sylvio
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***Der Mond. Die Nacht. Ein Traum?*** [Kurzgeschichte/Märchen]
Disclaimer: Das Copyright am Text, an den Charakteren, Schauplätzen und der Handlung liegt bei mir, ein Kopieren oder Verändern des Textes, auch von Auszügen, ist verboten!
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Der Mond. Die Nacht. Ein Traum?
Es war einmal, vor langer, langer Zeit... In einem Land, gar nicht mal so weit entfernt, da lief eines Nachts ein Mädchen durch den Wald. Ein jeder im nahegelegenen Ort kannte sie, ein jeder mochte sie. Denn das Mädchen, es war überaus hübsch und sehr nett noch dazu. Nur woher sie kam, das wusste niemand. Sie war nicht die Tochter des alten Paares, welches sie aufgezogen hatte. Und wahrscheinlich kam sie nicht einmal aus der Gegend, vielleicht von fernher, aus fremden Landen! Denn so ein seidiges, schwarzes Haar wie sie es hatte, das war hier niemanden bekannt. Und schon gar nicht eine solche schneeweiße Haut, so süße, filigrane Lippen. Nein, so etwas hatte man noch nie gesehen. Und wohl gerade deshalb erschien sie allen Leuten immer so fern. Die jungen Männer des Dorfes, sie waren zu schüchtern sie anzusprechen, gerade die draufgängerischen sogar zu zögerlich sie überhaupt anzusehen! Und so..., so war sie in jener Nacht nicht das erste Mal allein. Schon immer war sie allein und sie glaubte, es wohl auch für immer zu bleiben. Nur der Mond, er begleitete sie. Er schien, durch das Blätterdach der Birken hindurch, blass auf ihr Gesicht, auf ihr weißes Kleid... und auf ihre Hand, irgendetwas darin schimmerte in seinem Scheine.
Das Mädchen ging langsam. Es ging schon seit Stunden und dennoch war das Dorf noch gar nicht fern. Weiches, feuchtes Moos war der Teppich auf dem sie lief. Ein Windhauch und ein Eulenruf die Musik, die an ihr Ohr drang. Sie mochte diese Musik. Sie mochte den Wald und die Wiesen. Den Himmel. Den Mond. Die Sterne und den Wind. Und ganz besonders mochte sie diese kleinen, unauffälligen Blümchen am Wegesrand. Ja, das alles gefiel ihr. Und das alles machte sie traurig. Traurig deshalb, weil sie es sich allein ansehen musste. In so wenige Augen hatte sie Zeit ihres Lebens sehen können, Zeit ihres verhassten, ihres schon viel zu langen Lebens! Ein Dolch war es, den sie in der Hand hielt. Ein Dolch, gestohlen, geraubt und hell glänzend. Spitz, gut geschmiedet und fest in der Hand.
Wird sie ihn gebrauchen, willst du wissen? Nein, noch nicht... Noch war es zu früh. Der Moment sollte perfekt sein. Wenigstens eine Sache in ihrem Leben sollte perfekt sein. Und so ging sie weiter. Immer weiter. Weiter durch den Wald, durch die Birken hindurch durch die Nacht. Noch immer schien der Vollmond vom Himmel und stieg noch immer weiter auf. Und auch das Mädchen, es war erst an seinem Ziele angelangt, als es auch der Mond war. Sie kannte den Ort genau, gehörte zu den wenigen Menschen, die ob des Platzes Bescheid wussten. Lange würde es dauern, bis man sie in diesen alten Ruinen finden würde. Säulen und Becken und Treppen aus Marmor, gebaut vor längst vergangener Zeit. Wie unscheinbar und klein sie sich unter ihnen doch fühlte. Da überlegte das Mädchen, ob es mit jenem Ort überhaupt etwas gemeinsam hat. War auch sie kaputt und zerfallen, so wie die Ruinen um ihr herum? Sie fand keine Antwort, dachte nach und fand doch keine Antwort... Ob das Mädchen dumm war, fragst du mich? Nein, auf keinen Fall... Sie lernte schneller, besser als alle anderen. Oder war sie es doch? Ist es nicht dumm, in einer Vollmondnacht allein mit einem Dolch durch den Wald zu spazieren? Ich weis es nicht, denn ich habe es nie getan und werde es nie tun. Aber fest steht: Sie war nicht normal. Sie war anders als die anderen. Besser vielleicht? Oder schlechter? Ich weis es wirklich nicht. Wahrscheinlich nichts von beiden, vielleicht doch ganz einfach nur anders. Eben etwas Besonderes.
Sie schaute auf zum Mond als sie den Dolch in ihrer Hand erhob. Sie schaute auf zum Mond, als sie mit der Klinge ihr Kleid zerriss. Sie schaute auf zum Mond, als sie die Waffe an ihre Brust ansetzte. Und sie schaute noch immer auf zum Mond, als sie sich vorsichtig schnitt, als sie ganz langsam über ihren Körper schnitt. Erst dann sah sie weg, als das Blut den Bauch hinunter floss; der Mond nämlich, er verschwand ganz plötzlich hinter Wolken. Und dann schloss auch das Mädchen die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, da wusste sie nicht, wie viel Zeit nun schon vergangen war. Der Mond war nicht mehr zu sehen, der dünne Schnitt auf ihrer Brust allerdings noch immer blutig. Sie wusste auch nicht, ob sie geschlafen hatte oder nicht, wusste erst nicht einmal, wie sie hierher kam und was sie dort tat. Dann aber sah sie neben sich das Messer. Sie sah es und nahm es wieder in die Hand. Und dann setzte sie es sich langsam auf die Brust... Alle Erinnerungen kamen zurück. Sie sah noch einmal umher, sah sich noch einmal die Landschaft an, die Landschaft, die sie mochte. Und ganz plötzlich, da sah sie zwischen all den Schatten ein Mädchen. Schwarzhaarig, im weißen Kleid. Ganz genauso wie sie selbst. Saß sie denn schon die ganze Zeit dort? Haben sie denn einander so lange übersehen können? Oder ist sie erst jetzt gekommen, in der Zeit, in welcher die Augen geschlossen waren. Das Mädchen stoppte und nahm den Dolch noch einmal von sich weg. Doch behielt sie ihn in der Hand, auch dann, als sie aufstand und auf die seltsame Erscheinung zulief. Sie befand sich ganz oben auf einer kleinen Treppe, auf den Stufen sitzend, den Kopf auf die Knie gelegt und das Gesicht verdeckt vom langen Haar.
“Hallo?”, fragte das Mädchen zögerlich, als es schon nah an die Person, die ihr so ähnlich sah, heran gekommen war. Doch erhielt sie keine Antwort. “Hallo?”, fragte sie erneut. Doch die Antwort blieb die gleiche. Keine. Da trat sie näher und fasste dem Mädchen an die Schulter. “Schläfst du? Wach doch auf!”, sprach sie. Und so sehr sie auch an dem Körper rüttelte; die Gestalt blieb stumm. Das Mädchen war besorgt und kniete sich hin um zu helfen. Doch da fiel ihr Blick auf den Marmor, auf die Stufen, auf denen das andere Mädchen saß. Sie waren rot gefärbt. Rot gefärbt von Blut. Und darin lag ein Dolch, ein Dolch ganz genauso wie der eigene. Auch er blutverschmiert. Sie zitterte. Sie zitterte. Und sie zitterte immer noch, als sie voller Furcht den Kopf des Mädchens anhob. Ihre Gedanken waren voller Angst davor, das zu sehen, was sie befürchtete, das zu sehen, was sie schon so oft im Spiegel gesehen. Und dennoch bewegte sie ihre Hand weiter, richtete den Kopf der Person auf, sah die blutverschmierte, zerstochene Brust... Sie sah in ihre eigenen Augen, sah in ihre toten, leeren Augen. Die gottverlassenen Augen, Augen, in denen sich nichts spiegelte außer sie selbst. Wild schlug sie mit dem Dolche um sich, schlug auf die Person ein, die längst schon tot jetzt vor ihr saß. Immer wieder schlug sie ein, schlug ein auf das, was sie hasste. Und erst dann hörte sie auf, hörte auf, als alles Blut vergossen war. Unter Tränen wich sie zurück und unter Tränen fiel sie die Treppe hinab. Und noch lange nicht waren alle Tränen vergossen, als sie erneut die Augen schloss.
Schüchtern blinzelnd schlug das Mädchen sie wieder auf und da dämmerte bereits der Morgen. Ein frischer Wind wehte ihr ins Gesicht und das Gras, auf dem sie lag, das war kalt und feucht. Wo war sie nur? War sie schon tot? Sie fühlte sich schwach... schwächer noch, als sie den Dolch neben sich erblickte. Was hatte sie nur getan? Was hatte sie sich angetan? Mit letzter Kraft bewege sie ihre Hand..., bewegte ihre Hand zur Klinge hin und umfasste ängstlich den Griff. Sie fasste ihn fester, hob die Waffe an und... Und warf den Dolch weg, weg soweit sie nur konnte. Es waren wohl nicht mehr als zwei oder drei Meter. Und ganz plötzlich, da vernahm sie das Trampeln von Hufen. Sachte drehte sie den Kopf. Sie sah drei reich geschmückte Pferde, auf dem ersten einen ihr nicht bekannten jungen Mann. Geschwind sprang er vom Tier herab. Sein langes, blondes Haar wehte leicht im Wind. “Du Mädchen!”, rief er laut zu ihr. “Was liegst du dort? Was ist geschehen?”
“Bin ich tot?”, fragte sie mit schwacher Stimme.
“Nein!”, antwortete er und trat näher. Seine schönen Augen erschraken, als er all das Blut erblickte. “Du bist verletzt...”, sprach der Prinz und legte eine Hand an ihre Wange. Er versuchte das Mädchen zu beruhigen, zitterte jedoch selbst vor Furcht. “Diener! Schnell, ein sauberes Tuch!”, hallte sein lauter Ruf durch den Wald.
Und dann flüsterte er dem Mädchen leise ins Ohr: “Ganz ruhig... Bewege dich nicht, es wird alles gut.”
Sie nickte kraftlos. “Wo ist sie?”, fragte das Mädchen. Der Prinz war überrascht. “Sie?”, wiederholte er und schaute sich um. “Hier ist sonst niemand außer dir...”
Da verstand das Mädchen und lächelte. Und sie sah ihm in die Augen, ganz lange... Sie sah nicht wieder weg, bis sich ihre Blicke endlich trafen. “Ich mag dich sehr”, sagte sie mit zitternder Stimme. Und der junge Mann, ohne noch zu überlegen, wiederholte ihre Worte. Dann verband er die Wunden des Mädchens und nahm sie mit zu sich nach Hause. Und dort pflegte er sie gesund, er nahm sie zur Frau und er liebte sie. Und das Mädchen, sie liebte ihn. Immer wieder dachten sie gemeinsam an die eine Nacht zurück... Doch nur sie allein dachte an das Mädchen, welches ihr das Leben gerettet. Oder hatte sie es am Ende doch ganz selbst getan?
Nun..., ich glaube, es ist jetzt nicht mehr wirklich wichtig. Viel wichtiger ist, dass das Mädchen und der junge Mann bis zu ihren Tode zusammen leben konnten, viel wichtiger ist es, dass das Mädchen sich nicht nur selbst gerettet, sondern auch ihn glücklich gemacht hat und die vielen die sie mochten. Und wer weiß, wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...
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Danke fürs Lesen. Kommentare sind gern gesehen!
Disclaimer: Das Copyright am Text, an den Charakteren, Schauplätzen und der Handlung liegt bei mir, ein Kopieren oder Verändern des Textes, auch von Auszügen, ist verboten!
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Der Mond. Die Nacht. Ein Traum?
Es war einmal, vor langer, langer Zeit... In einem Land, gar nicht mal so weit entfernt, da lief eines Nachts ein Mädchen durch den Wald. Ein jeder im nahegelegenen Ort kannte sie, ein jeder mochte sie. Denn das Mädchen, es war überaus hübsch und sehr nett noch dazu. Nur woher sie kam, das wusste niemand. Sie war nicht die Tochter des alten Paares, welches sie aufgezogen hatte. Und wahrscheinlich kam sie nicht einmal aus der Gegend, vielleicht von fernher, aus fremden Landen! Denn so ein seidiges, schwarzes Haar wie sie es hatte, das war hier niemanden bekannt. Und schon gar nicht eine solche schneeweiße Haut, so süße, filigrane Lippen. Nein, so etwas hatte man noch nie gesehen. Und wohl gerade deshalb erschien sie allen Leuten immer so fern. Die jungen Männer des Dorfes, sie waren zu schüchtern sie anzusprechen, gerade die draufgängerischen sogar zu zögerlich sie überhaupt anzusehen! Und so..., so war sie in jener Nacht nicht das erste Mal allein. Schon immer war sie allein und sie glaubte, es wohl auch für immer zu bleiben. Nur der Mond, er begleitete sie. Er schien, durch das Blätterdach der Birken hindurch, blass auf ihr Gesicht, auf ihr weißes Kleid... und auf ihre Hand, irgendetwas darin schimmerte in seinem Scheine.
Das Mädchen ging langsam. Es ging schon seit Stunden und dennoch war das Dorf noch gar nicht fern. Weiches, feuchtes Moos war der Teppich auf dem sie lief. Ein Windhauch und ein Eulenruf die Musik, die an ihr Ohr drang. Sie mochte diese Musik. Sie mochte den Wald und die Wiesen. Den Himmel. Den Mond. Die Sterne und den Wind. Und ganz besonders mochte sie diese kleinen, unauffälligen Blümchen am Wegesrand. Ja, das alles gefiel ihr. Und das alles machte sie traurig. Traurig deshalb, weil sie es sich allein ansehen musste. In so wenige Augen hatte sie Zeit ihres Lebens sehen können, Zeit ihres verhassten, ihres schon viel zu langen Lebens! Ein Dolch war es, den sie in der Hand hielt. Ein Dolch, gestohlen, geraubt und hell glänzend. Spitz, gut geschmiedet und fest in der Hand.
Wird sie ihn gebrauchen, willst du wissen? Nein, noch nicht... Noch war es zu früh. Der Moment sollte perfekt sein. Wenigstens eine Sache in ihrem Leben sollte perfekt sein. Und so ging sie weiter. Immer weiter. Weiter durch den Wald, durch die Birken hindurch durch die Nacht. Noch immer schien der Vollmond vom Himmel und stieg noch immer weiter auf. Und auch das Mädchen, es war erst an seinem Ziele angelangt, als es auch der Mond war. Sie kannte den Ort genau, gehörte zu den wenigen Menschen, die ob des Platzes Bescheid wussten. Lange würde es dauern, bis man sie in diesen alten Ruinen finden würde. Säulen und Becken und Treppen aus Marmor, gebaut vor längst vergangener Zeit. Wie unscheinbar und klein sie sich unter ihnen doch fühlte. Da überlegte das Mädchen, ob es mit jenem Ort überhaupt etwas gemeinsam hat. War auch sie kaputt und zerfallen, so wie die Ruinen um ihr herum? Sie fand keine Antwort, dachte nach und fand doch keine Antwort... Ob das Mädchen dumm war, fragst du mich? Nein, auf keinen Fall... Sie lernte schneller, besser als alle anderen. Oder war sie es doch? Ist es nicht dumm, in einer Vollmondnacht allein mit einem Dolch durch den Wald zu spazieren? Ich weis es nicht, denn ich habe es nie getan und werde es nie tun. Aber fest steht: Sie war nicht normal. Sie war anders als die anderen. Besser vielleicht? Oder schlechter? Ich weis es wirklich nicht. Wahrscheinlich nichts von beiden, vielleicht doch ganz einfach nur anders. Eben etwas Besonderes.
Sie schaute auf zum Mond als sie den Dolch in ihrer Hand erhob. Sie schaute auf zum Mond, als sie mit der Klinge ihr Kleid zerriss. Sie schaute auf zum Mond, als sie die Waffe an ihre Brust ansetzte. Und sie schaute noch immer auf zum Mond, als sie sich vorsichtig schnitt, als sie ganz langsam über ihren Körper schnitt. Erst dann sah sie weg, als das Blut den Bauch hinunter floss; der Mond nämlich, er verschwand ganz plötzlich hinter Wolken. Und dann schloss auch das Mädchen die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, da wusste sie nicht, wie viel Zeit nun schon vergangen war. Der Mond war nicht mehr zu sehen, der dünne Schnitt auf ihrer Brust allerdings noch immer blutig. Sie wusste auch nicht, ob sie geschlafen hatte oder nicht, wusste erst nicht einmal, wie sie hierher kam und was sie dort tat. Dann aber sah sie neben sich das Messer. Sie sah es und nahm es wieder in die Hand. Und dann setzte sie es sich langsam auf die Brust... Alle Erinnerungen kamen zurück. Sie sah noch einmal umher, sah sich noch einmal die Landschaft an, die Landschaft, die sie mochte. Und ganz plötzlich, da sah sie zwischen all den Schatten ein Mädchen. Schwarzhaarig, im weißen Kleid. Ganz genauso wie sie selbst. Saß sie denn schon die ganze Zeit dort? Haben sie denn einander so lange übersehen können? Oder ist sie erst jetzt gekommen, in der Zeit, in welcher die Augen geschlossen waren. Das Mädchen stoppte und nahm den Dolch noch einmal von sich weg. Doch behielt sie ihn in der Hand, auch dann, als sie aufstand und auf die seltsame Erscheinung zulief. Sie befand sich ganz oben auf einer kleinen Treppe, auf den Stufen sitzend, den Kopf auf die Knie gelegt und das Gesicht verdeckt vom langen Haar.
“Hallo?”, fragte das Mädchen zögerlich, als es schon nah an die Person, die ihr so ähnlich sah, heran gekommen war. Doch erhielt sie keine Antwort. “Hallo?”, fragte sie erneut. Doch die Antwort blieb die gleiche. Keine. Da trat sie näher und fasste dem Mädchen an die Schulter. “Schläfst du? Wach doch auf!”, sprach sie. Und so sehr sie auch an dem Körper rüttelte; die Gestalt blieb stumm. Das Mädchen war besorgt und kniete sich hin um zu helfen. Doch da fiel ihr Blick auf den Marmor, auf die Stufen, auf denen das andere Mädchen saß. Sie waren rot gefärbt. Rot gefärbt von Blut. Und darin lag ein Dolch, ein Dolch ganz genauso wie der eigene. Auch er blutverschmiert. Sie zitterte. Sie zitterte. Und sie zitterte immer noch, als sie voller Furcht den Kopf des Mädchens anhob. Ihre Gedanken waren voller Angst davor, das zu sehen, was sie befürchtete, das zu sehen, was sie schon so oft im Spiegel gesehen. Und dennoch bewegte sie ihre Hand weiter, richtete den Kopf der Person auf, sah die blutverschmierte, zerstochene Brust... Sie sah in ihre eigenen Augen, sah in ihre toten, leeren Augen. Die gottverlassenen Augen, Augen, in denen sich nichts spiegelte außer sie selbst. Wild schlug sie mit dem Dolche um sich, schlug auf die Person ein, die längst schon tot jetzt vor ihr saß. Immer wieder schlug sie ein, schlug ein auf das, was sie hasste. Und erst dann hörte sie auf, hörte auf, als alles Blut vergossen war. Unter Tränen wich sie zurück und unter Tränen fiel sie die Treppe hinab. Und noch lange nicht waren alle Tränen vergossen, als sie erneut die Augen schloss.
Schüchtern blinzelnd schlug das Mädchen sie wieder auf und da dämmerte bereits der Morgen. Ein frischer Wind wehte ihr ins Gesicht und das Gras, auf dem sie lag, das war kalt und feucht. Wo war sie nur? War sie schon tot? Sie fühlte sich schwach... schwächer noch, als sie den Dolch neben sich erblickte. Was hatte sie nur getan? Was hatte sie sich angetan? Mit letzter Kraft bewege sie ihre Hand..., bewegte ihre Hand zur Klinge hin und umfasste ängstlich den Griff. Sie fasste ihn fester, hob die Waffe an und... Und warf den Dolch weg, weg soweit sie nur konnte. Es waren wohl nicht mehr als zwei oder drei Meter. Und ganz plötzlich, da vernahm sie das Trampeln von Hufen. Sachte drehte sie den Kopf. Sie sah drei reich geschmückte Pferde, auf dem ersten einen ihr nicht bekannten jungen Mann. Geschwind sprang er vom Tier herab. Sein langes, blondes Haar wehte leicht im Wind. “Du Mädchen!”, rief er laut zu ihr. “Was liegst du dort? Was ist geschehen?”
“Bin ich tot?”, fragte sie mit schwacher Stimme.
“Nein!”, antwortete er und trat näher. Seine schönen Augen erschraken, als er all das Blut erblickte. “Du bist verletzt...”, sprach der Prinz und legte eine Hand an ihre Wange. Er versuchte das Mädchen zu beruhigen, zitterte jedoch selbst vor Furcht. “Diener! Schnell, ein sauberes Tuch!”, hallte sein lauter Ruf durch den Wald.
Und dann flüsterte er dem Mädchen leise ins Ohr: “Ganz ruhig... Bewege dich nicht, es wird alles gut.”
Sie nickte kraftlos. “Wo ist sie?”, fragte das Mädchen. Der Prinz war überrascht. “Sie?”, wiederholte er und schaute sich um. “Hier ist sonst niemand außer dir...”
Da verstand das Mädchen und lächelte. Und sie sah ihm in die Augen, ganz lange... Sie sah nicht wieder weg, bis sich ihre Blicke endlich trafen. “Ich mag dich sehr”, sagte sie mit zitternder Stimme. Und der junge Mann, ohne noch zu überlegen, wiederholte ihre Worte. Dann verband er die Wunden des Mädchens und nahm sie mit zu sich nach Hause. Und dort pflegte er sie gesund, er nahm sie zur Frau und er liebte sie. Und das Mädchen, sie liebte ihn. Immer wieder dachten sie gemeinsam an die eine Nacht zurück... Doch nur sie allein dachte an das Mädchen, welches ihr das Leben gerettet. Oder hatte sie es am Ende doch ganz selbst getan?
Nun..., ich glaube, es ist jetzt nicht mehr wirklich wichtig. Viel wichtiger ist, dass das Mädchen und der junge Mann bis zu ihren Tode zusammen leben konnten, viel wichtiger ist es, dass das Mädchen sich nicht nur selbst gerettet, sondern auch ihn glücklich gemacht hat und die vielen die sie mochten. Und wer weiß, wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...
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