Graufuchs
Instrument of Destruction
Autor:
Graufuchs
Titel:
Aeruin: Sanktuarium / Sanctuary
Teile:
Mehrere, 12 Kapitel
Genre:
Mix aus Abenteuer, Action, Drama, Erotik, Fantasy, Lime, Science Fiction, Violence etc.
Serie:
FanFic, Mini-Serie
Disclaimer:
Ich weise darauf hin, dass alle in diesem Werk genannten Orte, Personen und Monster geistiges Eigentum des Users Antheon sind. Selbst die von mir entworfenen Kreaturen und Standorte gebe ich mit Freuden in seine Obhut. Lediglich die Charaktere sind mein geistiges Eigentum. Außerdem sind alle Charaktere frei erfunden, und keiner realen Person nachempfunden.
Meine FanFiction schreibe ich, um Antheon zu ehren und hoffe, größere Aufmerksam auf seine definitiv lesenswerten Werke zu lenken. Die Story ist als Spin-Off zu betrachten, mit leichten Prequel-Elementen, die sich aber eher auf das Aeruin-RPG beziehen. Sollte sich hier irgendetwas mit Elementen aus Antheon's Aeruin-Saga oder dem RPG beissen, ist diese Geschichte hier als alternative Realität und auf jedenfall non-canon zu betrachten.
Widmung:
Chris
Legende:
"..." - Direkte Rede
kursive Schrift - Gedanken oder Rückblende
------------------------------------------------------
WARNUNG:
Diese Geschichte enthält unter anderem Szenen mit hohem (explizitem, exzessivem) Gewaltanteil (Gore), beleidigende Ausdrücke und Erotik, die für junge und/oder sensible Leser störend sein können. Sollte dies in irgendeiner Weise auf Sie zutreffen, bitte, überlegen Sie es sich wirklich, ob Sie diese Geschichte lesen wollen!
Naja, viel Spaß beim Lesen!
------------------------------------------------------
Aeruin | Sanktuarium / Sanctuary Sie trafen sich um zwölf Uhr mittags an einem überraschend warmen Januarsonntag in einem kleinen Restaurant, in dem man draussen sitzen konnte, ein paar Häuserblocks von der Aircycle-Rennbahn entfernt. Der Telefonanruf in der Nacht zuvor bei einer Geheimnummer im Hauptquartier von AEGIS, der Abteilung zur Eliminierung von Gesetzesbrechern im Interesse der Sicherheit, war knapp und ohne Umschweife gewesen. Der unbekannte Sprecher gab Ort und Zeit an, die Person, die teilnehmen sollte, warnte "keine Tricks" und erwähnte eine unglaubliche Summe Geld und das Versprechen auf viele wertvolle Informationen, die angeblich exakt im Interesse von AEGIS lagen. Aber es war der letzte Satz der Konversation gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass das Treffen stattfinden würde. "Wir werden", erklärte die geheimnisvolle Stimme in einem ernsten, Unheil verkündendem Tonfall, "von den Vaishara sprechen."
Major Marston kam zuerst. Er kam zu einem Treffen stets zu früh. Besonders, wenn es sich um ein wichtiges Treffen handelte. Der große, kräftig gebaute Mann Ende fünfzig mit dem kurzen, weißen Haar und dem breiten, ebenso weißen Schnurrbart und den dazu passenden, hellgrauen Augen sah selbst in Straßenkleidung aus wie eine Respektsperson. Wie ein Soldat. Er umgab sich mit einer ruhigen Atmosphäre der Autorität, gleich jemandem, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen, denen man besser gehorchte. Major Marston, ein Mann von unerschütterlichem Patriotismus und wilder Entschlossenheit, bewegte sich mit einer absoluten Sicherheit, die von Jahrzehnten der Erfahrung und zahlreichen Gefechten herrührte.
Wie in der telefonischen Botschaft spät nachts verlangt kam er unbewaffnet zu dem Treffen. Nicht, dass ihm das Sorgen machte: Nach mehreren Dekaden im Dienst, zahlreichen Gefechten und unzähliger Erfolge hatten ihm seine Vorgesetzten einige biomechanische Verbesserungen bezahlt. Er hatte einen Reflexbooster im Rückgrat, der ihn mit der Schnelligkeit der Jugend handeln ließ. Blitzschnell würde er reagieren können, falls da jemand ein falsches Spiel spielen wollte. Sein linker Arm war außerdem kybernetisch, seit er das Original bei einem Gefecht vor knapp zehn Jahren verloren hatte. Der Ersatz war mit Synthfleisch überzogen und stark genug, einen echten menschlichen Arm wie einen Zweig zu zerbrechen. Desweiteren gab es fünf andere Agenten von AEGIS im Restaurant, darunter zwei als Schulmädchen getarnte Frauen. Alles in allem hatten sie genug Schusswaffen dabei, um einen ordentlichen Kugelhagel vom Zaun zu brechen. Und obwohl Major Marston seit Jahren eher Befehle gab als wirklich zu schießen oder zu kämpfen, trainierte er noch immer Kampfsport. Als Experte sowohl im Messerkampf als auch im waffenlosen Nahkampf konnte er einen Angreifer auf Dutzende verschiedene Weisen töten.
In Befolgung der genauen Instruktionen bat der Major um einen Tisch für drei Personen im hinteren Bereich des Innenhofs, abseits der hektischen Betriebsamkeit der Küche. Hundert Meter entfernt waren in einem angemieteten Hotelzimmer etliche Richtmikrofone, Kameras und zahlreiche Scharfschützengewehre auf eben diese Stelle gerichtet. Jedes bei diesem Treffen gesprochene Wort würde übertragen und zum späteren Abhören und Analysieren aufgenommen werden. Dank den anderen Agenten vor Ort und den Kameras würde man Mimik deuten können und hätte obendrein die Möglichkeit, die Datenbank von AEGIS nach dem oder den anderen Anwesenden zu durchsuchen. Der Major lächelte und wies den Kellner an, eine Flasche Rotwein zu bringen, jedoch nicht den synthetischen Fusel, der mit echten Trauben nichts mehr gemeinsam hatte. Trotz aller Disziplin und Loyalität musste man sich hin- und wieder auch etwas gönnen.
Er trank gerade sein erstes Glas aus, als ein junges Pärchen seinen Tisch ansteuerte. Einen Moment lang musste der Major an seine verstorbene Frau denken, und daran, wie er selber einst mit ihr so verliebt durch die Welt spaziert war. Nun sorgte der Anblick Liebender für einen schalen Geschmack in seinem Mund. Er hoffte, sie würden sich abwenden und ans andere Ende des Innenhofs setzen. Er verstand das Verhalten der beiden jungen Turteltauben, dennoch waren Gekicher und andere Albernheiten am Nebentisch alles andere als nützlich, wenn es um ernste Gespräche ging. Doch leider sah es nicht so aus, als würden die zwei Verliebten sich für eine andere Ecke des Hofs entscheiden, denn sie setzten sich direkt zu Major Marston an den Tisch. Ein junger Mann und eine junge Frau, etwa zwischen sechzehn und achtzehn Jahre alt. "Major Marston, nehme ich an?" erkundigte sich die junge Frau und nahm ihren weißen Sonnenhut ab und legte ihn auf den Tisch. Es war ein recht zierliches, schlankes Mädchen mit einer weißen Bluse, einem ebenso weißen Rock und langen, roten Haaren und grünen Augen. Sie lächelte den Major freundlich an, doch diesem entging nicht, wie sie sich wachsam umsah, ehe sie entspannt die Hände auf dem Tisch faltete. Der Major sah das Mädchen perplex an und nickte dann, ehe er ihren Begleiter betrachtete. Der junge Mann trug eine schwarze Hose, feine Lederschuhe, ein weißes, ärmelloses Hemd und eine schwarze Krawatte. Er hatte schulterlanges, schwarzes Haar und eisblaue Augen und er nickte dem Major freundlich zu, ehe er den Kellner heran winkte. "Das muss ein Missverständnis sein", stammelte der Major beim Anblick des Pärchens, sah sich dann jedoch genauer um. Vielleicht war das alles nur ein Scherz. Er hatte ganz bestimmt nicht mit zwei Teenagern gerechnet. Sofort wurde er wütend. Doch der junge Mann schüttelte nur den Kopf. "Nein, Major. Sie sehen schon recht. Wir sind hier, um mit Ihnen über Vaishara zu sprechen. Vergessen Sie, was sie vor sich sehen und schieben sie ihre Zweifel beiseite. Dann kann unser Gespräch nämlich endlich beginnen."
Marstons kalte, hellgraue Augen fixierten die eisblauen Augen des Jungen. Nur wenige Menschen konnten Major Marstons durchdringendem Blick länger als einen Augenblick standhalten. Der Bengel jedoch blinzelte nicht einmal. Vielleicht war es bloß die Naivität der Jugend, aber der Knabe erwiderte den Blick des Majors mit einer Heiterkeit, der die grimmige Miene des Majors nichts anhaben konnte. Vor Überraschung und Irritation knurrend unterbrach der ältere Mann schließlich den Blickkontakt. Ein kurzer Schmerz flackerte kurz in der Brust des Majors auf, aber er ignorierte ihn. Ein weiteres Glas Wein würde ihm helfen, sich zu entspannen. Er hatte das plötzliche Gefühl, er würde eine Menge Wein brauchen, ehe der Mittag vorüber war. Während er sich sein Weinglas füllte, bestellten sich das Pärchen Orangensaft und Früchtetee. "Und ihr seid?", fragte der Major als der Kellner davon eilte. Der junge Mann mit dem Schlips saß ihm genau gegenüber, links von sich seine Freundin. Vorsichtig lehnte der Junge mit dem weißen Hemd einen schwarzen Lederkoffer gegen das Tischbein. "Nennen Sie mich Michael", sagte der Junge und grinste kurz. "Wie der Komiker, der immer so gut Grimassen schneidet. Das da ist Arikel", sagte er mit einem Kopfnicken zum Mädchen. "Ich freue mich schon den ganzen Tag auf unser Treffen", sagte der Junge und zupfte an seinem Schlips, "Selten trifft man so ein hochrangiges Mitglied des Militärs, mit so viel Erfahrung und Schneid." Er kicherte ausgelassen. "Oder sagt man das heute nicht mehr? Schneid? Gibt sicher zahlreiche andere, passende Worte. Aber Sie wissen schon, was ich meine..." Er wurde vom Räuspern des Mädchens unterbrochen. Arikel strich sich durch das rote Haar und fixierte ihren Begleiter mit ihren grünen Augen. "Konzentrier du dich auf deine Aufgabe so wie ich mich auf meine, ja?" Der Kellner brachte die bestellten Getränke und Major Marston beobachtete etwas verwirrt, wie der Junge namens Michael sich voller Begeisterung seinen Orangensaft griff und das Glas sofort leerte, während das Mädchen fast angewidert am Tee nippte. "Die Speisekarte bitte", sagte Michael zum Kellner und lächelte freundlich. "Wir sind nicht hergekommen um zu essen", protestierte Major Marston. "Stimmt", sagte Michael und nickte zustimmend. "Aber bei gutem Essen redet es sich besser. Und ich bin hungrig. Wir sind seit Ewigkeiten wach. Und die Bordverpflegung in den U-Tubes mag zwar manchen schmecken, aber mir mundet sie nicht. Ich brauche vernünftige Nahrung." Der Junge kicherte und strich sich sein weißes Hemd glatt. "Und außerdem werden Sie mehr zu sagen haben als wir."
Der Major nickte, seine Gedanken rasten. Die Sache lief gut. Michaels beiläufige Bemerkung über die U-Tubes spielten AEGIS direkt in die Hände. Major Marston war sich sicher, dass seine Leute am Mikrofon bereits beim Untergrund-Terminal anriefen. Es würde nicht lange dauern, die Untergrund-Bahnen zu überprüfen, die in den letzten Stunden angekommen waren, besonders nicht, wenn die Autorität des Militärs hinter der Bitte stand. Noch vor Ende des Mittagessens würde AEGIS die wahren Namen des Pärchens und ihre Herkunftsorte kennen. Das war alles ganz einfach, wenn man die richtigen Verbindungen hatte und wusste, welche Fäden man ziehen musste. Und AEGIS hatte unzählige Fäden in ganz Elinor in den Händen. "Sie haben das Geld?"
"Direkt hier in diesem Koffer", erwiderte Michael. Er griff nach unten und hob den schwarzen Lederkoffer auf den Tisch. Mittels eines schmalen Schlüssels ließ er das Schloss aufschnappen. Vorsichtig hob er den Deckel des Koffers ein paar Zentimeter. Major Marston keuchte unwillkürlich. Der Koffer war gefüllt mir säuberlich gestapelten Bündeln von Geldscheinen. "Zwanzig Millionen Theni", sagte Michael ruhig. Er schloss und verschloss den Koffer und stellte ihn wieder unter den Tisch. "Und da ist mehr, viel mehr drin, wenn Sie uns ein paar Fragen zufriedenstellend beantworten. Freunde - oder wenigstens Verbündete - kann man doch immer gebrauchen, nicht wahr?"
Der Major versuchte, nicht näher darüber nachzudenken, warum ein merkwürdiges, jugendliches Pärchen hier mit ihm sprach und woher sie so viel Geld hatten. Sicher waren sie nur Mittelsmänner - oder eher Kinder - aber wer schickte denn bitte Teenager vor, um solch wichtige Angelegenheiten zu regeln? "Euch?", hakte der Major nach, in der Hoffnung, mehr zu erfahren, "Oder eurem Auftraggeber?" Er fand es schwer, die beiden richtig einzuschätzen. Der Major hatte sich immer für einen guten Menschenkenner gehalten, doch diese beiden waren undurchschaubar für ihn. Das jugendliche, beinahe kindliche Verhalten biss sich zu stark mit dem Ernst in ihren Augen und der Wachsamkeit in ihrer Körperhaltung. Doch wie hatte Michael vor wenigen Minuten gesagt? Vergessen Sie, was sie vor sich sehen? Major Marston nippte am Weinglas und versuchte, sich nichts von seinen Gedanken anmerken zu lassen.
Michael lächelte nur und sagte nichts. Mit einer Handbewegung rief der junge Mann den Kellner und bestellte einen Teller Nudeln mit Tomatensoße, während seine Begleiterin nur einen großen Salat mit Joghurtdressing orderte. Der Major lehnte höflich ab. Er aß selten zu Mittag. Mahlzeiten um diese Zeit machten ihn immer träge. Er brauchte nur den Rotwein, der den nagenden Schmerz in seiner Brust betäubte. Schnell leerte er das Glas und füllte es wieder. "Welche Fragen?", erkundigte er sich, sobald der Kellner den Tisch verlassen hatte. "Fragen Sie mich, was Sie wollen."
"Die Vaishara", sagte Michael, dessen eisblaue Augen im Sonnenlicht glitzerten. "Die gefürchteten Hexen. Ihre Gruppierung jagt sie mit einer Leidenschaft, die Ihresgleichen sucht. AEGIS weiß doch sicher eine Menge über diese Wesen. Erzählen Sie mir, was sie über die Herolde der Götter wissen."
Der Major verzog das Gesicht. Er hatte nichts anderes erwartet. Aber das bedeutete nicht, dass es ihm deshalb weniger ausmachte. "Es gibt Dinge, die ich nicht enthüllen kann. Nicht ohne Erlaubnis von General Williams. Außerdem... Ich bin nur ein Soldat. Es gibt Fakten, die ich nicht verstehe und noch mehr, die mir erst gar nicht anvertraut werden."
"Ich verstehe", sagte Michael. Er nickte, als der Kellner den Teller mit Nudeln vor ihn stellte und einen Teller mit Salat vor Arikel auf dem Tisch platzierte. Michael bezahlte ihn großzügig. "Reden Sie. Ich werde danach entscheiden, ob ich mehr wissen muss."
Der Major atmete tief ein. "Wo soll ich anfangen? Man muss hier auch sehr zwischen Vermutung, Fakt und Fiktion unterscheiden. Leider ist dies nicht immer ganz einfach. Vaishara ist die Bezeichnung, die man in der Alten Welt den Sendboten der Götter gegeben hat. Angeblich waren das außergewöhnliche Wesen mit der Macht die Realität selbst zu verändern. Im Krieg der Götter sollen sie untergegangen sein, doch steht in den Legenden geschrieben, dass sie sich dereinst aus ihren Gräbern erheben und eine neue Ära einläuten sollen. Man versucht, das Geheimnis der Hexen wissenschaftlich zu ergründen, das Phänomen irgendwie zu verstehen und nachzuvollziehen. Die einzige bestätigte Erkenntnis scheint das Alter der Vaishara zu sein, denn kaum eine Hexe ist älter als achtzehn. Sie werden gejagt, gefoltert und hingerichtet, egal wie alt sie sind."
Der Major machte eine Pause, leerte sein Weinglas und bestellte sich eine weitere Flasche, nachdem er sein Glas noch einmal gefüllt hatte. Es war noch immer sonnig und hell doch für ihn war der Tag ein ganzes Stück kälter und unangenehmer geworden. "Wir jagen die Hexen, weil wir glauben, dass kein sterbliches Wesen so eine Macht besitzen darf. Außerdem glauben viele, dass sie das Ende der Menschheit einläuten und unsere Welt ins Chaos stürzen. Aeruin. Schon von dem Begriff gehört?" Michael und Arikel saßen geduldig da, aßen hin- und wieder ein wenig. Ihre Blicke und Mienen wirkten von den Enthüllungen, die da geäußert wurden, nicht verstört oder überrascht. Als sei das nichts Neues. Zum tausendsten Mal seit letzer Nacht fragte sich Major Marston, mit wem er es hier zu tun hatte. Oder noch wichtiger, wen diese beiden eigentlich repräsentierten.
Michael beugte sich nach vorne, stützte in einem Ausdruck regen Interesses das Kinn auf seine Handfläche. "Aber AEGIS gibt es nicht erst seit dem Auftauchen der Hexen. Ihre Gruppierung jagt Gesetzesbrecher, wo Polizei machtlos und Gerichte zu zimperlich sind, nicht wahr? Wie lange sind Sie schon für AEGIS aktiv? Machen Sie es wegen der Bezahlung oder macht es Ihnen einfach nur Spaß, über dem Gesetz zu stehen und über Leben und Tod der Zielpersonen zu entscheiden? Faszinierend ist auch, wie sich Ihre Gruppierung finanziert. Nicht nur durch großzügige Spenden... Eigentlich müssten Sie sich selber jagen." Der Major riss die Augen erstaunt auf, als ihn dieser junge Teufel mit den hellblauen Augen mit Tatsachen konfrontierte, die er selber auch nur aufgrund seines Alters und seines Ranges wusste. Der plötzliche Themenwechsel irritierte ihn und er nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas und war erleichtert, als der Kellner endlich die zweite Flasche brachte. "Geht es hier nun um AEGIS oder um die Hexen?", fragte er barsch, merkte wie ihm das Blut ins Gesicht schoss und setzte an, um ein verbales Donnerwetter über seine jungen Gegenüber zu entfesseln. Doch er hielt inne, als ihm klar wurde, dass dies Konsequenzen nach sich ziehen würde. Er atmete tief durch und sein Zorn wich Verwirrung, als Michael ihn höflich anlächelte. "Ich sehe es eher so, dass das Schicksal von AEGIS mit dem der Vaishara verknüpft zu sein scheint. Jäger und Gejagte. Opfer und Täter. Gut und Böse, wenn Sie so wollen. Wer nun wer ist, vermag ich jedoch nicht zu sagen." Michael schaute missmutig sein leeres Glas an und nippte dann frech am Früchtetee seiner Begleiterin, erntete sofort einen bösen Blick des zierlichen Mädchens mit den roten Haaren.
"Nur deswegen kam ich kurz vom Thema ab. Ich versuche, zu verstehen. Nur deswegen sind wir hier. Erzählen Sie ruhig weiter, Major." Dieser füllte sein Weinglas und öffnete den obersten Knopf seines Hemds, um besser Luft zu bekommen. Er räusperte sich kurz, ehe er leise weiter sprach. "Egal ob die Hexen nun eine zufällig auftretende Mutation darstellen oder wirklich Abgesandte höherer Wesen darstellen, sie bedeuten nichts Gutes. Ich habe gesehen, wie diese angeblichen Götter ganze Regimenter auslöschten und dabei einen Kugelhagel überstanden, der ganze Stadtviertel um sie herum pulverisierte. Ich bin kein Gelehrter. Ich weiß wenig über die Alte Welt und konzentriere mich lieber auf die Gegenwart, anstatt über alte Schriften, Mythen und Ruinen nachzudenken. Aber wenn mir ein Wesen gegenüber steht, welches Blut an den Händen hat und mächtig genug ist, mich wie ein Haustier zu halten, dann weiß ich, was ich mache: Ich wehre mich! Und egal wie mächtig diese Dinger sind, sie sind immer noch sterblich. Sendboten der Götter? Wenn die Götter so grausam sind, diese Biester zu uns zu schicken, dann glaube ich doch lieber an Wissenschaft, Technik und guten Waffen, die mein Seelenheil und meine Sicherheit festigen. Glaube? Für mich nicht mehr als Schwarzstaub fürs Volk." Der Major spuckte verächtlich auf den Boden, schüttelte den Kopf. Er fühlte sich ein wenig angeschlagen. Zuviel Sonne und zuviel Wein so früh am Tag.
Michael hatte inzwischen seine Nudeln aufgegessen und sah den Major neugierig an. "Viele scheinen die Dinge so zu sehen wie Sie, Major. Da frage ich mich aber, warum die Vaishara nicht längst ausgerottet wurden." Er legte eine Hand auf den Handrücken von Arikels rechter Hand. Seine Begleiterin lächelte ihn zuckersüß an, ehe sie ihren Früchtetee links von sich stellte, außer Reichweite ihres Begleiters. "Hexen sind Meister der Tarnung. Sie sind von Menschen kaum zu unterscheiden. Wir arbeiten noch an Möglichkeiten, sie orten und entlarven zu können. Das Schlimmste jedoch sind Menschen, die sich auf ihre Seite stellen. Verräter", spie Major Marston. "Buhlteufel nennen wir sie, Hexenanbeter. Betrügen Ihresgleichen für diese Kreaturen. Verdammt sind sie wie ihre unheiligen Herren. Sie sehen sich selbst als tolerant. Doch sie setzen das Überleben ihrer Rasse aufs Spiel, wenn sie sich mit diesen Hexen einlassen, ihnen Unterkunft und Hilfe gewähren." Der Major hielt inne und versuchte, sich wieder zu sammeln. "Es gibt Hexen, die sich mit Kultisten umgeben und sich wie Götter anbeten lassen. Gerüchte besagen, dass Vaishara sogar Menschen essen, um ihre Macht zu mehren."
"Gottgleiche Kraft ist beeindruckend. Macht zieht immer Schmeichler an", sagte Michael finster und bedeutete dem Kellner, ihm noch ein Glas Orangensaft zu bringen. "Und Neider", beendete er den Satz mit einem Blick auf den Major. "Noch ein paar Informationen und ich denke, meine Neugier ist gestillt. Erzählen Sie mir von den Motiven der Vaishara. Und von den Rebellen." Der Major schnaubte missmutig. Es war nur noch ein Schluck in seinem Weinglas und den trank er gierig, ehe er nachfüllte. Das ganze Gerede machte ihn durstig. "Es gibt Hexen, die sich eigentlich nie etwas zu Schulden kommen lassen", erklärte er, schwenkte sein Glas und nippte daran. "Wir eliminieren sie dennoch, da wir eine Ausbreitung verhindern wollen. Was die Rebellen betrifft, so operieren diese in mehreren Zellen. Ob es da einen gemeinsamen Anführer gibt ist nicht bekannt. Ob sie sich koordinieren oder gar unterschiedliche Ziele verfolgen ebenfalls nicht. Aber wenigstens haben wir einen Namen und AEGIS lässt nichts unversucht, besagte Person und ihre Zelle dingfest zu machen." Michael bekam nun sein zweites Glas Orangensaft, bezahlte und leerte es erneut in einem Zug. Er schwieg, war zum Hören gekommen, nicht zum Kommentieren. Arikel jedoch beugte sich nach vorne, umspielte ihr langes, rotes Haar mit den schlanken Fingern ihrer linken Hand. "Einen Namen? Welchen denn?" Der Major leerte sein Weinglas und füllte es erneut, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. "Eigentlich haben wir sogar zwei Namen. Zwei unterschiedliche Zellen, zwei unterschiedliche Anführer. Eine Zelle untersteht einem Mann, den man den Fuchs nennt. Interessanterweise vermeidet der Fuchs allzu aggressives Vorgehen, begnügt sich damit, andere Vaishara zu befreien und in Sicherheit zu bringen. Natürlich kommt es nicht oft vor, dass AEGIS Gefangene macht. Der Fuchs ist so schlau wie das Tier, dem er seinen Namen verdankt. Und im krassen Kontrast dazu steht die Zelle Echidna, die den Namen ihrer Anführerin trägt."
Major Marston lehnte sich zurück, atmete tief ein und strich sich mit der Hand durch das schweißnasse, kurze Haar. War es wirklich so heiß heute? Oder lag es am Wein? Möglicherweise hatte man es in der Wetterkontrollstation der Galiläa - der Schutzkuppel über der Stadt - ein wenig zu gut gemeint. "Echidna?", fragte Arikel und ihre grünen Augen funkelten vor Neugier. "Eine Frau macht so große Schwierigkeiten? Erzählen Sie mir bitte von ihr!" Der Major nickte langsam, nahm einen kleinen Schluck aus seinem Weinglas. Über Echidna konnte er einiges erzählen und der Gedanke an diese Frau ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Zu gut konnte er sich an ihr erstes Aufeinandertreffen vor zehn Jahren erinnern. Er hatte Glück gehabt, nur seinen linken Arm verloren zu haben.
"Echidna ist eine Bestie", verkündete er mit heiserer Stimme und nahm noch einen Schluck Wein, da sein Mund knochentrocken geworden war. "Wenn Hexen wirklich Sendboten der Götter sind, dann ist dieses Weib vom dunkelsten Gott selbst geschickt worden, so wütete sie unter meinen Männern. Ich habe noch nie etwas so schnelles und brutales gesehen. Und ihre Augen erst..." Ihm fröstelte und er leerte sein Weinglas, ließ sich den Rotwein auf der Zunge zergehen, ehe er ihn hinunter schluckte. Seine Brust schmerzte nun stärker denn je und der Major atmete einige Male tief ein, während die Bilder der damaligen Schlacht nicht aus seinem Kopf weichen wollten.
"Echidna hasst die Menschen", setzte er fort und schenkte sich nach. "Sie kennt kein Mitleid, keine Reue, keine Furcht. In ihren Augen lodert nur dieser unglaubliche Zorn. Ihre Zelle hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschheit da anzugreifen, wo es wirklich weh tut. Wir sprechen hier nicht von Vandalismus oder kleinen Verbrechen zum Zweck der Bereicherung. Echidna ist eine Terroristin und ihre Gruppierung würde die Menschen ausrotten, wenn sie die Chance hätte. AEGIS operiert an vielerlei Orten. Aber Echidna ist unser Primärziel. Wir würden zahlreiche andere Zellen vernachlässigen oder - vorerst - entkommen lassen, wenn es uns ihrer Festnahme oder Eliminierung auch nur ein Stück näher brächte."
Der Major öffnete einen weiteren Knopf seines Hemdes und nippte an seinem Weinglas. Auch Arikel war mit ihrem Salat fertig und gemeinsam mit Michael starrte sie ihn neugierig an, wobei ihre Augenpaare emotionslos und leer blieben. "Glauben Sie wirklich, AEGIS hat eine Chance, diesen Konflikt zu gewinnen?", fragte Michael nach einem langen Moment des Schweigens. "Sie haben ja selber gesagt, dass manche Hexen so mächtig wie ganze Regimenter sind. Warum nicht verhandeln? In anderen Ländern soll es ganz gut klappen, hörte ich." Der Major schnaubte verächtlich. "Hier geht es nicht um Kompromisse, Bürschchen. Vaishara würden die Menschen unterjochen! Sie vielleicht sogar auslöschen! Echidna selbst sagte mir damals, dass ihrer Ansicht nach keiner von uns Menschen das Leben verdiene. Es mag vielleicht welche geben, die anders denken. Aber so wie ich das sehe kämpfen hier zwei Rassen um das Überleben. Um die Vorherrschaft. Um unsere Welt Eneath. Es ist mir egal, wie mächtig manche von denen sind, ich werde meinen Beitrag für die Menschen leisten. Ich glaube nicht an Frieden. Wir können die Dinger ja schlecht alle einfach abschieben. Das Überleben des Stärkeren. So ist nun einmal der Lauf der Dinge. Bedauerlich, ja. Aber notwendig."
Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas, leckte sich über die Lippen und sah das Pärchen vor sich an. Michael lächelte freundlich. "AEGIS wird also einfach nur kämpfen, egal wie aussichtslos die Lage ist und wie unwahrscheinlich ein Endsieg? Oder gibt es da irgendwelche besonderen Pläne? Habt ihr irgendwelche Asse im Ärmel oder hofft ihr einfach, so viele Vaishara mit in den Tod zu reißen?" In den hellblauen Augen des jungen Mannes brannte ein intensives, inneres Feuer. "Gibt es noch irgendwelche wichtigen Informationen, die Sie uns bisher vorenthielten?" Major Marston seufzte, leerte sein Weinglas und goss sich den Rest der zweiten Flasche in sein Glas. Er fühlte sich miserabel und benommen. Er hoffte, das Gespräch wäre bald vorbei und er würde endlich gehen können. Er sehnte sich nach einer kalten Dusche und etwas Schlaf. Doch er hatte auch das Gefühl, antworten zu müssen. Es war für ihn und AEGIS von größter Wichtigkeit, dass er jede Frage Michaels und Arikels beantwortete. Von größter Wichtigkeit.
"Wir forschen an gefangenen Vaishara und wir lassen nichts unversucht, um mit modernster Technik und Wissenschaft die Vorteile der Hexen auszugleichen", erklärte der Major. "Wir haben Mittel, uns selbst den mächtigsten Hexen entgegen zu stellen. Und wir forschen an Methoden, die Grenzen unserer Körper zu überwinden um uns mit den Hexen auf eine Stufe stellen zu können. Und sei es nur für die Dauer eines Kampfes auf Leben und Tod."
"Beeindruckend", warf Michael ein. "Höchst beeindruckend. Wo genau wird denn solche Forschung betrieben? Ich bitte um weitere Details." Major Marston überlegte, nahm einen Schluck Wein, ehe er weiter sprach. "AEGIS hat zahlreiche Einrichtungen, sowohl in Ylesia als auch darüber hinaus. Hier in Ylesia sind unsere wichtigsten Forschungseinrichtungen in Tinroth, Iserion, Dalaa und am wichtigsten unser Hauptquartier auf den Pralaia-Inseln..." Nun leuchteten Michaels Augen wie zwei blaue Feuer. "Moment, bitte. Pralaia-Inseln? Nie von gehört. Wo genau liegen die? Wie viele Inseln sind das?" Der Major nippte an seinem Glas, rieb sich erneut die Stirn und hustete kurz. "Die Inseln liegen etwas nördlich von Aylín. Sechs miteinander verbundene, künstliche Inseln, die über einem Riff, einer Felsformation oder einer Sandbank errichtet wurden. Jedes Reich von Elinor sollte eine Insel für sich bekommen und der Ort sollte als neutraler Verhandlungsort dienen. Ein sicherer Treffpunkt, bar jeder Gewalt und Vorurteile. Ein Sanktuarium, wenn man es so nennen möchte. Die Inseln heißen Ashur, Dugar, Isa, Mathur, Vasir und Aesir. Das Projekt begann irgendwann in den Achtziger Jahren, wurde aber aufgrund Geldmangel und Konflikten abgebrochen und vergessen. Heute nutzt AEGIS diese Inseln. So gut wie jeder hat ihre Existenz vergessen. Ich war selber mehr als überrascht, dass so viele Leute das einfach vergessen konnten."
"Glauben Sie mir, es ist interessant, was manche Menschen für Möglichkeiten haben", antwortete Michael mit einem süffisanten Grinsen. Bildete der Major es sich nur ein, oder lag da eine merkwürdige Betonung auf dem Wort Menschen? Er war mehr als irritiert, als sich der junge Mann erhob und seiner Begleiterin galant den Stuhl nach hinten zog und ihr so beim Aufstehen half. "Wir müssen gehen. Sie haben uns alles gesagt, was wir wissen wollten." Er neigte den Kopf und seine Begleiterin machte einen Knicks, setzte sich ihren Sonnenhut wieder auf. "Sie können ruhig sitzen bleiben", erklärte die junge Frau mit glockenklarer Stimme, "Wir finden allein hinaus. Danke für ihre Zeit, Major Marston. Wir wissen die Informationen zu schätzen, die Sie uns gegeben haben. Auch wenn ich glaube, dass ihre Haltung gegenüber den Vaishara ihre Erzählungen und ihre gesunden Menschenverstand zu sehr beeinflussen. Aber das war beim Militär und besonders bei einer Organisation wie AEGIS schon immer das Problem. Sie machen sich zu viele Sorgen um die Absichten anderer anstatt die eigenen Taten zu überdenken." Arikel hakte ihren Arm bei Michael ein. Dieser ergriff nun das Wort. "Tut mir leid, aber Sie dürfen mit niemandem über unsere Unterhaltung sprechen. Besonders nicht mit Ihren Vorgesetzten bei AEGIS. Mögen die Ihnen ach so verhassten Götter Ihnen Frieden schenken."
Kichernd, flirtend und Albernheiten austauschend gingen die beiden davon. Keiner der im Restaurant stationierten Agenten von AEGIS sah Michael oder Arikel gehen. Sie konnten sich danach auch überhaupt nicht daran erinnern, wie beide ausgesehen hatten. Als die Recorder der Richtmikrofone zurück gespult wurden und man sich die Speicherkarten der Kameras ansah stellte man fest, dass sämtliche Datenspeicher völlig leer waren. Keiner der Techniker oder Scharfschützen, die auf Posten waren, konnten sich auch nur eines Wortes der Unterhaltung erinnern, die sie angeblich überwacht hatten, vom Aussehen der beiden geheimnisvollen Gesprächspartner ganz zu schweigen. Auch die Bediensteten konnten sich an nichts erinnern.
Major Marston blieb reglos am Tisch sitzen, bis fünfzehn Minuten vergangen waren und ein neugieriger Kellner herüberkam, der nachsehen wollte, ob alles in Ordnung sei. Zu seinem Entsetzen entdeckte er, dass der Major tot war. Einem von einem Forscherteam von AEGIS erstellten Bericht zufolge war Major Marston an einem schweren Herzanfall gestorben. Einem, den der Major nur wenige Minuten, nachdem er sich zu Mittag hingesetzt hatte, erlitten hatte. Niemand konnte erklären oder versuchte auch nur die Frage zu beantworten, wie es einem Toten gelungen war, zwei Flaschen Wein zu trinken, von den beiden leeren Tellern und Gläsern, auf denen selbst Fingerabdrücke fehlten, ganz abgesehen. Der schwarze Koffer, den man unter dem Tisch fand, war leer.
Graufuchs
Titel:
Aeruin: Sanktuarium / Sanctuary
Teile:
Mehrere, 12 Kapitel
Genre:
Mix aus Abenteuer, Action, Drama, Erotik, Fantasy, Lime, Science Fiction, Violence etc.
Serie:
FanFic, Mini-Serie
Disclaimer:
Ich weise darauf hin, dass alle in diesem Werk genannten Orte, Personen und Monster geistiges Eigentum des Users Antheon sind. Selbst die von mir entworfenen Kreaturen und Standorte gebe ich mit Freuden in seine Obhut. Lediglich die Charaktere sind mein geistiges Eigentum. Außerdem sind alle Charaktere frei erfunden, und keiner realen Person nachempfunden.
Meine FanFiction schreibe ich, um Antheon zu ehren und hoffe, größere Aufmerksam auf seine definitiv lesenswerten Werke zu lenken. Die Story ist als Spin-Off zu betrachten, mit leichten Prequel-Elementen, die sich aber eher auf das Aeruin-RPG beziehen. Sollte sich hier irgendetwas mit Elementen aus Antheon's Aeruin-Saga oder dem RPG beissen, ist diese Geschichte hier als alternative Realität und auf jedenfall non-canon zu betrachten.
Widmung:
Chris
Legende:
"..." - Direkte Rede
kursive Schrift - Gedanken oder Rückblende
------------------------------------------------------
WARNUNG:
Diese Geschichte enthält unter anderem Szenen mit hohem (explizitem, exzessivem) Gewaltanteil (Gore), beleidigende Ausdrücke und Erotik, die für junge und/oder sensible Leser störend sein können. Sollte dies in irgendeiner Weise auf Sie zutreffen, bitte, überlegen Sie es sich wirklich, ob Sie diese Geschichte lesen wollen!
Naja, viel Spaß beim Lesen!
------------------------------------------------------
Aeruin | Sanktuarium / Sanctuary
Prolog
19. Januar, 1997: Varath
Major Marston kam zuerst. Er kam zu einem Treffen stets zu früh. Besonders, wenn es sich um ein wichtiges Treffen handelte. Der große, kräftig gebaute Mann Ende fünfzig mit dem kurzen, weißen Haar und dem breiten, ebenso weißen Schnurrbart und den dazu passenden, hellgrauen Augen sah selbst in Straßenkleidung aus wie eine Respektsperson. Wie ein Soldat. Er umgab sich mit einer ruhigen Atmosphäre der Autorität, gleich jemandem, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen, denen man besser gehorchte. Major Marston, ein Mann von unerschütterlichem Patriotismus und wilder Entschlossenheit, bewegte sich mit einer absoluten Sicherheit, die von Jahrzehnten der Erfahrung und zahlreichen Gefechten herrührte.
Wie in der telefonischen Botschaft spät nachts verlangt kam er unbewaffnet zu dem Treffen. Nicht, dass ihm das Sorgen machte: Nach mehreren Dekaden im Dienst, zahlreichen Gefechten und unzähliger Erfolge hatten ihm seine Vorgesetzten einige biomechanische Verbesserungen bezahlt. Er hatte einen Reflexbooster im Rückgrat, der ihn mit der Schnelligkeit der Jugend handeln ließ. Blitzschnell würde er reagieren können, falls da jemand ein falsches Spiel spielen wollte. Sein linker Arm war außerdem kybernetisch, seit er das Original bei einem Gefecht vor knapp zehn Jahren verloren hatte. Der Ersatz war mit Synthfleisch überzogen und stark genug, einen echten menschlichen Arm wie einen Zweig zu zerbrechen. Desweiteren gab es fünf andere Agenten von AEGIS im Restaurant, darunter zwei als Schulmädchen getarnte Frauen. Alles in allem hatten sie genug Schusswaffen dabei, um einen ordentlichen Kugelhagel vom Zaun zu brechen. Und obwohl Major Marston seit Jahren eher Befehle gab als wirklich zu schießen oder zu kämpfen, trainierte er noch immer Kampfsport. Als Experte sowohl im Messerkampf als auch im waffenlosen Nahkampf konnte er einen Angreifer auf Dutzende verschiedene Weisen töten.
In Befolgung der genauen Instruktionen bat der Major um einen Tisch für drei Personen im hinteren Bereich des Innenhofs, abseits der hektischen Betriebsamkeit der Küche. Hundert Meter entfernt waren in einem angemieteten Hotelzimmer etliche Richtmikrofone, Kameras und zahlreiche Scharfschützengewehre auf eben diese Stelle gerichtet. Jedes bei diesem Treffen gesprochene Wort würde übertragen und zum späteren Abhören und Analysieren aufgenommen werden. Dank den anderen Agenten vor Ort und den Kameras würde man Mimik deuten können und hätte obendrein die Möglichkeit, die Datenbank von AEGIS nach dem oder den anderen Anwesenden zu durchsuchen. Der Major lächelte und wies den Kellner an, eine Flasche Rotwein zu bringen, jedoch nicht den synthetischen Fusel, der mit echten Trauben nichts mehr gemeinsam hatte. Trotz aller Disziplin und Loyalität musste man sich hin- und wieder auch etwas gönnen.
Er trank gerade sein erstes Glas aus, als ein junges Pärchen seinen Tisch ansteuerte. Einen Moment lang musste der Major an seine verstorbene Frau denken, und daran, wie er selber einst mit ihr so verliebt durch die Welt spaziert war. Nun sorgte der Anblick Liebender für einen schalen Geschmack in seinem Mund. Er hoffte, sie würden sich abwenden und ans andere Ende des Innenhofs setzen. Er verstand das Verhalten der beiden jungen Turteltauben, dennoch waren Gekicher und andere Albernheiten am Nebentisch alles andere als nützlich, wenn es um ernste Gespräche ging. Doch leider sah es nicht so aus, als würden die zwei Verliebten sich für eine andere Ecke des Hofs entscheiden, denn sie setzten sich direkt zu Major Marston an den Tisch. Ein junger Mann und eine junge Frau, etwa zwischen sechzehn und achtzehn Jahre alt. "Major Marston, nehme ich an?" erkundigte sich die junge Frau und nahm ihren weißen Sonnenhut ab und legte ihn auf den Tisch. Es war ein recht zierliches, schlankes Mädchen mit einer weißen Bluse, einem ebenso weißen Rock und langen, roten Haaren und grünen Augen. Sie lächelte den Major freundlich an, doch diesem entging nicht, wie sie sich wachsam umsah, ehe sie entspannt die Hände auf dem Tisch faltete. Der Major sah das Mädchen perplex an und nickte dann, ehe er ihren Begleiter betrachtete. Der junge Mann trug eine schwarze Hose, feine Lederschuhe, ein weißes, ärmelloses Hemd und eine schwarze Krawatte. Er hatte schulterlanges, schwarzes Haar und eisblaue Augen und er nickte dem Major freundlich zu, ehe er den Kellner heran winkte. "Das muss ein Missverständnis sein", stammelte der Major beim Anblick des Pärchens, sah sich dann jedoch genauer um. Vielleicht war das alles nur ein Scherz. Er hatte ganz bestimmt nicht mit zwei Teenagern gerechnet. Sofort wurde er wütend. Doch der junge Mann schüttelte nur den Kopf. "Nein, Major. Sie sehen schon recht. Wir sind hier, um mit Ihnen über Vaishara zu sprechen. Vergessen Sie, was sie vor sich sehen und schieben sie ihre Zweifel beiseite. Dann kann unser Gespräch nämlich endlich beginnen."
Marstons kalte, hellgraue Augen fixierten die eisblauen Augen des Jungen. Nur wenige Menschen konnten Major Marstons durchdringendem Blick länger als einen Augenblick standhalten. Der Bengel jedoch blinzelte nicht einmal. Vielleicht war es bloß die Naivität der Jugend, aber der Knabe erwiderte den Blick des Majors mit einer Heiterkeit, der die grimmige Miene des Majors nichts anhaben konnte. Vor Überraschung und Irritation knurrend unterbrach der ältere Mann schließlich den Blickkontakt. Ein kurzer Schmerz flackerte kurz in der Brust des Majors auf, aber er ignorierte ihn. Ein weiteres Glas Wein würde ihm helfen, sich zu entspannen. Er hatte das plötzliche Gefühl, er würde eine Menge Wein brauchen, ehe der Mittag vorüber war. Während er sich sein Weinglas füllte, bestellten sich das Pärchen Orangensaft und Früchtetee. "Und ihr seid?", fragte der Major als der Kellner davon eilte. Der junge Mann mit dem Schlips saß ihm genau gegenüber, links von sich seine Freundin. Vorsichtig lehnte der Junge mit dem weißen Hemd einen schwarzen Lederkoffer gegen das Tischbein. "Nennen Sie mich Michael", sagte der Junge und grinste kurz. "Wie der Komiker, der immer so gut Grimassen schneidet. Das da ist Arikel", sagte er mit einem Kopfnicken zum Mädchen. "Ich freue mich schon den ganzen Tag auf unser Treffen", sagte der Junge und zupfte an seinem Schlips, "Selten trifft man so ein hochrangiges Mitglied des Militärs, mit so viel Erfahrung und Schneid." Er kicherte ausgelassen. "Oder sagt man das heute nicht mehr? Schneid? Gibt sicher zahlreiche andere, passende Worte. Aber Sie wissen schon, was ich meine..." Er wurde vom Räuspern des Mädchens unterbrochen. Arikel strich sich durch das rote Haar und fixierte ihren Begleiter mit ihren grünen Augen. "Konzentrier du dich auf deine Aufgabe so wie ich mich auf meine, ja?" Der Kellner brachte die bestellten Getränke und Major Marston beobachtete etwas verwirrt, wie der Junge namens Michael sich voller Begeisterung seinen Orangensaft griff und das Glas sofort leerte, während das Mädchen fast angewidert am Tee nippte. "Die Speisekarte bitte", sagte Michael zum Kellner und lächelte freundlich. "Wir sind nicht hergekommen um zu essen", protestierte Major Marston. "Stimmt", sagte Michael und nickte zustimmend. "Aber bei gutem Essen redet es sich besser. Und ich bin hungrig. Wir sind seit Ewigkeiten wach. Und die Bordverpflegung in den U-Tubes mag zwar manchen schmecken, aber mir mundet sie nicht. Ich brauche vernünftige Nahrung." Der Junge kicherte und strich sich sein weißes Hemd glatt. "Und außerdem werden Sie mehr zu sagen haben als wir."
Der Major nickte, seine Gedanken rasten. Die Sache lief gut. Michaels beiläufige Bemerkung über die U-Tubes spielten AEGIS direkt in die Hände. Major Marston war sich sicher, dass seine Leute am Mikrofon bereits beim Untergrund-Terminal anriefen. Es würde nicht lange dauern, die Untergrund-Bahnen zu überprüfen, die in den letzten Stunden angekommen waren, besonders nicht, wenn die Autorität des Militärs hinter der Bitte stand. Noch vor Ende des Mittagessens würde AEGIS die wahren Namen des Pärchens und ihre Herkunftsorte kennen. Das war alles ganz einfach, wenn man die richtigen Verbindungen hatte und wusste, welche Fäden man ziehen musste. Und AEGIS hatte unzählige Fäden in ganz Elinor in den Händen. "Sie haben das Geld?"
"Direkt hier in diesem Koffer", erwiderte Michael. Er griff nach unten und hob den schwarzen Lederkoffer auf den Tisch. Mittels eines schmalen Schlüssels ließ er das Schloss aufschnappen. Vorsichtig hob er den Deckel des Koffers ein paar Zentimeter. Major Marston keuchte unwillkürlich. Der Koffer war gefüllt mir säuberlich gestapelten Bündeln von Geldscheinen. "Zwanzig Millionen Theni", sagte Michael ruhig. Er schloss und verschloss den Koffer und stellte ihn wieder unter den Tisch. "Und da ist mehr, viel mehr drin, wenn Sie uns ein paar Fragen zufriedenstellend beantworten. Freunde - oder wenigstens Verbündete - kann man doch immer gebrauchen, nicht wahr?"
Der Major versuchte, nicht näher darüber nachzudenken, warum ein merkwürdiges, jugendliches Pärchen hier mit ihm sprach und woher sie so viel Geld hatten. Sicher waren sie nur Mittelsmänner - oder eher Kinder - aber wer schickte denn bitte Teenager vor, um solch wichtige Angelegenheiten zu regeln? "Euch?", hakte der Major nach, in der Hoffnung, mehr zu erfahren, "Oder eurem Auftraggeber?" Er fand es schwer, die beiden richtig einzuschätzen. Der Major hatte sich immer für einen guten Menschenkenner gehalten, doch diese beiden waren undurchschaubar für ihn. Das jugendliche, beinahe kindliche Verhalten biss sich zu stark mit dem Ernst in ihren Augen und der Wachsamkeit in ihrer Körperhaltung. Doch wie hatte Michael vor wenigen Minuten gesagt? Vergessen Sie, was sie vor sich sehen? Major Marston nippte am Weinglas und versuchte, sich nichts von seinen Gedanken anmerken zu lassen.
Michael lächelte nur und sagte nichts. Mit einer Handbewegung rief der junge Mann den Kellner und bestellte einen Teller Nudeln mit Tomatensoße, während seine Begleiterin nur einen großen Salat mit Joghurtdressing orderte. Der Major lehnte höflich ab. Er aß selten zu Mittag. Mahlzeiten um diese Zeit machten ihn immer träge. Er brauchte nur den Rotwein, der den nagenden Schmerz in seiner Brust betäubte. Schnell leerte er das Glas und füllte es wieder. "Welche Fragen?", erkundigte er sich, sobald der Kellner den Tisch verlassen hatte. "Fragen Sie mich, was Sie wollen."
"Die Vaishara", sagte Michael, dessen eisblaue Augen im Sonnenlicht glitzerten. "Die gefürchteten Hexen. Ihre Gruppierung jagt sie mit einer Leidenschaft, die Ihresgleichen sucht. AEGIS weiß doch sicher eine Menge über diese Wesen. Erzählen Sie mir, was sie über die Herolde der Götter wissen."
Der Major verzog das Gesicht. Er hatte nichts anderes erwartet. Aber das bedeutete nicht, dass es ihm deshalb weniger ausmachte. "Es gibt Dinge, die ich nicht enthüllen kann. Nicht ohne Erlaubnis von General Williams. Außerdem... Ich bin nur ein Soldat. Es gibt Fakten, die ich nicht verstehe und noch mehr, die mir erst gar nicht anvertraut werden."
"Ich verstehe", sagte Michael. Er nickte, als der Kellner den Teller mit Nudeln vor ihn stellte und einen Teller mit Salat vor Arikel auf dem Tisch platzierte. Michael bezahlte ihn großzügig. "Reden Sie. Ich werde danach entscheiden, ob ich mehr wissen muss."
Der Major atmete tief ein. "Wo soll ich anfangen? Man muss hier auch sehr zwischen Vermutung, Fakt und Fiktion unterscheiden. Leider ist dies nicht immer ganz einfach. Vaishara ist die Bezeichnung, die man in der Alten Welt den Sendboten der Götter gegeben hat. Angeblich waren das außergewöhnliche Wesen mit der Macht die Realität selbst zu verändern. Im Krieg der Götter sollen sie untergegangen sein, doch steht in den Legenden geschrieben, dass sie sich dereinst aus ihren Gräbern erheben und eine neue Ära einläuten sollen. Man versucht, das Geheimnis der Hexen wissenschaftlich zu ergründen, das Phänomen irgendwie zu verstehen und nachzuvollziehen. Die einzige bestätigte Erkenntnis scheint das Alter der Vaishara zu sein, denn kaum eine Hexe ist älter als achtzehn. Sie werden gejagt, gefoltert und hingerichtet, egal wie alt sie sind."
Der Major machte eine Pause, leerte sein Weinglas und bestellte sich eine weitere Flasche, nachdem er sein Glas noch einmal gefüllt hatte. Es war noch immer sonnig und hell doch für ihn war der Tag ein ganzes Stück kälter und unangenehmer geworden. "Wir jagen die Hexen, weil wir glauben, dass kein sterbliches Wesen so eine Macht besitzen darf. Außerdem glauben viele, dass sie das Ende der Menschheit einläuten und unsere Welt ins Chaos stürzen. Aeruin. Schon von dem Begriff gehört?" Michael und Arikel saßen geduldig da, aßen hin- und wieder ein wenig. Ihre Blicke und Mienen wirkten von den Enthüllungen, die da geäußert wurden, nicht verstört oder überrascht. Als sei das nichts Neues. Zum tausendsten Mal seit letzer Nacht fragte sich Major Marston, mit wem er es hier zu tun hatte. Oder noch wichtiger, wen diese beiden eigentlich repräsentierten.
Michael beugte sich nach vorne, stützte in einem Ausdruck regen Interesses das Kinn auf seine Handfläche. "Aber AEGIS gibt es nicht erst seit dem Auftauchen der Hexen. Ihre Gruppierung jagt Gesetzesbrecher, wo Polizei machtlos und Gerichte zu zimperlich sind, nicht wahr? Wie lange sind Sie schon für AEGIS aktiv? Machen Sie es wegen der Bezahlung oder macht es Ihnen einfach nur Spaß, über dem Gesetz zu stehen und über Leben und Tod der Zielpersonen zu entscheiden? Faszinierend ist auch, wie sich Ihre Gruppierung finanziert. Nicht nur durch großzügige Spenden... Eigentlich müssten Sie sich selber jagen." Der Major riss die Augen erstaunt auf, als ihn dieser junge Teufel mit den hellblauen Augen mit Tatsachen konfrontierte, die er selber auch nur aufgrund seines Alters und seines Ranges wusste. Der plötzliche Themenwechsel irritierte ihn und er nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas und war erleichtert, als der Kellner endlich die zweite Flasche brachte. "Geht es hier nun um AEGIS oder um die Hexen?", fragte er barsch, merkte wie ihm das Blut ins Gesicht schoss und setzte an, um ein verbales Donnerwetter über seine jungen Gegenüber zu entfesseln. Doch er hielt inne, als ihm klar wurde, dass dies Konsequenzen nach sich ziehen würde. Er atmete tief durch und sein Zorn wich Verwirrung, als Michael ihn höflich anlächelte. "Ich sehe es eher so, dass das Schicksal von AEGIS mit dem der Vaishara verknüpft zu sein scheint. Jäger und Gejagte. Opfer und Täter. Gut und Böse, wenn Sie so wollen. Wer nun wer ist, vermag ich jedoch nicht zu sagen." Michael schaute missmutig sein leeres Glas an und nippte dann frech am Früchtetee seiner Begleiterin, erntete sofort einen bösen Blick des zierlichen Mädchens mit den roten Haaren.
"Nur deswegen kam ich kurz vom Thema ab. Ich versuche, zu verstehen. Nur deswegen sind wir hier. Erzählen Sie ruhig weiter, Major." Dieser füllte sein Weinglas und öffnete den obersten Knopf seines Hemds, um besser Luft zu bekommen. Er räusperte sich kurz, ehe er leise weiter sprach. "Egal ob die Hexen nun eine zufällig auftretende Mutation darstellen oder wirklich Abgesandte höherer Wesen darstellen, sie bedeuten nichts Gutes. Ich habe gesehen, wie diese angeblichen Götter ganze Regimenter auslöschten und dabei einen Kugelhagel überstanden, der ganze Stadtviertel um sie herum pulverisierte. Ich bin kein Gelehrter. Ich weiß wenig über die Alte Welt und konzentriere mich lieber auf die Gegenwart, anstatt über alte Schriften, Mythen und Ruinen nachzudenken. Aber wenn mir ein Wesen gegenüber steht, welches Blut an den Händen hat und mächtig genug ist, mich wie ein Haustier zu halten, dann weiß ich, was ich mache: Ich wehre mich! Und egal wie mächtig diese Dinger sind, sie sind immer noch sterblich. Sendboten der Götter? Wenn die Götter so grausam sind, diese Biester zu uns zu schicken, dann glaube ich doch lieber an Wissenschaft, Technik und guten Waffen, die mein Seelenheil und meine Sicherheit festigen. Glaube? Für mich nicht mehr als Schwarzstaub fürs Volk." Der Major spuckte verächtlich auf den Boden, schüttelte den Kopf. Er fühlte sich ein wenig angeschlagen. Zuviel Sonne und zuviel Wein so früh am Tag.
Michael hatte inzwischen seine Nudeln aufgegessen und sah den Major neugierig an. "Viele scheinen die Dinge so zu sehen wie Sie, Major. Da frage ich mich aber, warum die Vaishara nicht längst ausgerottet wurden." Er legte eine Hand auf den Handrücken von Arikels rechter Hand. Seine Begleiterin lächelte ihn zuckersüß an, ehe sie ihren Früchtetee links von sich stellte, außer Reichweite ihres Begleiters. "Hexen sind Meister der Tarnung. Sie sind von Menschen kaum zu unterscheiden. Wir arbeiten noch an Möglichkeiten, sie orten und entlarven zu können. Das Schlimmste jedoch sind Menschen, die sich auf ihre Seite stellen. Verräter", spie Major Marston. "Buhlteufel nennen wir sie, Hexenanbeter. Betrügen Ihresgleichen für diese Kreaturen. Verdammt sind sie wie ihre unheiligen Herren. Sie sehen sich selbst als tolerant. Doch sie setzen das Überleben ihrer Rasse aufs Spiel, wenn sie sich mit diesen Hexen einlassen, ihnen Unterkunft und Hilfe gewähren." Der Major hielt inne und versuchte, sich wieder zu sammeln. "Es gibt Hexen, die sich mit Kultisten umgeben und sich wie Götter anbeten lassen. Gerüchte besagen, dass Vaishara sogar Menschen essen, um ihre Macht zu mehren."
"Gottgleiche Kraft ist beeindruckend. Macht zieht immer Schmeichler an", sagte Michael finster und bedeutete dem Kellner, ihm noch ein Glas Orangensaft zu bringen. "Und Neider", beendete er den Satz mit einem Blick auf den Major. "Noch ein paar Informationen und ich denke, meine Neugier ist gestillt. Erzählen Sie mir von den Motiven der Vaishara. Und von den Rebellen." Der Major schnaubte missmutig. Es war nur noch ein Schluck in seinem Weinglas und den trank er gierig, ehe er nachfüllte. Das ganze Gerede machte ihn durstig. "Es gibt Hexen, die sich eigentlich nie etwas zu Schulden kommen lassen", erklärte er, schwenkte sein Glas und nippte daran. "Wir eliminieren sie dennoch, da wir eine Ausbreitung verhindern wollen. Was die Rebellen betrifft, so operieren diese in mehreren Zellen. Ob es da einen gemeinsamen Anführer gibt ist nicht bekannt. Ob sie sich koordinieren oder gar unterschiedliche Ziele verfolgen ebenfalls nicht. Aber wenigstens haben wir einen Namen und AEGIS lässt nichts unversucht, besagte Person und ihre Zelle dingfest zu machen." Michael bekam nun sein zweites Glas Orangensaft, bezahlte und leerte es erneut in einem Zug. Er schwieg, war zum Hören gekommen, nicht zum Kommentieren. Arikel jedoch beugte sich nach vorne, umspielte ihr langes, rotes Haar mit den schlanken Fingern ihrer linken Hand. "Einen Namen? Welchen denn?" Der Major leerte sein Weinglas und füllte es erneut, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. "Eigentlich haben wir sogar zwei Namen. Zwei unterschiedliche Zellen, zwei unterschiedliche Anführer. Eine Zelle untersteht einem Mann, den man den Fuchs nennt. Interessanterweise vermeidet der Fuchs allzu aggressives Vorgehen, begnügt sich damit, andere Vaishara zu befreien und in Sicherheit zu bringen. Natürlich kommt es nicht oft vor, dass AEGIS Gefangene macht. Der Fuchs ist so schlau wie das Tier, dem er seinen Namen verdankt. Und im krassen Kontrast dazu steht die Zelle Echidna, die den Namen ihrer Anführerin trägt."
Major Marston lehnte sich zurück, atmete tief ein und strich sich mit der Hand durch das schweißnasse, kurze Haar. War es wirklich so heiß heute? Oder lag es am Wein? Möglicherweise hatte man es in der Wetterkontrollstation der Galiläa - der Schutzkuppel über der Stadt - ein wenig zu gut gemeint. "Echidna?", fragte Arikel und ihre grünen Augen funkelten vor Neugier. "Eine Frau macht so große Schwierigkeiten? Erzählen Sie mir bitte von ihr!" Der Major nickte langsam, nahm einen kleinen Schluck aus seinem Weinglas. Über Echidna konnte er einiges erzählen und der Gedanke an diese Frau ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Zu gut konnte er sich an ihr erstes Aufeinandertreffen vor zehn Jahren erinnern. Er hatte Glück gehabt, nur seinen linken Arm verloren zu haben.
"Echidna ist eine Bestie", verkündete er mit heiserer Stimme und nahm noch einen Schluck Wein, da sein Mund knochentrocken geworden war. "Wenn Hexen wirklich Sendboten der Götter sind, dann ist dieses Weib vom dunkelsten Gott selbst geschickt worden, so wütete sie unter meinen Männern. Ich habe noch nie etwas so schnelles und brutales gesehen. Und ihre Augen erst..." Ihm fröstelte und er leerte sein Weinglas, ließ sich den Rotwein auf der Zunge zergehen, ehe er ihn hinunter schluckte. Seine Brust schmerzte nun stärker denn je und der Major atmete einige Male tief ein, während die Bilder der damaligen Schlacht nicht aus seinem Kopf weichen wollten.
"Echidna hasst die Menschen", setzte er fort und schenkte sich nach. "Sie kennt kein Mitleid, keine Reue, keine Furcht. In ihren Augen lodert nur dieser unglaubliche Zorn. Ihre Zelle hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschheit da anzugreifen, wo es wirklich weh tut. Wir sprechen hier nicht von Vandalismus oder kleinen Verbrechen zum Zweck der Bereicherung. Echidna ist eine Terroristin und ihre Gruppierung würde die Menschen ausrotten, wenn sie die Chance hätte. AEGIS operiert an vielerlei Orten. Aber Echidna ist unser Primärziel. Wir würden zahlreiche andere Zellen vernachlässigen oder - vorerst - entkommen lassen, wenn es uns ihrer Festnahme oder Eliminierung auch nur ein Stück näher brächte."
Der Major öffnete einen weiteren Knopf seines Hemdes und nippte an seinem Weinglas. Auch Arikel war mit ihrem Salat fertig und gemeinsam mit Michael starrte sie ihn neugierig an, wobei ihre Augenpaare emotionslos und leer blieben. "Glauben Sie wirklich, AEGIS hat eine Chance, diesen Konflikt zu gewinnen?", fragte Michael nach einem langen Moment des Schweigens. "Sie haben ja selber gesagt, dass manche Hexen so mächtig wie ganze Regimenter sind. Warum nicht verhandeln? In anderen Ländern soll es ganz gut klappen, hörte ich." Der Major schnaubte verächtlich. "Hier geht es nicht um Kompromisse, Bürschchen. Vaishara würden die Menschen unterjochen! Sie vielleicht sogar auslöschen! Echidna selbst sagte mir damals, dass ihrer Ansicht nach keiner von uns Menschen das Leben verdiene. Es mag vielleicht welche geben, die anders denken. Aber so wie ich das sehe kämpfen hier zwei Rassen um das Überleben. Um die Vorherrschaft. Um unsere Welt Eneath. Es ist mir egal, wie mächtig manche von denen sind, ich werde meinen Beitrag für die Menschen leisten. Ich glaube nicht an Frieden. Wir können die Dinger ja schlecht alle einfach abschieben. Das Überleben des Stärkeren. So ist nun einmal der Lauf der Dinge. Bedauerlich, ja. Aber notwendig."
Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas, leckte sich über die Lippen und sah das Pärchen vor sich an. Michael lächelte freundlich. "AEGIS wird also einfach nur kämpfen, egal wie aussichtslos die Lage ist und wie unwahrscheinlich ein Endsieg? Oder gibt es da irgendwelche besonderen Pläne? Habt ihr irgendwelche Asse im Ärmel oder hofft ihr einfach, so viele Vaishara mit in den Tod zu reißen?" In den hellblauen Augen des jungen Mannes brannte ein intensives, inneres Feuer. "Gibt es noch irgendwelche wichtigen Informationen, die Sie uns bisher vorenthielten?" Major Marston seufzte, leerte sein Weinglas und goss sich den Rest der zweiten Flasche in sein Glas. Er fühlte sich miserabel und benommen. Er hoffte, das Gespräch wäre bald vorbei und er würde endlich gehen können. Er sehnte sich nach einer kalten Dusche und etwas Schlaf. Doch er hatte auch das Gefühl, antworten zu müssen. Es war für ihn und AEGIS von größter Wichtigkeit, dass er jede Frage Michaels und Arikels beantwortete. Von größter Wichtigkeit.
"Wir forschen an gefangenen Vaishara und wir lassen nichts unversucht, um mit modernster Technik und Wissenschaft die Vorteile der Hexen auszugleichen", erklärte der Major. "Wir haben Mittel, uns selbst den mächtigsten Hexen entgegen zu stellen. Und wir forschen an Methoden, die Grenzen unserer Körper zu überwinden um uns mit den Hexen auf eine Stufe stellen zu können. Und sei es nur für die Dauer eines Kampfes auf Leben und Tod."
"Beeindruckend", warf Michael ein. "Höchst beeindruckend. Wo genau wird denn solche Forschung betrieben? Ich bitte um weitere Details." Major Marston überlegte, nahm einen Schluck Wein, ehe er weiter sprach. "AEGIS hat zahlreiche Einrichtungen, sowohl in Ylesia als auch darüber hinaus. Hier in Ylesia sind unsere wichtigsten Forschungseinrichtungen in Tinroth, Iserion, Dalaa und am wichtigsten unser Hauptquartier auf den Pralaia-Inseln..." Nun leuchteten Michaels Augen wie zwei blaue Feuer. "Moment, bitte. Pralaia-Inseln? Nie von gehört. Wo genau liegen die? Wie viele Inseln sind das?" Der Major nippte an seinem Glas, rieb sich erneut die Stirn und hustete kurz. "Die Inseln liegen etwas nördlich von Aylín. Sechs miteinander verbundene, künstliche Inseln, die über einem Riff, einer Felsformation oder einer Sandbank errichtet wurden. Jedes Reich von Elinor sollte eine Insel für sich bekommen und der Ort sollte als neutraler Verhandlungsort dienen. Ein sicherer Treffpunkt, bar jeder Gewalt und Vorurteile. Ein Sanktuarium, wenn man es so nennen möchte. Die Inseln heißen Ashur, Dugar, Isa, Mathur, Vasir und Aesir. Das Projekt begann irgendwann in den Achtziger Jahren, wurde aber aufgrund Geldmangel und Konflikten abgebrochen und vergessen. Heute nutzt AEGIS diese Inseln. So gut wie jeder hat ihre Existenz vergessen. Ich war selber mehr als überrascht, dass so viele Leute das einfach vergessen konnten."
"Glauben Sie mir, es ist interessant, was manche Menschen für Möglichkeiten haben", antwortete Michael mit einem süffisanten Grinsen. Bildete der Major es sich nur ein, oder lag da eine merkwürdige Betonung auf dem Wort Menschen? Er war mehr als irritiert, als sich der junge Mann erhob und seiner Begleiterin galant den Stuhl nach hinten zog und ihr so beim Aufstehen half. "Wir müssen gehen. Sie haben uns alles gesagt, was wir wissen wollten." Er neigte den Kopf und seine Begleiterin machte einen Knicks, setzte sich ihren Sonnenhut wieder auf. "Sie können ruhig sitzen bleiben", erklärte die junge Frau mit glockenklarer Stimme, "Wir finden allein hinaus. Danke für ihre Zeit, Major Marston. Wir wissen die Informationen zu schätzen, die Sie uns gegeben haben. Auch wenn ich glaube, dass ihre Haltung gegenüber den Vaishara ihre Erzählungen und ihre gesunden Menschenverstand zu sehr beeinflussen. Aber das war beim Militär und besonders bei einer Organisation wie AEGIS schon immer das Problem. Sie machen sich zu viele Sorgen um die Absichten anderer anstatt die eigenen Taten zu überdenken." Arikel hakte ihren Arm bei Michael ein. Dieser ergriff nun das Wort. "Tut mir leid, aber Sie dürfen mit niemandem über unsere Unterhaltung sprechen. Besonders nicht mit Ihren Vorgesetzten bei AEGIS. Mögen die Ihnen ach so verhassten Götter Ihnen Frieden schenken."
Kichernd, flirtend und Albernheiten austauschend gingen die beiden davon. Keiner der im Restaurant stationierten Agenten von AEGIS sah Michael oder Arikel gehen. Sie konnten sich danach auch überhaupt nicht daran erinnern, wie beide ausgesehen hatten. Als die Recorder der Richtmikrofone zurück gespult wurden und man sich die Speicherkarten der Kameras ansah stellte man fest, dass sämtliche Datenspeicher völlig leer waren. Keiner der Techniker oder Scharfschützen, die auf Posten waren, konnten sich auch nur eines Wortes der Unterhaltung erinnern, die sie angeblich überwacht hatten, vom Aussehen der beiden geheimnisvollen Gesprächspartner ganz zu schweigen. Auch die Bediensteten konnten sich an nichts erinnern.
Major Marston blieb reglos am Tisch sitzen, bis fünfzehn Minuten vergangen waren und ein neugieriger Kellner herüberkam, der nachsehen wollte, ob alles in Ordnung sei. Zu seinem Entsetzen entdeckte er, dass der Major tot war. Einem von einem Forscherteam von AEGIS erstellten Bericht zufolge war Major Marston an einem schweren Herzanfall gestorben. Einem, den der Major nur wenige Minuten, nachdem er sich zu Mittag hingesetzt hatte, erlitten hatte. Niemand konnte erklären oder versuchte auch nur die Frage zu beantworten, wie es einem Toten gelungen war, zwei Flaschen Wein zu trinken, von den beiden leeren Tellern und Gläsern, auf denen selbst Fingerabdrücke fehlten, ganz abgesehen. Der schwarze Koffer, den man unter dem Tisch fand, war leer.