einsame wölfin
Träumerin in den Zeiten
Nach langer Abwesenheit zieht es mich doch wieder hierher zurück
Erstmal die Plfichtangaben:
Autor: Ich, einsame wölfin
Titel: der perfekte Titel fehlt noch, vorläufig: Mai und Lyle
Teile: ich schätze ca. 15 Kapitel
Genre: Action, Drama, Fantasy, Romanze alles mögliche eben
Serie (Original oder Fanfiction): Original
Disclaimer: Die Geschichte ist mein geistiges Eigentum, sollte es Ähnlichkeiten zu Personen/Handlungen geben, so sind diese nicht beabsichtigt.
Die Story ist auf meinem PC schon relativ weit entwickelt, aber nach monatelanger Arbeit alleine, nur der Bildschirm und ich, möchte ich jetzt doch gerne ausprobieren, wie meine Ideen von den Lesern empfunden werden. Ich stecke mittlerweile gedanklich so tief drin, dass mir der Blick von oben fehlt und um genau den bitte ich euch.
Kommentare und Kritik sind ausdrücklich erwünscht
Kapitel 1
Es war kein guter Tag. Mal abgesehen von den eisigen Nebelschwaden, die vor dem Fenster die Landschaft in ein unheimliches Grau tauchten, war es vor allem seine Laune. Die war heute auf dem ultimativen Tiefpunkt und dass er auch noch da raus musste, um sich mit ein paar wild gewordenen Kabeln zu duellieren, machte die Sache noch schlimmer. Außerdem stand sein bester Freund und Weggefährte schon seit geschlagenen fünf Minuten in seiner Zimmertüre und war der Meinung, er würde es nicht bemerken. Lyle verzog die Lippen zu einem abschätzigen Lächeln, wirbelte herum und drückte Raphael die blank polierte Klinge seines Langschwertes gegen die Halsschlagader.
„Ich hab dir schon mal gesagt, dass du das lassen sollst.“ Raphael schnappte erschrocken nach Luft und das geschah ihm ganz recht. Lyle ließ das Schwert sinken und konnte sich bei dem vorwurfsvollen Blick seines Mitbewohners, der sich jetzt auch noch den Hals massierte, ein schafendrohes Grinsen nicht verkneifen.
„Manchmal hab ich das Gefühl, dass du vergisst, dass wir so was wie Freunde sind.“ Was schlich sich Raphael auch einfach so merkwürdig an und beobachtete ihn die ganze Zeit. Er hasste das.
„Was willst du?“ Seine Stimme klang finsterer als beabsichtigt und er registrierte, wie Raphael ihn nun mit einem Hauch von Sorge musterte. Noch schlimmer.
„Gehst du noch weg?“
„Ja.“
„Darf ich fragen wohin?“
„Ein Auftrag.“ Raphael sah ihn durchdringend an, ein Blick, der normalerweise zu Lyles Repertoire gehörte.
„Und was für ein Auftrag?“
„Das geht dich nichts an.“ Ob er wollte oder nicht.
„Natürlich nicht.“ Raphael verdrehte die Augen und Lyle ließ das Schwert in den Waffengurt gleiten und warf ihn sich, wie immer, über den Rücken.
„Ich hab zu tun, lass mich durch.“ Unsanft schob er sich an Raphael vorbei. Er musste die Sache erledigen bevor es dunkel wurde.
„Lyle, warte.“
„Was?“
„Wir sind heute Abend in der kleinen Kneipe am Kirchplatz, wenn du Lust hast, kannst du ja auch vorbei kommen.“
„Wir?“ Skeptisch zog er eine Augenbraue in die Höhe und musterte seinen besten Freund. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was wir bedeutete.
„Na ich und ein paar unserer Kollegen. Und ohne dir zu nahe treten zu wollen, es würde dir nicht schaden mal wieder unter Menschen zu kommen.“
„Natürlich.“ War er nicht ständig unter Menschen wenn er arbeitete? Reichte das nicht?
„Ich mein das ernst.“
„Pff.“ Er war alt genug um selbst über seine sozialen Kontakte zu entscheiden. Beschwichtigend hob Raphael die Hände und trat an die Voliere um Mailoon zu begrüßen. Der Turmfalke stieß ein warnendes Fauchen aus und hastig zog sich sein Mitbewohner zurück. Lyle verdrehte die Augen, die beiden würde wohl auch nie warm miteinander werden.
„Komm schon, Lyle, ich geb dir auch ein Bier aus, hm?“
„Hältst du dich für meinen Beschäftigungstherapeut?“
„Bist du wahnsinnig? Ich hab nicht vor depressiv zu werden“, feixte Raphael.
„Zu Schade.“
„Und wenn ich ganz lieb bitte sage?“ Seinen besten Dackelblick aufsetzend, sah Raphael ihn an und Lyle musste gegen seinen Willen lachen.
„Ist ja gut.“ Er fuhr sich seufzend durch die Haare.
„Vielleicht komm ich vorbei.“ Er verabschiedete sich mit einem knappen Nicken. Raphael meinte es nur gut und das wusste er auch. Dennoch stand ihm der Sinn eigentlich nicht nach einem Abend in der Kneipe. Außerdem hatte er noch eine Aufgabe.
Die Kälte raubte ihm im ersten Moment schier den Atem. Seit der Katastrophe vor einem Jahr schien sich das Klima rapide zu verändern und die Jahreszeiten gerieten dabei durcheinander. Kein Wunder, dass es kaum noch Pflanzen in der Stadt gab. So vergrub Lyle das Gesicht in seinem Schal und klappte den Kragen der Lederjacke nach oben und versuchte nicht daran zu denken, dass es im Frühsommer eigentlich nicht so kalt sein dürfte. Mit festen Schritten verließ er die großzügige Holzplattform des Regierungsturms und trat auf den schmalen Bretterweg. Es galt ein paar Kabel abzuschneiden, damit die Bauarbeiten an den Holzstegen weiter gehen konnten. Wieso hatte er diesen verfluchten Job nicht einfach abgelehnt?
Es hatte immer noch nicht angefangen zu regnen und er war mehr als froh darüber. Die Dunkelheit fraß sich durch die Häuserruinen, als Lyle auf dem Weg in die Kneipe war. Alles hatte geklappt wie er es geplant hatte und er war zufrieden. Daher wohl auch die Entscheidung Raphael tatsächlich den Gefallen zu tun und zu einem Männerabend unter Kollegen zu gehen. Etwas wovor es Lyle regelrecht graute, aber er wusste auch, dass er Raphael bei Laune halten musste. In letzter Zeit war er mehr als anstrengend gewesen und er rechnete es seinem Mitbewohner hoch an, dass er es überhaupt mit ihm aushielt. Und gegen ein Feierabendbier war nichts einzuwenden, er hatte es sich verdient.
Lyle erreichte die ersten beleuchteten Häuser und drang in den Teil der Stadt vor, der belebt war. Das Haus, in dem sich die Kneipe befand war kaum zerstört worden und bot eine der wenigen Möglichkeiten auszugehen. Innen drin war es hoffnungslos überfüllt und Lyle knirschte mit den Zähnen. Menschen, überall Menschen, die sich rücksichtslos aneinander vorbei schoben, laut redeten und dem Alkohol frönten. Sein Blick schweifte durch den niedrigen Raum, mit der holzvertäfelten Decke und den vielen kleinen Tischchen und Hockern. Er erkannte Raphaels blonden Haarschopf an einem der Tische hinter dem sich ein riesiges Bücherregal auftürmte. Aus Neugierde blätterte er manchmal in einem der verstaubten Werke. Zufrieden registrierte Lyle, wie die Menschen ihm Platz machte und er dankte der Waffe an seinem Rücken für den offensichtlichen Respekt, den sie einflösste.
„Hey.“ Raphael sah ihn strahlend an und Lyle reagierte mit einem genervten Augenrollen. Er kam sich vor wie ein Vater, dessen Kind seit Stunden auf ihn gewartet hatte.
„Beschaff mir einen Stuhl, ich hol mir ein Bier.“ Sein Mitbewohner nickte grinsend und Lyle drehte sich in Richtung Theke. Kurz beugte er sich zu Raphael hinunter, legte das Schwert auf den Tisch und wollte wissen:
„Und das findest du gut?“
„Hä?“
„Na das?“ Lyle machte eine Bewegung, die den Raum beschrieb. Enge, Menschen, schmutzige Tische und der Geruch von Alkohol.
„Klar.“
„Klar…“ Wieso fragte er auch.
Kopfschüttelnd machte sich Lyle auf den Weg und verzog das Gesicht bei jeder unfreiwilligen Berührung mit anderen Menschen. Er reihte sich in die Schlange an der Theke ein und kämpfte seine Ungeduld nieder. Vor ihm stand ein Riese, so dass der Versuch einen Blick auf die Karte zu erhaschen recht aussichtslos war. Lyle sah sich prüfend um. Die Mischung aus Männlein und Weiblein wirkte erstaunlich ausgeglichen. Viele der Frauen kokettierten mit kurzen Kleidchen und rot geschminkten Lippen, die Männer glotzen und sabberten. Eigentlich wie immer, hatte er etwas anderes erwartet? Schräg vor ihm stand eine junge Frau mit naturroter Lockenmähne, die nicht nur seine Aufmerksamkeit erregte. Obwohl er sie nur von hinten sehen konnte, ging von ihr eine besondere Ausstrahlung aus, auch wenn Lyle es nicht in Worte fassen konnte, es war viel mehr ein Gefühl. Der vollbärtige Mann, der hinter ihr stand schien das ähnlich zu sehen, allerdings reagierte er völlig unpassend. Lyle beobachtete mit aufkeimender Wut, wie sich der Mann immer näher an die junge Frau drängte und sich ein breites Grinsen auf seinen Lippen abzeichnete. Er schien sich zu amüsieren. Unter der dünnen Strickjacke der jungen Frau konnte er die angespannten Muskeln sehen, sie schien kurz davor zu stehen dem Arschloch eine zu knallen. Nun, verdient hätte er es. Er überlegte noch ob er eingreifen sollte, da war zwischen den beiden Körpern plötzlich keine Luft mehr, Hautkontakt. Sie fuhr herum, Lyle sah fasziniert zu, wie die Lockenmähne in der Luft wirbelte und ihre Hand zielsicher die Wange des Mannes traf. Dieser taumelte mit einem überraschten Laut zurück und presste seine Hand auf die Stelle in seinem Gesicht, an der sich ein roter Abdruck abzeichnete. Lyle lächelte schadenfroh, wurde aber fast sofort wieder ernst, als er die Wut in den Augen des imposant wirkenden Mannes wahrnahm.
Die Menschen, die um die Szenerie herum standen, wichen etwas zurück, Spannung lag in der Luft, aber niemand machte Anstalten einzugreifen. Lyle gab seinen Platz in der Schlange mit leisem Bedauern auf und schob sich zwischen den Typen und dem roten Lockenkopf, ehe die Situation vollends eskalieren konnte. Im ersten Moment erntete er Verblüffung von beiden Seiten. Während Lyle der jungen Frau ein beruhigendes Lächeln zuwarf, schnaubte der Mann gereizt auf.
„Ich denke das reicht.“ Lyle sah ihm fest in die Augen. Aus der Verblüffung wurde blanke Wut, gemischt mit geringfügiger Verwirrung. Dennoch war es der Mann, der den Blick als Erstes senkte. Lyle nahm sich die Zeit ihn genauer zu betrachten. Er wirkte im ersten Moment dick, aber dieser Eindruck täuschte. Viel eher hatte er es hier mit einem gut gebauten, aber sehr kräftigen Gegner zu tun, den er nicht unterschätzen sollte. Der etwas unstete Blick und das schwere Schnaufen machten Lyle klar, dass hier das ein oder andere Bier bereits geflossen war.
„Verschwinde, Junge.“ Die Stimme war ein schweres Poltern und hatte die Macht Menschen einzuschüchtern. Lyle vermutete es, denn er erkannte die Irritation, als er einfach gar nicht reagierte und ihn nur weiter unverwandt anstarrte.
„Bist du taub, du sollst verschwinden.“
„Und wenn nicht?“ Lyle zog provozierend eine Augenbraue in die Höhe und spürte, wie er langsam wütend wurde. Er hatte schlicht und ergreifend ein Bier bestellen wollen und sicherlich nicht vorgehabt eine Schlägerei oder dergleichen vom Zaun zu brechen. Aber irgendetwas schien er auszustrahlen, dass er schlechte Situationen nahezu anzog wie das Licht die Motten. Der Mann kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, was wohl bedrohlich wirken sollte. Lyle lächelte kühl und verschränkte die Hände vor der Brust.
„Du willst also Ärger Bürschchen?“ Tatsächlich wirkte selbst Lyle klein und zerbrechlich neben dem imposanten Mann. Die Betonung lag auf wirkte. Jemand zupfte an seinem T-Shirt und als Lyle den Kopf wandte, sah er direkt in das sommersprossige Gesicht der jungen Frau, die er so ritterlich verteidigte. Katzengrüne Augen sahen ihn stechend an und fast hatte er das Gefühl in sein eigenes Gesicht zu blicken. Er wusste zu gut um seinen Blick und diese Frau schien ihn ebenfalls zu beherrschen. Allerdings verstand Lyle nicht, weswegen sie ihn so musterte und nicht den widerlichen Typen hinter ihm.
„Danke, ich denke den Rest schaff ich auch alleine.“ Sie lächelte dünn und wandte sich dem bärtigen Mann mit dem roten Handabdruck auf der Wange zu.
„Ich will keinen Ärger, also lassen sie mich einfach in Ruhe.“ Lyle nahm den intensiven Geruch von Alkohol wahr, als sich der Mann vorbeugte und die junge Frau anstierte. Dass er immer noch zwischen den beiden stand, schien ihn nicht zu interessieren. Kurzerhand trat Lyle zur Seite. Er hatte keine Lust diesem Mann näher als nötig zu kommen. Eben dieser blinzelte und grabschte dann nach den roten Locken. Lyle knirschte mit den Zähnen und ging erneut dazwischen, dieses Mal allerdings nicht mehr kompromissbereit. Mit einer wütenden Bewegung packte er seinerseits in den braunen Haarschopf des Mannes und zerrte ihn mit roher Gewalt weg von seinem Opfer und gegen eine der Säulen, die die Kneipe so charakteristisch machten. Es gab einen dumpfen Aufprall und sein Gegner grunzte schmerzhaft. Na hoffentlich hatte das auch wirklich weh getan. Lyle verzog abfällig die Lippen, als sich der Bärtige mühsam aufrichtete und ihn aus wütend funkelnden Augen fixierte.
„Du, du kleiner Bastard.“ Natürlich… jetzt war er der Böse, dabei hatte er nur ein Bier bestellen wollen und es nicht auf fremde Frauen abgesehen gehabt.
Tumult brach aus, Menschen wichen weiter zurück. Mit leiser Erleichterung registrierte Lyle, dass eine Frau neben dem roten Lockenkopf stand und einen Arm um ihre Schulter gelegt hatte. Das Katzengrün schien sich allerdings derartig auf ihn fokussiert zu haben, dass es Lyle schwer fiel sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Und so traf ihn der Schlag ziemlich derb an der Schläfe. Im ersten Moment sah er buchstäblich Sterne, dann wurde er in die Realität zurück geschmissen. Schmerz breitete sich in seiner linken Gesichtshälfte aus und er spürte warmes Blut seine Wange hinab laufen. Na prima. Einen Kampf mit wild gewordenen Kabeln überstand er schadlos, aber in einer Kneipenrauferei ging er unter. Das war peinlich. Lyle schüttelte den Kopf und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Stattdessen konzentrierte er sich auf den bärtigen Mann, der jetzt zufrieden grinste und auffordernd die Faust in seine Hand klatschen ließ.
„Ich geb dir noch eine letzte Chance Bürschchen. Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen.“ Dummerweise ging es ihn spätestens jetzt etwas an. Ungestraft ließ er sich ganz bestimmt nicht schlagen. Lyle sah den Typen abschätzend an. In nüchternem Zustand wäre er vermutlich ein ernstzunehmender Gegner, aber in betrunkenem Zustand wirkte er eher, wie ein zu groß geratenes Kind. Die Bewegungen waren unkoordiniert und langsam. Aber Wut war gefährlich und eben diese zeichnete sich deutlich in dem bärtigen Gesicht ab.
„Nun, ich würde vorschlagen sie verziehen sich möglichst schnell aus dieser Lokalität und im Gegenzug breche ich ihnen nicht jeden Knochen einzeln.“ Gut, dass klang nicht sehr bescheiden, aber Lyle hatte keine Lust mehr sich den Abend zu versauen. Der Mann riss nur ungläubig die Augen auf, ein Stuhl scharte und er konnte Raphael Stimme über die Menge hinweg hören.
„Lyle?“ Es klang alarmiert, er schüttelte den Kopf und winkte zu seinem Mitbewohner hinüber.
„Besorg mir ein Bier, ich hab noch zu tun.“ Raphael lachte und rief ein fröhliches:
„Viel Spaß“, über die Menschen hinweg. Den würde er sicherlich haben.
„Du machst dich wohl lustig über mich, hä!“ Die Stimme des Mannes zitterte vor Zorn, Lyle hob den Kopf und sah ihn an.
„Nein.“ Er lächelte dünn und griff ohne Warnung an.
Mit einer geschmeidigen Bewegung fegte er um seinen Gegner herum, ergriff dessen Arm und nutzte seinen eigenen Schwung um den Mann über seine Schulter und in eine Tischgruppe fallen zu lassen. Es schepperte laut und erschrockene Rufe waren zu hören. Kurz registrierte Lyle, dass einer seiner Kollegen zu dem Barkeeper getreten war und ihm vermutlich gerade erklärte, dass die Regierungseinheit schon längst da war. Lyle konzentrierte sich wieder auf den Mann, der sich stöhnend aufrichtete und ihn mit einem Blick, der fast an Mordlust grenzte musterte. Ein spöttisches Lächeln konnte er sich einfach nicht verkneifen, als er den Angreifer heran stürzen ließ und ihm dann ein Bein stellte. Erneut landete der arme Kerl an einer Säule und Lyle entschloss sich nicht länger zu spielen. Er wartete bis der Mann wieder auf den Beinen war und er seine Aufmerksamkeit hatte und versuchte ein versöhnliches Lächeln aufzusetzen.
„Gehen sie doch einfach nach Hause und schlafen ihren Rausch aus.“ Für einen Moment schien sein Gegner tatsächlich darüber nachzudenken, dann gewann die Wut wohl wieder Oberhand und Lyle beendete die Prügelei mit einem gezielten Schlag gegen seine Schläfe. Die Augen des Mannes verdrehten sich paradox und dann sackte er vor Lyle in die Knie. Nachdenklich sah er auf ihn hinab und er spürte ein leises Bedauern. Wieso musste es eigentlich immer so weit kommen? Der Barkeeper und ein Kellner drängten sich an Lyle vorbei und hievten den Mann mit einiger Mühe zur Türe. Nun vielleicht würde er heute ja doch noch zu seinem Bier kommen. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und dieses Mal wichen sie ihm alle aus. Na, es hatte seine Vorteile sich in menschenüberfüllten Kneipen zu prügeln.
„Warte.“ Als er sich widerwillig umdrehte und die junge Frau erkannte, seufzte er leise.
„Bist du in Ordnung?“ Sie sah ihn besorgt an und Lyle runzelte die Stirn.
„Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich so schwächlich wirke.“ Sie verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln, aber ihre Augen blieben ernst. Sehr irritierende Augen, sie hatten wirklich etwas von einer Katze und wirkten irgendwie… alt.
„Du bist verletzt.“ Verletzt? Lyle tastete kurz nach seiner Schläfe und betrachtete das Blut an seinen Fingerspitzen.
„Ein Kratzer.“ Er lächelte müde und wandte sich um und lief mit schnellen Schritten zu dem Tisch an dem Raphael saß, der ihm gnädigerweise einen Stuhl und ein Bier organisiert hatte.
„Danke.“ Er nahm einen Schluck von dem kühlen Getränk.
„Lebt er noch der arme Kerl?“ Raphael klopfte ihm lachend auf die Schulter und Lyle grinste breit.
„Er wird durchkommen.“
„Na da bin ich aber beruhigt. Nicht dass du unserem Image schadest, dann müsstest du dir nämlich einen anderen Tisch suchen.“
„Gott bewahre.“
„Was war denn los?“
„Das übliche.“ Lyle runzelte die Stirn, als er die junge Frau sah, die den Tisch ansteuerte.
„Hübsches Ding, Geschmack hast du, dass muss man dir lassen.“ Verärgert sah Lyle seinen Mitbewohner an.
„Darum ging es nicht.“
„Na was nicht ist, kann ja noch werden, Alter.“
„Nenn mich nicht so.“ Warnend funkelte er seinen besten Freund an.
„Darf ich?“ Beide sahen sie hoch, zu der jungen Frau, die Anstalten machte sich auf den freien gewordenen Stuhl neben Lyle zu setzen. Ehe dieser etwas erwidern konnte, nickte Raphael begeistert.
„Aber gerne, setz dich.“ Lyle warf ihm einen tödlichen Blick zu, aber Raphael grinste nur breit und beugte sich etwas vor, um besser mit ihr sprechen zu können.
„Alles in Ordnung bei dir?“ Raphael hatte eine beneidenswerte Art mit Menschen völlig locker ins Gespräch zu kommen. Die junge Frau fixierte allerdings nicht seinen besten Freund, sondern ihn mit ihren merkwürdigen Augen, schien kurz über die Frage nachzudenken und nickte dann.
„Ich denke schon. Ich, ich wollte mich nur kurz bedanken.“ Das Wort Danke wollte nicht so leicht über ihre Lippen kommen und Lyle spürte einen Hauch von Sympathie in sich aufsteigen.
„Schon gut.“ Er winkte ab.
„Nicht jeder hätte das getan.“
„Du kannst von Glück sagen, dass du an Lyle, den Retter der Hilflosen, geraten bist. Er treibt sich zwar manchmal an merkwürdigen Orten rum, aber im Prinzip ist er immer zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle.“ Beizeiten sollte er mal ein ernstes Wort mit Raphael reden. Die junge Frau warf einen verunsicherten Blick zwischen ihm und Raphael hin und her.
„Ich bin übrigens Mai.“ Ehe er etwas erwidern konnte, hatte erneut Raphael das Wort ergriffen und Lyle begriff, dass sein Freund ebenfalls schon etwas über den Durst getrunken haben musste. So dumm war er normalerweise nicht.
„Dein Retter hier heißt Lyle und ich bin Raphael, so was wie sein bester Freund.“
„Aha.“ Irrte er sich, oder entdeckte er da ein belustigtes Funkeln in ihren Augen? Sie schwiegen eine Weile und Lyle begnügte sich damit ein Schluck von seinem Bier zu trinken.
„Ich verstehe, ich störe.“ Raphael machte ein zerknirschtes Gesicht und auf Lyles verständnislosen Blick fügte er feixend hinzu.
„Ich möchte dem jungen Liebesglück natürlich nicht im Wege stehen, also wenn ich euch alleine lassen soll, dann sagt es mir.“ Raphael wollte ihm kumpelhaft auf die Schulter klopfen, aber Lyle hatte genug von seinen Witzen und war einen Sekundenbruchteil schneller als Raphael und verdrehte ihm den Arm so, dass der andere aufschrie.
„Du bist ein Idiot, Raphael.“ Der Angesprochene brachte ein schmerzerfülltes Ächzen zustande und Lyle ließ ihn unsanft los. Ohne sich noch einmal umzudrehen, griff er nach dem Schwert und verließ die Kneipe. Er wollte nach Hause und seine Ruhe.
„Ähm.“
„Was?“ Gereizt fuhr er herum und prallte zurück, als er Mai erkannte.
„Ich, ich wollte nur fragen, ob ich vielleicht ein Stückchen mitkommen könnte.“
„Mitkommen?“ Das hatte ihm noch gefehlt. Die kühle Abendluft umfing ihn und er hatte endlich das Gefühl vernünftig atmen zu können. Es war neblig geworden und die Kälte fraß sich fast augenblicklich durch seinen Körper. Eisnebel.
„Also, du sollst wegen mir keinen Umweg machen, aber vielleicht müssen wir ja in die gleiche Richtung. Um ehrlich zu sein hab ich ein bisschen Angst jetzt alleine nach Hause zu gehen, nachdem… Vorfall eben.“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an und Lyle seufzte ergeben.
„Wo musst du denn hin?“ Sie deutete zaghaft auf den unbeleuchteten Teil der Stadt. Nur gut, dass das Regierungsgebäude, indem seine und Raphaels Wohnung war, ebenfalls in der Richtung lag.
„Na dann los.“ Lyle klappte den Kragen seiner Lederjacke hoch und marschierte los, die junge Frau schloss sich ihm an.
„Noch mal danke wegen vorhin.“ Sie sah ihm offen ins Gesicht und das gefiel Lyle. Die wenigstens Menschen sahen ihn so unbefangen an. Und es wunderte ihn auch ein bisschen, einen besonders sympathischen Eindruck konnte er nicht gemacht haben, auch wenn er ihr geholfen hatte.
„Schon gut.“
„Ich versteh nicht, wieso mir so was immer wieder passiert.“ Sie strich sich eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Lyle musterte sie nachdenklich.
„Menschen eben.“ Mai sah ihn an.
„Das hört sich ziemlich abgeklärt an.“
„Hm.“ Sie schwiegen und Lyle war es recht. Die Beleuchtung nahm immer weiter ab und bald liefen sie fast in vollkommener Dunkelheit über die Holzstege. Der Nebel grub sich durch seine Jacke und Lyle fror bereits jetzt, obwohl sie noch nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft hatten. Neben ihm klapperte Mai leise mit den Zähnen und hatte ihren Oberkörper mit den Armen umschlugen, um sich wenigstens etwas zu wärmen.
„Wo genau musst du hin?“ Sie hob kurz den Kopf, er konnte sie nur als Schemen neben sich erkennen.
„Zu den Häusern bei dem neuen Steg.“ Lyle nickte, er hatte es sich schon gedacht. Irgendwo in seinen Erinnerungen meinte er sie schon einmal gesehen zu haben. Vermutlich beim Arbeiten, wobei er nicht besonders auf andere Menschen achtete. Sie gab auf einmal einen erschrocken Laut von sich und Lyle konnte gerade noch rechtzeitig zu packen, bevor sie auf das Teerfeld hinab gestolpert wäre.
„Scheiße.“ Mai klammerte sich zitternd an ihn und Lyle spürte eine ungewohnte Wärme durch seinen Körper schießen. Es war lange her, dass er einem Menschen so nahe gekommen war.
„Jetzt muss ich mich schon wieder bedanken.“ Mai löste sich von ihm, blieb aber so nah neben ihm stehen, dass sich ihre Körper immer noch berührten.
„Schon gut. Du solltest nachts nicht unterwegs sein, wenn du den Weg nicht kennst.“
„Aber du kennst ihn.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Ich hab ihn größtenteils gebaut.“
„Dann bist du einer von den Bauarbeitern, die gerade an dem neuen Stück arbeiten?“
„Nein.“
„Nein?“
„Ich baue zwar auch, bin aber vor allem für die Sicherheit der Männer zuständig.“
„Dann bist du bei der Regierungseinheit?“
„Ja.“
„Oh.“ Sie schaute ihn an, er spürte es mehr, als dass er es in der Dunkelheit sah.
„Dann hätte ich mir gar nicht solche Sorgen machen müssen.“
„Sorgen?“
„Na wegen der Prügelei.“ Es hatte zwar seine Vorteile unterschätzt zu werden, aber Lyle mochte es nicht.
„Nein.“
Sie schwiegen wieder eine Weile. Der Nebel hinterließ kleine Tröpfchen aus eisiger Kälte in seinem Gesicht und Lyle griff noch etwas schneller aus.
„Du sprichst nicht besonders gerne, oder?“
„Nein.“ Er meinte sie nicken zu sehen, war sich aber nicht sicher.
„Schade eigentlich.“ Verwundert runzelte er die Stirn.
„Wieso?“
„Du bist interessant.“ Sollte er das als Kompliment auffassen?
„Hm.“ Sie lachte leise.
„Vielleicht macht dich aber deine Schweigsamkeit noch interessanter“, überlegte sie laut und Lyle konnte ihren Blick auf sich spüren, als würde sie ihn berühren.
„Sehr beruhigend“, meinte er lakonisch und dirigierte sie behutsam wieder in die Mitte des Steges. Auf einen Kampf mit einem Teerfeld hatte er wirklich keine Lust mehr heute. Er konnte die schwachen Lichter der Polizeistation sehen und atmete innerlich auf.
„Du und dein Freund, geht ihr immer so miteinander um?“
„Manchmal.“
„Das sah ganz schön brutal aus.“ Sie sagte es zögernd und er konnte spüren, dass sie angespannt war. Hatte sie Angst vor ihm?
„Er ist ein Idiot.“
„Ein armer Idiot.“
„Sein Pech.“
„Du bist ganz schön hart.“
„Schon möglich.“ Das Leben war hart. Aber das musste er eigentlich niemandem mehr erklären, seit der schrecklichen Katastrophe, die sie alle heimgesucht hatte.
„Aber du hast einen weichen Kern.“
„Tatsächlich?“ Die Vorstellung gefiel ihm nicht und der Verlauf ihres Gespräches verwirrte ihn.
„Natürlich, sonst hättest du mich nicht verteidigt, dabei kannten wir uns noch nicht mal.“
„Das war selbstverständlich.“
„Nicht für jeden, du warst der Einzige, schon vergessen?“
„Dann hattest du ja Glück, dass ich da war.“
„Allerdings.“
Sie drehte sich zu ihm um, so dass Lyle stehen bleiben musste. Er konnte Mai erkennen, wie sie vor ihm stand, Dampfwölkchen schwebten von ihrem Mund in die Luft, aber in ihren Augen lag ein Funkeln, das ihn gefangen hielt. Von dem imposanten Regierungsturm drang schummriges Licht zu ihnen auf den Steg.
„Danke für die Wegbegleitung.“ Sie lächelte, ihre Hand legte sich zu Lyles Erstaunen auf seine vermutlich mittlerweile angeschwollene Wange. Kälte grub sich noch tiefer, aber in ihrem Blick lag eine Wärme, die er so noch nie gesehen hatte.
„Gute Nacht, Lyle.“ Sie sprach seinen Namen merkwürdig weich aus, dann löste sie den Kontakt zwischen ihnen. Ihr Rock umspielte ihre Gestalt, als sie sich umdrehte und dann in den Nebelschwaden verschwand, wie ein Geist. Lyle blieb perplex zurück und berührte vorsichtig seine Wange.

Erstmal die Plfichtangaben:
Autor: Ich, einsame wölfin
Titel: der perfekte Titel fehlt noch, vorläufig: Mai und Lyle
Teile: ich schätze ca. 15 Kapitel
Genre: Action, Drama, Fantasy, Romanze alles mögliche eben

Serie (Original oder Fanfiction): Original
Disclaimer: Die Geschichte ist mein geistiges Eigentum, sollte es Ähnlichkeiten zu Personen/Handlungen geben, so sind diese nicht beabsichtigt.
Die Story ist auf meinem PC schon relativ weit entwickelt, aber nach monatelanger Arbeit alleine, nur der Bildschirm und ich, möchte ich jetzt doch gerne ausprobieren, wie meine Ideen von den Lesern empfunden werden. Ich stecke mittlerweile gedanklich so tief drin, dass mir der Blick von oben fehlt und um genau den bitte ich euch.
Kommentare und Kritik sind ausdrücklich erwünscht
Kapitel 1
Es war kein guter Tag. Mal abgesehen von den eisigen Nebelschwaden, die vor dem Fenster die Landschaft in ein unheimliches Grau tauchten, war es vor allem seine Laune. Die war heute auf dem ultimativen Tiefpunkt und dass er auch noch da raus musste, um sich mit ein paar wild gewordenen Kabeln zu duellieren, machte die Sache noch schlimmer. Außerdem stand sein bester Freund und Weggefährte schon seit geschlagenen fünf Minuten in seiner Zimmertüre und war der Meinung, er würde es nicht bemerken. Lyle verzog die Lippen zu einem abschätzigen Lächeln, wirbelte herum und drückte Raphael die blank polierte Klinge seines Langschwertes gegen die Halsschlagader.
„Ich hab dir schon mal gesagt, dass du das lassen sollst.“ Raphael schnappte erschrocken nach Luft und das geschah ihm ganz recht. Lyle ließ das Schwert sinken und konnte sich bei dem vorwurfsvollen Blick seines Mitbewohners, der sich jetzt auch noch den Hals massierte, ein schafendrohes Grinsen nicht verkneifen.
„Manchmal hab ich das Gefühl, dass du vergisst, dass wir so was wie Freunde sind.“ Was schlich sich Raphael auch einfach so merkwürdig an und beobachtete ihn die ganze Zeit. Er hasste das.
„Was willst du?“ Seine Stimme klang finsterer als beabsichtigt und er registrierte, wie Raphael ihn nun mit einem Hauch von Sorge musterte. Noch schlimmer.
„Gehst du noch weg?“
„Ja.“
„Darf ich fragen wohin?“
„Ein Auftrag.“ Raphael sah ihn durchdringend an, ein Blick, der normalerweise zu Lyles Repertoire gehörte.
„Und was für ein Auftrag?“
„Das geht dich nichts an.“ Ob er wollte oder nicht.
„Natürlich nicht.“ Raphael verdrehte die Augen und Lyle ließ das Schwert in den Waffengurt gleiten und warf ihn sich, wie immer, über den Rücken.
„Ich hab zu tun, lass mich durch.“ Unsanft schob er sich an Raphael vorbei. Er musste die Sache erledigen bevor es dunkel wurde.
„Lyle, warte.“
„Was?“
„Wir sind heute Abend in der kleinen Kneipe am Kirchplatz, wenn du Lust hast, kannst du ja auch vorbei kommen.“
„Wir?“ Skeptisch zog er eine Augenbraue in die Höhe und musterte seinen besten Freund. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was wir bedeutete.
„Na ich und ein paar unserer Kollegen. Und ohne dir zu nahe treten zu wollen, es würde dir nicht schaden mal wieder unter Menschen zu kommen.“
„Natürlich.“ War er nicht ständig unter Menschen wenn er arbeitete? Reichte das nicht?
„Ich mein das ernst.“
„Pff.“ Er war alt genug um selbst über seine sozialen Kontakte zu entscheiden. Beschwichtigend hob Raphael die Hände und trat an die Voliere um Mailoon zu begrüßen. Der Turmfalke stieß ein warnendes Fauchen aus und hastig zog sich sein Mitbewohner zurück. Lyle verdrehte die Augen, die beiden würde wohl auch nie warm miteinander werden.
„Komm schon, Lyle, ich geb dir auch ein Bier aus, hm?“
„Hältst du dich für meinen Beschäftigungstherapeut?“
„Bist du wahnsinnig? Ich hab nicht vor depressiv zu werden“, feixte Raphael.
„Zu Schade.“
„Und wenn ich ganz lieb bitte sage?“ Seinen besten Dackelblick aufsetzend, sah Raphael ihn an und Lyle musste gegen seinen Willen lachen.
„Ist ja gut.“ Er fuhr sich seufzend durch die Haare.
„Vielleicht komm ich vorbei.“ Er verabschiedete sich mit einem knappen Nicken. Raphael meinte es nur gut und das wusste er auch. Dennoch stand ihm der Sinn eigentlich nicht nach einem Abend in der Kneipe. Außerdem hatte er noch eine Aufgabe.
Die Kälte raubte ihm im ersten Moment schier den Atem. Seit der Katastrophe vor einem Jahr schien sich das Klima rapide zu verändern und die Jahreszeiten gerieten dabei durcheinander. Kein Wunder, dass es kaum noch Pflanzen in der Stadt gab. So vergrub Lyle das Gesicht in seinem Schal und klappte den Kragen der Lederjacke nach oben und versuchte nicht daran zu denken, dass es im Frühsommer eigentlich nicht so kalt sein dürfte. Mit festen Schritten verließ er die großzügige Holzplattform des Regierungsturms und trat auf den schmalen Bretterweg. Es galt ein paar Kabel abzuschneiden, damit die Bauarbeiten an den Holzstegen weiter gehen konnten. Wieso hatte er diesen verfluchten Job nicht einfach abgelehnt?
Es hatte immer noch nicht angefangen zu regnen und er war mehr als froh darüber. Die Dunkelheit fraß sich durch die Häuserruinen, als Lyle auf dem Weg in die Kneipe war. Alles hatte geklappt wie er es geplant hatte und er war zufrieden. Daher wohl auch die Entscheidung Raphael tatsächlich den Gefallen zu tun und zu einem Männerabend unter Kollegen zu gehen. Etwas wovor es Lyle regelrecht graute, aber er wusste auch, dass er Raphael bei Laune halten musste. In letzter Zeit war er mehr als anstrengend gewesen und er rechnete es seinem Mitbewohner hoch an, dass er es überhaupt mit ihm aushielt. Und gegen ein Feierabendbier war nichts einzuwenden, er hatte es sich verdient.
Lyle erreichte die ersten beleuchteten Häuser und drang in den Teil der Stadt vor, der belebt war. Das Haus, in dem sich die Kneipe befand war kaum zerstört worden und bot eine der wenigen Möglichkeiten auszugehen. Innen drin war es hoffnungslos überfüllt und Lyle knirschte mit den Zähnen. Menschen, überall Menschen, die sich rücksichtslos aneinander vorbei schoben, laut redeten und dem Alkohol frönten. Sein Blick schweifte durch den niedrigen Raum, mit der holzvertäfelten Decke und den vielen kleinen Tischchen und Hockern. Er erkannte Raphaels blonden Haarschopf an einem der Tische hinter dem sich ein riesiges Bücherregal auftürmte. Aus Neugierde blätterte er manchmal in einem der verstaubten Werke. Zufrieden registrierte Lyle, wie die Menschen ihm Platz machte und er dankte der Waffe an seinem Rücken für den offensichtlichen Respekt, den sie einflösste.
„Hey.“ Raphael sah ihn strahlend an und Lyle reagierte mit einem genervten Augenrollen. Er kam sich vor wie ein Vater, dessen Kind seit Stunden auf ihn gewartet hatte.
„Beschaff mir einen Stuhl, ich hol mir ein Bier.“ Sein Mitbewohner nickte grinsend und Lyle drehte sich in Richtung Theke. Kurz beugte er sich zu Raphael hinunter, legte das Schwert auf den Tisch und wollte wissen:
„Und das findest du gut?“
„Hä?“
„Na das?“ Lyle machte eine Bewegung, die den Raum beschrieb. Enge, Menschen, schmutzige Tische und der Geruch von Alkohol.
„Klar.“
„Klar…“ Wieso fragte er auch.
Kopfschüttelnd machte sich Lyle auf den Weg und verzog das Gesicht bei jeder unfreiwilligen Berührung mit anderen Menschen. Er reihte sich in die Schlange an der Theke ein und kämpfte seine Ungeduld nieder. Vor ihm stand ein Riese, so dass der Versuch einen Blick auf die Karte zu erhaschen recht aussichtslos war. Lyle sah sich prüfend um. Die Mischung aus Männlein und Weiblein wirkte erstaunlich ausgeglichen. Viele der Frauen kokettierten mit kurzen Kleidchen und rot geschminkten Lippen, die Männer glotzen und sabberten. Eigentlich wie immer, hatte er etwas anderes erwartet? Schräg vor ihm stand eine junge Frau mit naturroter Lockenmähne, die nicht nur seine Aufmerksamkeit erregte. Obwohl er sie nur von hinten sehen konnte, ging von ihr eine besondere Ausstrahlung aus, auch wenn Lyle es nicht in Worte fassen konnte, es war viel mehr ein Gefühl. Der vollbärtige Mann, der hinter ihr stand schien das ähnlich zu sehen, allerdings reagierte er völlig unpassend. Lyle beobachtete mit aufkeimender Wut, wie sich der Mann immer näher an die junge Frau drängte und sich ein breites Grinsen auf seinen Lippen abzeichnete. Er schien sich zu amüsieren. Unter der dünnen Strickjacke der jungen Frau konnte er die angespannten Muskeln sehen, sie schien kurz davor zu stehen dem Arschloch eine zu knallen. Nun, verdient hätte er es. Er überlegte noch ob er eingreifen sollte, da war zwischen den beiden Körpern plötzlich keine Luft mehr, Hautkontakt. Sie fuhr herum, Lyle sah fasziniert zu, wie die Lockenmähne in der Luft wirbelte und ihre Hand zielsicher die Wange des Mannes traf. Dieser taumelte mit einem überraschten Laut zurück und presste seine Hand auf die Stelle in seinem Gesicht, an der sich ein roter Abdruck abzeichnete. Lyle lächelte schadenfroh, wurde aber fast sofort wieder ernst, als er die Wut in den Augen des imposant wirkenden Mannes wahrnahm.
Die Menschen, die um die Szenerie herum standen, wichen etwas zurück, Spannung lag in der Luft, aber niemand machte Anstalten einzugreifen. Lyle gab seinen Platz in der Schlange mit leisem Bedauern auf und schob sich zwischen den Typen und dem roten Lockenkopf, ehe die Situation vollends eskalieren konnte. Im ersten Moment erntete er Verblüffung von beiden Seiten. Während Lyle der jungen Frau ein beruhigendes Lächeln zuwarf, schnaubte der Mann gereizt auf.
„Ich denke das reicht.“ Lyle sah ihm fest in die Augen. Aus der Verblüffung wurde blanke Wut, gemischt mit geringfügiger Verwirrung. Dennoch war es der Mann, der den Blick als Erstes senkte. Lyle nahm sich die Zeit ihn genauer zu betrachten. Er wirkte im ersten Moment dick, aber dieser Eindruck täuschte. Viel eher hatte er es hier mit einem gut gebauten, aber sehr kräftigen Gegner zu tun, den er nicht unterschätzen sollte. Der etwas unstete Blick und das schwere Schnaufen machten Lyle klar, dass hier das ein oder andere Bier bereits geflossen war.
„Verschwinde, Junge.“ Die Stimme war ein schweres Poltern und hatte die Macht Menschen einzuschüchtern. Lyle vermutete es, denn er erkannte die Irritation, als er einfach gar nicht reagierte und ihn nur weiter unverwandt anstarrte.
„Bist du taub, du sollst verschwinden.“
„Und wenn nicht?“ Lyle zog provozierend eine Augenbraue in die Höhe und spürte, wie er langsam wütend wurde. Er hatte schlicht und ergreifend ein Bier bestellen wollen und sicherlich nicht vorgehabt eine Schlägerei oder dergleichen vom Zaun zu brechen. Aber irgendetwas schien er auszustrahlen, dass er schlechte Situationen nahezu anzog wie das Licht die Motten. Der Mann kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, was wohl bedrohlich wirken sollte. Lyle lächelte kühl und verschränkte die Hände vor der Brust.
„Du willst also Ärger Bürschchen?“ Tatsächlich wirkte selbst Lyle klein und zerbrechlich neben dem imposanten Mann. Die Betonung lag auf wirkte. Jemand zupfte an seinem T-Shirt und als Lyle den Kopf wandte, sah er direkt in das sommersprossige Gesicht der jungen Frau, die er so ritterlich verteidigte. Katzengrüne Augen sahen ihn stechend an und fast hatte er das Gefühl in sein eigenes Gesicht zu blicken. Er wusste zu gut um seinen Blick und diese Frau schien ihn ebenfalls zu beherrschen. Allerdings verstand Lyle nicht, weswegen sie ihn so musterte und nicht den widerlichen Typen hinter ihm.
„Danke, ich denke den Rest schaff ich auch alleine.“ Sie lächelte dünn und wandte sich dem bärtigen Mann mit dem roten Handabdruck auf der Wange zu.
„Ich will keinen Ärger, also lassen sie mich einfach in Ruhe.“ Lyle nahm den intensiven Geruch von Alkohol wahr, als sich der Mann vorbeugte und die junge Frau anstierte. Dass er immer noch zwischen den beiden stand, schien ihn nicht zu interessieren. Kurzerhand trat Lyle zur Seite. Er hatte keine Lust diesem Mann näher als nötig zu kommen. Eben dieser blinzelte und grabschte dann nach den roten Locken. Lyle knirschte mit den Zähnen und ging erneut dazwischen, dieses Mal allerdings nicht mehr kompromissbereit. Mit einer wütenden Bewegung packte er seinerseits in den braunen Haarschopf des Mannes und zerrte ihn mit roher Gewalt weg von seinem Opfer und gegen eine der Säulen, die die Kneipe so charakteristisch machten. Es gab einen dumpfen Aufprall und sein Gegner grunzte schmerzhaft. Na hoffentlich hatte das auch wirklich weh getan. Lyle verzog abfällig die Lippen, als sich der Bärtige mühsam aufrichtete und ihn aus wütend funkelnden Augen fixierte.
„Du, du kleiner Bastard.“ Natürlich… jetzt war er der Böse, dabei hatte er nur ein Bier bestellen wollen und es nicht auf fremde Frauen abgesehen gehabt.
Tumult brach aus, Menschen wichen weiter zurück. Mit leiser Erleichterung registrierte Lyle, dass eine Frau neben dem roten Lockenkopf stand und einen Arm um ihre Schulter gelegt hatte. Das Katzengrün schien sich allerdings derartig auf ihn fokussiert zu haben, dass es Lyle schwer fiel sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Und so traf ihn der Schlag ziemlich derb an der Schläfe. Im ersten Moment sah er buchstäblich Sterne, dann wurde er in die Realität zurück geschmissen. Schmerz breitete sich in seiner linken Gesichtshälfte aus und er spürte warmes Blut seine Wange hinab laufen. Na prima. Einen Kampf mit wild gewordenen Kabeln überstand er schadlos, aber in einer Kneipenrauferei ging er unter. Das war peinlich. Lyle schüttelte den Kopf und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Stattdessen konzentrierte er sich auf den bärtigen Mann, der jetzt zufrieden grinste und auffordernd die Faust in seine Hand klatschen ließ.
„Ich geb dir noch eine letzte Chance Bürschchen. Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen.“ Dummerweise ging es ihn spätestens jetzt etwas an. Ungestraft ließ er sich ganz bestimmt nicht schlagen. Lyle sah den Typen abschätzend an. In nüchternem Zustand wäre er vermutlich ein ernstzunehmender Gegner, aber in betrunkenem Zustand wirkte er eher, wie ein zu groß geratenes Kind. Die Bewegungen waren unkoordiniert und langsam. Aber Wut war gefährlich und eben diese zeichnete sich deutlich in dem bärtigen Gesicht ab.
„Nun, ich würde vorschlagen sie verziehen sich möglichst schnell aus dieser Lokalität und im Gegenzug breche ich ihnen nicht jeden Knochen einzeln.“ Gut, dass klang nicht sehr bescheiden, aber Lyle hatte keine Lust mehr sich den Abend zu versauen. Der Mann riss nur ungläubig die Augen auf, ein Stuhl scharte und er konnte Raphael Stimme über die Menge hinweg hören.
„Lyle?“ Es klang alarmiert, er schüttelte den Kopf und winkte zu seinem Mitbewohner hinüber.
„Besorg mir ein Bier, ich hab noch zu tun.“ Raphael lachte und rief ein fröhliches:
„Viel Spaß“, über die Menschen hinweg. Den würde er sicherlich haben.
„Du machst dich wohl lustig über mich, hä!“ Die Stimme des Mannes zitterte vor Zorn, Lyle hob den Kopf und sah ihn an.
„Nein.“ Er lächelte dünn und griff ohne Warnung an.
Mit einer geschmeidigen Bewegung fegte er um seinen Gegner herum, ergriff dessen Arm und nutzte seinen eigenen Schwung um den Mann über seine Schulter und in eine Tischgruppe fallen zu lassen. Es schepperte laut und erschrockene Rufe waren zu hören. Kurz registrierte Lyle, dass einer seiner Kollegen zu dem Barkeeper getreten war und ihm vermutlich gerade erklärte, dass die Regierungseinheit schon längst da war. Lyle konzentrierte sich wieder auf den Mann, der sich stöhnend aufrichtete und ihn mit einem Blick, der fast an Mordlust grenzte musterte. Ein spöttisches Lächeln konnte er sich einfach nicht verkneifen, als er den Angreifer heran stürzen ließ und ihm dann ein Bein stellte. Erneut landete der arme Kerl an einer Säule und Lyle entschloss sich nicht länger zu spielen. Er wartete bis der Mann wieder auf den Beinen war und er seine Aufmerksamkeit hatte und versuchte ein versöhnliches Lächeln aufzusetzen.
„Gehen sie doch einfach nach Hause und schlafen ihren Rausch aus.“ Für einen Moment schien sein Gegner tatsächlich darüber nachzudenken, dann gewann die Wut wohl wieder Oberhand und Lyle beendete die Prügelei mit einem gezielten Schlag gegen seine Schläfe. Die Augen des Mannes verdrehten sich paradox und dann sackte er vor Lyle in die Knie. Nachdenklich sah er auf ihn hinab und er spürte ein leises Bedauern. Wieso musste es eigentlich immer so weit kommen? Der Barkeeper und ein Kellner drängten sich an Lyle vorbei und hievten den Mann mit einiger Mühe zur Türe. Nun vielleicht würde er heute ja doch noch zu seinem Bier kommen. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und dieses Mal wichen sie ihm alle aus. Na, es hatte seine Vorteile sich in menschenüberfüllten Kneipen zu prügeln.
„Warte.“ Als er sich widerwillig umdrehte und die junge Frau erkannte, seufzte er leise.
„Bist du in Ordnung?“ Sie sah ihn besorgt an und Lyle runzelte die Stirn.
„Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich so schwächlich wirke.“ Sie verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln, aber ihre Augen blieben ernst. Sehr irritierende Augen, sie hatten wirklich etwas von einer Katze und wirkten irgendwie… alt.
„Du bist verletzt.“ Verletzt? Lyle tastete kurz nach seiner Schläfe und betrachtete das Blut an seinen Fingerspitzen.
„Ein Kratzer.“ Er lächelte müde und wandte sich um und lief mit schnellen Schritten zu dem Tisch an dem Raphael saß, der ihm gnädigerweise einen Stuhl und ein Bier organisiert hatte.
„Danke.“ Er nahm einen Schluck von dem kühlen Getränk.
„Lebt er noch der arme Kerl?“ Raphael klopfte ihm lachend auf die Schulter und Lyle grinste breit.
„Er wird durchkommen.“
„Na da bin ich aber beruhigt. Nicht dass du unserem Image schadest, dann müsstest du dir nämlich einen anderen Tisch suchen.“
„Gott bewahre.“
„Was war denn los?“
„Das übliche.“ Lyle runzelte die Stirn, als er die junge Frau sah, die den Tisch ansteuerte.
„Hübsches Ding, Geschmack hast du, dass muss man dir lassen.“ Verärgert sah Lyle seinen Mitbewohner an.
„Darum ging es nicht.“
„Na was nicht ist, kann ja noch werden, Alter.“
„Nenn mich nicht so.“ Warnend funkelte er seinen besten Freund an.
„Darf ich?“ Beide sahen sie hoch, zu der jungen Frau, die Anstalten machte sich auf den freien gewordenen Stuhl neben Lyle zu setzen. Ehe dieser etwas erwidern konnte, nickte Raphael begeistert.
„Aber gerne, setz dich.“ Lyle warf ihm einen tödlichen Blick zu, aber Raphael grinste nur breit und beugte sich etwas vor, um besser mit ihr sprechen zu können.
„Alles in Ordnung bei dir?“ Raphael hatte eine beneidenswerte Art mit Menschen völlig locker ins Gespräch zu kommen. Die junge Frau fixierte allerdings nicht seinen besten Freund, sondern ihn mit ihren merkwürdigen Augen, schien kurz über die Frage nachzudenken und nickte dann.
„Ich denke schon. Ich, ich wollte mich nur kurz bedanken.“ Das Wort Danke wollte nicht so leicht über ihre Lippen kommen und Lyle spürte einen Hauch von Sympathie in sich aufsteigen.
„Schon gut.“ Er winkte ab.
„Nicht jeder hätte das getan.“
„Du kannst von Glück sagen, dass du an Lyle, den Retter der Hilflosen, geraten bist. Er treibt sich zwar manchmal an merkwürdigen Orten rum, aber im Prinzip ist er immer zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle.“ Beizeiten sollte er mal ein ernstes Wort mit Raphael reden. Die junge Frau warf einen verunsicherten Blick zwischen ihm und Raphael hin und her.
„Ich bin übrigens Mai.“ Ehe er etwas erwidern konnte, hatte erneut Raphael das Wort ergriffen und Lyle begriff, dass sein Freund ebenfalls schon etwas über den Durst getrunken haben musste. So dumm war er normalerweise nicht.
„Dein Retter hier heißt Lyle und ich bin Raphael, so was wie sein bester Freund.“
„Aha.“ Irrte er sich, oder entdeckte er da ein belustigtes Funkeln in ihren Augen? Sie schwiegen eine Weile und Lyle begnügte sich damit ein Schluck von seinem Bier zu trinken.
„Ich verstehe, ich störe.“ Raphael machte ein zerknirschtes Gesicht und auf Lyles verständnislosen Blick fügte er feixend hinzu.
„Ich möchte dem jungen Liebesglück natürlich nicht im Wege stehen, also wenn ich euch alleine lassen soll, dann sagt es mir.“ Raphael wollte ihm kumpelhaft auf die Schulter klopfen, aber Lyle hatte genug von seinen Witzen und war einen Sekundenbruchteil schneller als Raphael und verdrehte ihm den Arm so, dass der andere aufschrie.
„Du bist ein Idiot, Raphael.“ Der Angesprochene brachte ein schmerzerfülltes Ächzen zustande und Lyle ließ ihn unsanft los. Ohne sich noch einmal umzudrehen, griff er nach dem Schwert und verließ die Kneipe. Er wollte nach Hause und seine Ruhe.
„Ähm.“
„Was?“ Gereizt fuhr er herum und prallte zurück, als er Mai erkannte.
„Ich, ich wollte nur fragen, ob ich vielleicht ein Stückchen mitkommen könnte.“
„Mitkommen?“ Das hatte ihm noch gefehlt. Die kühle Abendluft umfing ihn und er hatte endlich das Gefühl vernünftig atmen zu können. Es war neblig geworden und die Kälte fraß sich fast augenblicklich durch seinen Körper. Eisnebel.
„Also, du sollst wegen mir keinen Umweg machen, aber vielleicht müssen wir ja in die gleiche Richtung. Um ehrlich zu sein hab ich ein bisschen Angst jetzt alleine nach Hause zu gehen, nachdem… Vorfall eben.“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an und Lyle seufzte ergeben.
„Wo musst du denn hin?“ Sie deutete zaghaft auf den unbeleuchteten Teil der Stadt. Nur gut, dass das Regierungsgebäude, indem seine und Raphaels Wohnung war, ebenfalls in der Richtung lag.
„Na dann los.“ Lyle klappte den Kragen seiner Lederjacke hoch und marschierte los, die junge Frau schloss sich ihm an.
„Noch mal danke wegen vorhin.“ Sie sah ihm offen ins Gesicht und das gefiel Lyle. Die wenigstens Menschen sahen ihn so unbefangen an. Und es wunderte ihn auch ein bisschen, einen besonders sympathischen Eindruck konnte er nicht gemacht haben, auch wenn er ihr geholfen hatte.
„Schon gut.“
„Ich versteh nicht, wieso mir so was immer wieder passiert.“ Sie strich sich eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Lyle musterte sie nachdenklich.
„Menschen eben.“ Mai sah ihn an.
„Das hört sich ziemlich abgeklärt an.“
„Hm.“ Sie schwiegen und Lyle war es recht. Die Beleuchtung nahm immer weiter ab und bald liefen sie fast in vollkommener Dunkelheit über die Holzstege. Der Nebel grub sich durch seine Jacke und Lyle fror bereits jetzt, obwohl sie noch nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft hatten. Neben ihm klapperte Mai leise mit den Zähnen und hatte ihren Oberkörper mit den Armen umschlugen, um sich wenigstens etwas zu wärmen.
„Wo genau musst du hin?“ Sie hob kurz den Kopf, er konnte sie nur als Schemen neben sich erkennen.
„Zu den Häusern bei dem neuen Steg.“ Lyle nickte, er hatte es sich schon gedacht. Irgendwo in seinen Erinnerungen meinte er sie schon einmal gesehen zu haben. Vermutlich beim Arbeiten, wobei er nicht besonders auf andere Menschen achtete. Sie gab auf einmal einen erschrocken Laut von sich und Lyle konnte gerade noch rechtzeitig zu packen, bevor sie auf das Teerfeld hinab gestolpert wäre.
„Scheiße.“ Mai klammerte sich zitternd an ihn und Lyle spürte eine ungewohnte Wärme durch seinen Körper schießen. Es war lange her, dass er einem Menschen so nahe gekommen war.
„Jetzt muss ich mich schon wieder bedanken.“ Mai löste sich von ihm, blieb aber so nah neben ihm stehen, dass sich ihre Körper immer noch berührten.
„Schon gut. Du solltest nachts nicht unterwegs sein, wenn du den Weg nicht kennst.“
„Aber du kennst ihn.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Ich hab ihn größtenteils gebaut.“
„Dann bist du einer von den Bauarbeitern, die gerade an dem neuen Stück arbeiten?“
„Nein.“
„Nein?“
„Ich baue zwar auch, bin aber vor allem für die Sicherheit der Männer zuständig.“
„Dann bist du bei der Regierungseinheit?“
„Ja.“
„Oh.“ Sie schaute ihn an, er spürte es mehr, als dass er es in der Dunkelheit sah.
„Dann hätte ich mir gar nicht solche Sorgen machen müssen.“
„Sorgen?“
„Na wegen der Prügelei.“ Es hatte zwar seine Vorteile unterschätzt zu werden, aber Lyle mochte es nicht.
„Nein.“
Sie schwiegen wieder eine Weile. Der Nebel hinterließ kleine Tröpfchen aus eisiger Kälte in seinem Gesicht und Lyle griff noch etwas schneller aus.
„Du sprichst nicht besonders gerne, oder?“
„Nein.“ Er meinte sie nicken zu sehen, war sich aber nicht sicher.
„Schade eigentlich.“ Verwundert runzelte er die Stirn.
„Wieso?“
„Du bist interessant.“ Sollte er das als Kompliment auffassen?
„Hm.“ Sie lachte leise.
„Vielleicht macht dich aber deine Schweigsamkeit noch interessanter“, überlegte sie laut und Lyle konnte ihren Blick auf sich spüren, als würde sie ihn berühren.
„Sehr beruhigend“, meinte er lakonisch und dirigierte sie behutsam wieder in die Mitte des Steges. Auf einen Kampf mit einem Teerfeld hatte er wirklich keine Lust mehr heute. Er konnte die schwachen Lichter der Polizeistation sehen und atmete innerlich auf.
„Du und dein Freund, geht ihr immer so miteinander um?“
„Manchmal.“
„Das sah ganz schön brutal aus.“ Sie sagte es zögernd und er konnte spüren, dass sie angespannt war. Hatte sie Angst vor ihm?
„Er ist ein Idiot.“
„Ein armer Idiot.“
„Sein Pech.“
„Du bist ganz schön hart.“
„Schon möglich.“ Das Leben war hart. Aber das musste er eigentlich niemandem mehr erklären, seit der schrecklichen Katastrophe, die sie alle heimgesucht hatte.
„Aber du hast einen weichen Kern.“
„Tatsächlich?“ Die Vorstellung gefiel ihm nicht und der Verlauf ihres Gespräches verwirrte ihn.
„Natürlich, sonst hättest du mich nicht verteidigt, dabei kannten wir uns noch nicht mal.“
„Das war selbstverständlich.“
„Nicht für jeden, du warst der Einzige, schon vergessen?“
„Dann hattest du ja Glück, dass ich da war.“
„Allerdings.“
Sie drehte sich zu ihm um, so dass Lyle stehen bleiben musste. Er konnte Mai erkennen, wie sie vor ihm stand, Dampfwölkchen schwebten von ihrem Mund in die Luft, aber in ihren Augen lag ein Funkeln, das ihn gefangen hielt. Von dem imposanten Regierungsturm drang schummriges Licht zu ihnen auf den Steg.
„Danke für die Wegbegleitung.“ Sie lächelte, ihre Hand legte sich zu Lyles Erstaunen auf seine vermutlich mittlerweile angeschwollene Wange. Kälte grub sich noch tiefer, aber in ihrem Blick lag eine Wärme, die er so noch nie gesehen hatte.
„Gute Nacht, Lyle.“ Sie sprach seinen Namen merkwürdig weich aus, dann löste sie den Kontakt zwischen ihnen. Ihr Rock umspielte ihre Gestalt, als sie sich umdrehte und dann in den Nebelschwaden verschwand, wie ein Geist. Lyle blieb perplex zurück und berührte vorsichtig seine Wange.