankheit zum Opfer fallen. Vielleicht aber hatte Morinor auch für sie einen ähnlich spektakulären Abschied geplant wie für den alten Sebiond.
„Morinor könnte es gelingen, allen Zauberern ihre Bücher abzujagen und so die letzten Geheimnisse zu ergründen. Damit gibt sich dieser Gierschlund nicht zufrieden. Binnen einiger Jahre wird er wenn nötig den Flüsternden Wald fällen, um Euch und Euresgleichen einzufangen.“
Der Goldene sah mich an, als könnte er das nicht so recht glauben. Daraufhin erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Auch die Sache mit der Königin, dem falschen Erben und die Gefangennahme des Kanzlers. Ich erklärte ihm auch, warum Morinor zu einer Gefahr für das Goldene Volk werden könnte.
„Er braucht seine verstaubten Bücher nicht zu verlassen. Soldaten werden die Schmutzarbeit für ihn erledigen. Wer weiß, ob nicht schon damit begonnen hat, alle Zauberer des Königreiches ins Schloß zu bitten. Was ihm bei Sebiond und mir gelungen ist, kann er mit jedem Zauberer und jeder Kreatur wiederholen. Nur meine rasche Flucht hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.“
Ich redete weiter auf den Goldenen ein. Er war nicht so menschenfremd wie es schien. Er erzählte, daß immer wieder Goldene den Wald verließen, um weitere Bücher zu verstecken. Da sie nur einen Teil ihres Wissen derart aufgesplittert hatten, sahen sie in der steigenden Bücherzahl keinen Grund zur Besorgnis. Zudem gab es die meisten Sprüche in mehrfacher Ausführung, so daß die Zahl der Bücher allein täuschen konnte. Doch meine Worte durchdrangen langsam die Selbstsicherheit, die ihn wie eine Panzer umgab. Nach einer Weile machte er ein bedenkliches Gesicht.
„Mir gefällt das gar nicht. Kann denn keiner diesen Morinor aufhalten?“
„Leonik, der Neffe des Königs, ist meine einzige Hoffnung. Aber die Zeit eilt. Sobald Morinor seine Stellung am Hof gefestigt hat und einen Zauberer nach dem anderen auslaugt und umbringt, wird er selbst für Leonik unbezwingbar sein.“
„Und wo ist dieser Leonik?“
„Im Goldenen Turm. Deshalb habe ich Euch ja nach einem kürzeren Weg gefragt. Rattenpfoten sind keine Vogelflügel.“
Der Goldene lachte. „Wahrlich nicht. Ich werde dich an den Nordrand des Waldes bringen, wenn du willst.“
„Dafür wäre ich dir dankbar.“
Die Gestalt des Goldenen zerfloß und bildete sich neu. Er wurde zu einem Habicht. „Keine Angst“, krächzte er. „Es ist nur eine äußere Verwandlung. Ich verspüre keinen Hunger nach deinem Fleisch.“ Er flatterte auf mich zu, seine Klauen packten mich, ohne daß die spitzen Krallen meine Haut ritzten. Ein paar kräftige Flügelschläge und ich verlor den Waldboden unter meinen Pfoten. Ich quietsche ängstlich. Der Habicht mit den goldenen Schwingen lachte und begann einen gefährlichen Zickzackkurs zwischen den Baumstämmen. Mehr als einmal fürchtete ich, wir könnten gegen einen Ast knallen, aber der Goldene tauchte darunter hindurch.
Endlich lichteten sich die Stämme, wir hatten den Waldrand erreicht. Der Habicht setzte zur Landung an und ließ mich vorsichtig ins Moos fallen. Ich glättete mein zerzaustes Fell, während der Goldene wieder seine eigene Gestalt annahm.
„Eigentlich wollte ich den Sprachzauber nach unserer Unterhaltung aufheben, aber ich denke, du wirst ihn noch nötig haben. So lebe denn wohl, Ratte. Meine besten Wünsche begleiten dich.“
Ehe ich etwas passendes erwidern konnte, war er im Wald verschwunden. Ich starrte zum Nachthimmel und versuchte, mich zu orientieren. Ich stellte mir eine Landkarte vor, setzte mein instinktives Gespür und das Wissen Sebionds um Himmelsrichtungen und Sternbilder ein und trippelte wieder los.
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Danke fürs Lesen und für eure Kommentare!
 
Tja, so kann der schönste Plan sehr hässliche Logikfehler aufweisen... Dann bin ich mal neugierig, wie sich die Ratte weiter so durch die Pampa schlagen wird. Zumindest hat sich ihre Kommunikationsfähigkeit inzwischen sehr verbessert...
 
Danke für den Kommentar. Hier ist der nächste Teil:

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4
In der Morgendämmerung gelangte ich zu einer Straße. Trotz der für Menschen frühen Stunde begegnete ich einem mit Gemüse beladenen Karren. Er holperte über einen Ast und eine Gurke und ein Bündel Karotten purzelten auf die Straße. Ehe der dicke Mann, der das Ochsengespann führte, den Verlust bemerkte, sprang ich vor, packte die Karottenstiele mit den Zähnen und zerrte es ins Gebüsch. Gleich darauf holte ich mir noch die Gurke, machte es mir gemütlich und schlang soviel Gemüse in mich hinein, bis mein Bauch einem Salzfaß glich. Satt und zufrieden döste ich bis zur Mittagsstunde, dann machte ich mich an das letzte Stück meiner Reise.
Sebionds Wissen belehrte mich, daß ich nur der Straße folgen müsse, um den Goldenen Turm zu erreichen. Also lief ich im Sichtschutz des Gebüsches weiter nach Norden. Hügelauf, hügelab, es war später Nachmittag, da endlich teilten sich die Hügel und gaben den Blick auf den Goldenen Turm frei. Der Name täuschte, obgleich der Turm sicher das älteste der Gebäude war. Im Laufe der Jahrhunderte hatte man rings herum langgestreckte Gebäude errichtet, die sternförmig vom Turm weg strebten. Der honiggelbe Anstrich des Turmes glänzte auf die Entfernung wie Gold, daher der Name. Die Nebenbauten waren in schlichtem Weiß gehalten.
Je näher die Straße dem Turm kam, desto besser wurde sie. Das Granitpflaster wich buntem Marmor, die Rillen zwischen den Platten waren frei von Unkraut, und die Büsche links und rechts hatte man mit scharfen Messern säuberlich zurechtgestutzt.
Als ich schließlich so nah herangekommen war, daß ich die Sonnenwärme der gelben Steine auf meinem Pelz fühlen konnte, sank mir das Herz. Der Goldene Turm war so groß. Ich konnte den Kopf noch so weit in den Nacken legen, die Dächer sah ich nicht. Wie sollte eine kleine, kurzbeinige Ratte da drin einen bestimmten Menschen finden? Bestimmt wimmelte es nur so von ihnen. Ich hatte nur Leoniks Namen. Ohne seinen Geruch war ich darauf angewiesen, daß ihn jemand gerade dann beim Namen nannte, wenn ich vorbeikam. Durfte ich, die anderen Studenten und Zauberer nach ihm fragen?
Nein, entschied ich. Die Erinnerung an Morinors Gier war noch zu frisch. Geriete ich einem machtgierigen Lehrling in die Hände, der mir Sebionds Wissen aus dem Gehirn zog und für sich behielt, war das Königreich verloren. Auch meine Überlebenschancen wären nicht allzugroß.
Ich beschloß, das Gebäude erst einmal zu umrunden. Irgendwie würde ich ungesehen hineingelangen. Sobald ich ein Versteck gefunden hatte, konnte ich mir eine Suchstrategie zurechtlegen. Vielleicht gab es sogar einen Suchzauber... Halt! Ich konnte ja zaubern. Der Goldene hatte mir die Sprache der Menschen verliehen und mit ein bißchen Übung mußte es einfach gelingen.
Dummkopf schalt mich die Stimme in meinem Kopf. Du bist eine Ratte. Wie willst du da einen Zauberstab in Händen halten? Goldene brauchten keine Zauberstäbe, aber menschliche Zauberer kamen nur ganz selten ohne sie aus. Zauberstäbe waren Konzentrationshilfen und Medium in einem. Mit ihnen ließ sich die Macht des Zaubers an die gewünschte Stelle konzentrieren, anstatt wirkungslos zu verpuffen oder unkontrolliert zu explodieren. Mit einem bedauernden Seufzer blickte ich auf meine Pfoten. Vielleicht, wenn ich mich auf die Hinterbeine setzte und den Stab mit beiden Pfoten umklammerte... Nein. Es war unmöglich. Ich konnte den Stab vielleicht festhalten, aber ihn in die gewünschte Richtung zu balancieren, dafür waren meine Krallen nicht geschaffen. Selbst wenn der Stab dünn und leicht genug wäre.
Enttäuscht lief ich weiter. Wie lange war ich nun schon fort? Eine Woche? Je mehr Zeit verstrich, desto schwerer würde es Leonik haben, den Thronrat von Morinors Schändlichkeit zu überzeugen.
Endlich fand ich ein Loch, das wie für eine Ratte gemacht schien. Ich steckte den Kopf hinein und schnüffelte. Es roch nach Schinken, frischem Brot und Räucherfisch. Offenbar befand sich jenseits der Wand die Speisekammer. Die Stimme in meinem Kopf riet zur Vorsicht, aber da hatte mein Instinkt schon die Oberhand, und ich krabbelte hinein. Es war finster, aber meine Nase führte mich zu einem Stück Schinken, das seltsamerweise auf dem Boden lag. Ich schnappte danach. Im selben Augenblick rasselte es, etwas Schweres fiel auf mich herab, schnürte mich ein und riß mich in die Höhe. Ich konnte ein ängstliches Quieken nicht unterdrücken. Plötzlich wurde es hell.
Ich blinzelte in das grelle Licht einer magischen Kugel.
„Endlich wieder eine“, sagte eine junge Stimme.
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Danke fürs Lesen!
 
Na, das ist ja fies. Soweit zu laufen, nur um dann WIEDER in einer Rattenfalle zu landen...

Was mir besonders gut gefallen hat, war, dass du den Goldenen Turm genau aus der Perspektive einer Ratte geschildert hast, die Dinge am Boden ganz genau und anderes nur vage, weil sie das eben nicht sehen kann. Dass die Ratte jetzt zaubern kann, finde ich auch lustig... Mal schauen, ob sie Leonik finden kann... und was die Rattenfänger jetzt mit ihr vorhaben.
 
Danke für deinen Kommentar. Tja, da kam die Ratte vom Regen in die Traufe...

Hier der nächste Teil:

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Meine Augen gewöhnten sich rasch an das Licht. Ich hing in einem Netz in Kopfhöhe eines jungen Burschen, der mich mit widerwärtiger Zufriedenheit betrachtete. Er konnte nicht viel älter als sechzehn sein. Er roch nach Seifenwasser, Karotten und Kartoffelschalen. Ein Küchenjunge, dachte ich entsetzt. Sein Herr und Meister würde mich erschlagen oder ertränken. Aus meinem Quieken wurde ein schrilles Pfeifen, als er das Netz abnahm und mich wie einen toten Fisch aus der Speisekammer schleppte.
Sein Meister war gerade dabei, eine gefüllte Gans zuzunähen. Der Küchenjunge wartete respektvoll, bis er damit fertig war, ehe er mich präsentierte.
„Es ist wie ich es sagte, Meister Kolpert. Wir müssen sie von draußen herein locken. Das ist die dritte seit letzter Woche.“
„Gut gemacht, Zair“, sagte der hagere Mann und wischte sich die Hände an seiner bunten Schürze sauber, ehe er dem Küchenjungen das Netz abnahm. „Bringe mir eine Kiste.“
„Sofort Meister.“
Seine Holzschuhe klapperten über den blanken Steinboden. Als er wiederkam, trug er einen kleinen Holzkiste, dessen Vorderseite aus einer Gittertür bestand. Er löste den kleinen Haken, klappte die Türe auf und sein Meister schüttelte mich hinein. Ich rutschte über den mit Stroh bedeckten Boden bis zur Rückwand. Zair verschloß die Tür und stellte den Käfig auf den Tisch. Kolpert kramte währenddessen in seiner Schürzentasche. Er zog eine kleine Schriftrolle hervor und studierte sie.
„Wer ist an der Reihe, Meister?“ fragte Zair.
„Großmeister Dulgan. Bring sie ihm hinauf, die Prämie darfst du behalten. Schließlich hast du ja die Falle gebastelt.“
„Aber ohne Meister Leoniks Leuchtwarnzauber müßte ich alle fünf Minuten hinüber rennen und nachsehen.“
„Ich bin sicher, Meister Leonik gönnt dir die Prämie. Jetzt lauf, ehe ich es mir anders überlege und selbst gehe.“
Zair packte mich und rannte aus der Küche. Ich klammerte mich an dem Gitter fest, trotzdem wurde ich hin und her geworfen. Mir wurde übel. Endlich hatte das Gerüttel und Geschaukel ein Ende. Die Kiste wurde auf einen Tisch gesetzt. Mein Magen beruhigte sich, und ich sog gierig die neuen Gerüche ein. Schwefel, altes Leder, Pergament, Tinte und Staub, jede Menge Staub. Ich zwängte meine Schnauze zwischen den Gitterstäben durch, soweit ich konnte und sah mich um. Gleich vor der Kiste standen zwei Bücher und dahinter erhob sich eine seltsame Anordnung von Röhren, Kolben, Trichtern und Phiolen. Das Labor eines Zauberers. Schlurfende Schritte näherten sich dem Tisch.
„Hast du wieder eine für mich, Zair?“ fragte eine brüchige Stimme.
„Jawohl, Großmeister Dulgan.“
„Hat lange genug gebraucht. Hier sind deine Münzen.“ Es klimperte.
„Vielen Dank, Großmeister.“
„Schon gut und jetzt verschwinde.“
Zairs Pantoffeln klapperten eilig in Richtung Ausgang. Großmeister Dulgan schob die Bücher zur Seite und beugte sich, bis ich direkt in seine Augen blicken konnte. Ich roch den alten Schweiß und seinen säuerlichen Atem. Regelmäßiges Baden war der Wirkung des Zauberstaubes abträglich, so dachten zumindest die Zauberer.
„Ahhh... ein gesundes, starkes Exemplar. Ich hoffe, wir können dich öfter einsetzen als deine Vorgänger. Mal überlegen, welchen Zauber wir zuerst an dir ausprobieren.“ Ich zog mich in den hintersten Winkel der Kiste zurück. Mir sträubte sich das Fell, ich legte die Ohren an und zeigte meine Zähne.
„Du mußt keine Angst haben, Kleiner. Wir sorgen gut für unsere Versuchsratten. Es wird nämlich immer schwerer, welche zu finden.“
„Kein Wunder“, dachte ich mir, „die ansässige Sippe habt ihr umgebracht, und die wenigen, die es überlebten, trugen die Warnung ins Land hinaus. Nur ein Fremdling wie ich fällt auf den Duft der Speisekammer herein.“
Ich wollte dem alten Zauberer meine Meinung sagen, da richtete er sich auf und rief: „Leonik!“
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Danke fürs Lesen!
 
Wieder mal ein Meisterwerk!
Jetzt ist die Ratte zwar gefangen kommt aber trotzdem zu Leonik. Ob dieser Dulgan ihn aber frei lässt wenn er erst gemerkt hat dass er reden kann? Verzwickte Lage.
:lookaroun
 
Ui, jetzt wird sie "Versuchsratte"... Aber zumindest dürfte Leonik ja jetzt auftauchen *hoff*. Mal schauen, was er zu einer sprechenden Ratte sagen wird *g*.
 
Danke für die Kommentare. Hier ist das nächste Stück:

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Mein Herz machte einen Luftsprung.
„Was gibt es, Großmeister?“ Ein dunkelhaariger, junger Mann kam aus einem Nebenzimmer. Seine Kleider waren sauber, offenbar teilte er die diesbezügliche Meinung seines Großmeisters nicht.
„Ich habe eine neue Ratte für dich. Wollen wir den Vergrößerungszauber testen?“
„Sollten wir die Formel nicht zuerst an leblosen Objekten versuchen, Großmeister?“ fragte Leonik in respektvollem Tonfall. „Steine oder Münzen sind leichter zu beschaffen, als neue Ratten.“
„Da hast du recht. Bringe sie zu den anderen. Ich sehe noch mal die Liste mit den neuen Zaubern durch, bis morgen habe ich sicher einen gefunden, für den keine Ratte zu schade ist.“
Leonik hob meine Kiste hoch und trug mich vorsichtig in den Nebenraum. Dort standen bereits vier andere Kisten auf einem Regal. Er stellte mich neben sie. Ich versuchte, einen Blick auf meine Leidensgenossen zu erhaschen und schauderte. Die erste Ratte hatte ein rosa Fell und übergroße Augen, der zweiten fehlten zwei Beine. Die dritte sah äußerlich gesund aus, aber sie drehte sich ständig im Kreis und zwitscherte wie ein Kanarienvogel, die vierte lag auf dem Rücken, ihre Beine zuckten und sie röchelte.
Leonik steckte ein Stück Brot zwischen den Gitterstäben hindurch. „Viel mehr kann ich leider nicht für dich tun, Ratte. Großmeister Dulgan und zwei andere Großmeister bestehen darauf, neue Formeln zu erfinden und sie an Geschöpfen wie dir auszuprobieren. Sie glauben, so den Goldenen gleich zu werden. Bis jetzt allerdings haben sie nur Fehlschläge erlitten. Wenn sie doch nur ein Einsehen hätten... Kein Mensch kommt an die Macht eines Goldenen heran.“
„Bis jetzt nicht“, sagte ich.
Leonik schreckte zurück. „Was .... Du kannst sprechen?“
„Psst“, zischte ich. „Dulgan darf uns nicht hören.“
„Wer... wer bist du und was willst du von mir?“
„Ich bin eine Ratte, wie du siehst. Daß ich sprechen kann, verdanke ich einem Goldenen.“
„Du hast einen Goldenen getroffen? Wo?“
„Im Flüsternden Wald, aber das ist jetzt nicht wichtig. Ihr müßt nach Hause kommen, Prinz Leonik.“
„Nach Hause?“
„Zurück ins Königsschloß. Euer Onkel ist tot.“
Leonik erblaßte. „Warum erfahre ich, sein Erbe, das jetzt erst? Mein Onkel war doch immer gesund.“
„Alles der Reihe nach“, bremste ich seinen Eifer. „Offiziell Seid Ihr nicht länger der Erbe. Die Königin erwartet ein Kind. Der Hofzauberer beschwört, daß es ein Junge wird.“
Leonik entspannte sich. „Gut, dann kann ich hierbleiben.“
„Langsam, Eure Hoheit. Das Kind wurde nicht von Eurem Onkel gezeugt. Der Hofzauberer ist sein Vater.“
„Sebiond? Unmöglich!“
„Sebiond lebt nicht mehr. Morinor, sein Nachfolger, stieß ihn aus dem Fenster, nachdem er sein Wissen und seine Intelligenz auf eine Ratte übertragen hatte.“
„Warte mal, auf eine Ratte? Soll das heißen, daß du...?“
„Erraten, Hoheit. Ich schleppe diese Bürde seit vielen Tagen mit mir. Eigentlich wollte Morinor noch einen Schritt weitergehen“, begann ich und erzählte ihm Schritt für Schritt die ganze Geschichte.
Sein Mienenspiel wechselte von Unglauben zu Betroffenheit. Als er von der Festnahme des Kanzlers und den Plänen Morinors erfuhr, wurde er abwechselnd blaß und rot. Seine Augen blitzten, und er kniff die Lippen zusammen.
„Morinor will mehr als nur den Thron meines Onkels, nicht wahr?“
Ich nickte. „Ich fürchte sein wahres Ziel ist der Besitz aller Zauberbücher im Reich, jene des Goldenen Turmes mit eingeschlossen.“
„Unsinn!“ entfuhr es Leonik. „Wie will er das erreichen?“
„Durch den Thron. Als Regentin kann Eure Tante das Heer ausschicken, um alle Zauberer des Reiches festzunehmen. Dazu braucht sie nicht einmal die Genehmigung des Thronrates.“
„Vielleicht glückt es ihr bei den Wanderzauberern. Aber was ist mit all jenen, die bei Baronen und Grafen eine feste Anstellung haben?“
„Die werden ausgeliefert. Morinor wird schon ein fadenscheiniger Vorwand einfallen. ‘Komplott gegen das Reich’, Verrat, Rebellion, was weiß ich. Natürlich wird ihm niemand wirklich glauben, aber welcher Baron oder Graf wird wegen eines übellaunigen, verschrobenen Staubfängers einen Krieg mit der Krone riskieren?“
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Danke fürs Lesen!
 
Nun ist die Katze - äh Ratte also aus dem Sack :D . Mal schauen, was Leonik jetzt unternehmen will... Die Charakterisierung der Magier durch die Ratte war richtig nett^^ (Staubfänger :rofl: ). Bin schon gespannt, wie es weitergeht!
 
Danke für den Kommentar. Mal sehen, was die Ratte bei Leonik ausrichten kann:

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Leonik zuckte zusammen. „Denkt man so über uns?“ fragte er leise.
„War das nicht immer so? Ihr könnt es den einfachen Menschen nicht übel nehmen. Seht Euch den Großmeister an. In seinem Denken ist kein Platz für Freundlichkeit, Bescheidenheit oder Güte. Wann hat er das letzte Mal gebadet und seine Haare gewaschen? Vor zehn Jahren, oder vor fünfzehn? Welchen Zauberer im Goldenen Turm interessiert es auch nur einen Deut, was draußen im Land passiert? Wer würde einen Gedanken an Krieg, Seuchen oder Hungersnot verschwenden, solange der Goldene Turm verschont bleibt?“
Ich fühlte, wie Leonik mit sich kämpfte. Schließlich nickte er. „Du hast nicht ganz unrecht, Ratte.“
„Danke.“
„Und was erwartest du jetzt von mir?“
„Haltet Morinor auf. Entlarvt seine Ränke und besteigt den Thron.“
„So einfach ist das nicht. Ich habe Verpflichtungen hier.“
„Was für Verpflichtungen? Soweit ich rieche und höre bist du nichts weiter als der Fußabtreter des Großmeisters.“
„Er hält große Stücke auf mich. Ich bin selbst Meister.“
„Ratten füttern und Käfige ausputzen sind genau die passeneden Aufgaben für einen wahren Meister.“
„Ich habe eine verantwortungsvolle Stellung inne.“ Leonik bemühte sich um Würde.
„Ach ja, ich vergaß, dass ihr des Großmeisters Zauberstäbe poliert und seine Röhren, Kolben und Phiolen ausspült. Dürft ihr ihm auch die Sandalen putzen und seine Zehennägel feilen?“
Leoniks wurde hochrot im Gesicht. „Hör auf damit! Wer gibt dir das Recht....?“
„Ich nehme es mir“, unterbrach ich ihn. „Fürchtet Ihr das bittere Licht der Wahrheit in Eurem bequemen, dunklen Turm? Ihr seid nicht zum Putzlappen bestimmt, Prinz Leonik. Das Volk Eures Onkels, Euer Volk, braucht Euch.“
„Ich lasse mir von keiner Ratte vorschreiben, was ich zu tun habe!“
„Ist Euer Gewissen so verstaubt, wie Eure Bücher? Bedeuten Euch Menschenleben so wenig, wie sie Morinor bedeuten?“
„Es genügt!“ Leoniks Faust sauste auf die Tischplatte herab, dass es knallte und der Staub meinen Käfig einhüllte. „Ich werde gehen, und du kommst mit mir. Sollte deine Geschichte erlogen sein, wirst du dir noch wünschen, dass Großmeister Dulgan seine Zauber an dir ausprobiert. Verstanden?“
„Verstanden.“
Leonik ging zu Dulgan und erklärte ihm, er habe eine Nachricht vom Tod seines Onkels erhalten. Er müsse zum Schloss, um dort nach dem Rechten zu sehen.“
„Und wer kümmert sich um die Ratten?“ fragte Dulgan verärgert. „Wer baut meine Versuche auf und spült meine Kolben aus?“
„Zair kann das für Euch tun. Er ist darin geschickter als ich, und er bewundert Euch sehr.“
„Wirklich?“ Dulgan lächelte geschmeichelt. „Dann geh meinetwegen. Pack ein, was du brauchst und schick mir Zair herauf.“
„Sogleich, Großmeister.“
Leonik vertauschte sein weites Gewand mit bequemer Reisekleidung und fing an, so viele Bücher als möglich in seinen Reisesack zu stopfen.
„Nehmt nur solche, die Euch beim Kampf gegen Morinor helfen werden. Und vergesst Eure Zauberstäbe nicht“, riet ich ihm.
Als er Anstalten machte, mich auch in den Sack zu stecken, wehrte ich mich. „Die Bücher werden mich erdrücken. Ich reise lieber in der Tasche Eures Umhangs.“
„Na gut. Aber rühr dich nicht. Wenn Dulgan merkt, daß ich seine neueste Versuchsratte entführe, verwandelt er mich in ein Kaninchen oder eine Karotte.“
„Da seien alle guten Mächte vor“, sagte ich, kletterte in die linke Tasche seines Umhangs und machte mich ganz klein.
Zair war überglücklich, als er von seiner neuen Stellung erfuhr. In seiner Dankbarkeit packte er Leoniks Satteltaschen randvoll mit Köstlichkeiten aus der Speisekammer. Ich schwelgte in ihrem Duft. Als ich Leonik vorschlug, mich doch auch in den Satteltaschen reisen zu lassen, lachte er nur. Beleidigt kroch ich in die Tasche zurück und nahm mir vor, kein Wort mehr mit diesem geizigen Prinzen zu reden bis wir am Ziel wären.
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Danke fürs Lesen!
 
:rotfl: :grlaugh: Ich glaub das hier ist mein Lieblingsteil.

„Ratten füttern und Käfige ausputzen sind genau die passeneden Aufgaben für einen wahren Meister.“
„Ich habe eine verantwortungsvolle Stellung inne.“ Leonik bemühte sich um Würde.
„Ach ja, ich vergaß, dass ihr des Großmeisters Zauberstäbe poliert und seine Röhren, Kolben und Phiolen ausspült. Dürft ihr ihm auch die Sandalen putzen und seine Zehennägel feilen?“

und

Ich schwelgte in ihrem Duft. Als ich Leonik vorschlug, mich doch auch in den Satteltaschen reisen zu lassen, lachte er nur. Beleidigt kroch ich in die Tasche zurück und nahm mir vor, kein Wort mehr mit diesem geizigen Prinzen zu reden bis wir am Ziel wären.

waren einfach zum Schiessen!! Hihihihihi...., uaahh.... !BUM! *Ihr Kommentarschreiber ist gerade vom Stuhl gefallen, bitte warten sie bis er/sie wieder schreibfähig ist.*

Ahm, O.K. also... mein Kommi sollte eigentlich klarmachen dass du super schreibst und auch so weiterschreiben sollst.
 
Der Teil war richtig komisch. Die Ratte hat vielleicht ein Schandschnauze... Da schließe ich mich meiner Vorrednerin an. Diese Stellen waren zum :rofl:n.

Bin gespannt, was Leonik tun kann. Immerhin hatte Morinor ja schon genug Zeit, sich an der Spitze des Königreichs zu etablieren...
 
Danke für die Kommentare. Hier ist das nächste Stück.

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5
Die Reise war alles andere als angenehm. Leoniks Pferd, ein grauer Wallach, hatte eine Vorliebe für Zockeltrab, und ich wurde gründlich durchgerüttelt. Während der Rasten schwieg ich beharrlich, was Leonik nicht im geringsten zu stören schien. Er zog einfach ein verstaubtes Zauberbuch aus seinem Reisesack und las darin. Nach zwei Tagen erreichten wir das Schloß. Wir waren kaum in Sichtweite, da zügelte Leonik das Pferd und fischte mich aus der Tasche.
„Wie stellst du dir das ganze vor, Ratte?“ fragte er mich.
„Habt Ihr keinen Plan?“ fragte ich ironisch.
„Hör mal, schließlich hast du mich aus dem Goldenen Turm geholt, vergessen?“
„Nein“, sagte ich und seufzte. „Ihr habt nicht vor, Euch still und heimlich in die Burg zu schleichen, oder?“
„Ich bin kein Dieb, sondern der rechtmäßige Erbe. Ich werde den Thronrat einberufen und Morinors Schandtaten kundtun.“
„Und Ihr glaubt, dass das reicht? Morinor hatte Zeit, die Thronräte einzuwickeln. Er wird alles abstreiten.“
„Ich werde ihn zwingen die Wahrheit zu gestehen“, verkündete Leonik selbstbewusst. „Er ist nichts weiter als ein Geselle, der sich selbst überschätzt. Ich bin ein Meister. Das Wissen und die Macht des Goldenen Turmes stehen hinter mir.“
„Wie Ihr meint“, lenkte ich ein. „Es wird sich zeigen, wer sich hier überschätzt. Findet einen Weg, mich ungesehen aus Eurer Tasche zu schmuggeln, ehe Ihr den großen Saal betretet. Ich möchte nicht in Morinors Nähe sein, wenn Ihr ihn in die Ecke treibt.“
„Du bist ein Feigling, Ratte.“
„Ich folge nur meinem Überlebensinstinkt, Prinz.“ Ich konnte ihm schlecht sagen, daß ich seinen Plan für blanken Unsinn hielt. In der Tasche war ich nutzlos. Als freie Ratte würde mir vielleicht etwas einfallen, um das Fiasko abzuwenden.
Leonik hielt Wort. Er ritt offen in den großen Hof, verkündete seine Anwesenheit mit lauter Stimme und harrte der Dinge, die da kamen. Es gab einen großen Auflauf. Diener, Wachen und Adlige strömten herbei. Auch die Königin kam hoheitsvoll auf den Hof geschritten. Ich roch ihre Angst und Unsicherheit. Ihre Stimme zitterte für menschliche Ohren kaum wahrnehmbar, als sie ihren Neffen willkommen hieß. Morinor hielt sich im Hintergrund, doch sein Ärger und sein vages Unbehagen stiegen mir in die Nase.
Leonik fühlte sich absolut sicher. Er stieg vom Pferd, verbeugte sich vor seiner Tante und fragte mit kalter Stimme: „Warum habt Ihr mir den Tod des Königs verschwiegen, Hoheit?“
Die Regentin warf einen um Hilfe heischenden Blick nach hinten, wo Morinor im Schatten des Tores stand. Er fing den Blick der Regentin auf und stellte sich neben sie.
„Euer Hoheit“, sagte er mit falscher Demut in der Stimme, „es gab keinen Grund, Euch von Euren Studien abzuhalten. Seid versichert, das Begräbnis unseres verehrten Monarchen verlief auch ohne Euren Beistand ganz so, wie seine Majestät es gewollt hätte. Die Arbeiten an seinem Mausoleum sind fast beendet. Es steht neben jenem Eures Vaters und Eures Großvaters im Park der Könige. Wenn Ihr es besichtigen wollt...“
„Was ist mit den Mördern?“ unterbrach ihn Leonik. „Hat man die Mörder meines Onkels gefasst?“
„Noch nicht. Aber die Soldaten durchstöbern ohne Unterlass das Reich. Früher oder später werden die verruchten Wegelagerer gefasst werden.“
„Wer hat den Oberbefehl?“
„Sir Tobald, der neue Kanzler.“
„Was ist mit Sir Paulig geschehen?“
„Der alte Kanzler entpuppte sich als Betrüger. Er unterschlug große Summen aus der königlichen Schatzkammer. Leider verstarb er im Kerker, ehe man ihn nach deren Verbleib befragen konnte.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Leonik brüsk. „Ich kannte Sir Paulig. Er lebte nur für das Wohl des Königs. Nie und nimmer hätte er meinen Onkel betrogen.“
„Genau dieses Vertrauen hat er ausgenützt. Die Beweise sind eindeutig. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Einsicht in die Dokumente nehmen.“
„Nicht nötig. Ich bin sicher, die Dokumente werden Eure Worte untermauern.“ Sein ironischer Tonfall entging dem Zauberer nicht. Morinor zog die Augenbrauen zusammen und eine Spur Stahl lag in seiner Stimme, als er fragte: „Was wollt Ihr damit sagen, Hoheit.“
Leonik hatte absolut kein Talent zur Täuschung. Er blickte Morinor fest in die Augen und sagte: „Das werdet Ihr noch früher herausfinden, als Euch lieb ist, Königlicher Hofzauberer.“ Er wandte sich wieder seiner Tante zu. „Man hat mir berichtet, dass Ihr den Sohn meines Onkels unter dem Herzen tragt. Ist das wahr?“
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Danke fürs Lesen!
 
*ggg* Die Ratte hat mehr gesunden Menschenverstand als der Mensch... Das ist witzig :D . Schätze mal, wenn Leonik nicht aufpasst, dann endet er wie Sebiond oder wie der Kanzler...
 
Danke für den Kommentar. Hier ist der nächste Teil:

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„Ja.“ Sie wischte sich eine nicht vorhandene Träne aus dem Augenwinkel. Ihre Stimme bebte leicht, als sie fortfuhr: „Mein geliebter Gatte hat mich verlassen, aber in seinem Sohn wird er weiterleben, und das gibt meinem Leben einen neuen Sinn.“
„Somit bin ich nur noch der zweite Erbe, nicht wahr?“
Sie nickte.
„Gut. Aber auch als zweiter in der Thronfolge kann ich eine Sitzung des Königlichen Rates einberufen.“ Er drehte sich zu den Dienstboten um. „Holt sie alle aus ihren Häusern. Die Sache ist äußerst dringend. Die Sitzung beginnt, sobald der Rat vollständig versammelt ist. Die Regentin und ihre beiden Berater werden ebenfalls teilnehmen. Damit darf ich doch rechnen, oder?“ fragte er Morinor.
„Selbstverständlich, Euer Hoheit.“ Ich konnte förmlich hören, wie die Räder in seinem Kopf sich drehten. Der erste Hauch von Furcht schlich sich in seine Ausdünstungen.
Leonik verlor keine Zeit. Er lehnte es ab, sich erst frisch zu machen, oder eine Kleinigkeit zu essen. Ohne eine Minute zu vergeuden, übergab er sein Pferd dem Stallmeister, und schritt den langen Korridor hinab zur Ratskammer. Dabei nestelte er am Verschluss seines Umhanges. Wenige Schritte vor der Tür ließ er ihn wie nebenbei auf den Boden gleiten. Es gelang mir, mich durch die Falten zu wühlen, ohne unter die Sohlen der Ratsmitglieder zu geraten. Ich schlüpfte ungesehen zwischen ihren Füßen hindurch in die Ratskammer.
Die gepolsterten Stühle hinter den drei langen, in U-form aufgestellten Tischen waren schneller besetzt, als ich erwartet hatte. Während die Regentin gegenüber der Türe Platz nahm, setzten Morinor und der Kanzler sich an die seitlichen Tische, so dass sie Leonik von drei Seiten in die Zange nehmen konnten. Der Prinz kümmerte sich nicht darum. Er ignorierte die Einladung der Regentin, sich neben sie zu setzen. Breitbeinig stand er am offenen Ende des Us und wartete, bis sich das aufgeregte Gemurmel gelegt hatte.
Als es endlich ruhig war, begann er zu sprechen: „Ich habe diese Sitzung einberufen, um zwei Dinge zu klären. Erstens, die wahre Thronfolge und zweitens den Mord an meinem Onkel, dem König.“
„Was gibt es da zu klären?“ fragte der Sir Tobald. Er war ein kleiner, fetter Mann mit rosiger Haut und sorgfältig manikürten Fingern. Gar manche Hofdame beneidete ihn um seine dunklen Löckchen und die großen, hellblauen Augen. An seinem Gürtel hing stets ein kleiner, goldener Spiegel. Wenn er bei schönem Wetter aus dem Schloss ging, was äußerst selten vorkam, mussten drei Diener ihn mit Fächer, Lavendelwasser und Sonnenschirm auf Schritt und Tritt begleiten. „Ihr seid nur noch die Nummer zwei, Prinz. Und die Mörder Eures Onkels waren irgendwelche Banditen. Von denen gibt es Dutzende.“
„Wenn es Banditen waren, warum haben sie die Leichen nicht geplündert? Ich hörte, man fand alle Juwelen und Geldbeutel unberührt. Ist das nicht seltsam?“
„Was wollt Ihr damit sagen, Prinz Leonik?“ fragte Graf Telgan, ein graubärtiger Hüne. Ich entnahm aus Sebionds Wissen, daß seine Familie für ihre Königstreue berühmt war. Er galt als einer der mächtigsten Männer des Reiches. Sein Wort wog schwer.
„Mein Onkel wurde von gedungenen Mördern überfallen. Jemand hat sie für den Mord an unserem geliebten König bezahlt, gut bezahlt, damit sie irgendwo untertauchen können, bis wir die Suche nach ihnen aufgeben.“
„Wenn das stimmt, kann sie nur der verfluchte Sir Paulig gedungen haben!“ rief Sir Tobald. „Wozu hätte er sonst das Geld aus der Schatzkammer gebraucht?“
„Falsch“, konterte Leonik. „Sir Paulig kann es nicht gewesen sein. Was hatte er durch den Tod des Königs zu gewinnen? Er war Kanzler, gibt es einen höheren Rang für einen einfachen Baron? Der König schätzte und vertraute ihm. Nur ein Verrückter schlägt die Hand ab, die ihn füttert. Sind die mysteriösen Dokumente nicht erst aufgetaucht, als der König sich auf die Reise begeben hatte, auf seine letzte Reise? Wer hätte mehr Interesse an seiner sicheren Wiederkehr gehabt, als Sir Paulig, der im Kerker um sein Leben bangte? Mein Onkel hätte ihn befreit, egal was in diesen Dokumenten stand.“
Einige Ratsmitglieder blickten skeptisch, doch die meisten nickten. Tobald und Morinor wechselten einen langen Blick. Der feiste Kanzler begann zu schwitzen.
„Lassen wir das beiseite - vorerst. Ich möchte meinen Platz in der Erbfolge geklärt haben. Ist es gewiß, daß die Regentin einem Jungen das Leben schenken wird?“
„Dafür verbürge ich mich“, sagte Morinor.
„Wie könnt Ihr das?“
„Es gibt einen Spruch, mit dem man das Geschlecht eines Ungeborenen feststellen kann.“
„Ah.. ja... ich erinnere mich. Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich das nachprüfe?“ Leonik griff in den Beutel, der an seinem Gürtel hing und zog einen kristallenen Zauberstab heraus. „Wisst Ihr, Hofzauberer“, sagte er leichthin, „es gibt noch einen zweiten Spruch für Ungeborene. Er wird eingesetzt, um die Vaterschaft zu klären.“
Morinor sprang auf. „Wollt Ihr die Regentin der Untreue beschuldigen. Das ist Hochverrat!“
„Das Blag meiner edlen Tante ist ein Bastard! Das müsst Ihr doch am besten wissen, schließlich seid Ihr der Vater.“
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Danke fürs Lesen!
 
*ggg* Jetzt kommt's. Gleich ist die Katze aus dem Sack und von Leonik bleiben nur noch die Schuhe übrig... Ich bin mir sicher, dass Morinor sich nicht so leicht aufs Kreuz legen lässt! Außerdem halte ich es für ziemlich unlogisch, dass er so einen Fehler gemacht hat, wie es das fehlende Ausplündern der Leichen darstellt... Kein professioneller Thronräuber wäre so dumm.^^
 
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