Yin
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Autor: Yin
Titel: Evin
Teile: ?
Genre: Science Fiction
Serie (Original oder Fanfiction): Original
Pairing (wenn vorhanden):
Disclaimer: Das Copyright liegt bei mir, die Charas sind frei erfunden, Ähnlichkeiten zu irgendwem sind nicht gewollt.
Tja, ich schon wieder. ^^ Dann lasse ich mal eine weitere meiner KGs auf euch los. ;-)
Das Wasser lief ihm von hinten in den Kragen, tropfte ihm von den Haaren, vom Kinn, durchdrang seinen langen Mantel. Er schloss für einen Moment die Augen, hob den Kopf ein wenig gen Himmel und atmete tief ein.
Langsam zog er einen seiner ledernen Handschuhe aus, ließ den Regen in seine ausgestreckte Hand prasseln, drehte die Handfläche nach unten und betrachtete seine Finger.
Der Himmel war grau, beinahe schwarz. Die Wolken zogen so dick auf, dass sie wie eine Wand aus dunklem Glas aussahen, gleichgültig, kühl, tot. Gelegentliches Grollen ließ sich aus der Ferne vernehmen, aber nie ein ganzes Gewitter. Es war, als würde der Himmel lediglich drohen, als würde er ihnen Angst einjagen wollen. Als wäre er ein sterbendes Tier, das in seinen letzten Atemzügen noch einmal zornig aufbegehrt gegen die Ameisen, die sich um es tummeln. Vielleicht war es Zeit. Vielleicht sollten sie wirklich gehen. Weg von hier. Es gab keine Hoffnung.
Als er sich umsah und das Wasser aus seinen Augen blinzeln musste, kam es ihm vor, als sehe er überall feixende Fratzen. Glänzendes Gestein zu Glasklumpen geschmolzen türmte sich hier, teilweise hunderte von Metern hoch, überall ragten unnatürlich verformte Stahlträger oder Titanverbindungen aus dem Boden auf, knochige Hände, die mitten in der Bewegung erstarrt waren. Umgestürzte Schnellschwebezüge, zusammengekrümmt wie vertrocknete Regenwürmer. Eine riesige Hologrammplattform hing zur Hälfte im eingestürzten Tunnelschacht, der sich einst durch die ganze Stadt erstreckt und täglich tausende Bewohner transportiert hatte.
Hier würde nie wieder etwas leben, wirklich leben, das wurde ihm nun immer klarer. Hier würden keine Bäume mehr wachsen, nicht einmal künstliche. Hier würde voraussichtlich nichteinmal mehr die Sonne hinscheinen, als hätte sie diesen Ort einfach vergessen. Sogar sie hatte also die Hoffnung aufgegeben.
Er hörte träge Schritte die Treppen hinaufkommen, hin und wieder knirschte Glas unter den Schuhen. Mit einem Seufzen stellte sich der Andere einen Augenblick neben ihn, bevor er zu sprechen begann:
„Bist du soweit, Evin? Wir gehen weiter, fort von hier.“
Er ließ sich mit der Antwort Zeit. Nicht dass er noch hätte überlegen müssen – er tat nichts anderes. Ständig zermaterte er sich das Hirn nach Möglichkeiten, Chancen, Wahrscheinlichkeiten. Nein, er kannte seine Antwort bereits, er spürte, dass er sie vom ersten Moment an gewusst hatte. Sein Zögern hatte einen anderen Grund. Er fürchtete sich vor dem, was er vielleicht sagen würde, davor, seine Gedanken auszusprechen, die diesen ganzen Alptraum endgültig wahr werden lassen würden.
„Hier ist alles tot, Vengar.“
Der Jüngere nickte. „Ja, ich weiß.“
Nach einem letzten langen Blick auf das Trümmerfeld von ihm drehte sich Evin um und folgte seinem Begleiter die unförmigen Treppen zum Bahnschacht hinunter, wo sie sich vorübergehend niedergelassen hatten. Als er den Bahnsteig entlangging, wohl so wie es Millionen von Städtern vor ihm getan hatten, spürte er die Blicke der anderen auf sich ruhen. Männer und Frauen, einige von ihnen hatten sich zu dem großen Kreis aus geborstenen, teilweise geschmolzenen Säulen zurückgezogen, der ehemaligen Wartehalle, tuschelten leise. Er gab sich keine Mühe zu verstehen, worüber sie redeten. Andere hatten sich auf Gesteinsbrocken gesetzt und starrten mit leeren Gesichtern in den verschütteten Tunnelschacht. Wieder anderen standen undefinierbare Gefühle ins Gesicht geschrieben. Verhohlene Freude vielleicht, leise Genugtuung. In den dreckverschmierten Mienen wirkten diese Dinge wie ein grausiger Scherz und fast hoffte er, sich zu täuschen.
Aber er wusste es besser. Leider.
Evin kramte in der Manteltasche und zog sich den Handschuh wieder über. Ein großgewachsener, schwarzhaariger Mann trat vor, die Arme vor der Brust verschränkt und sah ihn durchdringend an. Seine tiefblauen Augen waren ruhig wie die Oberfläche eines Sees kurz bevor ein Ungeheuer sie durchbrach. Seine innere Anspannung konnte Evin beinahe körperlich spüren.
„Gorn,“ sagte er halblaut und er hörte selbst, wie müde seine Stimme klang. Diese ewigen Diskussionen schafften ihn fast ebenso sehr wie das Chaos um sie herum.
„Evin,“ erwiderte der Angesprochene mit rauer Stimme. Noch immer sezierte er ihn mit gradenlosem Blick. „Spaziergang beendet?“
„Habt ihr abgestimmt?“
„Ist das wichtig?“ Gorn wies mit dem Kopf in Richtung der anderen. „Frag sie doch, wenn dir ihre Meinung so viel bedeutet.“
Evin wandte sich an Vengar, der schweigend zugehört hatte.
„Würdest du uns einen Moment allein lassen?“
Der junge Mann biss auf seiner Unterlippe herum, nickte aber und entfernte sich ein Stück. Innerlich versuchte Evin Energie für ein weiteres, kräftezehrendes Gespräch mit seinem Gegenüber zu sammeln – er erschrak davor, wie wenig er aufbringen konnte.
„Ihr wollt die Erde also wirklich verlassen,“ griff er das Thema wieder auf.
Gorn verdrehte die Augen. „Hör auf dir etwas vorzumachen. Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht bereits deine Entscheidung getroffen hast. Ich werde nicht versuchen, dich davon abzubringen, keine Angst. Aber du machst einen Fehler...“
Evin senkte den Kopf und massierte sich die Schläfen. „Wie oft, Gorn... wie oft müssen wir das noch besprechen...“
„So oft, wie es nötig ist!“, knurrte der andere wütend und verlor nun auch etwas von seiner gelassenen Haltung. Eine Hand war zur Faust geballt, die andere kramte gewohnheitsmäßig in seiner Jackentasche. Vermutlich suchte sie eine der Zigaretten, die er bereits seit zwei Wochen aufgebraucht hatte. Evin unterdrückte ein Schmunzeln. Dass sich Gorn etwas so Menschliches und eigentlich Unsinniges angewöhnt hatte, amüsierte ihn.
„Wir haben hier nichts mehr verloren. Diese ganze verdammte Gegend ist tot, Evin. Verseucht. Fahr dein Temperaturprogramm mal wieder hoch, dann weißt du, dass es hier kälter ist als im tiefsten Winter in Alaska und zwar vor der globalen Erwärmung. Was hoffst du denn zu finden? Eine kleine grüne Idylle zwischen den Bergen geschmolzenem Stein? Ein paar kultivierte Menschen, die dir deine Entscheidungen abnehmen und dir sagen, was du tun sollst? Nein, mein Freund, die Zeiten sind vorbei.“
Schnaufend gab er seine Suche auf und steckte beide Hände in die Taschen, vielleicht um sich den Anschein zu geben, Ruhe bewahren zu können.
Ruhe – dieses Gefühl hatte er schon lange nicht mehr verspürt. Zwar brauchten sie keinen richtigen Schlaf, aber er hatte so lange unter den Menschen gelebt, dass er sich wirklich wie sie manchmal nach etwas Frieden, etwas Entspannung sehnte. Ein nahezu lächerlicher Wunsch angesichts der Tatsache, dass wohl der halbe Planet tot oder gerade dabei war, elendig zu verenden. Fast schämte er sich für seinen Gedanken.
„Willst du dich denn gar nicht wehren?“, fragte Gorn und lächelte gequält.
Evin öffnete den Mund und wollte etwas sagen, klappte ihn jedoch einige Sekunden später wieder zu. Ihm fiel nichts mehr ein. Nichts, das er nicht zum x-ten Mal wiederholte, das er sich selbst schon nicht mehr sagen hören konnte.
„Hör zu,“ meinte Gorn in versöhnlicherem Ton, „Wir sind keine Feinde. Es ist mir nicht daran gelegen, so lange auf dich einzuhacken, bis du endlich vernünftig wirst. Es hat nur keinen Zweck noch länger hier zu bleiben.“
„Genau.“ Die neu dazugekommene Stimme ließ Evin aufhorchen und einen Moment später trat Sorren zwischen ihn und Gorn. Sie war jung, trug ihre langen schwarzen Haare streng zu einem Zopf zurückgebunden und hatte ein hübsches Gesicht. Ihre Augen jedoch wollten nicht so recht zum Rest ihres Äußeres passen – es waren die einer Raubkatze, scharf, berechnend, intelligent. Und zornig. Vor allem zornig.
„Hauen wir endlich ab von hier. Wir haben getan, was wir konnten, also was soll das noch?“
„Höflich, sich einfach so einzumischen“, bemerkte Gorn säuerlich, aber Sorren ignorierte ihn und starrte weiterhin Evin an.
„Es ist unsere Aufgabe, ihnen zu helfen...“, begann er schwach.
„Es ist unser Fluch. Wir haben uns das niemals ausgesucht. Sie haben es uns einprogrammiert, haben uns abgerichtet wie Hunde. Und nun sind alle Menschen im Umkreis von hundert Meilen oder mehr tot oder nur noch ein Haufen sterbendes Fleisch. Hier ist das Zentrum – wir haben es gefunden. Das Rätsel ist gelüftet, es war eine Bombe. Es muss so heiß gewesen sein, dass alle zu Staub zerfallen sind, Bots wie Menschen, blabla und als kleines Bonbon haben Gift und Strahlung das ganze Land überschwemmt. Ein Glück, dass wir immun sind, eine göttliche Fügung...“
„Sprich nicht so. Es ist schon schlimm genug, dass es unseresgleichen waren, die das hier angerichtet haben!“ Nun spürte auch Evin, wie langsam wieder der Zorn in ihm hoch kochte. Dieses Mädchen hatte keine Ahnung. Ihr Name sagte ihm, dass sie nicht länger als einige Jahrzehnte unter den Menschen lebte, vielleicht weniger. Generationen von Robotern waren erschaffen worden, die Namen der Mitglieder jeder einzelnen Generation begannen gleich. Er stammte aus der fünften, es lief alphabetisch aufwärts. Bei „W“ war die Produktion eingestellt worden, es hatte zu viele Grauzonen gegeben - die erschaffenen K.I.s konnten mit ihren Schöpfern gleichziehen. Sie fühlten. Sie dachten. Sie waren immer schon zu menschlich gewesen. Heftige Diskussionen entbrannten erneut, Gerichtsverfahren, Untersuchungen, Tests. Das ganze Programm, das schon zuvor einige Male durchlaufen worden war. Und letztlich hatte man sie nicht mehr nur als intelligente Arbeitskräfte benutzt, man hatte sie freigelassen. Mit einem Mal hatte er, Evin#5Gen-Crea.-Corp., ein Leben gehabt, über das er selbst bestimmen konnte, von einigen Einschränkungen abgesehen. Er und alle anderen waren dazu verpflichtet, die Aufgabe, zu der sie geschaffen worden waren, weiter zu verfolgen, nämlich dem Menschen in Notsituationen zu helfen. Zivilcourage hätte man das in längst vergangenen Zeiten einmal genannt. Mit dem Unterschied, dass ihr System sie zu dieser Courage zwang.
„So etwas hätte nie geschehen dürfen,“ murmelte Gorn und Evin horchte auf. Sorrens spöttischer Blick verharrte einen Moment auf ihm, jedoch schien sie genug Respekt vor Gorn zu haben, als dass sie es gewagt hätte, etwas Abfälliges dazu zu sagen.
„Wir werden gehen. Vorhin haben wir abgestimmt. Wer bleiben will, der bleibt.“
„Wer hat dich denn zur Anführerin gemacht?“; knurrte Gorn, aber Evin wusste bereits, dass auch er gehen würde. Und er konnte es ihm noch nichteinmal verübeln.
„Und wann?“, fragte er tonlos.
„Noch heute.“
Evin nickte. Gorn betrachtete zähneknirschend seine Schuhe.
Das Wasser lief ihm von hinten in den Kragen, tropfte ihm von den Haaren, vom Kinn, durchdrang seinen langen Mantel. Er schloss für einen Moment die Augen, hob den Kopf ein wenig gen Himmel und atmete tief ein.
Langsam zog er einen seiner ledernen Handschuhe aus, ließ den Regen in seine ausgestreckte Hand prasseln, drehte die Handfläche nach unten und betrachtete seine Finger.
Dann setzte sich Evin#5Gen-Crea.-Corp. auf den Boden, aktivierte seine Sensoren und wartete.
Titel: Evin
Teile: ?
Genre: Science Fiction
Serie (Original oder Fanfiction): Original
Pairing (wenn vorhanden):
Disclaimer: Das Copyright liegt bei mir, die Charas sind frei erfunden, Ähnlichkeiten zu irgendwem sind nicht gewollt.
Tja, ich schon wieder. ^^ Dann lasse ich mal eine weitere meiner KGs auf euch los. ;-)
Das Wasser lief ihm von hinten in den Kragen, tropfte ihm von den Haaren, vom Kinn, durchdrang seinen langen Mantel. Er schloss für einen Moment die Augen, hob den Kopf ein wenig gen Himmel und atmete tief ein.
Langsam zog er einen seiner ledernen Handschuhe aus, ließ den Regen in seine ausgestreckte Hand prasseln, drehte die Handfläche nach unten und betrachtete seine Finger.
Der Himmel war grau, beinahe schwarz. Die Wolken zogen so dick auf, dass sie wie eine Wand aus dunklem Glas aussahen, gleichgültig, kühl, tot. Gelegentliches Grollen ließ sich aus der Ferne vernehmen, aber nie ein ganzes Gewitter. Es war, als würde der Himmel lediglich drohen, als würde er ihnen Angst einjagen wollen. Als wäre er ein sterbendes Tier, das in seinen letzten Atemzügen noch einmal zornig aufbegehrt gegen die Ameisen, die sich um es tummeln. Vielleicht war es Zeit. Vielleicht sollten sie wirklich gehen. Weg von hier. Es gab keine Hoffnung.
Als er sich umsah und das Wasser aus seinen Augen blinzeln musste, kam es ihm vor, als sehe er überall feixende Fratzen. Glänzendes Gestein zu Glasklumpen geschmolzen türmte sich hier, teilweise hunderte von Metern hoch, überall ragten unnatürlich verformte Stahlträger oder Titanverbindungen aus dem Boden auf, knochige Hände, die mitten in der Bewegung erstarrt waren. Umgestürzte Schnellschwebezüge, zusammengekrümmt wie vertrocknete Regenwürmer. Eine riesige Hologrammplattform hing zur Hälfte im eingestürzten Tunnelschacht, der sich einst durch die ganze Stadt erstreckt und täglich tausende Bewohner transportiert hatte.
Hier würde nie wieder etwas leben, wirklich leben, das wurde ihm nun immer klarer. Hier würden keine Bäume mehr wachsen, nicht einmal künstliche. Hier würde voraussichtlich nichteinmal mehr die Sonne hinscheinen, als hätte sie diesen Ort einfach vergessen. Sogar sie hatte also die Hoffnung aufgegeben.
Er hörte träge Schritte die Treppen hinaufkommen, hin und wieder knirschte Glas unter den Schuhen. Mit einem Seufzen stellte sich der Andere einen Augenblick neben ihn, bevor er zu sprechen begann:
„Bist du soweit, Evin? Wir gehen weiter, fort von hier.“
Er ließ sich mit der Antwort Zeit. Nicht dass er noch hätte überlegen müssen – er tat nichts anderes. Ständig zermaterte er sich das Hirn nach Möglichkeiten, Chancen, Wahrscheinlichkeiten. Nein, er kannte seine Antwort bereits, er spürte, dass er sie vom ersten Moment an gewusst hatte. Sein Zögern hatte einen anderen Grund. Er fürchtete sich vor dem, was er vielleicht sagen würde, davor, seine Gedanken auszusprechen, die diesen ganzen Alptraum endgültig wahr werden lassen würden.
„Hier ist alles tot, Vengar.“
Der Jüngere nickte. „Ja, ich weiß.“
Nach einem letzten langen Blick auf das Trümmerfeld von ihm drehte sich Evin um und folgte seinem Begleiter die unförmigen Treppen zum Bahnschacht hinunter, wo sie sich vorübergehend niedergelassen hatten. Als er den Bahnsteig entlangging, wohl so wie es Millionen von Städtern vor ihm getan hatten, spürte er die Blicke der anderen auf sich ruhen. Männer und Frauen, einige von ihnen hatten sich zu dem großen Kreis aus geborstenen, teilweise geschmolzenen Säulen zurückgezogen, der ehemaligen Wartehalle, tuschelten leise. Er gab sich keine Mühe zu verstehen, worüber sie redeten. Andere hatten sich auf Gesteinsbrocken gesetzt und starrten mit leeren Gesichtern in den verschütteten Tunnelschacht. Wieder anderen standen undefinierbare Gefühle ins Gesicht geschrieben. Verhohlene Freude vielleicht, leise Genugtuung. In den dreckverschmierten Mienen wirkten diese Dinge wie ein grausiger Scherz und fast hoffte er, sich zu täuschen.
Aber er wusste es besser. Leider.
Evin kramte in der Manteltasche und zog sich den Handschuh wieder über. Ein großgewachsener, schwarzhaariger Mann trat vor, die Arme vor der Brust verschränkt und sah ihn durchdringend an. Seine tiefblauen Augen waren ruhig wie die Oberfläche eines Sees kurz bevor ein Ungeheuer sie durchbrach. Seine innere Anspannung konnte Evin beinahe körperlich spüren.
„Gorn,“ sagte er halblaut und er hörte selbst, wie müde seine Stimme klang. Diese ewigen Diskussionen schafften ihn fast ebenso sehr wie das Chaos um sie herum.
„Evin,“ erwiderte der Angesprochene mit rauer Stimme. Noch immer sezierte er ihn mit gradenlosem Blick. „Spaziergang beendet?“
„Habt ihr abgestimmt?“
„Ist das wichtig?“ Gorn wies mit dem Kopf in Richtung der anderen. „Frag sie doch, wenn dir ihre Meinung so viel bedeutet.“
Evin wandte sich an Vengar, der schweigend zugehört hatte.
„Würdest du uns einen Moment allein lassen?“
Der junge Mann biss auf seiner Unterlippe herum, nickte aber und entfernte sich ein Stück. Innerlich versuchte Evin Energie für ein weiteres, kräftezehrendes Gespräch mit seinem Gegenüber zu sammeln – er erschrak davor, wie wenig er aufbringen konnte.
„Ihr wollt die Erde also wirklich verlassen,“ griff er das Thema wieder auf.
Gorn verdrehte die Augen. „Hör auf dir etwas vorzumachen. Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht bereits deine Entscheidung getroffen hast. Ich werde nicht versuchen, dich davon abzubringen, keine Angst. Aber du machst einen Fehler...“
Evin senkte den Kopf und massierte sich die Schläfen. „Wie oft, Gorn... wie oft müssen wir das noch besprechen...“
„So oft, wie es nötig ist!“, knurrte der andere wütend und verlor nun auch etwas von seiner gelassenen Haltung. Eine Hand war zur Faust geballt, die andere kramte gewohnheitsmäßig in seiner Jackentasche. Vermutlich suchte sie eine der Zigaretten, die er bereits seit zwei Wochen aufgebraucht hatte. Evin unterdrückte ein Schmunzeln. Dass sich Gorn etwas so Menschliches und eigentlich Unsinniges angewöhnt hatte, amüsierte ihn.
„Wir haben hier nichts mehr verloren. Diese ganze verdammte Gegend ist tot, Evin. Verseucht. Fahr dein Temperaturprogramm mal wieder hoch, dann weißt du, dass es hier kälter ist als im tiefsten Winter in Alaska und zwar vor der globalen Erwärmung. Was hoffst du denn zu finden? Eine kleine grüne Idylle zwischen den Bergen geschmolzenem Stein? Ein paar kultivierte Menschen, die dir deine Entscheidungen abnehmen und dir sagen, was du tun sollst? Nein, mein Freund, die Zeiten sind vorbei.“
Schnaufend gab er seine Suche auf und steckte beide Hände in die Taschen, vielleicht um sich den Anschein zu geben, Ruhe bewahren zu können.
Ruhe – dieses Gefühl hatte er schon lange nicht mehr verspürt. Zwar brauchten sie keinen richtigen Schlaf, aber er hatte so lange unter den Menschen gelebt, dass er sich wirklich wie sie manchmal nach etwas Frieden, etwas Entspannung sehnte. Ein nahezu lächerlicher Wunsch angesichts der Tatsache, dass wohl der halbe Planet tot oder gerade dabei war, elendig zu verenden. Fast schämte er sich für seinen Gedanken.
„Willst du dich denn gar nicht wehren?“, fragte Gorn und lächelte gequält.
Evin öffnete den Mund und wollte etwas sagen, klappte ihn jedoch einige Sekunden später wieder zu. Ihm fiel nichts mehr ein. Nichts, das er nicht zum x-ten Mal wiederholte, das er sich selbst schon nicht mehr sagen hören konnte.
„Hör zu,“ meinte Gorn in versöhnlicherem Ton, „Wir sind keine Feinde. Es ist mir nicht daran gelegen, so lange auf dich einzuhacken, bis du endlich vernünftig wirst. Es hat nur keinen Zweck noch länger hier zu bleiben.“
„Genau.“ Die neu dazugekommene Stimme ließ Evin aufhorchen und einen Moment später trat Sorren zwischen ihn und Gorn. Sie war jung, trug ihre langen schwarzen Haare streng zu einem Zopf zurückgebunden und hatte ein hübsches Gesicht. Ihre Augen jedoch wollten nicht so recht zum Rest ihres Äußeres passen – es waren die einer Raubkatze, scharf, berechnend, intelligent. Und zornig. Vor allem zornig.
„Hauen wir endlich ab von hier. Wir haben getan, was wir konnten, also was soll das noch?“
„Höflich, sich einfach so einzumischen“, bemerkte Gorn säuerlich, aber Sorren ignorierte ihn und starrte weiterhin Evin an.
„Es ist unsere Aufgabe, ihnen zu helfen...“, begann er schwach.
„Es ist unser Fluch. Wir haben uns das niemals ausgesucht. Sie haben es uns einprogrammiert, haben uns abgerichtet wie Hunde. Und nun sind alle Menschen im Umkreis von hundert Meilen oder mehr tot oder nur noch ein Haufen sterbendes Fleisch. Hier ist das Zentrum – wir haben es gefunden. Das Rätsel ist gelüftet, es war eine Bombe. Es muss so heiß gewesen sein, dass alle zu Staub zerfallen sind, Bots wie Menschen, blabla und als kleines Bonbon haben Gift und Strahlung das ganze Land überschwemmt. Ein Glück, dass wir immun sind, eine göttliche Fügung...“
„Sprich nicht so. Es ist schon schlimm genug, dass es unseresgleichen waren, die das hier angerichtet haben!“ Nun spürte auch Evin, wie langsam wieder der Zorn in ihm hoch kochte. Dieses Mädchen hatte keine Ahnung. Ihr Name sagte ihm, dass sie nicht länger als einige Jahrzehnte unter den Menschen lebte, vielleicht weniger. Generationen von Robotern waren erschaffen worden, die Namen der Mitglieder jeder einzelnen Generation begannen gleich. Er stammte aus der fünften, es lief alphabetisch aufwärts. Bei „W“ war die Produktion eingestellt worden, es hatte zu viele Grauzonen gegeben - die erschaffenen K.I.s konnten mit ihren Schöpfern gleichziehen. Sie fühlten. Sie dachten. Sie waren immer schon zu menschlich gewesen. Heftige Diskussionen entbrannten erneut, Gerichtsverfahren, Untersuchungen, Tests. Das ganze Programm, das schon zuvor einige Male durchlaufen worden war. Und letztlich hatte man sie nicht mehr nur als intelligente Arbeitskräfte benutzt, man hatte sie freigelassen. Mit einem Mal hatte er, Evin#5Gen-Crea.-Corp., ein Leben gehabt, über das er selbst bestimmen konnte, von einigen Einschränkungen abgesehen. Er und alle anderen waren dazu verpflichtet, die Aufgabe, zu der sie geschaffen worden waren, weiter zu verfolgen, nämlich dem Menschen in Notsituationen zu helfen. Zivilcourage hätte man das in längst vergangenen Zeiten einmal genannt. Mit dem Unterschied, dass ihr System sie zu dieser Courage zwang.
„So etwas hätte nie geschehen dürfen,“ murmelte Gorn und Evin horchte auf. Sorrens spöttischer Blick verharrte einen Moment auf ihm, jedoch schien sie genug Respekt vor Gorn zu haben, als dass sie es gewagt hätte, etwas Abfälliges dazu zu sagen.
„Wir werden gehen. Vorhin haben wir abgestimmt. Wer bleiben will, der bleibt.“
„Wer hat dich denn zur Anführerin gemacht?“; knurrte Gorn, aber Evin wusste bereits, dass auch er gehen würde. Und er konnte es ihm noch nichteinmal verübeln.
„Und wann?“, fragte er tonlos.
„Noch heute.“
Evin nickte. Gorn betrachtete zähneknirschend seine Schuhe.
Das Wasser lief ihm von hinten in den Kragen, tropfte ihm von den Haaren, vom Kinn, durchdrang seinen langen Mantel. Er schloss für einen Moment die Augen, hob den Kopf ein wenig gen Himmel und atmete tief ein.
Langsam zog er einen seiner ledernen Handschuhe aus, ließ den Regen in seine ausgestreckte Hand prasseln, drehte die Handfläche nach unten und betrachtete seine Finger.
Dann setzte sich Evin#5Gen-Crea.-Corp. auf den Boden, aktivierte seine Sensoren und wartete.