Nachtlicht
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Im Radio läuft Tartinis "Teufelstanz Sonate". Dieses Stück soll seinen Ursprung in einem Traum Tartinis haben. In seinem Traum erschien ihm der Teufel und versprach ihm die Erfüllung aller Wünsche , als Gegenleistung verlangte er ein Stück auf Tartinis Geige spielen zu dürfen. Der Pakt wurde geschlossen. Des Teufels Violinenspiel empfand Tartini seinem eigenen in Genialität und Schönheit überlegen, worauf er Minderwertigkeitsgefühlen und Verzweiflung verfall , in deren Qualen er aufwachte. Angeblich komponierte er die "Teufelstanz Sonate" direkt nach Erwachen. Er wollte das Violinenspiel des Teufels nachspielen. Für mich klingt die musikalische Umsetzung dieser Geschichte , als hätte sein Unterbewusstsein die Musik geformt. Das Ansteigen seiner Verzweiflung im Wechsel mit dem Triumph des Teufels. Die Angst des Künstlers im größten Talent besiegt zu werden , im Meistgeschätzten nicht der Beste zu sein , alles Gewollte zu bekommen während das intensivste Bedürfnis unbefriedigt bleibt. Ob Tartini die Botschaft seines Traumes begriffen hat ? Ich verstand nicht wie Beckett diese Banalität warten als Handlung eines Theaterstückes verwenden konnte. Meine Mitschüler scherzten während die beiden Protagonisten auf Godot warteten , würden die Zuschauer auf ein baldiges Ende der Aufführung warten. So entstehe ein Theatersaal voller Wartender. Wir besprachen die übliche Interpretation , das Godot eine Chiffre für Gott sei. Zwei Elende die auf Gottes Erlösung warten , der diese versprach aber ihre Aufschiebung immer wieder durch einen Boten überbringen lässt. Das Schicksal der Gläubigen. Anstatt die Erlösung selbst herbeizuführen, verharren sie in der Hoffnung auf Gott. Durch meine Unaufmerksamkeit beim Lesen erfasste ich den Inhalt nicht , die Interpretation hielt mich von einem erneuten Lesen ab. Drei Jahre später, an einem Sonntagmorgen erinnerte ich mich an das Buch. Ich war interessiert, ich weiß nicht aus welchem Grund. Einen Tag später kaufte ich es und las es erneut. Es gefiel mir. Ich las darin eine Parabel des Menschenlebens. Das Leben als ein Warten auf etwas, das nicht kommt. Etwas das dem Warten, somit dem Leben einen Sinn gibt. Ein Beenden des Wartens würde dessen Sinnlosigkeit offen legen, es wird weiter gewartet und ertragen. Des Lebens Langeweile und Sinnlosigkeit überspielt und zugleich eingestanden durch Trivialitäten und Unfug. Der Mensch begibt sich in Abhängigkeit zu anderen, da es angenehmer ist gemeinsam zu warten. Jede Abwehr des Denkens und der Langeweile ist recht. Auch wenn die Ablenkung das Begaffen eines gequälten Menschen ist. Es erfreut sie ihn etwas zu quälen, dadurch können sie sich Höherwertigkeit illusionieren. Der Unterhaltungswert des Leides. Godot könnte Chiffre für Erfolg oder Glück sein, eigentlich für alles das die Menschen als Sinn gebend erachten. Natürlich ist die Assoziation Godots mit Gott logisch. Beide haben Boten die den Glauben an ihre Existenz stabilisieren und Hoffnung auf Erlösung geben. Aber beide erscheinen nicht, der Zeitpunkt der Erlösung ist ungewiss. Der Gedanke an die Wut Godots hält sie vor der Beendung des Wartens ab, sie wollen ihn nicht verpassen, wenn er kommt. Die Aussicht auf das Paradies lässt das Leid des Lebens und Wartens lohnenswert erscheinen. In meiner Interpretation verweigerte ich eine konkrete Entschlüsselung der Person Godots. Er ist das scheinbar existente Heilversprechen. Die religiöse Interpretation war mir zu offensichtlich. Da ich mir über das Vorhandensein von Erfolg und Glück sicher bin, das Vorhandenseins Godots aber ungeklärt ist, schien mir diese Übersetzung unpassend. Ein Werk kann durch Interpretationen zerfallen, daher bevorzuge ich eine vorsichtige, wenn auch ungenaue Deutung. Kunst soll Anstoß zum eigenen Denken sein, dafür bedarf es keiner Sezierung. Bei der zweiten Auseinandersetzung mit dem Drama musste ich an eine Frau denken, mit der ich in dieser Zeit ein Verhältnis hatte. Sie wartete ebenfalls. Sie wartete auf meine Liebe, die ich ihr in Aussicht gab. Ich war mir nicht sicher ob ich sie lieben könnte. Mein Wissen um ihr Warten machte es mir unmöglich sie zu lieben. Wie der Diener die Lasten seines Herren als Beweis für seine Unentbehrlichkeit nie abstellte. Dieser wollte ihn trotzdem verkaufen, der Diener war durch die Kontinuität der Last geschwächt und nützte nicht mehr. Vielleicht wäre Godot gekommen, wenn die beiden Landstreicher nicht mehr auf ihn gewartet hätten. Vielleicht hätte Pozzo seinen Diener verkauft, wenn er durch seine Erblindung nicht ebenso schwach geworden wäre wie dieser. Einige Tage später ertrug ich ihr Warten nicht mehr und trennte mich. Warten ist eine der Hauptbeschäftigungen während des Lebens. Ich warte nicht mehr. Auf was könnte ich auch warten. Je älter man wird, desto häufiger unterlässt man das Warten, oder fühlt es nicht mehr. Als Kind wartet man auf das erwachsen sein, ist man erwachsen wartet man auf Beginn und Ende des Studiums, der Arbeit, auf die Straßenbahn. Hat man die durchschnittliche Lebenserwartung überschritten wartet man auf den Tod. Trotz der Nichttätigkeit im Warten bedeutet es Veränderung. Am Ende des Wartens hat sich die Situation geändert und ist es nur Enttäuschung über dessen Sinnlosigkeit. Im Warten spürt man die Bewegung des eigenen Lebens, es markiert Lebensereignisse. Ich bin zu jung um auf den Tod zu warten, zu alt um zu erwarten. Homosexualität galt als Gesellschaftsabnorm, jetzt bleibt sie im Konservativen Milieu Abnorm und ist in der Mehrheit der übrigen Milieus Teil der Norm. Normen werden von Mehrheiten, von Gesetzen, durch Medien definiert und gestaltet. Bestimmte Normen dienen dem Schutz des einzelnen und der Allgemeinheit, andere dienen den Interessen bestimmter Gruppen, etwa dem Machterhalt. Es gibt zu viele Normen deren Existenz aus dem Misstrauen und der Furcht vor dem Fremden entstand. Ein Individuum das der Norm absagt hat immer eine Mehrheit zum Feind. Diese fordert von ihm die Einhaltung der Norm, widersetzt es sich wird ihm geschadet. Es scheint eine Urvorliebe der Menschen zu sein sich in Gruppen zu raffen. Die Gruppe bietet ihm Geborgenheit und Bestätigung, als Gegenleistung müssen sich die Mitglieder aneinander anpassen, wodurch die Selbstverwirklichung eingeschränkt wird. Außerhalb der Politik sollte man die Gruppe durch Zusammenkünfte von Individuen ersetzen. Erst durch die Schwäche der meisten Menschen als Individuum nicht bestehen zu können, erlangen Gruppen ihre Notwendigkeit. Halt, als ich die Menschen als Gefangene ihrer Sozialisation kritisierte, war ich nicht im selben Moment indem ich diese Sätze dachte, ebenfalls einer von ihnen? Gab mir dieses Glaubensmilieu nicht den Anlass meinen Begriff von Würde zu definieren? Wäre ich in einem anderen Milieu aufgewachsen, hätte ich mich dann auch mit der Würde beschäftigt? In einer Umgebung in der sie wie in der Verfassung geschrieben gültig ist, hätte ich sie dort als Selbstverständlichkeit empfunden, als nicht bedenkenswert? Mögen die Gedanken auch Sachlichkeit, die Themen Allgemeingültigkeit haben, der Auslöser des Denkens ist die eigene Betroffenheit und Erfahrung. Der Anfang meiner vorherigen Gedankenkette waren die Erfahrungen mit diesen Gläubigen. Man kann nur Bekanntes bedenken. Wie soll jemand über einen Schmetterling denken, wenn dieser in seiner Erfahrungswelt nicht existiert? Diese Abhängigkeit des Denkens begrenzt die Freiheit des Menschen. Mit der Kategorisierung verhält es sich genauso. Ab unserer Geburt sortieren, verteilen und bewerten wir alles, der Kategorisierungstrieb ist in uns. Unsere Umgebung verstärkt und lenkt ihn. Etwas ist gut oder böse, es gibt keine gebräuchlichen Begriffe in unserer Sprache, die es uns erlauben, den Zwischenbereich auszudrücken. Halbböse, mittelgut, dreiviertelschlecht, das ist kein gutes Deutsch. Zudem ist es vage, diesen Adjektiven fehlt die Konkretheit der Assoziation, wie man sie bei gut und böse hat. Dabei gibt es einen Bereich zwischen gut und böse. Warum hat der Mensch keine Wörter für ihn? Die Steigerung zeigt nur den Grad der Zustände an. Der Mensch hat doch auch Farbskalen entwickelt auf denen die Entwicklung, die Abstufungen zwischen Weiß und Schwarz ersichtlich sind, warum hat er es bei anderen Zuständen unterlassen? Fehlte ihm das Bewusstsein dafür? Oder hätte es den Sinn der Kategorisierung verfehlt Überschaubarkeit, Vereinfachung und Orientierung zu schaffen? Die Farbe Grau besitzt Eigenständigkeit und eigene Abstufungen, ein Wort wie halbgut wäre immer noch auf gut bezogen. Es besäße weder Eigenständigkeit noch eigene Abstufungen, es ließe sich als Adjektiv nicht steigern. Für andere Zwischenzustände gibt es Begriffe, zwischen heiß und kalt ist es warm. Warum gibt es Ausdrücke für Zwischentemperaturen, aber nicht für Zwischenwertigkeiten? Zwischenwertigkeiten sind unmessbar, vielleicht hat deshalb niemand die Mitte von gut und böse erkannt. Die Begriffe des Menschen sind unzureichend um seine Wahrnehmungen in all ihrer Differenziertheit zu sagen, ja überhaupt zu denken. Und diese Absagungen die aus Entscheidungen erzwungen werden: wenn ich für etwas Zuneigung habe, muss ich seinem Gegenteil abgeneigt sein. Vorhin im Supermarkt war ich auch Verdammter meiner Denkstruktur. Gibt es einen Ausweg? Wir könnten neue Wörter bilden, aber könnten wir ohne Kategorisierung denken? Warum sollte man es ändern? Die Mängel der Sprache lassen sich durch andere Mitteilungsformen wie Malerei, Musik, Tanz ausgleichen. Ich fragte mich ob Sorglosigkeit eine angemessene Belohnung für Unfreiheit ist. Homosexualität scheint in einigen Fällen eine Vollendung des Narzissmus zu sein, indem der Partner ein Abbild des eigenen Ichs ist oder als solches, unterbewusst, angesehen wird. Ich traue euch Weibern nicht und seid ihr noch so hübsch und lieb und vertrauenserweckend, woher soll ich wissen das ihr nicht auch zu einer dieser Altfotzen werdet, die ihre Haare kurz schneiden, Lockenwickler reindrehen, deren Haar stumpf wie Putzwolle ist und die ihre Männer bevormunden, weil sie das für emanzipiert halten oder weil sie einfach zu dumm oder zu faul waren um im Leben etwas zu erreichen und nun ihren ganzen Ergeiz in ihre Familie, ihre Daseinsberechtigung stecken. Und selbst wenn ihr Erfolg habt, dann glaubt ihr, ihr könnt euren Mann rumkommandieren wie eure Sprechstundenhilfen. Die Würde, die ihm die Gemeindemitglieder geben schützt ihn vor der Boshaftigkeit dieser Leute die sie unter ihrer Frömmigkeit verbergen. Die Würde ist für mich körperlos, ein Abstraktum: Würde bedeutet Freiheit des Willens, des Denkens, des Handelns, des Seins. Die Würde verleiht dem Menschen ein Recht auf Respektierung dieser Freiheiten, insofern sie nicht die Würde anderer antasten. Sie gibt ihm einen Wert, der höher als der Geldwert ist. Des Menschen Würde bedarf keiner Gemeinde, keinem Gott. Er besitzt sie von sich, in sich, ab dem Zeitpunkt an dem er zu leben beginnt. Was unterscheidet den Menschen von der Maschine? Es gibt Roboter die das Lächeln eines Menschen erwidern, als eine programmierte Reaktion. Der Mensch nimmt aus Erfahrung an, ein Lächeln sei positiv. Er wird es aber nicht automatisch erwidern, er kann es deuten. Er kann dahinter Falschheit erkennen oder es nicht auf seine Person beziehen. Er will es nicht erwidern, weil er vorher verärgert wurde und ihm die Lust auf ein Lächeln fehlt. Wenn man einem Roboter Deutungsmöglichkeiten verleihen könnte, wie würde er dann auf das Lächeln reagieren? Der Roboter wird keinen Ärger empfinden, Gefühle beruhen auf Chemischen Vorgängen im Körper, die sich bis jetzt nicht mit der Technik verbinden lassen. Der Roboter kann wie der Mensch Fakten sammeln und sie analysieren, der Mensch kann sie werten. Er kann ihnen Adjektive zuordnen. Der Mensch kann ohne Fremdbestimmung Neues erschaffen, er hat Visionen. Die Wahrnehmung seiner Selbst und der Umwelt ändern sich mit dem Alter, die des Roboters nicht. Wie ist die Wahrnehmung des Roboters? Ist sie der eines Tieres ähnlich? Kann ein Tier werten? Die Umwelt hat für ein Tier Funktionen, ein Baum kann Nahrung und Behausung sein. Wenn das Tier ihn nutzt, ist es sich dieser Nutzung und der Bedeutung der Bäume für sein Überleben bewusst? Ist das Verhalten eines Tieres mit dem eines Roboters vergleichbar? Ist Instinkt eine programmierte Reaktion? Die Zeit ist eine der wenigen Konstanten im Universum. Fragt der Mensch nach dem Universum wann und wo sein Ursprung war, wann und wo es enden wird, richtet er diese Fragen sogleich auf die Zeit, denn sie entstand und wird mit dem Universum enden. Da man annimmt das Universum sei die Verkörperung der Ewigkeit, ohne Anfang und Ende, besitzt die Zeit dieselben Eigenschaften. Die Uhren lassen sie erkennen, errechnen, einteilen. Viele Leute glauben die Umstellung der Zeitmessgeräte würde ihnen im Sommer weniger, im Winter mehr Zeit bringen. Sie mögen diese Illusion und fühlen sich durch ihre veränderte Zeitwahrnehmung bestätigt. Sie irren die Zeit renne, schleiche, stehe still, sie glauben ihre Zeitempfindung sei das tatsächliche Tempo der Zeit. Sie behandeln sie wie einen Zustand oder einen Besitz, wieder wird kategorisiert. Dabei ist die Zeit selbst eine, ihre eigene Kategorie. Sie irren sie hätten Zeit oder sie hätten im Vergleich zu anderen weniger Zeit, es gäbe Zeitlosigkeit. Es gibt in diesem Universum keine Zeitlosigkeit. Welche Irrtümer unsere Sprache verbreitet in dem sie Sachen, Themen fortwährender Aktualität als zeitlos benennt. Die Geschwindigkeit der Zeit bleibt, die Menschen überfordert es nur die Anforderungen der Gesellschaft mit der Zeiteinteilung zu vereinbaren. Unsere Zeitwahrnehmung wird wie bei allen Lebewesen durch Sonnenaufgang und Sonnenuntergang bestimmt, daher würde eine Veränderung der Zeiteinteilung nur Verwirrung und Verstörung erzeugen. Erneut erlege ich Sprachirrtümern! Die Sonne geht weder auf, noch unter; es wird nie die Erde in ihrer Gesamtheit von ihr bestrahlt, die Sonne selbst übt keine andere Tätigkeit außer ihrer Drehung aus. Besteht denn der Großteil der Sprache aus Fehlbegriffen? Man kann es nicht umgehen. Es ist unmöglich sich allem bewusst zu sein. Es gibt so vieles das wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können, Lichtfrequenzen, Tonfrequenzen. Wir können im Alltag nicht auf die Wahrheitsmäßigkeit jedes Wortes achten, bei vielen können wir es nicht beurteilen. Man muss es hinnehmen. In den Blättern baut sich die Farbe ab. Waren sie vorher in der Dunkelheit zu Boden unsichtbar, reflektiert nun ihre Helligkeit das Licht der Straßenlaternen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht das erste Skelett eines Baumes. Ein Mann tritt gegen eine Dose. Im Schreck des Geräusches zuckt er seinen Kopf zwischen die Schultern, in dieser Haltung setzt er seinen Weg fort. Das Denken kann die Scham überlagern, in meiner Müdigkeit dringt sie wieder hervor, in ihr vergrößert sie ihre Stärke. Hinter den Fenstern huschen die Menschen. Vor der Beleuchtung ihrer Wohnungen grauen ihre Umrisse in den Gardinen.