Ehe Joey reagieren konnte, rammte ich ihm den Metallsplitter durch den Oberschenkel und drehte ihn, damit sich die Wunde
nicht zu schnell regenerieren konnte. Joey schrie wie am Spieß und schlug mir in die gebrochenen Rippen. Wir beide taumelten von einander weg. Joey fiel zu Boden. Ich hatte mich bereits wieder gefangen und ignorierte meine vielen Wunden und die Schmerzen. Ich musste diesen Irren besiegen, bevor er mich erledigte. Ich rannte zu ihm und trat ihm unters Kinn. Nun war er es, der über den ganzen Times Square flog. Ich schaute mich kurz um: Es sah hier langsam aus wie auf einem Schlachtfeld. Etliche Autos waren demoliert, die Gebäude hatten auch einiges abbekommen. Über uns kreiste ein Hubschrauber. Wenn das alles an die Öffentlichkeit kam, würden wir Vampire keine ruhige Minute mehr haben. Aber darum ging es jetzt nicht. Ich stürzte mich auf Joey, der gerade wieder auf die Beine gekommen war. Ich packte seinen Kopf und schmetterte ihn durch eine Windschutzscheibe. Er ruderte mit den Armen, um sich irgendwie zu befreien. Ich packte seinen Kopf und drückte ihn nach unten, so dass das Glas sich in seinen Hals schnitt. Da fiel mir ein, dass ich ihn so nicht vernichten durfte. Sonst vernichtete ich mich selber und alle anderen Vampire. Ich ließ ihn los und schaute ihn an. Joey und die anderen waren nur entstanden, weil Kayman mit seinem Unleben nicht mehr klar kam. Ich sah nun nicht mehr den König der Verdammten vor mir, sondern ein bemitleidenswertes Geschöpf, dass zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist.
Joey drehte sich nach mir um. Dann griff er mich an, packte mich am Kragen und hob mich hoch, während er mit mir über den Times Square rannte und mich mit den Rücken an eine Häuserwand drängte. Ich sah ihn an und er erinnerte mich an Louis und dessen jugendliches Selbstvertrauen, damals. Als Louis noch zu menschlich war und nur von Ratten oder Pudeln trinken wollte. Damals hatte ich Louis angelacht. Und auch diesmal musste ich lachen. "Mon Dieu", keuchte ich und sah Joey an. Joey war besiegt. Er war vom Blutverlust geschwächt und hatte nicht mehr den Willen, weiter zu machen. Ich seufzte. Es hätte jetzt genau umgekehrt sein können. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände. "Es wird Zeit, dass wir diese Sache beenden!"
Ich schlug meine Eckzähne in seinen bereits blutigen Hals und begann zu trinken. Und ich musste wieder an Kayman denken und an die Langeweile, die ich vor dieser Geschichte verspürt hatte. Ich hätte es genau so gut sein können. Ich war doch sonst immer der Regelbrecher. Ich trank weiter und spürte, wie mir das mächtigste Blut durch den zerschundenen Körper ströhmte. Ich hatte weiß Gott meine Fehler. Ich musste Lächeln. Gleich war ich der König der Verdammten. Wenn Akascha mich nun sehen könnte. Joey sackte in meinen Armen zusammen. Nun war ich eine noch größere Bedrohung für die Welt und die anderen Vampire. Jetzt konnte man mich nun wirklich schwer aufhalten. Doch wissen Sie was, meine verehrten Leser? Andererseits war ich keine Bedrohung mehr, vielleicht jetzt weniger als je zuvor. Immerhin liebte ich die Menschen. Ich würde keine Dummheiten mehr machen, die das Leben der Menschen aufs Spiel setzen konnte. Und auch die anderen Vampire würden endlich ihre Ruhe vor mir haben. Ich ließ Joey fallen, als ich den letzten Tropfen Blut getrunken hatte. Es schmeckte wunderbar, wie das Leben selbst. Ich seufzte erleichtert. Über mir drehte der Hubschrauber ab und flog weg. Die ganze Gegend war umzingelt von Polizisten. "Lestat?" Ich hörte eine ferne Stimme und drehte mich um. Ich war müde und wollte schlafen. Vor mir stand
Akascha, meine Königin in ihrer ganzen Pracht. Ihr langes Haar, ihr dunkler, wohlgeformter Körper. Ihre Augen. Meine Königin. "Alles in Ordnung mit Ihnen?" Ich blinzelte. Und Akascha war verschwunden. Vor mir stand Lilly, das Vampirmädchen. Ich musste Lächeln. Vielleicht lag es an meiner Erschöpfung, aber irgendwie hatte sie etwas von Akascha an sich. Ich wollte ihr antworten, aber brachte keinen Ton heraus. Ich zog mein Handy und rief Maharet an. Dann gab ich Lilly das Handy und schaute sie an. Es sollte vorerst das letzte sein, was ich sah. Denn ich schloß meine Augen und ließ meinen Körper erstarren. Ich wurde - wie Akascha und Mekare einst - zu einer kalkweissen Statue. Nun gab es nichts, was mich bekümmern konnte. Nichts, was mich langweilen konnte. Ich war Lestat, der König der Verdammten. Und ich schlief.
Epilog: Night Island, Miami
"Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde", sagte Maharet und lächelte die anderen an. "Aber Lestat hat es geschafft." Sie schaute Lilly, Armand, Marius, Louis und die anderen Vampire an. "Er hat die Welt gerettet und selbstverständlich auch uns." Marius schaute auf die weisse Statue, die auf einem Thron saß und starr nach vorne schaute. Und lächelte. "Das Lestat mal etwas richtig macht..." Er lachte leise. "Das muss ein Missverständnis sein, oder er konnte selbst nichts dafür." Louis sagte nichts. Er sah einfach
nur die Statue auf dem Thron an. "Ich bin stolz auf dich, Lestat!", flüsterte er schließlich. "Wir hatten Glück, dass die Talamasca sämtliches Beweismaterial verschwinden lassen konnten", sagte Armand. "Sonst wären wir trotzdem in Bedrängnis geraten."
"Wird er jemals wieder aufwachen?", fragte Lilly und schaute die anderen fragen an. Maharet legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Wer weiß. Wenn er das Bedürfnis dazu hat. Oder einen anderen plausiblen Grund, nicht länger zu schlafen..." Lilly nickte und sah Lestat an. "Ich glaube, das war noch nicht das letzte, dass wir von ihm gehört und gesehen haben!"