Ein Tag in ihrem Leben (KG)

einsame wölfin

Träumerin in den Zeiten
Autor: einsame wölfin
Titel: Ein Tag in ihrem Leben
Teile: KG
Genre:Alltag
Serie (Original oder Fanfiction): Original
Pairing (wenn vorhanden): keins
Disclaimer: alles meins

Hm ich weiß nicht so recht was ich dazu sagen soll. Ich hatte einfach das Bedürfnis über eine Freundin zu schreiben bzw. zu versuchen mich in sie hinein zu versetzen. Herausgekommen ist diese Kurzgeschichte über die Lebenshintergründe der besagten Freundin.



Ein Tag in ihrem Leben

Wie jeden Tag stand sie vor dem Spiegel, nackt. Es war ein unbrechbares Ritual, ihr Blick glitt über ihren Körper und blieb an jeder kleinen Unregelmäßigkeit hängen. Der Bauch, der viel zu dick war, die breiten Oberschenkel, die viel zu kleinen Brüste, das füllige Gesicht… oh wie sie es hasste… Wie jeder Blick in ihren Spiegel zu einer schmerzhaften Folter wurde. Und trotzdem musste sie sich jeden Tag versichern, dass es nicht noch schlimmer geworden war.
Leonie wandte den Blick ruckartig ab und warf das schwarze Seidentuch über den mannshohen Spiegel. Sie wollte entscheiden, wann sie das Monstrum, ihr Spiegelbild, ansah und wann nicht. Sich die langen, braunen Haare zusammen bindend verließ Leonie das Badezimmer und ging zurück in den anderen Raum ihrer winzigen Wohnung. Es war noch gar nicht so lange her, dass sie hier eingezogen war. Vielleicht zwei, drei Monate. Sie vermisste ihre Familie, vor allem ihre Mum. Aber sie hatte ja keine Wahl gehabt... Leonie schüttelte vehement den Kopf und versuchte die düsteren und ziemlich ernüchternden Gedanken an ihr Outing vor ihrer Pflegefamilie zu verdrängen. Stattdessen nahm sie einen großen Schluck von ihrem Zitronenwasser und packte sich einen Apfel in ihre Tasche. Ein kurzer Blick auf ihr Handy, sie hatte keine neuen Nachrichten. Es war kurz vor acht, sie musste los. Auf dem Weg zu ihrem Auto drängten sich erneut Bilder in ihr Bewusstsein. Sie konnte den fassungslosen Blick ihrer Mutter nicht vergessen. Das einzige was sie gewollt hatte, war ehrlich zu sein und ihre Familie an ihrem Innersten teilhaben zu lassen. Also hatte sie ihnen erzählt, dass sie sich in eine Frau verliebt hatte, dass sie glaubte lesbisch zu sein… Es war einfach aus ihr herausgeplatzt und sie hatte gedacht, dass es schon nicht so schlimm sein würde. Stattdessen hatte man sie mehr oder weniger rausgeschmissen, sie galt als peinlich und unangenehm für die Familie und Körperkontakt, sei es nur eine Umarmung, wurde vermieden. Was war sie denn bitteschön? Ein Monster? Nur weil sie nicht so war wie alle anderen? Leonie schüttelte erneut den Kopf und schloss ihr Auto auf. Es war vorbei, gelaufen, sie hatte jetzt ihr eigenes Leben und endlich auch den Mut gefunden in die Szene zu gehen. Und auch wenn sie damit nicht gerechnet hatte, so waren ihr doch ein paar nette Frauen über den Weg gelaufen. Mit einer von ihr war sie sogar befreundet, ja so konnte man es nennen. Bei dem Gedanken an Anette huschte ein Lächeln über Leonies müdes Gesicht. Eine Orange rollte irgendwo hinter ihr im Auto hin und her, wenn sie in die Kurven ging.
Nur wenige Minuten später war sie schon am Kindergarten angekommen. Sie stieg aus und blieb für einen Moment nachdenklich vor dem großen Gebäude stehen. Man konnte selbst von draußen Kinderstimmen hören. Es war ihr Traumberuf… Erzieherin zu sein… aber der Traum hatte sich nach der Ausbildung in einen rasanten Alptraum verwandelt. Zu wenig Stellen, viel zu wenig Stellen. Tja und irgendwann vielen die katholischen Kindergärten dann auch weg… Würden die rauskriegen, dass sie auf Frauen stand, dann war das Kündigungsgrund. Leonie hatte seit ihrem Outing eigentlich durchgehend das Gefühl diskriminiert zu werden. Entweder bei ihrer Familie, oder im Beruf. Tja und jetzt hatte man sie zu einem 1 Euro Job im Kindergarten verdonnert. Nicht, dass es ihr keinen Spaß machen würde, aber im Prinzip wurde ihre Qualifikation hier einfach ausgenutzt. Sie wünschte sich nichts mehr, als endlich richtig arbeiten zu können… aber wer wusste schon, ob das jemals Realität werden würde. Seufzend betrat sie das große Gebäude und begann ihren Arbeitstag.

Es war viertel nach zwei. Sie hatte noch Überstunden machen müssen und sich entschlossen nicht in ihre Einzimmerwohnung zurückzufahren, sondern noch ein bisschen in die Stadt zu gehen, vielleicht ein Müsli im LG essen und noch kurz ins Internetcafé. Ja, das war eine gute Idee, sie wollte Anette heute endlich ein bisschen mehr sagen, als die vagen Andeutungen von gestern. Aber bevor sie losfuhr, angelte sie nach der ausgebrochenen Orange und verspeiste mehr oder weniger begeistert ihr Mittagessen. Heute würde sie gar nichts, aber auch gar nichts Ungesundes zu sich nehmen. Nur Rohkost und vielleicht das Müsli. Vielleicht… mal sehen… vielleicht auch nur ein Wasser mit Zitrone? Leonie verspürte heute das extreme Bedürfnis ihrem Körper eindeutige Grenzen aufzuweisen. Sie musste unbedingt mehr abnehmen. Das Schlimmste Erlebnis war gestern gewesen, als sie spürte, wie ihre Lieblingsjeans spannte. Sie wollte gar nicht daran denken!

Leonie genoss es ein bisschen durch die Freiburger Innenstadt zu schlendern und die ersten warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut zu spüren. Dann setzte sie sich in ihr Lieblingsinternetcafé, ganz in der Nähe vom Augustinerplatz. Sie hatte eine Homepage für lesbische Frauen geöffnet, quasi ein lesbisches StudieVZ. Müde strich sie sich eine der braunen, langen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Es war nicht leicht über ihre Vergangenheit zu schreiben. Aber sie hatte das Gefühl in Anette eine wertvolle Zuhörerin gefunden zu haben… und es tat so gut mit jemanden reden zu können. Auch über nicht so angenehme Dinge. Und so schrieb sie… schrieb sie von ihrem Problem mit dem Essen, dass sie einfach nicht in den Griff bekam… schrieb sie von der fehlenden Kommunikation mit ihrer Familie… Leonie zögerte. Ihre Hände, die immer ein bisschen zu rau waren lagen ruhig auf der schwarzen Tastatur. Sie musste nachher unbedingt noch neue Handcreme kaufen. Vorsichtig und behutsam begann sie die letzten Sätze zu schreiben.

<…und weißt du Anette... ich glaube das hängt alles mit meinem leiblichen Vater zusammen. Du kannst dir ja sicherlich vorstellen, was ein Vater machen muss, damit man das Kind aus der Familie nimmt…>

Leonie drückte auf absenden und stieß erleichtert die angehaltene Luft aus. Vielleicht war sie zu weit gegangen. Sie wollte Anette da nicht mit reinziehen… aber die Gewissheit, dass sie es lesen, schockiert sein und ihr auf jeden Fall zurück schreiben würde… die war so tröstlich… dafür würde sie alles tun. Sie wollte doch nur, dass ihr jemand zuhörte…




danke fürs lesen

lg wölfin
 
Hallo Wölfin,

das war wirklich eine sehr berührende Geschichte, und auch wenn ich Deine Freundin nicht kenne,
denke ich schon, dass Du sie und Ihr Leben gut beschrieben hast es vermittelt jedenfalls diesen Eindruck.
Auch, dass Du sie gut zu kennen scheinst, klar, warum sollte es Dich sonst so beschäftigen?

Ich finde es immernoch schwer vorstellbar, dass es in unserer Zeit noch immer solche verborten und querköpfigen
Menschen gibt, die einem das Leben so erschweren, nur weil man sich outet mit dem Ziel, endlich freier leben zu können.

Leider ist es ja wirklich so, ich sehe es jeden Tag bei der Arbeit, obwohl wir hier alle einen Altersdurchschnitt von etwa 23 oder so haben.
Manche wollen sich einfach nicht näher damit befassen und tun anderen Menschen damit doch sehr weh.

Die Lebensumstände Deiner Freundin sind wirklich nicht die besten und zu wissen, dass diese Geschichte nicht fiktiv ist,
hat mich wirklich berührt.
Mehr kann ich jetzt auch irgendwie nicht dazu sagen.

Smarti
 
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