LadyR
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Hier ist wieder der Beginn einer eher kurzen Geschichte von mir.
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Das Tal der Nebelpferde
"Hier, das ist für dich." Zwei Münzen rollten in den Staub vor Rolans Füßen. Der Junge hob sie auf und schluckte.
"Ist etwas?" Meister Gerig musterte ihn. Rolan reichte dem Schmied bis kaum an die Schulter. Er war recht klein für seine dreizehn Jahre, schmal aber sehnig. Den ganzen Tag hatte der den Blasebalg betätigt und Kohlen nachgelegt, ohne sich ein einziges Mal zu beschweren, oder um eine Pause zu bitten. Willig war Rolan, trotzdem... irgendwie mochte Meister Gerig den Jungen nicht. Vielleicht lag es an der Art wie er sprach oder den Kopf hielt. Rolan schien nicht hierher zu gehören. Seine Kleider waren genauso abgerissen und schmutzig, wie die von Tarvis, Gerigs jüngstem Lehrling und wahrscheinlich hatte er seit Tagen keine ordentliche Mahlzeit gegessen. Der Schmied sah auf den braunen Schopf des Jungen hinab, sah, wie die es in ihm arbeitete. Er spürte, dass Rolan ihm die beiden Kupfermünzen am liebsten vor die Füße geworfen hätte und grinste.
Zwei Kupfermünzen! Rolan war den Tränen nahe. Den ganzen Tag hatte er sich geplagt, den Spott der Lehrjungen ertragen und das alles für zwei lumpige Kupfermünzen. Wenn er sich beeilte, würde er noch einen halben Laib altes Brot dafür bekommen, vorausgesetzt der Bäcker war guter Laune und hatte es nicht schon an die Hunde verfüttert.
Rolan sah den Schmied nicht an. Er murmelte einen Dank und ging. Tarvis hätte geheult oder wäre wie ein geprügelter Hund zur Tür hinausgeschlichen. Rolan hingegen verspürte nur kalte Wut. Nein, er würde dem Schmied nicht zeigen, wie mies er sich fühlte. Er straffte die Schultern, ohne zu ahnen, dass es kleine Gesten wie diese waren, die die Kluft zwischen ihm und dem Schmied vertieften.
"Junge! Rolan!"
Er drehte sich um. Agnes, die Frau des Meisters stand am Küchenfenster und winkte ihm zu. Rolan zwang sich zu einem Lächeln, die Meisterin hatte immer ein freundliches Wort für ihn übrig gehabt, und stellte sich vor das Fenster.
"Hier, für dich und deine Schwestern." Sie reichte ihm ein kleines Bündel. "Und jetzt lauf, ehe mein Mann dich sieht."
"Vielen Dank, Meisterin." Er lief um die Ecke, durchquerte zwei kleine Höfe bis er endlich eine stille Ecke fand. Als er das Bündel aufknotete, rollten ihm vier Äpfel entgegen. Zudem lagen noch zwei kleine Brote und ein großes Stück Käse darin.
Rolan lief das Wasser im Mund zusammen. Wie lange hatte er schon keinen Käse mehr gegessen! Meist reichte das Geld nur für etwas altes Brot, Kartoffeln und Kohl, mitunter für ein paar Karotten oder Tomaten. Hastig legte er die Äpfel wieder zwischen die Laibe und band das Bündel zu. Wenigstens würden sie heute Abend nicht hungrig zu Bett gehen.
Er lief die Gasse der Federn hinunter und bog in die Straße der Sensen ein. Am Hintereingang des "Fetten Ebers" wartete Jolanna auf ihn.
"Du bist spät", sagte sie.
"Die Meisterin hat mir etwas zu Essen mitgegeben. Wie steht es bei dir?"
Jolanna arbeitete als Spülmagd. Die Mutter hatte ihr verboten, im Schankraum zu bedienen, obwohl das weit besser bezahlt wurde. Jolanna war ein Jahr jünger war als er und dennoch einen halben Kopf größer. Sie zeigte ihm vier Kupfermünzen.
"Die Wirtin war heute sehr nett zu mir", erzählte sie. "Sie sagte, ich würde sehr hübsch sein, wenn ich erwachsen bin. Was denkst du?"
Rolan hatte weit hübschere Mädchen gesehen, Mädchen mit goldenen Haaren und rosigen Gesichtern. Keine blassen Gespenster mit großen, dunklen Augen und faden braunen Haaren, aber das konnte er Jolanna schlecht sagen. Vater hatte sie immer seine Prinzessin genannt und mit kleinen Geschenken verwöhnt. Nie klagte sie über ihre abgetragenen Kleider, doch Rolan wusste, wie sehr sie sich neue Schuhe und ein besticktes Schultertuch wünschte. Doch für beides musste man in Silber bezahlen.
Sie gingen über die Brücke, die Wollstraße entlang bis sie an ein schmales Haus kamen, das schon viele Jahre auf einen neuen Anstrich wartete. Ihr Zimmer befand sich im oberen Stock. Rolan und Jolanna schlichen auf Zehenspitzen die Holztreppe hinauf. Pal, der Besitzer der Bruchbude, schlief seinen Nachmittagsrausch aus, um für den Abend gerüstet zu sein, wenn der die Wirtshäuser der Umgebung abklappern würde.
Als sie ihr Zimmer betraten, saß die Mutter vor der offenen Dachluke, ein altes Hemd von Rolans Vater auf dem Schoß. Sie blickte von ihrer Nährarbeit auf und lächelte. Es gab Rolan jedes Mal einen Stich, wenn er sie so sah. Sie war nur noch ein Schatten der fröhlichen, lebenslustigen Frau, die mit Vater gestritten und gelacht hatte. Damals, als sie noch in dem Haus im Rosenviertel gewohnt hatten, schöne Kleider tragen und sich jeden Tag satt
essen durften.
Rolan zwang sich, ein freundliches Gesicht zu machen. Er und Jolanne erzählten abwechselnd von ihrem Tag. Sanina, Rolans dreijährige Schwester, hockte in ihrem Winkel und spielte mit ihrer Lumpenpuppe. In stillschweigender Übereinkunft kleideten Rolan und Jolanna ihre Erlebnisse in heitere Anekdoten, kein Wort von Meister Gerigs Abneigung, den derben Späßen seiner Lehrlinge.
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Danke fürs Lesen!
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Das Tal der Nebelpferde
"Hier, das ist für dich." Zwei Münzen rollten in den Staub vor Rolans Füßen. Der Junge hob sie auf und schluckte.
"Ist etwas?" Meister Gerig musterte ihn. Rolan reichte dem Schmied bis kaum an die Schulter. Er war recht klein für seine dreizehn Jahre, schmal aber sehnig. Den ganzen Tag hatte der den Blasebalg betätigt und Kohlen nachgelegt, ohne sich ein einziges Mal zu beschweren, oder um eine Pause zu bitten. Willig war Rolan, trotzdem... irgendwie mochte Meister Gerig den Jungen nicht. Vielleicht lag es an der Art wie er sprach oder den Kopf hielt. Rolan schien nicht hierher zu gehören. Seine Kleider waren genauso abgerissen und schmutzig, wie die von Tarvis, Gerigs jüngstem Lehrling und wahrscheinlich hatte er seit Tagen keine ordentliche Mahlzeit gegessen. Der Schmied sah auf den braunen Schopf des Jungen hinab, sah, wie die es in ihm arbeitete. Er spürte, dass Rolan ihm die beiden Kupfermünzen am liebsten vor die Füße geworfen hätte und grinste.
Zwei Kupfermünzen! Rolan war den Tränen nahe. Den ganzen Tag hatte er sich geplagt, den Spott der Lehrjungen ertragen und das alles für zwei lumpige Kupfermünzen. Wenn er sich beeilte, würde er noch einen halben Laib altes Brot dafür bekommen, vorausgesetzt der Bäcker war guter Laune und hatte es nicht schon an die Hunde verfüttert.
Rolan sah den Schmied nicht an. Er murmelte einen Dank und ging. Tarvis hätte geheult oder wäre wie ein geprügelter Hund zur Tür hinausgeschlichen. Rolan hingegen verspürte nur kalte Wut. Nein, er würde dem Schmied nicht zeigen, wie mies er sich fühlte. Er straffte die Schultern, ohne zu ahnen, dass es kleine Gesten wie diese waren, die die Kluft zwischen ihm und dem Schmied vertieften.
"Junge! Rolan!"
Er drehte sich um. Agnes, die Frau des Meisters stand am Küchenfenster und winkte ihm zu. Rolan zwang sich zu einem Lächeln, die Meisterin hatte immer ein freundliches Wort für ihn übrig gehabt, und stellte sich vor das Fenster.
"Hier, für dich und deine Schwestern." Sie reichte ihm ein kleines Bündel. "Und jetzt lauf, ehe mein Mann dich sieht."
"Vielen Dank, Meisterin." Er lief um die Ecke, durchquerte zwei kleine Höfe bis er endlich eine stille Ecke fand. Als er das Bündel aufknotete, rollten ihm vier Äpfel entgegen. Zudem lagen noch zwei kleine Brote und ein großes Stück Käse darin.
Rolan lief das Wasser im Mund zusammen. Wie lange hatte er schon keinen Käse mehr gegessen! Meist reichte das Geld nur für etwas altes Brot, Kartoffeln und Kohl, mitunter für ein paar Karotten oder Tomaten. Hastig legte er die Äpfel wieder zwischen die Laibe und band das Bündel zu. Wenigstens würden sie heute Abend nicht hungrig zu Bett gehen.
Er lief die Gasse der Federn hinunter und bog in die Straße der Sensen ein. Am Hintereingang des "Fetten Ebers" wartete Jolanna auf ihn.
"Du bist spät", sagte sie.
"Die Meisterin hat mir etwas zu Essen mitgegeben. Wie steht es bei dir?"
Jolanna arbeitete als Spülmagd. Die Mutter hatte ihr verboten, im Schankraum zu bedienen, obwohl das weit besser bezahlt wurde. Jolanna war ein Jahr jünger war als er und dennoch einen halben Kopf größer. Sie zeigte ihm vier Kupfermünzen.
"Die Wirtin war heute sehr nett zu mir", erzählte sie. "Sie sagte, ich würde sehr hübsch sein, wenn ich erwachsen bin. Was denkst du?"
Rolan hatte weit hübschere Mädchen gesehen, Mädchen mit goldenen Haaren und rosigen Gesichtern. Keine blassen Gespenster mit großen, dunklen Augen und faden braunen Haaren, aber das konnte er Jolanna schlecht sagen. Vater hatte sie immer seine Prinzessin genannt und mit kleinen Geschenken verwöhnt. Nie klagte sie über ihre abgetragenen Kleider, doch Rolan wusste, wie sehr sie sich neue Schuhe und ein besticktes Schultertuch wünschte. Doch für beides musste man in Silber bezahlen.
Sie gingen über die Brücke, die Wollstraße entlang bis sie an ein schmales Haus kamen, das schon viele Jahre auf einen neuen Anstrich wartete. Ihr Zimmer befand sich im oberen Stock. Rolan und Jolanna schlichen auf Zehenspitzen die Holztreppe hinauf. Pal, der Besitzer der Bruchbude, schlief seinen Nachmittagsrausch aus, um für den Abend gerüstet zu sein, wenn der die Wirtshäuser der Umgebung abklappern würde.
Als sie ihr Zimmer betraten, saß die Mutter vor der offenen Dachluke, ein altes Hemd von Rolans Vater auf dem Schoß. Sie blickte von ihrer Nährarbeit auf und lächelte. Es gab Rolan jedes Mal einen Stich, wenn er sie so sah. Sie war nur noch ein Schatten der fröhlichen, lebenslustigen Frau, die mit Vater gestritten und gelacht hatte. Damals, als sie noch in dem Haus im Rosenviertel gewohnt hatten, schöne Kleider tragen und sich jeden Tag satt
essen durften.
Rolan zwang sich, ein freundliches Gesicht zu machen. Er und Jolanne erzählten abwechselnd von ihrem Tag. Sanina, Rolans dreijährige Schwester, hockte in ihrem Winkel und spielte mit ihrer Lumpenpuppe. In stillschweigender Übereinkunft kleideten Rolan und Jolanna ihre Erlebnisse in heitere Anekdoten, kein Wort von Meister Gerigs Abneigung, den derben Späßen seiner Lehrlinge.
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Danke fürs Lesen!