Evin (SF-KG)

Der Vollständigkeit halber kommt hier der letzte Teil meiner KG. Schade, dass sich bei den vorhergehenden Teilen niemand mehr dazu aufraffen konnte, ein Kommie zu schreiben...
Trotzdem danke an diejenigen, die bereits ihre Meinung dazu geäußert haben und auch an die anonymen Leser. ;-)




Als er zurückkehrte, war er bereits wieder zu kalt für Schnee geworden. Ein merkwürdiges Gefühl hatte von Evin Besitz ergriffen – er identifizierte es nach einer Weile als Scham – und es hatte ihn schließlich zu dem notdürftigen Unterstand zurückgetrieben.
Er würde den Menschen nicht töten. Nicht nach allem, was er auf sich genommen hatte, ihn zu finden. Schließlich könnte dies hier lediglich der Anfang seiner Mission sein. Wo es einem Mann gelungen war, zu überleben, da mussten noch mehr Menschen sein, dessen war er sich sicher.
Einige Meter vor der Stelle, wo er den Verletzten zurückgelassen hatte, blieb Evin abrupt stehen. Beinahe andächtig bückte sich Gorn gerade unter der überhängenden Titanverstrebung hindurch, den Blick dabei zu Boden gerichtet, als hätte er etwas verloren. Dann wischte er sich fahrig beide Hände an seiner Hose ab und die Art der Bewegung hatte etwas an sich, das Evin von Grund auf erschütterte.
Wie ein Athlet, der zum Weitsprung anläuft, setzte er sich in Bewegung, bis er schließlich in großen Sätzen auf den anderen Bot zusprintete. Dieser schreckte vor ihm zurück, wich überrascht zur Seite, als Evin an ihm vorbei in das armselige Krankenlager stürmte. Dabei zerriss er sich das Hemd an einer dünnen Metallstange, wand sich los und steuerte auf das zusammengekrümmte Bündel zu.
Die Jacke, mit welcher er den Menschen zugedeckt hatte, lag am Boden. Noch bevor er vergeblich nach einem Puls suchte, war ihm klar, dass er zu spät kam.
Der Mensch war tot. Er lag auf dem Rücken, Mund und Augen halb geöffnet, als wäre er mit einem langen Seufzen gestorben. Der Schweiß auf seiner blassen Haut begann bereits zu gefrieren, sodass er aussah wie die Wachsfigur eines wahnsinnigen Künstlers.
Ruckartig richtete sich Evin auf, sein Nacken prickelte. Draußen sah er Gorn stehen und keine Sekunde darauf war er auch schon hinausgeschnellt und hatte den anderen am Kragen gepackt. Ihre Gesichter waren kaum eine Hand breit voneinander entfernt.
„Du hast ihn umgebracht!“, brüllte Evin, der Klang seiner Stimme war ihm plötzlich erschreckend fremd. Wie Schraubzangen fühlten sich seine Hände an, während er den Größeren unbewusst hochhob. Gorns Gesichtsausdruck, eine Mischung aus Ärger und Entsetzen, verschaffte ihm dabei einen kurzen Augenblick der Genugtuung, welcher jedoch schnell wieder vorüber war.
„Du hast ihn umgebracht!“ Für den Moment schien sein Vokabular auf diese vier Worte zusammengeschrumpft zu sein, doch sie drückten alles aus, was er fühlte. Und ja, er fühlte! Da war nichts... Künstliches, nichts Programmiertes! Er fühlte ebenso wie ein Mensch es tun würde, daran gab es überhaupt keinen Zweifel!
„Du bist nicht im Besitz deiner geistigen Fähigkeiten, mein Freund.“ Düster starrte Gorn auf ihn herab, die Stimme so eisig und kontrolliert wie immer.
„Wie konntest du,“ zischte Evin. Wellen der Wut, der Enttäuschung wallten durch seinen Körper, brachten seine Arme zum Beben. Noch nie zuvor hatte er solch starke Emotionen erlebt, die seine neuronalen Netze regelrecht zum Glühen brachten.
„Nimm deine Hände weg,“ befahl Gorn scharf.
„Wie konntest du nur, Gorn!“
„Setz mich wieder ab, Evin. Sofort.“
„Er hat mit mir gesprochen! Er hätte mir sagen können, wo es weitere Überlebende gibt!“
Das Metallblau von Gorns Augen wirkte so kalt wie nie zuvor. Keinerlei Emotion lag darin, kein Funkeln, kein verräterisches Flackern.
Maschinell gefertigt. Man braucht diese Iris nicht, um sehen zu können. Aber die Menschen würde es erschrecken, wenn unsere Augen pechschwarz wären. Wir wären ihnen fremd, noch fremder, als wir es ohnehin schon sind.
Der Ausdruck in diesen Augen war Evin trotzdem völlig fremd – oder war es schon immer so gewesen? Hatte Gorns Blick je etwas anderes erahnen lassen als diese stumme Berechnung, diese Kälte?
„Du redest wirr. Es wird Zeit, dass dich endlich jemand aus diesem selbstgemachten Irrsinn wieder heraush-“
„Wage es nicht, über mich zu urteilen!“ Heftig schüttelte Evin ihn, sodass Gorns Kopf nach hinten gerissen wurde. Doch er fing sich schnell wieder, warf den Kopf in einer ruckartigen Bewegung nach vorne, die Augen finster wie die eines Haies und rammte Evin die Stirn gegen die Nase.
Mehr wegen der Wucht als aus Schreck ließ er Gorn los und taumelte einen Schritt zurück. Etwas hatte beim Aufprall geknirscht, aber es schien nichts weiter passiert zu sein. Trotzdem hielt sich Evin mit einer Hand die Nase, die andere drohte seinem Gegenüber mit der Faust.
Gorn zog seine Jacke zurecht und musterte ihn dabei wie einen verwesenden Kadaver.
„Du solltest deine Einstellungen checken, Evin,“ sagte er mit seiner stoischen Ruhe. „Beruhige dich und dann folgen wir der Gruppe. Inzwischen solltest du eingesehen haben, dass deine... Mission sinnlos ist.“
„Hast du ihn erwürgt, ja?“ Evin ließ beide Hände sinken und machte einen Schritt auf Gorn zu. „Ihm die Kehle zugedrückt?“
Keine Reaktion. Nur ein regungsloses Starren.
„Oh Gorn, wie tief bist du gesunken! Wir finden einen Menschen und das Beste, was dir einfällt, ist ihn umzubringen.“ Evin konnte nur wieder den Kopf schütteln. Ihm wurde plötzlich schwindelig. Etwas in ihm wollte auf Gorn losgehen, auf ihn einschlagen für das, was er getan hatte, genau wie er vorhin den Menschen hatte schlagen wollen. Es wäre befreiend. Würde ein richtiger Mensch das tun? Würde er?
„Du hast wirklich geglaubt, etwas bewirken zu können, oder?“ Nun lag die Spur eines Lächelns auf Gorns Gesicht. Er senkte Kopf und lachte leise ins sich hinein. „Zuerst hab ich gedacht, es wäre vielleicht für dein Gewissen. Ich glaube, auch Maschinen wie wir können ein Gewissen haben, zumindest manche. Und als wir dann dieses um sich schießende, halb tote Ding gefunden haben, da dachte ich, dass du endlich zur Vernunft kommst. Und dass du höchstwahrscheinlich zu stolz sein würdest, allein zu uns zurückzukommen, also bin ich geblieben. Aber das ist keine... keine logisch nachvollziehbare Reaktion mehr. Keine Aufgabe, zumindest keine lösbare. Das ist schlichtweg Wahnsinn.“
Die Worte trafen ihn tiefer, als er es für möglich gehalten hätte. Doch Gorn war noch nicht fertig und lächelte wieder schmal.
„Willst du leiden? Ist es das? Kannst du nicht frei sein von ihnen? Es sind Unschuldige zu Schaden gekommen, ja. Aber du kannst es nicht rückgängig machen.“
„Zu Schaden gekommen,“ schnaufte Evin abfällig.
„Wir sind nichts weiter als Sklaven für sie. Geduldete Sklaven und wir werden niemals mehr sein als das.“
„Bist du jetzt auf Sorrens Seite oder wie soll ich das verstehen?“ Fassungslos warf Evin die Hände in die Luft und blickte hilfesuchend gen Himmel. Etwas stach in seiner Schläfe, als würde ihm jemand ständig mit einem Stein dagegen klopfen. Ein schrecklich unangenehmes Gefühl und er musste sich immer wieder die betreffende Stelle massieren, auch wenn es nichts bewirkte.
„Nein. Das haben wir schon oft genug besprochen und du weißt, dass ich es auf das schärfste verurteile, was geschehen ist. Für das, was sie getan haben, gibt es keine Worte, keine Entschuldigung. Es war das Schlimmste, was je hätte passieren können und wenn ich einen von ihnen in die Finger kriegen würde...“
Mit geballter Faust fletschte Gorn die Zähne und legte den Kopf leicht schief.
„Aber es ist vorbei! Du kannst hier nichts für diese Menschen tun, vor allem nicht allein. Komm mit uns.“
Diesmal war es Evin, der sich die Antwort sparte, wenn auch nicht willentlich. Es war mehr... mit einem Mal fühlte er sich schwach und ausgelaugt, war im selben Moment zornig und fröhlich, aufgeregt und niedergeschlagen, begeistert und völlig erschöpft. Und da waren noch mehr Gefühle, so viele, dass er sie gar nicht mehr benennen konnte, Zustände, in denen er sich noch nie befunden hatte. Vor seinen Augen verblasste das Bild von Gorn ein wenig, wurde jedoch so schnell wieder scharf, dass er glaubte, es sich nur eingebildet zu haben.
„Ich werde dich nicht noch einmal bitten,“ verkündete Gorn und ließ keinen Zweifel an der Endgültigkeit seiner Worte.
Ein Lachen saß in Evins Kehle, doch es war dermaßen unpassend, dass er gar nicht wagte, den Mund aufzumachen. Es war einfach zu viel. Unkontrolliert zuckte sein Auge nach oben und kurz verlor er das Gleichgewicht. Gorn deutete sein Taumeln wohl als Antwort und als Evin wieder geradeaus gucken konnte, hatte sich der andere bereits halb von ihm abgewandt.
„Ein Vollidiot bist du,“ knurrte er, die stahlblauen Augen nun wieder abweisend. Zwei Warnmeldungen tauchten auf, doch Evin war nicht in der Lage, einen Sinn in ihnen zu erkennen. Schwer ließ er sich zu Boden sinken, warf einen hilflosen Blick über die Schulter in Richtung des toten Menschen. Blauer Schnee fiel vom Himmel. Er konnte ihn landen hören. Daneben verlor plötzlich alles andere an Bedeutung. Blauer Schnee fiel vom Himmel. Er konnte ihn landen hören.
„Eigentlich sollte es mir egal sein.“
Wer sprach da? Erst nach einiger Überlegung kam Evin darauf, wer es war. Es stimmte ihn traurig – nein, nachdenklich, diese Stimme zu hören. Zumindest glaubte er sich zu erinnern, dass der andere Bot gegangen war.
„Aber es wäre... schade, so auseinander zu gehen, Evin. Ich überwachte den Zustand deines Menschen. Irgendwann hörte er auf zu atmen. Meine Wiederbelebungsversuche halfen nichts.“
Wieder Warnmeldungen, diesmal lauter, drängender. Sie häuften sich, überdeckten die schönen Schneegeräusche. Es fühlte sich an, als würde er zusammenschrumpfen. Schwerfällig gelang es Evin, den Kopf zu heben. Der Bot war nur noch klein am Horizont zu erkennen, die Hände in den Taschen vergraben. Kurz darauf war er nicht mehr zu sehen. Seine letzten Worte hallten nach, aber sie ergaben keinen Sinn. Ergaben einfach keinen Sinn für ihn für ihn...
Evin schloss das Auge und ließ sich fallen. Er kam hart auf dem Rücken auf, streckte Arme und Beine von sich. Noch immer war da irgendwas, das ihn warnte. Viel zu schrill, viel zu laut. Kurz darauf spürte er weder Arme noch Beine und schien lediglich aus flüchtigen Gedanken zu bestehen. Es war anstrengend, so zu existieren.
Ruhe.
Er brauchte Ruhe. Schnee fiel auf sein Gesicht, vielleicht war er kalt. Er müsste kalt sein, daran glaubte er sich zu erinnern. Er spürte nichts.
Die verzweifelten Geräusche gaben auf. Die Welt wurde gänzlich still.
Endlich.
Ruhe...
Endlich.
 
ups...ich hatte gedacht die story wär schon zuende gewesen^^
das einbringen der hintergründe ist dir wirklich gut gelungen, man versteht den armen fleischsack jetzt auf jeden fall besser...armer kerl, ich hätte ihm ein schmerzarmes ende gegönnt. auch der hauptcharakter gewinnt immer mehr an tiefe. fast wirkt er schon zu menschlich, in dem dialog mit dem verletzten hätte man beinahe denken können, der mensch wäre der roboter von den beiden. auf jeden fall war er der sachlichere und nüchternere part.
einige kleine fehlerchen sind mir aufgefallen...hauptsächlich wortvertauscher, wie z.b. 'ihn' statt 'in', dadurch wird der ein oder andere satz ein klein wenig verwirrend beim ersten lesen. ansonsten haben mir die die neuen teile super gefallen...deine scifi welt nimmt immer größere dimensionen an, was auch eine der schwierigkeiten darstellt, wenn man eine kg zuner richtigen geschichten ausbaut, man kann nich mehr so viel im dunkeln lassen.
bisher gelingt dir das aber wirklich gut...nich so viel auf einmal, immer schön in mundfertigen stückchen^^
ich hoffe doch das ausbleiben von kommentaren bisher hat dich nich zu sehr frustriert...freu mich auf jeden fall auf die fortsetzung
 
boa...ich bin doch zu verpeilt...erst checkich nich dasses hier weitergeht, und dann verpennich, dass die stry auf der zweiten seite schon ihr ende findet...
aber was für ein ende...
auf eine bittere art wirklich wunderschön..sowohl der abschied von gorn, als auch evins ende
nur eine frage hätte ich noch, hätte evin sein ende abwenden können, wenn er die warnmeldungen beachtet hätte?
 
Oh Mensch, das tut mir echt leid, ich hatte keine Zeit fürs Forum und wenn doch, dann nur zum PM´s beantworten und schnell mal Kommentare editieren.

Aber so konnte ich gleich nen ganzen Haufen auf einmal lesen.
Ich hatte mir ja schon sowas gedacht, das die Bombe aus einem Konflikt zwischen Meschen und Bots hervorging und nicht aus einem nur zwischen Menschen untereinander. Aber Deine Erklärungen waren sehr einleuchtend und auch realistisch. Eben sowas wie Rassenunruhen, nur eben hochtechnisiert und mit kaltem Kalkül.
Interessant, wie die Meinungen auseinander gleiten und sich dann jeweila am äußersten Rand manifestieren. Evin kommt mir ein wenig wie Don Quichotte vor.
Er weiß, das er alleine nichts bewegen kann, versucht es aber trotzdem.

Wie Du sein "Ableben" einleitest, zuerst mit leisen Warnmeldungen und dem Hinweis, dass er ein neues "Auge" einbauen könne, was ja den Eindruck erweckt, es sei alles in Ordnung, finde ich sehr gelungen.
Ich denke, dieses Ende bereichert die Geschichte. Besonders, da sie ja zunächst garnicht so lang werden sollte!

Smartis Urteil: Sehr lesenswert!

Smarti
 
Hallo ihr beiden. ^^ Danke, dass ihr die letzten Teile doch noch kommentiert habt. Hat mich gefreut zu sehen, dass die KG nicht einfach "untergegangen" ist. ;-)

Wahrscheinlich ist es eh schon zu spät, aber trotzdem noch zu Toffels Frage, habe ich ganz übersehen: Nein, Evin hätte das nicht mehr abwenden können. Anfangs vielleicht, denn durch diesen riesigen Gefühlsausbruch wurde er ja dann später völlig überlastet. Da war es bereits zu spät. Und ob er sich gegen diese Gefühle hätte sperren können, glaube ich nicht.

bis bald
.K.
 
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