11. Dezember
Dragonball Z Adventskalender -- Die Weihnachtstrucks -- 11. Dezember 2002
Der nächste Termin führte den Schlitten wieder über den halben Kontinent. Rudi hatte gegen Son Gokus schnellen Abgang und sein noch hastigeres wiedererscheinen bei der letzten Station keine Einwände gehabt. Eher ging es ihm immer noch zu langsam.
"Das wurde ja auch Zeit," hatte das Ren sich lautstark beschwert, als Goku vom Kamin in den Schlitten sprang. "Was machst du denn die ganze Zeit in den Häusern, eh? Seelige Nachtruhe? Heiliger Schlaf?"
Dann hatte er den Schlitten angezogen und sie waren verschwunden, bevor die verrückte Meute im Haus auf die Idee gekommen war, aus der Tür zu stürmen. Was waren das auch für Leute?
Aber er wollte nicht mehr darüber nachdenken. Der nächste Job kam bestimmt. Goku zog den neuen Zustellzettel heraus und stellte fest, dass er seinen nächster Termin in der östlichen Hauptstadt hatte. Als Rudi seine übliche Reisehöhe erreicht hatte und der Schlitten wieder waagerecht in der Luft lag, kletterte Goku nach hinten und bestückte seinen ausgeräumten Sack neu. Die Pakete für die nächsten fünf Stationen machten den Geschenkesack nicht merklich schwerer. Nur wunderte er sich, dass er das verbrauchte Verpackungsmaterial der abgearbeiteten Stationen nie ausleeren musste. Es verschwand einfach, zusammen mit dem Packzettel.
Was Goku aber absolut nicht verstand, war, weshalb er und die Rentiere wie blöd über den Kontinent hetzen mussten, wenn sie ihre Stationen auch ohne so grosse Umwege planen konnten. Diese ganze Nacht-Reiserei machte einen ja deprimiert. Er kletterte wieder nach Vorne und wickelte sich, in Erwartung eines langen Fluges, in seine Wolldecken ein.
Als er Rudi seine müssigen Überlegungen darlegte, flippte das Ren bald aus.
"Was willst du? Den Zustellplan umstellen? Geht's dir noch gut? Wir Neun sitzen ein dreivertel Jahr an dem Plan, und du Greenhorn willst nach noch nicht mal zwölf Stunden Dienst alles anders machen? Das schlag' dir mal ganz schnell aus dem Kopf, Goku. So etwas kommt uns gar nicht in die Tüte. Wenn du eine Ahnung hättest, wieviel Arbeit wir jedes Jahr..."
"Ist schon gut!" unterbrach Goku die Tirade des Rentiers. "Ich dachte nur..."
"Das ist ja noch schöner! Ein Ersatzweihnachtsmann, der denkt! Ein Saiyajin, der mit seinen zwei Krümeln Heu angibt!"
"Hör' schon auf. Wenn ihr die Tour ein Jahr im Voraus plant, warum bitte fetzen wir von einem Ende des Kontinents zum nächsten? Und hinterher wieder zurück?"
"Weil wir so überall rechtzeitig ankommen, du Held! Nicht zu früh und nicht zu spät. Oder glaubst du wirklich, dass du einfach so in Kamine hupfen kannst, in der Erwartung, deinen Job erledigen zu können, ohne dass dich jemand sieht? Das ist alles gründlichste Planung von deinen zuverlässigen Rentieren, 365 Tage im Jahr im Einsatz und keine Woche Urlaub! Ganz abgesehen von..."
Goku lief rot an, aber in der Dunkelheit war es glücklicherweise nicht zu sehen. Er hatte sich tatsächlich schon drei Mal erwischen lassen. Allerdings war das garantiert nicht nur seine eigene Schuld. "Und wegen dieser Pünktlichkeit fliegen wir offensichtlich Stunden zwischen den Zielen hin und her, ja?"
"Genau! Offensichtlich ist das Wort! Wir folgen Zeitlinien, und dadurch vergehen nicht einmal Sekunden..." Rudi brach ab. Sie flogen gerade über eine Stadt. Die weihnachtliche Beleuchtung hielt sich in Grenzen, nur in ein paar Vororten glänzten und glitzerten die Dächer in überweihnachtlichem Kitsch. Rudis Aufmerksamkeit richtete sich auf eine alte Brücke mit mehreren Bögen, die mit einfachen Lichterketten nachgezeichnet war. Durch das Fehlen von weiteren "Verzierungen" sah die Anlage sogar recht reizvoll aus. Das Rentier dagegen zischte.
Goku sah sich um. Normalerweise liess sich das Ren durch nichts davon abbringen, Goku zurechtzustutzen, ihn über seine himmelschreiende Unwissenheit aufzuklären oder ihm schlechte Witze zu erzählen. Was lenkte also Rudi von seiner Lieblingsbeschäftigung – über Goku herziehen – so sehr ab, dass er sich mitten in der Tirade unterbrach?
Die Brücke selbst war es wohl nicht, sie hatten ja schon ein paar solche Bauwerke überquert, ohne dass Rudi reagiert hätte. Hellerleuchtete Dächer oder gar "Schlittenlandebahnen" waren in der Gegend auch nicht zu haben, bis auf die eine Lichtanlage hinter ihnen, aber die war mit dem im warmen weiss nachgezeichneten Dachrand noch recht diskret. Über die Brücke fuhren ein paar rot lackierte LKWs, die konnten es wohl nicht sein. Vor ihnen lag ein Gehöft, das strahlend leuchtete, aber Goku ordnete das mit seiner neuerworbenen Erfahrung als "Von-Oben-Erkenner" eher als Flutlichter für den Wirtschaftshof ein. Rudi scherte sich nicht um solche Sachen.
Auf einmal kippte der Schlitten scharf nach links. "He!", "Was soll das", und "Rudi!" erhoben sich Goku unbekannte Stimmen aus dem Gespann. Rudi brüllte über die Proteste hinweg "Attackeeeeee!" und riss den Schlitten senkrecht zur Erde hinunter.
"Rudi, was soll das?!?" brüllte Goku, der den Erdboden rasend schnell auf sich zukommen sah.
"Ich werde diese irren Trucks überfahren!" kreischte das Leittier, während es noch mehr Geschwindigkeit aufnahm. Die anderen acht Rentiere gingen mit, um nicht mitgerissen zu werden.
"Wofür denn das?!" wenn der das Vieh mit Reden ablenkte, würde es dann vielleicht seinen Wahnsinnsgalopp abbrechen?
"Diese Idioten haben den alten Weihnachtsmann auf dem Gewissen! Und schau' dir doch die Lackel an!"
Rudis Ziel war offensichtlich doch die Brücke. Die roten LKWs hatten ihre Beleuchtung eingeschaltet und rollten jetzt gemütlich durch die Stadt. Die Schlittengefahr hinter sich nahmen sie nicht wahr.
"Beleuchtet, dass es nur so stinkt! Die Chutzpah! Und dann noch..."
Das Leittier war nicht zu bremsen. Und der Schlitten war jetzt auf der gleichen Höhe wie die Trucks, und Rudi holte mit der kinetischen Energie des Sturzes aus rund einem Kilometer Höhe immer weiter auf. Er wollte die Lastwagen wohl rammen.
Goku durfte das nicht zulassen. Rudi war für ihn unentbehrlich, und einen kaputten Schlitten konnte er sich nicht leisten. Rudi giftete weiter vor sich hin.
Er überlegte fieberhaft. Der Weihnachtsmann hatte Goku einiges zu den Rentieren erzählt, als sie nach der verkorksten Flugstunde wieder zurück im Haus waren. "Donner war mein erstes Leittier," hatte der Weihnachtsmann erläutert. "Er ist sehr ruhig und zuverlässig und arbeitet schon sehr lange im Weihnachtsgespann. Tatsächlich war er schon mein Schlittentier, als ich die Geschenke noch mit einem Einspänner ausgefahren habe. Rudi ist temperamentvoller und hat ein faules Mundwerk, aber sein Organisationstalent und sein Orientierungssinn sind unvergleichlich. Also hat er jetzt den Job als Leittier, aber Donner hat immer noch viel Einfluss im Gespann..."
"Donner! Blitz!" überschrie Goku Rudis lautstarke Meinungsäusserungen. "Das ganze Gespann! Bremst Rudi aus, bevor noch etwas passiert! Wir müssen nach Osten, zum Hotel Royal in der östlichen Hauptstadt, und zwar auf unserer Zeitlinie, und nicht auf einer anderen!" Goku hoffte, dass er Rudis wirre Ausführungen von vorher richtig zusammengestöpselt hatte. Wenn nicht, dann würde der Schlitten in einer Minute die Lastwagen rammen. Und Goku war sicher, dass die Lastwagen beschädigt, der Schlitten zerstört und die Rentiere verletzt werden würden. Er selber hätte kein Problem, so ein Unfall war nichts gegen die Kämpfe, die er schon mitgemacht und überlebt hatte. Aber die Rens...
Lange Momente geschah nichts. Dann, schweigend, wie die Tiere bis jetzt alles unter sich abgemacht hatten, zogen die acht anderen Rens den Schlitten wieder in die Luft, während Rudi weiter nach unten drängte. Kurz darauf nahmen sie wieder Ostkurs. Rudi giftete und schimpfte noch ein paar Minuten, aber nachdem er die Weihnachtstrucks aus den Augen verloren hatte, beruhigte er sich wieder.
Goku atmete ein paar Mal tief durch, um sich nach der Beinahekatastrophe zu beruhigen, und wartete noch ein paar Minuten, bis Rudis Gegrummel erstorben war. Er wollte das Ren nicht wieder aufbringen, also fragte er nicht nach den LKWs. Ein sicheres Thema gab es aber garantiert.
"Sag' mal, Rudi, wo geht es denn jetzt hin?"
"Bin ich dein persönlicher Sekretär??"
Er hatte sein Giftren wieder.